[584] Katholicismus bezeichnet im Allgemeinen das Christenthum der katholischen Kirche, im Besondern die Gesammtheit der [584] die katholische Kirche charakterisirenden Eigenthümlichkeiten. Der Katholicismus ist als eine besondere Form des christlich religiösen Lebens älter, als es die irgend einer andern Kirche ist, doch ist er nicht so alt, als das Christemhum selbst. Vielmehr entstand die Idee eines katholischen. d.h. allgemeinen und darum echten Glaubens und einer katholischen Kirche erst nachdem das Christenthum siegreich gegen jüdische und heidnische Irrlehren sich geltend gemacht hatte, durch die Kirchengemeinschaft auf Synoden seit dem 4. Jahrh., die sich das Recht beilegte, im Kampfe der Meinungen das echt Christlichapostolische vom Widerchristlichen zu scheiden, und so eine Gesetzgebung für echtes Christenthum zu sein. Der so entstandene Kirchenglaube wurde unter dem Einflusse der Hierarchie (s.d.) und des Scholasticismus (s. Scholastiker) immer weiter entwickelt, war aber schon in allen seinen Hauptzügen vollendet und in die Praxis der Kirche eingeführt, als er als ein abgeschlossenes Ganze von der röm. Kirche feierlich bestätigt wurde. Es geschah dies in den Beschlüssen des tridentiner Concils, das in 25 Sitzungen von 1545–63 gehalten wurde, dessen Entscheidungen in der katholischen Kirche für alle Zeiten ein für den Glauben bindendes Ansehen erlangt haben, und die durch Papst Pius V. in dem 1566 erschienenen röm. Katechismus auch den Laien bekannt gemacht worden sind. Fragen wir nun nach dem religiösen Inhalt dieses Lehrbegriffs, so ist es die Heilslehre des Christenthums, deren katholische Weise in folgenden näher zu erörternden Punkten am deutlichsten hervortritt: nämlich in der Quelle, aus der die Heilslehre das Christenthum geschöpft, in der Lehre von den guten Werken, durch die ihr Umfang bestimmt, in den Sacramenten und der Messe, durch die sie vermittelt und gewonnen, und in der ganzen Anstalt der Kirche mit dem heiligen Priesterstande und dem Papste, durch die sie vertreten und für alle Zeiten unverfälscht erhalten wird.
Der katholischen Kirche ist das echte Christenthum auf einem doppelten Wege zugekommen, durch die h. Schrift, zu welcher auch die Apokryphen des A. T. gehören, und die von mündlicher Belehrung und Anordnung der Apostel ausgegangene und unverfälscht fortgeleitete Erblehre (Tradition). Beide sind göttlichen Ursprungs und ergänzen sich gegenseitig, und beide sind mit gleicher Hochachtung zu betrachten. Der Grund, warum die katholische Kirche dem Worte Gottes in der Schrift das Wort Gottes in der Kirche, die Erblehre, zur Seite stellt, liegt darin, daß die Apostel sowol bei der schriftlichen Aufzeichnung, als bei der mündlichen Verkündigung desselben vom göttlichen Geiste geleitet waren; letztere aber ist für die Gesammtheit der Bischöfe, unbeschadet ihrer Ursprünglichkeit, da sie die ebenbürtigen Nachfolger der Apostel sind, das Mittel geworden, dem Christenthume, als einem Inbegriff von Lehren und Gebräuchen, diejenige Einheit und Vollständigkeit zu geben, die es im Laufe der Jahrhunderte in der katholischen Kirche erlangt hat. Die Folge hiervon ist, theils daß der Vorwurf, es sei der katholische Glaube zum großen Theil menschliche Erfindung und Weisheit, hinwegfällt, und daß die spätern kirchlichen Lehren und Einrichtungen nicht weniger durch das göttliche Ansehen der Kirche gerechtfertigt sind, als die aus der heil. Schrift hervorgegangenen es sind; theils daß letztere für das wahre Christemhum von geringerm Werthe ist, dem Ansehen der Kirche nachsteht, nur von dieser richtig erklärt und nur unter ihrer Aufsicht mit Nutzen gelesen und vetstanden werden kann.
