Caldĕron

[698] Caldĕron, 1) Pedro C. dela Barca Henao y Riaño, der größte dramatische Dichter der Spanier, war als Sprößling einer altadligen asturischen Familie 17. Jan. 1600 in Madrid geboren und starb 25. Mai 1681. In seinem 9. Jahr wurde er einem Jesuitenkollegium übergeben und bezog dann im 13. Jahr die hohe Schule von Salamanca, wo er sich juristischen, philosophischen und mathematischen Studien widmete, gegen den Wunsch der frommen Mutter, die ihn dem Priesterstande weihen wollte. Daneben lag er auch der Ausbildung seines poetischen Talents ob. Schon in seinem 14. Jahr konnte er die erste Frucht desselben, sein Schauspiel »El carro del cielo«, veröffentlichen. 1619 nach Madrid zurückgekehrt, beteiligte er sich an einem öffentlichen Dichterwettstreit bei der Seligsprechung des heil. Isidorus (1620), um blanke Münze zu gewinnen, hatte Erfolg, fand am dortigen Hof mächtige Freunde, verließ denselben aber 1625 wieder, um seinem kriegerischen Hang nachzugeben, und folgte den Fahnen des Königs 10 Jahre lang, namentlich in Mailand und in den Niederlanden, ohne sich besondern Heldenruf zu erwerben. Philipp IV. rief ihn 1635 an den Hof zurück, übertrug ihm die Leitung seines Theaters im Lustschloß Buen-Retiro sowie die Anordnung aller königlichen Feste und Lustbarkeiten und erhob ihn 1637 zum Ritter des Ordens von Santiago. Von ihm beauftragt, für die königliche Bühne ein dramatisches Werk zu liefern, schrieb C. das Schauspiel »Certamen de amor y celos«, eilte dann zu dem Heer der spanischen Ritterorden nach Katalonien und erntete jetzt auch kriegerischen Ruhm. Der König überhäufte ihn nun mit Auszeichnungen wie mit künstlerischen Aufträgen für Palast und Kirche, setzte ihm eine hohe Pension aus und ließ seine Dramen und Autos mit möglichstem Pomp ausführen. Daß C. damals oder früher sich in allerlei Liebeshändel einließ, in einem Eifersuchtskampf eine Wunde an der linken Schläfe davontrug und auch bei der Probeaufführung eines seiner Stücke in einer Rauferei verwundet ward, erzählt er selbst in einer autobiographischen, leider nur halb erhaltenen Romanze.[698] In seinem 50. Jahr bemachtigte sich des einst so lebensfrohen Dichters ein Hang zum Mystizismus; er trat 1651 in den geistlichen Stand und erhielt 1653 vom König eine der Kaplanstellen an der erzbischöflichen Kirche zu Toledo, die er auch beibehielt, als ihn Philipp IV., um ihn in der Nähe zu haben, 1663 zum Kaplan an der königlichen Hofkapelle zu Madrid ernannte. Schon ehe C. öffentlich in den geistlichen Stand getreten war, hatte sich seine poetische Tätigkeit überwiegend den Autos sacramentales (s. Auto) zugewendet; von jetzt an widmete er sich ausschließlich dieser dem spanischen Zeitgeist entsprechenden Dichtgattung und leistete darin in der Tat Ausgezeichnetes. Schneller als sein weltlicher Dichterruf verbreitete sich sein Ruhm als Schöpfer herrlicher geistlicher Schauspiele über ganz Spanien: von allen ersten Städten des Reiches, Madrid, Toledo, Sevilla, Granada u. a., wurde er mit Aufträgen überhäuft. 1663 zugleich Mitglied der Brüderschaft von San Pedro zu Madrid, wurde er einige Jahre später zum Capellan-Mayor derselben ernannt, und diese Ehre erfreute ihn so, daß er dem frommen Verein sein ganzes nicht geringes Vermögen vermachte. Seine Asche ruhte über anderthalb Jahrhunderte in der Kirche San Salvador zu Madrid; 1841 wurde dieselbe nach dem Kirchhof des Klosters San Nicolas vor dem Atochator übergeführt. Eine (sitzende) Bronzestatue des Dichters von Figueras wurde 1880 auf dem St. Annenplatz zu Madrid feierlich enthüllt.

