Quecksilber

[610] Quecksilber oder Merkur ist der Name eines ziemlich seltenen Metalls, das sich in der Natur mit Schwefel (als Zinnober), sowie von allen Metallen allein tropfbarflüssig in Thon eingesprengt, gediegen in Ungarn, Zweibrücken, zu Idria in Krain, zu Almaden in Spanien, in Mexico und Peru vorfindet. Es hat, von allen fremdartigen Bestandtheilen gereinigt, ein zinnweißes, ins Bläuliche spielendes, metallisch glänzendes Ansehen, ist tropfbarflüssig, geruch- und geschmacklos, verdampft bei jeder Lufttemperatur, wird erst bei 36° R. unter Null fest und dann hämmerbar und verbindet sich mit dem Sauerstoffe in verschiedenen Verhältnissen, mit dem Schwefel, Chlor, Jod und fast allen Metallen (welche Verbindungen unter der Benennung Amalgame bekannt sind), und mit Säuren zu Salzen. Das metallische, regulinische, reine oder sogenannte lebendige Quecksilber gewinnt man durch Zersetzung des Zinnobers, indem man entweder das vorher mit ungelöschtem Kalke vermengte Erz in Schmelzretorten erhitzt, wobei sich das Quecksilber verflüchtigt und in der Vorlage zu Tropfen verdichtet, während in der Retorte Schwefelkalk zurückbleibt oder aber indem man, wie zu Almaden und Idria, das sortirte, zerstoßene und mit Thonerde durchknetete Erz ebenfalls erhitzt, wobei sich der Schwefel des Sauerstoffes der atmosphärischen Luft bemächtigt, schwefelige Säure bildet und das Quecksilber sich verflüchtigt. Das Quecksilber findet in Künsten und Gewerben und selbst als Arzneimittel vielfache Anwendung. Zur Verfertigung von Thermometern und Barometern eignet es sich ganz besonders, weil es sich in allen Temperaturen zwischen seinem Erstarrungs- und Siedepunkte (277° R.) gleichmäßig ausdehnt; es dient zur Ausbeutung der Gold- und Silbererze (s. Amalgama), mit Zinn verbunden zur Belegung des Spiegelglases, mit Gold oder Silber amalgamirt zum Vergolden und Versilbern u.s.w.

Außerdem liefert das Quecksilber für ärztliche Zwecke zahlreichere, unter dem gemeinschaftlichen Namen von Merkurial- und Quecksilbermitteln bekannte Präparate als irgend ein anderes Metall. Man benutzt es in der Medicin in metallischem Zustande, weit häufiger jedoch in seinen Verbindungen mit Sauerstoff, Schwefel, Chlor, Säuren u.s.w. Im metallischen Zustande wird es mit Schweinefett zu mehren Salben, wie z.B. zu der grauen und gelben Quecksilbersalbe verrieben und äußerlich als Einreibung oder Verbandmittel gebraucht, während man es innerlich, wo es nur vermöge seiner beträchtlichen Schwere und seiner Flüssigkeit wirksam sein kann, als ein mechanisches Mittel bei Ineinanderschiebung der Gedärme und hartnäckigen Stuhlverstopfungen verordnet, wo es jedoch, wenigstens im erstern Falle, von sehr zweifelhaftem Nutzen ist. Weit gebräuchlicher als Heilmittel ist das Quecksilber in seiner doppelten Verbindung mit Sauerstoff als Oxydul und Oxyd und zwar als Hahnemann's auflösliches Quecksilber (ein schwarzes Pulver von herbem Geschmack) und als der sogenannte rothe Präcipitat, der selten innerlich, sondern meistens mit Fetten verrieben äußerlich als Ätzmittel in Gebrauch gezogen wird. Von den Verbindungen des Quecksilbers mit Schwefel dient als innerliches Arzneimittel eigentlich nur das schwarze Schwefelquecksilber (der sogenannte mineralische Mohr), indem das rothe oder der Zinnober blos noch zu den Quecksilberräucherungen benutzt wird. Wichtiger, ja unentbehrlicher für den Arzt sind die Quecksilberpräparate, welche aus der Verbindung desselben mit dem Chlor hervorgehen, das sogenannte versüßte Quecksilber oder Calomel und der Ätzsublimat, welcher letztere, wenn er nicht mit großer Vorsicht verordnet wird, leicht Vergiftungszufälle hervorbringt. Von Quecksilbersalzen werden das einfach salpetersaure und schwefelsaure Quecksilber in Auflösung als Ätzmittel äußerlich benutzt. Außerdem sind eine Menge sonst gebräuchlicher, ja sogar gepriesener Quecksilberpräparate gegenwärtig als entweder überflüssig oder unzuverlässig außer Gebrauch gekommen und in Vergessenheit gerathen. So gewiß nun jedes der verschiedenen Quecksilberpräparate von dem andern sich durch besondere Eigenschaften unterscheidet, so kommen doch alle in ihren allgemeinen Wirkungen mehr oder weniger überein. Mag man sie nämlich äußerlich in Form von Salben und Auflösungen oder innerlich in festem oder flüssigem Zustande anwenden, so wirken sie nach Verfluß einiger Zeit alle mehr oder weniger immer auf die Schleimhäute der Mundhöhle, des Magens und Darmkanals und reizen sie auf eigenthümliche Weise, und bei fortgesetztem Gebrauche geschieht dasselbe mit den Speicheldrüsen. Schon sehr kleine Gaben Quecksilber haben, indeß immer erst nach einigen