Noch mehr erscheint das Wesen des Katholicismus darin, daß er den durch Christus Gebesserten gute, d.i. verdienstliche Werke vollbringen läßt, daß mithin das ewige Seelenheil des Christen nicht ganz jenseit der Grenzen eigner Kraft und Willensvollkommenheit liegt. Ist nämlich durch die Taufe die Schuld und Strafe der Erbsünde, jenes durch Adam's Fall der ganzen Menschheit mitgetheilten natürlichen Verderbnisses, von ihm hinweggenommen worden, so hat er den ersten Schritt zum Heil gethan. Aber wegen der ihm inwohnenden bösen Lust begeht er auch nach der Taufe noch Sünden aus Bosheit und aus Schwachheit und Unwissenheit, und zieht sich dadurch ewige und zeitliche Strafen zu. Zwar für die erstern, die Strafen der Todsünde, erhält er bei ernster und anhaltender Reue, um des verdienstvollen Leidens und Sterbens Christi willen, bei Gott Vergebung; aber die letztern, die Strafen der Erlaßsünden, muß er selbst abbüßen und Gott dafür genugthun, was geschieht, indem er gewisse beschwerliche Leistungen, die sogenannten guten Werke, wie Fasten, Beten, Almosen geben, Wallfahrten, Andachten an die Maria u.s.w. übernimmt, wofür ihm dann Gott, als einem geringern Übel, das weit größere seiner zeitlichen Sündenstrafen erläßt. Bei diesem beschwerlichen Geschäfte der Genugthuung vermag ihm auch die Kirche den hülfreichsten Beistand durch Ablaß (s.d.) zu leisten, da sie den unerschöpflichen Schatz des überschüssigen Verdienstes Christi und der Heiligen, woraus sie ihn ertheilt, besitzt. Hat er nun auf diesem doppelten Wege, durch die Gnade in Christus bei ernster Reue und durch eigne Genugthuung, bei Gott Vergebung aller seiner Sünden erlangt, so tritt er alsdann, von dem h. Geiste in allem Guten auf das wirksamste unterstützt, in den Stand eines Gerechtfertigten, der ihn selig macht in seinen Werken. Als ein solcher kann er sogar die Seligkeit eines pflichtmäßigen Lebens überschreiten und die höhere Heiligkeit eines gleichsam übersittlichen Lebens erringen, wenn er noch andere von Gott nicht gebotene, wol aber empfohlene Werke, wie aus den evangelischen Rathschlägen hervorgeht, als freiwillige Armuth, Keuschheit, blinden Gehorsam, Unrechtleiden u.s.w. vollbringt, worauf sich das Verdienstliche des Mönchslebens gründet.
Sehen wir im Katholicismus auf Das, was äußerlich zur Erweckung, Vermehrung oder Wiederherstellung des Christenthums in dem Menschen dient, so treten uns besonders in dem ceremonienreichen Gottesdienste die Sacramente und die Messe als bedeutsam entgegen. Wie das Meßopfer als ein wiederholtes unblutiges Opfer des Leibes Christi fortwährend zur Versöhnung und Entsündigung der Menschheit dargebracht wird, und in seinen Wirkungen sich sogar auf die Abgeschiedenen im Fegefeuer (s.d.) erstreckt, so umschließen auch die Sacramente das ganze irdische Leben und bringen ihm in seinen wichtigsten Momenten den Segen der Religion. Dergleichen gibt es sieben: Taufe, Firmelung, Abendmahl, in dem Sinne, daß Brot und Wein dabei in den Leib und das Blut Jesu Christi wirklich verwandelt werden, Buße, zu der die Ohrenbeichte gehört, Priesterweihe, Ehe, die unauflöslich ist, und letzte [585] Ölung, unter welchen drei, nämlich die Taufe, Firmelung und Priesterweihe, einen unauslöschlichen Charakter aufdrücken und nicht wiederholt werden dürfen. Sie sind auch ohne Theilnahme des Herzens vermöge der ihnen als sacramentirlichen Handlungen inwohnenden göttlichen Kraft zur Rechtfertigung und Beseligung der Sünder wirksam, wenn nur der Priester mit Hinwendung des Geistes auf ihren Zweck sie verrichtet. Und wie es sieben Cardinaltugenden und sieben Todsünden oder geistige Krankheiten gibt, so entspricht beiden, diese hebend und jene vermittelnd, die Siebenzahl der Sacramente: die Taufe vermittelt die Erbsünde zum Glauben, die Buße die wirkliche Todsünde zur Gerechtigkeit, die Firmelung die geistige Schwachheit zur Hoffnung, das Abendmahl die Bosheit zur Liebe, die Priesterweihe die Unwissenheit zur Klugheit, die Ehe die Luft zur Enthaltsamkeit, die letzte Ölung den Überrest der Sünde zum Muthe. So ist im Katholicismus das religiöse Leben von einer Reihe heiliger Handlungen umschlossen, so wird es geweckt und genährt durch eine Menge heiliger Gebräuche und Ceremonien, so stehen ihm die Bilder der Heiligen und der Mutter Gottes zur Seite und bringen die schüchternen Bitten der Gläubigen vor den Thron des Allerhöchsten, so tritt aber auch in ihm das lebendige Wort der Predigt als religiöses Erweckungs- und Erbauungsmittel in den Hintergrund und wird der feierlichste Theil seines Gottesdienstes die Messe, welche in lat. Sprache abgehalten wird.
