Artur

[832] Artur (Artus), brit. Held, der um 500 gelebt haben soll und den Mittelpunkt eines ausgedehnten Sagenkreises bildet. Die Dichter des Mittelalters, die in den Arturromanen das Ideal des ritterlichen Lebens zur Darstellung brachten, haben die Stoffe mit einer oft an Willkür grenzenden Freiheit behandelt und dem Elemente des Wunderbaren vollen Eingang verstattet. Die Dichtungen, durch die diese Sagen zum Gemeingut der abendländischen Völker wurden, gehören der altfranzösischen Literatur an. Über die Frage, ob ihre Quellen in Wales oder in der Bretagne zu suchen sind, ist unter den Gelehrten ein Streit entbrannt, in dem sich Rhys und Gaston Paris zu gunsten von Wales, H. Zimmer und W. Förster, auf stärkere und sachlichere Gründe gestützt als ihre Gegner, für die Bretagne entschieden haben. In der Literatur kommt A. zuerst bei dem Engländer Nennius vor, dessen lateinische Chronik ins Ende des 8. Jahrh. gesetzt wird. Hier wird er als Feldherr (dux bellorum) bezeichnet und siegt über die Sachsen und Pikten in zwölf Schlachten, von denen die größte und letzte in Monte Badonis (wahrscheinlich Boudenhill am Avon) geschlagen wurde. Die welsche Artursage tritt uns ungetrübt nur in der kymrischen Erzählung von »Kilhwe und Olwen« oder »Arturs Eberjagd«, aus dem 12. Jahrh., entgegen. Hier ist A. noch ein tapferer Held, der überall selbst Hand anlegt, während er in den bretonischen Sagen zwar Mittelpunkt der Erzählungen geblieben, aber zu einem untätigen Zuschauer, einem bloßen Statisten, geworden ist. Auch in der Bretagne müssen Sagen über A. früh verbreitet gewesen sein, da schon in der Mitte des 9. Jahrh. Artur als Personenname dort ganz gewöhnlich ist. Diese Sagen haben sich mündlich verbreitet, noch ehe sie schriftlich fixiert wurden; in Italien kommt der Name A. schon zu Ende des 11. Jahrh. vor. In der lateinischen Literatur ist das Hauptwerk über A. die »Historia regum Britanniae« des Gaufrid (oder Gottfried) von Monmouth, um 1136 (hrsg. von San Marte, Halle 1854), welche die sagenhafte Geschichte Britanniens von dem Stammvater Brutus bis auf Cadwallader (gest. 689) erzählt. Hier ist A. ein mächtiger König und Begründer eines großen westeuropäischen Reiches. Auf die Romanliteratur hat es geringen Einfluß geübt, ist aber häufig in die mittelalterlichen Sprachen übersetzt worden (ins Französische von Wace 1155, ins Englische von Layamon um 1204, zweimal ins Kymrische etc.). Gaufrid gibt mit Benutzung des Nennius hauptsächlich die welsche Überlieferung, hat jedoch allerlei Züge aus der bretonischen Sage eingefügt.

Nach Zimmer unterscheidet sich die bretonische Artursage von der welschen durch folgende Punkte. Nur die bretonische Sage kennt Arturs Schwester, die Fee Morgan (vgl. Fata Morgana), und ihren Wohnsitz, die Insel Avalon (s. d.); die Versetzung des verwundeten A. auf diese Insel nach seiner letzten Schlacht, den im Mittelalter als bretonische Hoffnung sprichwörtlichen Glauben (schon 1113 bezeugt), daß A. nicht gestorben sei und dereinst zurückkehren werde, um sein Reich im alten Glanze herzustellen (um diesen Glauben zu zerstören, ließ Heinrich II. 1189 die Gebeine Arturs in Glastonbury auffinden, das man mit Avalon identifizierte); die Tafelrunde (zuerst bei Wace) mit ihren zwölf Sitzen als Nachahmung der Pairs Karls d. Gr. Kei, in der welschen Sage ein tapferer Ritter, ist in der bretonischen zu einer komischen Figur geworden. A. residiert ursprünglich zu Carduel, dem heutigen Carlisle in Cumberland: so in den bretonischen Sagen; in den welschen ist seine Residenz weiter südlich, nach Carleon am Usk, verlegt, wahrscheinlich weil die bis ins 10. Jahrh. hinein in immer neuen Scharen vor den Angeln flüchtenden Cumberlander die Artursage in ihrer neuen Heimat lokalisierten. Owein und Peredur sind nach der welschen Auffassung Helden einer spätern Zeit und erst von den Bretonen in Zeitgenossen Arturs verwandelt worden. Auch Cornwall war an der Sagenbildung beteiligt: Arturs Geburt in Tintagel ist ein Zug cornischer Sage, und der Name Modred (Arturs Neffe, der ihn tödlich verwundet) hat cornische Form.

