[667] Kreuzzüge werden die vom Ende des 11. bis gegen das Ende des 13. Jahrh. von den abendländischen Christen zur Eroberung des heiligen Landes Palästina unternommenen Kriegszüge genannt. Seit der Kaiserin Helena (s.d.), welche im 4. Jahrh. die Kirche des heiligen Grabes in Jerusalem erbaut hatte, waren die Orte, an welchen der Heiland gelebt, gelitten und endlich auferstanden war, ein Gegenstand der religiösen Verehrung geblieben und aus allen Gegenden, in denen sich das Christenthum ausbreitete, wallfahrteten Pilger nach dem Grabe Christi. Nachdem aber im 7. Jahrh. Jerusalem in die Hände der Ungläubigen gefallen, waren die christl. Pilger, wenn ihnen der Besuch der heiligen Orte nicht ganz unmöglich gemacht wurde, doch fortwährend großen Bedrückungen ausgesetzt. Die Folge war, daß bei dem Papst wiederholte Klagen und dringende Bitten einliefen, sein Ansehen anzuwenden, um die christl. Fürsten zu vermögen, alle ihre Macht aufzubieten, damit dem Unwesen, durch welches die heiligen Orte geschändet würden, ein Ende gemacht werde. Die nächste Veranlassung zum ersten Kreuzzuge gab Peter von Amiens, der Einsiedler genannt, welcher 1093 eine Wallfahrt nach Jerusalem unternommen hatte. Nachdem er zurückgekehrt und den traurigen Zustand des Christenthums und seiner Bekenner im Morgenlande selbst kennen gelernt hatte, begab er sich zum Papst Urban II. nach Rom, flehte ihn um Hülfe an und übergab ihm auch ein Schreiben des Patriarchen von Jerusalem, in welchem derselbe alle abendländischen Christen aufrief, ihren Glaubensbrüdern, die unter dem Joche der Ungläubigen schmachteten, zu Hülfe zu kommen. Nun foderte der Papst auf den großen Kirchenversammlungen zu Piacenza 1095 und zu Clermont 1096 die Christen mit begeisternden Reden zur Befreiung des heiligen Landes auf, und so gewaltig war die Macht seiner Rede, daß alle Versammelten einstimmig in den Ausruf ausbrachen: »Gott will es!« – »Ja – fuhr der Papst fort – es ist der Wille Gottes! lasset dies heilige Wort, eingegeben vom heiligen Geiste, für immer euren Schlachtruf sein, um die Streiter Christi anzufeuern. Sein Kreuz ist das Symbol eurer Erlösung; traget es, ein rothes, ein blutiges Kreuz, als äußeres Zeichen auf eurer Brust oder euren Schultern, das Pfand eurer heiligen und unwiderruflichen Verpflichtung!« Die Begeisterten führten dies alsbald aus und so wurde das Kreuz das Abzeichen der Streiter für Befreiung des heiligen Grabes, und diese selbst erhielten den Namen Kreuzfahrer, während ihre Heereszüge Kreuzzüge hießen. Man trug das rothe Kreuz gewöhnlich auf den Schultern in Gold, Seide oder Tuch [667] auf das Gewand genäht. Im dritten Kreuzzuge behielten nur noch die Franzosen die rothe Farbe, während die Engländer weiße, die Flamänder grüne Kreuze trugen. Noch in dem genannten Jahre gingen mehre größere Haufen begeisterter Christen nach dem heiligen Lande ab. In Konstantinopel wollte man sich sammeln, um mit gemeinsamer Anstrengung die Ungläubigen anzugreifen. Die meisten jener Scharen aber kamen um oder zerstreuten sich, ehe sie Konstantinopel erreichten, weil sie ohne verständige Führer, ohne Lebensmittel, ohne Ortskenntniß waren und zum großen Theil auch aus schlechtem Gesindel bestanden. Unter Gottfried von Bouillon, dem Herzog von Niederlothringen, ging aber ein geordnetes Heer von 80,000 M. ab, und in diesem befanden sich Hugo, der Bruder des Königs Philipp von Frankreich, Balduin, Gottfried's Bruder, Robert von Flandern, Raimund von Toulouse, Boemund, Tancred von Apulien und andere berühmte Fürsten und Ritter. Dieser erste Kreuzzug hatte insofern den günstigsten Erfolg, als 1099 Jerusalem wirklich erobert und Gottfried von Bouillon zum König von Jerusalem ernannt wurde. Von nun an wurde, da die Kämpfe mit den Ungläubigen immer fortdauerten, die Begeisterung für das heilige Unternehmen immer allgemeiner, sodaß z.B. 1102 über 260,000 Menschen von Europa nach Palästina aufbrachen, welche aber größtentheils umkamen, ohne Jerusalem gesehen zu haben. Im Jahre 1142 nahmen die Sarazenen Edessa, wodurch die christliche Herrschaft im Morgenlande einen gewaltigen Stoß erlitt, und die Folge war ein zweiter regelmäßiger Kreuzzug. Papst Eugen III. und Bernhard von Clairvaux regten zu demselben auf, sodaß der röm.