Schweden

[141] Schweden, schwedisch Suerige, Königreich, die Osthälfte der skandinavischen Halbinsel, von Norwegen, Rußland, dem bottnischen Meerbusen, der Ostsee, dem Sund, Kattegat u. Skager-Rack begränzt, umfaßt 8004 QM. mit beinahe 31/2 Mill. Einw. S. bildet mit Norwegen ein natürliches Ganzes, [141] ist wie dieses von dem skandinavischen Gebirge erfüllt, auf dessen Kamm in der Regel die schwed.-norweg. Gränze hinläuft; doch hat S. nicht die Hochflächen Norwegens, indem sich das Gebirge gegen den bottnischen Meerbusen hin rasch senkt u. denselben fast nirgends erreicht. Wegen dieser geringeren Höhe hat S. auch ein milderes Klima als Norwegen. Wie dieses Land ist es sehr wasserreich; von dem Gebirge eilen zahlreiche Flüsse (Elfen) dem Meere zu, bilden aber regelmäßig, bevor sie das Gebirge verlassen, lange u. tiefe Seen (vgl. über die natürlichen Verhältnisse: Skandinavien). Der geringere Theil des Bodens ist dem Ackerbau günstig und S. erzeugt nur in ganz guten Jahren für seinen Bedarf hinlänglich Getreide. Die Viehzucht ist eine Hauptnahrungsquelle; die Benutzung der großen Waldungen beschäftigt einen beträchtlichen Theil der männlichen Bevölkerung; der Fischfang ist von großer Wichtigkeit, den Hauptreichthum des Landes bilden jedoch die vortrefflichen Eisenerze, aber auch die Ausbeute von Kupfer, Silber, Kobalt, Alaun, Vitriol, Braunstein und Schwefel ist nicht unbeträchtlich. Daß in S. außer dem Hüttenbetrieb kein anderer Zweig der Industrie trotz der Handels- und Gewerbefreiheit in großen Verhältnissen betrieben wird, erklärt sich aus der Natur des Landes und der dünnen Bevölkerung. Der innere Verkehr wird durch die vielen Seen begünstigt; künstliche Wasserstraßen verbinden die großen Seen (Wener-, Wetter-, Hjelmar-, Mälar-See) und dadurch Kattegat und Ostsee (vgl. Götakanal), verzinsen jedoch das aufgewandte Kapital bei weitem nicht. Die Hauptgegenstände der Ausfuhr sind Eisen, Kupfer, Alaun etc., Holz, Theer, Pech; sie wurde 1852 zu 27658000 Reichsbankthaler berechnet, die Einfuhr zu 29049000 Reichsbankthaler; die Handelsflotte bestand aus 1407 größeren Schiffen zu mehr als 86000 Lasten u. 61 Dampfschiffen mit 3180 Pferdekraft. Die bedeutendsten Handelsplätze sind Stockholm, Nyköping, Karlskrona, Ystad, Helsingborg, Gothenburg. Man rechnet nach Reichsbankthalern; 1 R.-B.-Thlr. = 48 Schilling à 12 Rundstücke = 17 Sgr. 2 Pf. = 50 kr. C.-M.; 1 Ctr. = 100 Schalpfund = 85 Zollpfund; 1 Kanna hält 2,617 frz. Litr., die Tonne festes Maß 164,68; die Aln ist = 0,593 franz. Metr. Eingetheilt ist S. in administrativer Beziehung in die Oberstatthalterschaft Stockholm und 24 Läne od. Landhöfdingdäne mit 117 Vogteien (Fögderien). Das Recht ist das eigenthümlich ausgebildete schwedische; es gibt 4 Instanzen: Häradsgericht, Lagmannsgericht, Hofgericht u. höchstes Gericht des Königs, daneben noch einige besondere Gerichte; die Reichsstände üben indessen durch Bevollmächtigte eine Art Aufsicht über die Justizverwaltung. Auch das Militärwesen ist seit 1680 ganz eigenthümlich eingerichtet. Die stehende Armee, nicht ganz 8000 Mann stark, wird geworben (daher Värfvade genannt) u. bildet die Besatzungstruppen von Stockholm u. den andern Waffenplätzen; der Kern der Kriegsmacht aber besteht aus den sog. eingetheilten Regimentern (Indelta). Ein großes Gut oder eine Anzahl kleiner Höfe muß einen Mann stellen und ihm Haus, Acker und Vieh geben; auch die Offiziere sind Bauern u. erhalten ein Krongut; Sold wird nur im wirklichen Dienste, während der jährlichen, ungefähr 4 Wochen dauernden Uebungen und im Kriege bezahlt. Solcher Indeltatruppen sind ungefähr 30000 Mann auf der Stelle verfügbar. Im Nothfalle findet Conscription d.h. das Aufgebot aller Mannschaft vom 20. bis 25. Altersjahre statt, so daß S. zur Vertheidigung beiläufig 100000 Mann aufbieten kann. Die Seemacht besteht aus etwa 12 Dampffregatten und Corvetten, vielleicht 300 Kanonenbooten (Scheerenflotte) und einigen Segelfregatten (Linienschiffe unterhält S. schon lange keine mehr; die Bemannung wird mit Einschluß der Marinesoldaten auf 24000 Mann angegeben. Die Finanzen sind gut geordnet; nach dem Budget für 1855–57 belaufen sich die Einnahmen auf 14358300 R.