C. ist ohne Zweifel das glänzendste poetische Genie, das der Katholizismus hervorgebracht hat, und zwar, obwohl vorzugsweise »katholischer Dichter«, von erstaunlicher Vielseitigkeit. Seine Werke sind sehr zahlreich (mehr als 200), aber weder in streng chronologischer Folge noch rein und vollständig erhalten. Sie zerfallen in Autos sacramentales (z. B. »La cena de Baltasar« und »La vida es sueño«, deutsch von Braunfels und v. Diepenbrock); Wunderkomödien (am berühmtesten das in sehr jungen Jahren verfaßte »La devocion de la cruz« und »El mágico prodigioso«); tragische Schauspiele (z. B. »El alcalde de Zalamea«, »El principe constante«, »La niña de Gomez Arias«); Konversationsstücke (wie »Dicha y desdicha del nombre«, »La dama duende«, »Guárdate del agua mansa«); mythologische Festspiele (z. B. »Eco y Narciso«, »El mayor encanto amor«); Ritterspektakelstücke (z. B. »La puente de Mantible«, »En esta vida todo es verdad y todo mentira«); historische SchauspieleHija del aire«, »Afectos de odio y amor« u. a.); romantische Schauspiele verschiedener Qualität, worunter das weltberühmte »La vida es sueño« (»Das Leben ein Traum«) zu zählen ist. Was den poetischen Wert betrifft, so offenbaren sich in Calderons dramatischer Behandlungsweise der Stoffe ebensoviel künstlerische Absichtlichkeit des berechnenden Verstandes, dem die Phantasie bei aller ihrer Fülle untergeordnet ist, wie tiefe Weltanschauung und Erhebung des Gemüts bis zur äußersten Grenze der Welt der Erscheinungen. Er übertrifft seine Vorgänger durch den psychologisch-ethischen Gehalt seiner Dramen, durch die harmonische Gliederung ihrer Szenerie und durch den edlen, bis aufs äußerste gefeilten Ausdruck. Um Neuheit hat er sich wenig bekümmert, dagegen beherrscht er mit Sicherheit den einmal gewählten Gegenstand und faßt in der besondern Tatsache stets das Abbild allgemeiner Gesetze auf. Seine Lieblingsbilder kehren zwar oft wieder, gewinnen aber immer neuen Reiz durch andre Zusammenstellung. Der geistige Gehalt der dramatischen Werke Calderons ist natürlich ungleich. Während mehreren, wie »Die Tochter der Luft«, »Das Leben ein Traum«, »Die Andacht zum Kreuz«, »Der wundertätige Magus«, »Der standhafte Prinz«, der wunderbarste Zauber innewohnt, selbst wo das von ihm gepflegte katholisch-romantische Ideal sittlich und religiös unser Gefühl nicht befriedigt (wie im »Arzt seiner Ehre« und »Richter von Zalamea«), ermüden andre durch rhetorisierende Dogmatik. Auch stören in den religiösen Dramen die massenhaften Allegorien und Personifikationen abstrakter Begriffe, die C. handelnd auftreten läßt. Nicht wenige im höhern Alter verfaßte weltliche Schauspiele zeugen von kalter Unlust am Leben; manche Jugendwerke mißfallen wegen Überladung mit Bilderschmuck und durch Prunk des Ausdrucks (estilo culto). C. selbst legte in seinem Alter das meiste Gewicht auf seine Autos und zeigte gegen seine weltlichen Stücke um so mehr Gleichgültigkeit, je mehr man sie bis zur Unkenntlichkeit entstellte und ihm Fremdes unterschob. Als nachweisbar echt besitzen wir von C. 108 Schauspiele (Comedias) und 73 Autos sacramentales nebst den dazugehörigen Loas, während von seinen 100 scherzhaften Sainetes nur wenige vorhanden sind. Sein letztes Stück, im 81. Jahr geschrieben, war »Hado y divisa de Leonido y Marfisa«. Lieder, Sonette, Romanzen und andre kleine Gedichte sind zum größten Teil ungedruckt geblieben. Was davon aufzutreiben war, hat de CastroPoesias de C.«, Cadiz 1848) herausgegeben; ein Bändchen neu aufgefundener Gedichte erschien u. d. T.: »Poesias ineditas« (Madr. 1881, im 7 k. Bd. der Biblioteca universal, und 1886).