-deutsche Kaiser Konrad III. und der König von Frankreich Ludwig VII. im J. 1147 mit einem großen Heere auszogen, ohne sich jedoch eines glücklichen Erfolgs freuen zu können. Jerusalem fiel 1187 in die Hände des Sultans Saladin und die drei mächtigsten und berühmtesten christlichen Fürsten, der deutsche Kaiser Friedrich I., der König von Frankreich Philipp August und der König von England Richard I., nahmen das Kreuz und 1189 kam der dritte Kreuzzug zu Stande, welcher dem großen Barbarossa das Leben kostete und keinen Erfolg als die Eroberung von Acre oder Ptolemais hatte, welches für die Folge den Christen im Oriente zum Hauptanhaltspunkt diente. Ein vierter Kreuzzug wurde unter Anführung des Königs von Ungarn Andreas II. im J. 1217 unternommen. Nach langem Zögern begab sich, durch ein früheres Gelübde verpflichtet, Kaiser Friedrich II. (s.d.) nach Palästina und dieser fünfte Kreuzzug war insofern glücklich, als er Jerusalem wieder in die Hände der Christen brachte, obgleich er seine Eroberungen nicht zu behaupten vermochte. Den sechsten und letzten Kreuzzug unternahm endlich Ludwig der Heilige, König von Frankreich, 1248. Er wollte das heilige Land von Ägypten aus erobern, denn hier war der Sitz der Beherrscher desselben. Er war jedoch nicht glücklich und überdies machten sich 1254 die Mamluken zu Herren von Ägypten, sodaß Ludwig der Heilige bis an seinen Tod 1270 vergebens gegen die Ungläubigen in Arabien kämpfte. Allmälig gingen alle noch übrigen Besitzungen der Christen in Syrien verloren und 1291 wurde Acre oder Ptolemais, der letzte Anhaltpunkt derselben, erobert. – Man hat berechnet, daß die Anzahl der Menschen, welche zu Eroberung des heiligen Landes vergebens aufgeopfert worden sind, wenigstens sieben Millionen betragen hat. Die Begeisterung, mit welcher man dieses Unternehmen verfolgte, ist nur theilweise der Religiosität zuzuschreiben. Allerdings machte es die christliche Geistlichkeit jedem wehrhaften Manne zur Gewissenspflicht, zur Eroberung des heiligen Landes bei, zutragen, und besonders schuf auch der Umstand viele Kreuzfahrer, daß man durch einen Kreuzzug nach der Lehre der Kirche Vergebung für alle seine Sünden und einen gewissen Anspruch an die göttliche Gnade gewann; sehr Viele bewogen aber auch Ehrsucht, Ruhmbegier, Freiheitsliebe und Eigennutz, das Kreuz zu nehmen. Es war eine Ehrensache der Ritter, für den heiligen Glauben in den Kampf zu ziehen, die Leibeignen erhielten ihre Freiheit, wenn sie die Waffen Gottes annahmen, und zur Beute gab es auf dem weiten Zuge reiche Gelegenheit. Mehre, besonders kleinere, nicht unter der Leitung mächtiger Fürsten unternommene Kreuzzüge glichen mehr Heeren von Räubern als von Streitern Gottes, und in thörichtem Aberglauben meinten Viele, daß sie jedes Verbrechen, welches ihnen Leidenschaft und Habgier eingab, dreist begehen könnten, weil sie durch das Kreuz auf ihren Schultern entsündigt würden. Die Folgen der Kreuzzüge sind bedeutend für die Gestaltung der abendländischen Welt geworden. Im Allgemeinen ward der beschränkte Sinn der christlichen Völker durch den lebhaften Verkehr untereinander und mit dem Morgenlande erweitert, fremde Sitten, unbekannte Genüsse wirkten mächtig ein, ein kriegerischer Geist verbreitete sich in allen Classen der Gesellschaft. Besonders wichtig wurden aber auch die großen Veränderungen, welche in den Vermögensverhältnissen durch die Kreuzzüge hervorgebracht wurden. Reiche Familien verarmten, arme bereicherten sich. Bisher unterdrückte Stände bekamen mit den Waffen das Gefühl der Freiheit und den Anspruch an dieselbe; gemeinsame Begeisterung und gemeinsame Noth und Gefahren brachten Hohe und Niedere einander näher. Die Städte wurden angesehen und reich durch die lebhaften Handelsverbindungen und durch die Schwächung des Adels, welcher sich mit heldenmüthiger Begeisterung aufopferte. Der Einfluß der Geistlichen steigerte sich, weil sie die fortwährenden Triebfedern des Unternehmens waren und weil ihnen große Reichthümer zu Theil wurden, indem sie die Güter der abwesenden Streiter verwalteten und aus den Verwaltern nicht selten zu Herren derselben wurden. – Die ausgezeichnetsten deutschen Werke über die Kreuzzüge sind Wilken's bis zur Mitte des 13. Jahrh. gehende »Geschichte der Kreuzzüge nach morgenländischen und abendländischen Berichten« (7 Bde., Lpz. 1807–32) und Heeren's »Versuch einer Entwickelung der Folgen der Kreuzzüge für Europa« (Gött. 1808).
Buchempfehlung
Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.
298 Seiten, 15.80 Euro