-B.-Thlr., die Staatsausgaben auf 12876920 R.-B.-Thlr. Die Staatsschuld, die früher S. fast erdrückte, ist seit 1840 bezahlt; Papiergeld sind 14 Mill. Thlr. im Umlauf. Staatsreligion ist die evangelischlutherische,[142] zu der sich auch der König bekennen muß; der Uebertritt zur kath. Kirche hat den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte zur Folge. Die Rangordnung der Geistlichkeit ist der kathol. nachgebildet; von den 12 Bischöfen ist Primas der Erzbischof von Upsala; unter den Bischöfen stehen die Pröpste, unter diesen die Pastoren, welche Coministri und Adjuncten nach Bedarf erhalten. Die Unterrichtsanstalten sind zwar nicht so glänzend ausgestattet als in manchen anderen Ländern, leisten aber wenigstens eben so viel und sind meistens sehr gut eingerichtet. S. ist eine im Mannsstamme des Hauses Bernadotte erbliche Monarchie; der gegenwärtige König Oskar, geb. 4. Juli 1799 zu Paris, regiert seit 4. März 1844. Die königliche Gewalt ist durch Reichsstände beschränkt, die sich ordentlicher Weise jedes 3. Jahr versammeln und aus 4 Ständen od. Kammern bestehen: 1) aus der Ritterschaft d.h. jedem Oberhaupt einer adeligen Familie, etwa 1200, die sich aber nie vollzählig einfinden; 2) aus 50–80 Geistlichen; 3) aus 108 Bürgern; 4) aus 259 Bauern. Daß das Verfahren sehr schleppend ist, wenn ein Gesetz durch 4 Kammern hindurch gehen muß, leuchtet ein; Bürger- und Bauernstand arbeiten auch seit langer Zeit im Gegensatze zu den 2 obern Ständen auf eine Verfassungsreform hin, sind auch sonst gegen den Adel nicht besonders gut gestimmt, da derselbe größtentheils verarmt ist und seine Subsistenz im Militär- und Civildienste zu erhalten sucht. Dem Könige kommt die Regierungsgewalt im eigentlichen Sinne des Wortes zu d.h. sein Beschluß ist wesentlich nothwendig bei jedem Akte der verschiedenen Verwaltungszweige. Dem Könige zur Seite steht seit 1834 ein Staatsrath von 10 Mitgliedern: die Minister für Justiz und Auswärtiges, 5 Staatsräthe für Inneres, Finanzen, Krieg, Marine, Cultus, 3 Staatsräthe ohne Portefeuille. Die S. sind ein germanischer Stamm, wohl derselbe, den Tacitus als Suiones kennt; ein anderer, die Gothen, haben wahrscheinlich mit den Gothen der Völkerwanderung nur den Namen gemeinschaftlich. Anfänglich herrschten in S. viele Häuptlinge (Könige), die jedoch einen Oberkönig aus Odins Geschlecht (Dynastie der Ynglinger), der bei dem Nationalheiligthum zu Upsala seinen Sitz hatte, anerkannten. Die S. betheiligten sich an den Raubzügen der Normannen, sie kämpften auch mit wechselndem Glücke gegen Norweger, Dänen u. Finnen; seit dem 8. Jahrh. sind Schonen, Halland und Bleckingen dänisch, S. u. Gothen (während der Dynastie aus dem Geschlechte Iwars u. Sigurds) nach einander entgegenstehend und der Versuch des hl. Ansgar, das Christenthum einzuführen (9. Jahrh.) war nur von vorübergehendem Erfolge. Herrschend wurde es unter und nach Olaf III. (Schoßkönig zubenannt, weil ihm als Kind gehuldigt wurde), der sich 993 taufen ließ; Erich VIII., der Heilige, bekriegte 1156 Finnland, sein Nachfolger Karl VII. aber hieß zuerst König der Schweden und Gothen. Zur Einheit gelangte S. endlich seit 1250 mit Waldmar I. (Dynastie der Folkunger), der Stockholm zur Stadt erhob; unter seinen Nachfolgern wurde Finnland unterworfen, doch bildete sich schon damals der Gegensatz zwischen Adel u. Volk aus u. das Bestreben des Adels, das Lehensystem einzuführen, scheiterte an dem Widerstande des Volkes. Der letzte Folkunger, Magnus (gest. 1374), verlor den Thron in Folge willkürlicher Handlungen und unglücklicher Kriege, worauf die mächtigsten Edelleute den Herzog Albrecht von Mecklenburg zum Könige wählten, der aber aus denselben Ursachen wie Magnus von dem größeren Theile der Nation verlassen wurde u. trotz der Unterstützung durch die Hanseaten der dänischen Margaretha unterlag (1388). Diese führte 1397 durch die Kalmarer Union die Vereinigung der 3 nordischen Reiche durch, aber einerseits machte Dänemark das Recht des Stärkeren geltend und behandelte S. wie eine Provinz, zudem herrschte gegenseitiger Nationalhaß schon