Die erste Sammlung seiner Dramen, von seinem Bruder besorgt (Madr. 1640–74), gedieh nur bis zum vierten Band. Vollständigere Ausgaben der Comedias lieferten Juan de Vera Tassis (Madr. 1685–94, 9 Bde.), Fern. de Apontes (das. 1760–1763, 11 Bde.), J. G. Keil (Leipz. 1827–30, 4 Bde.), am besten Hartzenbusch in der Biblioteca de Aut. Españ. in 4 Bänden (Bd. 7, 9,12,14, Madr. 1848–1852, enthaltend 123 Comedias und 16 kleine Bühnenstücke nebst 15 lyrischen Gedichten) und Garcia Ramon (Par. 1882–83). Die Autos, die als Eigentum der Stadt Madrid lange nicht gedruckt werden durften, erschienen zu Madrid 1717 in 6 Bänden, später von Apontes herausgegeben: »Autos sacramentales alegóricos y historiales del Phenix de los poetas, etc.« (das. 1759–60, 6 Bde.). Einen vorzüglichen kritischen Text des »Magico prodigioso« veröffentlichte Morel-Fatio (Heilbr. 1877); auch die Krenkelschen kommentierten Ausgaben des »Principe constante«, »Vida es sueño«, »Magico prodigioso« und »Alcalde de Zalamea« (Leipz. 1881–87, 3 Bde.) sind empfehlenswert, desgleichen die französischen Übertragungen der »Drames religieux« von Léo Rouanet. Deutsche Übersetzungen Calderonscher Dramen lieferten A. W. v. Schlegel (»Spanisches Theater«, Berl. 1803–1809, 2 Tle., 5 Stücke enthaltend), Gries (das. 1815–1829, 7 Bde.; 2. Ausg. 1840, 8 Bde.), v. d. Malsburg (Leipz. 1819–25, 6 Bde.), Martin (das. 1844, 3 Tle.) und M. Rapp (»Spanisches Theater«, Bd. 6, Hildburgh. 1870). Die geistlichen Schauspiele übertrugen I. v. Eichendorff (Stuttg. 1846–53, 2 Bde.), LorinserGeistliche Festspiele«, 2. Ausg., Regensb. 1882–87, 18 Bde.; »Größte Dramen religiösen Inhalts«, Freiburg 1875–76, 3 Bde.) und im Anschluß an letztere Pasch: »Ausgewählte Schauspiele, zum erstenmal übersetzt« (das. 1891–96, 7 Bde.). Das Verdienst, die deutschen Bühnen dem Genius Calderons geöffnet zu haben, gebührt Goethe, der an[699] dem spanischen Dramatiker lebhaften und dauernden Anteil nahm, sowie Schlegel. Schon 1811 ging in Weimar »Der standhafte Prinz« über die Bühne; 1816 wurde dasselbe Stück in Berlin ausgeführt. In Wien wurde bereits 1668 das Drama »Alles geben und nichts geben« gespielt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. machte man verschiedene neue Anläufe. Später brachte West (Schreyvogel) »Das Leben ein Traum« (gedruckt 1867) nach der Griesschen Übersetzung in bühnenmäßige Form und zur Ausführung. Im allgemeinen blieb jedoch der Versuch, C. auf der deutschen Bühne einzubürgern, trotz aller Farbenpracht seiner Gebilde ohne nachhaltigen Erfolg, was zum größten Teil in dem ängstlichen Festhalten an der originalen, dem Deutschen nie mundgerecht zu machenden Form, mehr als in dem fremdartigen und widerstrebenden Geiste, der die Stücke erfüllt, seinen Grund hat. Neuerdings scheint ein freieres Umgeben mit den Originalen bessere Resultate zu erzielen. Drei Stücke: »Das Leben ein Traum«, »Der standhafte Prinz« und »Der Alcalde von Zalamea«, gehören zum Repertoire aller bessern Bühnen. – Die erste Biographie von C. schrieb sein Herausgeber und Freund Vera Tassis (abgedruckt vor dem ersten Teil der Komödien sowie in mehreren spätern Ausgaben). Gut über ihn urteilten außer Goethe und A. W. v. Schlegel (»Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur«, Bd. 3) namentlich Valentin Schmidt, der einen philologischen Kommentar entwarf (»Wiener Jahrbücher der Literatur«, Bd. 17–19,1822), Fr. v. Schack (»Geschichte der dramatischen Literatur in Spanien«, Bd. 3), dessen unparteiische Würdigung Calderons Verhältnis zu seinen Vorgängern und Mitlebenden aufhellt, K. ImmermannDeutsche Pandora«, Bd. 3), Fr. v. RaumerHistorisches Taschenbuch«, 1842), Klein (»Geschichte des Dramas«, Bd. 11, Leipz. 