Böhmische Brüder

[161] Böhmische Brüder (Mährische Brüder), eine aus der hussitischen Bewegung (s. Hussiten) hervorgegangene Sekte. Der Gutsbesitzer Peter von Chelczicky verbreitete seit etwa 1420 ihre Ansichten in zahlreichen Flugschriften (z. B. »Das Netz des wahren Glaubens«). Ihm schloß sich Bruder Gregor an, der die Ansichten Peters läuterte. Die Anhänger beider Männer wurden seit 1461 von der Regierung als angebliche Taboriten verfolgt und sagten sich 1467 von der katholischen Kirche völlig los. Sie lebten nun in Wäldern und Höhlen, als »Grubenheimer« verspottet. Gegen eine strengere Partei siegte auf der Synode von Reichenau (1494) die gemäßigte, unter Führung des Lukas von Prag (gest. 1528) stehende »Brüderunität« (unitas fratrum). Ihre Eigentümlichkeiten liegen mehr auf dem ethischen als auf dem dogmatischen Gebiet. Als »Brüder des Gesetzes Christi« hielten sie sich genau an die Vorschriften der Bergpredigt und verboten ihren Zugehörigen den Eid, Kriegsdienste, Übernahme von Staatsämtern. Wie die Waldenser, deren Überreste sie in sich aufnahmen, bewahrten sie mittels einer strengen Kirchenzucht ein sittlich reines und inniges, aber auch beschränktes Leben. Luther tadelte noch 1523 ihre Sakramentslehre (die Siebenzahl und den geistigen Abendmahlsgenuß) sowie ihre Auffassung von der Heilsamkeit des Zölibats, und trotz mehrfacher Annäherung ist es zu einem wärmern Verhältnis zwischen ihm und den Böhmischen Brüdern nicht gekommen. Da sie sich im Schmalkaldischen Krieg weigerten, gegen ihre protestantischen Brüder Kriegsdienste zu tun, wurden sie ihrer Kirchen beraubt und vertrieben. Damals fanden ihrer viele in Preußen und Polen Zuflucht. In letzterm Lande vereinigten sie sich mit den Reformierten und Lutheranern 1570 auf einer zu Sendomir abgehaltenen Synode und verloren sich allmählich unter ihnen. Die in Böhmen und Mähren Zurückgebliebenen, die sich 1575 mit den Kalixtinern, Lutheranern und Reformierten zur Abfassung eines gemeinsamen Bekenntnisses (Confessio Bohemica) vereinigten, wurden während und nach dem Dreißigjährigen Kriege, soweit sie sich nicht zur Rückkehr zum Katholizismus zwingen ließen, vertrieben. Johann Amos Comenius (s.d.) war der letzte Bischof der ältern Brüdergemeinde, die sich noch zu seinen Lebzeiten vollends auflöste. Erst der Graf Zinzendorf (s.d.) hat ihr Gemeindeleben erneuert. Vgl. Lochner, Entstehung und erste Schicksale der Brüdergemeinde in Böhmen und Mähren (Nürnb. 1832); Gindely, Geschichte der Böhmischen Brüder (Prag 1857–58, 2 Bde.); Palacky, Über das Verhältnis und die Beziehungen der Waldenser zu den ehemaligen Sekten in Böhmen (das. 1869); Goll, Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der Böhmischen Brüder (das. 1878–82, 2 Bde.); de Schweinitz, History of the Church known as the Unitas fratrum (Bethlehem i. Pennsylv. 1885); Jos. Müller, Die deutschen Katechismen der Böhmischen Brüder (Berl. 1887); Ball, Das Schulwesen der Böhmischen Brüder (das. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 161.
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