Seine Vollendung erhält der Katholicismus endlich dadurch, daß ihm die Kirche eine sichtbare Anstalt ist und in ihr durch den Papst als den sichtbaren Statthalter Christi und den zum ehelosen Leben verpflichteten Stand der Kleriker (s.d.) alles wahre Christenthum vertreten und für alle Zeiten rein erhalten und fortgepflanzt wird. Denn als ein sichtbarer Heilbringer trat Christus in die Menschheit und begründete in sichtbarer Gestalt das Heil; so ist auch die Kirche, die es fortdauernd wirksam und lebendig erhält, eine sichtbare Anstalt, äußerlich durch Bekenntniß, Sacramente und Priesterthum alle auf Christus Getauften, Gute und Böse, ja selbst offenbare Sünder, umfassend. Sie ist das fortgesetzte Walten Christi selbst, – der fortgesetzte Christus. Darum ist aber auch nur in ihr wahres Christenthum und Seligkeit, darum in ihr der Glaube des Einzelnen von der Kirche zu empfangen und der Lehrsatz vernünftig, man solle glauben, was die Kirche glaubt, d.i. Christus.
Einheit und Vollständigkeit der Lehren im genauesten Zusammenhange mit allen gottesdienstlichen Einrichtungen und Gebräuchen ist ein nicht zu verkennender Vorzug des Katholicismus, in welchem die Religion mehr versinnlicht, ins Aeußerliche verarbeitet, gleichsam im äußerlichen Cultus aufgelöst ist. Dadurch wird nun das katholische Kirchenleben theils erleichtert, theils das innerliche christliche Gemüthsleben in Schatten gestellt. Ein anderer Vorzug des Katholicismus ist, daß er den Gläubigen den Gedanken an das Göttliche höchst nahe zu bringen weiß. Die sichtbarliche Herablassung der göttlichen Gnade in den Sacramenten, die beständige Gegenwart Christi in der täglichen Wiederholung des Meßopfers, der übersinnliche Verkehr mit den Heiligen, sie sind, je mehr Unbegreifliches und Wunderbares in ihnen enthalten ist, um so mehr der eigentliche Grund und Boden für die Religion. Darin liegen auch die Ursachen, warum vor Allem der Katholicismus die schönen Künste dem Heiligen, der Religion dienstbar gemacht und in seinem Schoose entwickelt hat, warum Frömmigkeit und Glaube von ihm fast unzertrennlich ist, und ebendaher sich besonders gemüthvolle Menschen zu ihm hingezogen fühlen. Doch darf auch nicht unbemerkt bleiben, daß er durch Einschiebung der Heiligen zwischen Gott und Menschen jenes innige Verhältniß aufhebt, in welches das Christenthum den Menschen zu Gott bringt, und in welchem wir zu ihm beten können, wie die lieben Kinder, zu ihrem lieben Vater, und daß weder Kunst noch Wissenschaft, so hoch auch ihr Interesse dem Menschen erscheinen mag, den richtigen Maßstab für den Werth einer Religion abgeben. Der ganze katholische Glaube endlich beruht auf Auctorität, auf dem Ansehen der Kirche als einer göttlichen Anstalt. Aber Auctoritätsglaube ist am meisten mit religiösem Glauben verwandt und bei weitem für die meisten Menschen das Beruhigendste. (Vergl. Kirche.)
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