damals, andererseits erkannten die Völker im Mittelalter die Bedeutung eines größeren Reiches noch nicht. Ein schwed. Aufstand nach dem andern erschütterte oder unterbrach die Union (1434–1523) u. [143] durchschnittlich war das dän. Regierungssystem die Ursache. Christian Il. besiegte 1520 den von den schwed. Ständen ernannten Reichsverweser Sten Sture und wurde als König anerkannt; als er aber zu Stockholm 94 Adelige enthaupten ließ und durch dän. Garnisonen eine Schreckensherrschaft über S. durchführen wollte, stellte sich Gustav Wasa an die Spitze der Unzufriedenen, erkämpfte S. die Unabhängigkeit n. sich den königl. Thron (s. Gustav I). Sein Sohn Erich XIV. kriegte mit Rußland, Dänemark und Polen, wurde aber temporär wahnsinnig und von seinen Brüdern Johann und Karl zuerst 1568 gefangen, dann 1578 vergiftet. Johann III. (1568–92) neigte sich anfangs sehr der kathol. Religion zu und erregte dadurch eine gefährliche Unzufriedenheit des Adels, der einen Theil der säcularisirten Kirchengüter erhalten hatte; sein Sohn Sigismund aber, der 1587 zum König von Polen erwählt und katholisch war, verlor den schwedischen Thron durch seinen Oheim, den Herzog von Südermanland, der sich 1604 als Karl IX. krönen ließ. Er begünstigte die Bürger und Bauern, hinterließ aber 1611 seinem Sohne Gustav II. Adolf einen Krieg gegen Rußland, Polen und Dänemark; wie dieser S. zur nord. Großmacht erhob und selbst in Deutschland einschritt, darüber s. Gustav II. Adolf. Unter Christina (s. d.) gewann der Adel wieder die Uebermacht, die er unter Karl X. Gustav (s. d.) bis zur Oligarchie erweiterte, deren Mißbrauch es Karl XI. (1660–97) möglich machte, die absolute Monarchie herzustellen. Unter Karl XII. (s. d.) verlor S. an Rußland Ingermanland, Esthland u. Livland, an Preußen Stettin u. Vorpommern, an Hannover Bremen u. Verden u. sank zur Macht dritten Ranges herab. Der Adel benutzte diese Gelegenheit, um unter Karls XII. Schwester Ulrike Eleonore u. deren Gemahl, Friedrich von Hessenkassel (1720 bis 1751), sowie unter dessen Nachfolger, Adolf Friedrich von Holstein (1751 bis 1771), die königl. Macht zu einem Schatten abzuschwächen; Heer u. Verwaltung wurden desorganisirt, ein muthwillig mit Rußland begonnener Krieg 1743 mit dem Verluste Kareliens beendet und S.s Waffenruhm durch die erbärmliche Theilnahme am 7jährigen Kriege befleckt. Der Adel theilte sich in die Parteien der Hüte und Mützen, der Unterschied bestand aber wesentlich darin, daß die eine S. in den Dienst der franz., die andere der engl. od. russ. Politik verkaufte. Daher konnte Gustav III. 1772 die Aristokratie unter dem Jubel des Volkes stürzen, aber er war nicht der Mann um die Zerrüttung des Staats zu heilen (s. Gustav III.) und noch weniger sein Sohn Gustav IV. Adolf (s. d.), dessen Sturz 1809 zur Rettung S.s als Nothwendigkeit bezeichnet wurde. Sein Oheim Karl XIII. folgte ihm als König und mußte das für S.s Machtstellung unersetzliche Finnland an Rußland abtreten; unter ihm wurde die Verfassung reformirt. Er adoptirte zuerst den Prinzen Christian August von Holstein-Augustenburg und nach dessen Tode den franz. Marschall Bernadotte (18109, der nun eigentlich regierte, obwohl er erst 1818 als Karl XIV. Johann den Thron bestieg. Die Forderung Napoleons das Continentalsystem für S. aufrecht zu erhalten, mußte zur Vernichtung aller Ausfuhr, also des nationalen Erwerbes führen und erklärt den Anschluß an Rußland und England 1812 hinlänglich. Vergl. Karl XIV. Johann. Ihm folgte 8. März 1844 sein Sohn Oskar I., der 1848 für Dänemark lebhaft gegen Deutschland (eigentlich Preußen) Partei ergriff, dagegen in der orientalischen Frage neutral blieb; 1855 hat er jedoch mit Frankreich und England einen Vertrag geschlossen, der S. gegen russ. Uebergriffe unter den unmittelbaren Schutz jener beiden Mächte stellt. Ueber die schwed. Geschichte vgl. »Scriptores rerum Suecicarum medii aevi« 2 Bde., Upsala 1818–25; »Scriptores Suecii medii aevi« 2 Bde., Lund 1842 bis 44; die Werke von Geijer, Fryxell, Strinnholm.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 141-144.
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