Tagen, Beschleunigung und Vermehrung fast aller Absonderungen zur Folge. Die ganze innere Oberfläche des Darmkanals, die Leber, die Bauchspeicheldrüse, die Drüsen der Gedärme u.s.w. sondern mehr und flüssiger ab als gewöhnlich. Von der Schleimhaut des Verdauungskanals verbreitet sich die Reizung nun zunächst auf das gesammte lymphatische System, das dadurch zu gesteigerter Thätigkeit angeregt wird, weshalb z.B. widernatürliche Ansammlungen von Flüssigkeiten, Drüsengeschwülste u. dergl. verschwinden. Weiterhin leidet die Ernährung des Körpers, das Blut nimmt eine mehr wässerige und flüssigere Beschaffenheit an, die Muskeln verlieren an Spannkraft, die Absonderungen werden leicht übermäßig, es treten mannichfache Verdauungsstörungen ein, die Eßlust mindert sich, der Stuhlgang wird wässerig, die Haut färbt sich schmuzig bleich, erdfahl, erscheint gedunsen, besonders im Gesicht, und endlich treten alle Zufälle des unter der Benennung Merkurialkrankheit bekannten Siechthums ein, das man so oft bei Menschen beobachtet, welche vermöge ihres Geschäfts genöthigt sind, fast täglich mit Quecksilber umzugehen, wie Hüttenarbeiter, Vergolder, Spiegelfabrikanten u.s.w. Dieses verräth sich durch ein fast beständiges, eigenthümliches Zittern der Gliedmaßen, Schwere und Eingenommenheit des Kopfes, Ohrensausen, Abnahme des Sehvermögens, gänzlichen Mangel an Appetit, zunehmende Mattigkeit, dumpfe Schmerzen in den Gelenken, unangenehme Empfindungen in den Zähnen, Ausschläge, Geschwüre, Geschwülste verschiedener Art, auffallende Brüchigkeit der Knochen u.s.w. Dergleichen Krankheitserscheinungen treten jedoch nur ausnahmsweise auch nach einer längere Zeit fortgesetzten ärztlichen Behandlung mit Quecksilbermitteln ein. Eine desto [610] häufigere Folge von Einwirkung des. Quecksilbers ist, zumal nach dem Gebrauche mancher Präparate desselben, wie namentlich des Calomel in etwas starken und schnell gesteigerten Gaben, der Speichelfluß. Zuerst entsteht ein metallischer Geschmack in Munde und ein übler Geruch, das Zahnfleisch beginnt anzuschwellen, lockert sich auf und färbt sich bläulich, dazu kommen Ziehen und Spannen in der Kinnlade, im Halse und Nacken, Gefühl von Angegriffensein des ganzen Körpers, öfteres Ausspeien und zuweilen Fieberbewegungen. Tritt nun der Speichelfluß völlig ein, so fließt ein zäher, übelriechender, scharfer Speichel in großer Menge ohne Unterbrechung aus dem Munde, das schon vorher angeschwollene, blaurothe, leicht blutende Zahnfleisch trennt sich stellenweise von den Zähnen und wird geschwürig, jene werden locker, färben sich braun und fallen wol auch aus, sämmtliche Speicheldrüsen schwellen an und werden schmerzhaft, ebenso alle in der Mund- und Rachenhöhle gelegenen Theile, das Kauen, Sprechen und Schlingen wird unmöglich. Inzwischen ist der Speichelfluß nicht immer eine nothwendige Folge des Quecksilbergebrauchs, sondern kann oft verhütet und vermieden werden. Am allerwenigsten aber berechtigt die Möglichkeit seines Eintritts, sowie überhaupt die Furcht vor den nachtheiligen Folgen, die eine unverständige Anwendung von Quecksilbermitteln haben kann, zu gänzlicher Verbannung derselben aus dem Arzneischatze, da sie gerade zu den wirksamsten Heilmitteln gehören, die es unter manchen Umständen geben kann. Wegen der in ihrer Art ganz eigenthümlichen Erregung des Schleimhaut- und lymphatischen Systems, sowie in manchen Fällen selbst der äußerm Haut, welche die Quecksilbermittel bewirken, leisten sie oft Großes gegen die Skrofelsucht, örtliche und allgemeine Venerie, Flechten und andere Hautausschläge, bei manchen besonders mit Neigung zu Ausschwitzung verbundenen Entzündungen, Wassersuchten u.s.w. Die Dämpfe des Quecksilbers wirken sehr heftig auf den menschlichen Körper, und auf einem Schiffe, welches 1810 im Hafen von Cadix mit Quecksilber beladen lag, von dem ein Theil aus den Behältnissen ausgelaufen und in den mit faulendem Wasser angefüllten Schiffsraum gelangt war, bekam die ganze Mannschaft den Speichelfluß und alles Metall wurde mit einer Quecksilberlage überzogen. Schrecklicher noch war die Wirkung, welche ein Brand der Quecksilbergruben zu Idria im Mai 1803 hatte, welcher durch Entzündung schlagender Wetter (Gase) entstand. Sämmtliche 1300 Arbeiter erkrankten von den plötzlich in Menge entwickelten Quecksilberdämpfen gefährlich und 900 davon wurden durch ein davon zurückgebliebenes, beständiges Zittern unfähig zu aller Arbeit, die übrigen einigermaßen Hergestellten aber waren ferner nur noch im Stande, die halbe Arbeit zu thun.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 610-611.
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