Die französischen Arturromane zerfallen in zwei Gruppen, indem sie teils in Versen, teils in Prosa geschrieben sind. Von jenen sind die ältesten der noch ungedruckte »Ider« und die Romane des Christian von Troyes (zwischen 1160 u. 1180): »Erec«, »Lancelot«, »Yvain«, »Perceval«. Alle diese Romane haben bretonische Traditionen benutzt. Einen echt keltischen Namen führt Arturs Neffe Walwain (Gauvain). Andre Namen sind vielfach lateinischen Ursprungs. Der Name A. (altfranz. Artus) entspricht wahrscheinlich einem lateinischen Artorius. Yvain ist die bretonische, Owein die welsche Form des Namens Eugenius. Sein Vater Urien heißt bei Nennius Urbgen (lat. Urbigenus). Erec hieß ein Graf von Nantes (981); im Welschen wird er Geraint genannt (von Gerontios, einem Feldherrn Konstantins, mit Gerennius verschmolzen). Lancelot ist vielleicht Lantbert, ein Markgraf der Bretagne aus der Zeit Ludwigs des Frommen. Lancelot befreit Guenievre, Arturs Gattin, aus der Unterwelt, wohin sie Meleagnant oder Maheloas entführt hat, also ein mythischer Stoff. In Perceval (Peredur) ist die Artursage mit der Gral sage kombiniert. Schon die Namensformen zeigen, daß »Ider« (welsch Edern) und die Romane Christians auf bretonische Quellen zurückgehen; die Verbreitung der Sagen haben die romanisierten Bretonen in der östlichen Bretagne bewirkt. Unter den Prosaromanen ist der verbreitetste der »Lancelot«, der einen Zyklus von 5–6 Romanen zusammenfaßt und nur in Teilen gedruckt ist (von Jonckbloet, Haag 1850, und von Furnivall. »La [832] Queste del saint Graal«, Lond. 1864). Dante hat ihm in der Episode von »Francesca da Rimini« eine bedeutende Rolle zugewiesen. Einen Teil dieses Romans schreiben die Handschriften dem Walter Map (s. d.) zu. Die welschen Romane stehen in dem sogen. »Roten Buch« von Hergest, einer Handschrift des 14. Jahrh. Man nennt sie gewöhnlich Mabinogion, obwohl diese Benennung eigentlich vier andern Erzählungen derselben Handschrift zukommt. Da sie ihrem wesentlichen Inhalt nach auf den französischen Darstellungen des Christian von Troyes beruhen, so haben sie keinen originellen Werk. Es sind: »Owen« (Yvain), »Geraint« (Erec), »Peredur« (Perceval). Sie sind ins Französische übersetzt von LothLes Mabinogion«, Par. 1889, 2 Bde., wo auch »Kilhwe« und »Olwen« übersetzt ist). Über die Artursage haben zuletzt gehandelt H. Zimmer in den »Göttinger Gelehrten Anzeigen«, 1890, Nr. 12 und 20, und in der »Zeitschrift für französische Sprache und Literatur«, Bd. 12 und 13 (Oppeln 1890 u. 1891); W. Försterin den Einleitungen zu Christian von Troyes; G. Paris im 30. Bande der »Histoire littéraire de la France« (Par. 1888); Rhys, der oft mythische Grundlagen vermutet, in den »Studies on the Arthurian lo gend« (Oxford 1891). Die altfranzösischen Prosaromane sind übersetzt von P. ParisLes Romans de la table ronde«, Par. 1868–77, 5 Bde.).

In die deutsche Literatur wurde der Arturroman durch Hartmann von Aue (s. d.) eingeführt, der bald nach 1191 den »Erec« und vor 1202 den »Iwein« (Löwenritter) Chrétiens von Troyes poetisch bearbeitete. Schnell fanden andre französische Arturdichtungen in deutschen Nachahmungen Eingang. Dem »Erec« folgte bald der »Lanzelet« des Schweizers Ulrich von Zatzikhoven, dem »Iwein« der »Wigalois« des Ostfranken Wirnt von Grafenberg und der »Parzival« Wolframs von Eschenbach, durch den zuerst die Gralsage in Verbindung mit der Artursage in Deutschland verbreitet wurde. Nicht nur dem Stil, sondern auch dem Inhalt nach wurden die Epen Hartmanns, Wirnts und Wolframs vorbildlich für die spätern deutschen Arturdichter. Schon der Kärntner Heinrich von Türlin (1215–20) entlehnt ihnen in seinem umfänglichen Roman von Arturs und Gaweins Abenteuern, den er »Die Krone« nannte, manche Motive neben der Benutzung französischer Quellen; bei jüngern Dichtern tritt die französische Tradition gegen die eigne Erfindung und Nachahmung der deutschen Arturromane allmählich ganz zurück; so in Strickers »Daniel vom blühenden Tal«, in dem »Wigamur« eines bayrisch-österreichischen Fahrenden, dem »Garel«, »Tandarois«, »Meleranz« des Pleiers, dem »Gauriel von Muntabel« des Konrad von Stoffeln. Mit dem 14. Jahrh. erlahmte die Produktion auf diesem Gebiet, bis um 1490 Ulrich Füetrer den ganzen Zyklus der Artur- und Gralsage in seinem »Buch der Abenteuer« noch einmal nach den ältern deutschen Epen strophisch bearbeitete. In die reiche Prosaliteratur, die seit dem 15. Jahrh. die epische Dichtung verdrängte, fand aus der Artursage nur der »Lanzelet« und in einer Auflösung aus Wirnts Gedicht der »Wigalois« Eingang, der noch 1664 neu gedruckt wurde.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 832-833.
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