1874) und Schäffer (»Geschichte des spanischen Nationaldramas«, das. 1890). Vgl. Fr. W. Schmidt, Die Schauspiele Calderons (Elbers. 1857); Trench (Erzbischof von Dublin), Essay on the life and genius of C. (2. Aufl., Lond. 1880); Fastenrath, Calderon (Leipz. 1881); Derselbe, C. in Spanien (das. 1882); Dorer, Die Calderon-Literatur in Deutschland (das. 1881; fortgesetzt in den »Beiträgen zur Calderon-Literatur«, Dresd. 1884); Putman, Studien over C. en zijne geschriften (Utrecht 1880); Angel Lasso de la Vega, C. de la Barca. Estudios de las obras, etc. (Madr. 1885); Pelayo, C. y su teatro (das. 1881); A. Morel-Fatio, Calderon (Par. 1881); Günthner, C. und seine Werke (Freiburg 1888, 2 Bde.).

2) Don Serafin Estébanez, neuerer span. Schriftsteller, geb. 1801 in Malaga, gest. 5. Febr. 1867, studierte die Rechte in Granada, wurde 1822 daselbst Professor der Poesie und Rhetorik und des Griechischen. 1830 ließ er sich in Madrid nieder, gab sich dem Studium des Arabischen und der ältern spanischen Literatur hin, sammelte seltene Bücher, besonders handschriftliche und gedruckte Cancioneros und Romanceros, förderte strebsame Orientalisten durch Unterricht, ging mit dem spanischen Expeditionskorps nach Italien, das 1849 den Papst gegen die italienische Revolution schützen sollte, um sich dann wieder zu stiller Arbeit zurückzuziehen. Seine kostbare Bibliothek wurde vom Staat für die Nationalbibliothek in Madrid angekauft. Von seinen Werken sind zu nennen: die »Poesias«, die er unter dem Decknamen El Solitario herausgab (Madr. 1833 u. 1840, 2 Bde.; neueste Aufl. 1888), die Novelle »Cristianos y Moriscos« (das. 1838), ein schätzbarer Versuch über die Literatur der MoriskenLiteratura de los Moriscos«), ein historisches Werk über die Eroberung und den Verlust Portugals: »Conquista y perdida de Portugal« (1885, 2 Bde.) und besonders die geistreichen »Escenas andaluzas« (das. 1836, neue Ausg. 1883). Eine Auswahl seiner Werke findet sich in Ochoas »Apuntes para una biblioteca de escritores españoles contemporaneos«, Bd. 1 (Par. 1840). Eine Gesamtausgabe erschien in der »Coleccion de escritores castellanos« (1888, 4 Bde.). Seine Biographie schrieb der Neffe und Schüler des Dichters, der Staatsmann Cánovas del CastilloEl Solitario y su tiempo. Biografia de Don Serafino Estébanez C.«, Madr. 1883, 2 Bde.).

3) Philip Hermogenes, engl. Maler, geb. 1833 in Poitiers als Sohn eines spanischen Flüchtlings, gest. 1. Mai 1898 in London, kam 1846 nach England, wo er bei Leigh studierte, und ging 1851 nach Paris, wo er sich an Picot anschloß. Sein »gebrochenes Gelübde« (1857) gewann ihm durch die Empfindsamkeit der Darstellung die Neigung des englischen Publikums, die er sich auch durch seine zunächst folgenden Werke (die Tochter des Gefängniswärters, französische Landleute ihr gestohlenes Kind wiederfindend, die Freigebung Gefangener, die Werbung, nach der Schlacht, die englische Gesandtschaft in Paris am Abend des Bartholomäustages, der junge Hamlet) zu erhalten wußte. 1867 wurde C. Mitglied der Londoner Akademie, und im gleichen Jahr erhielt er für des Siegers Heimkehr als der einzige der englischen Künstler auf der Pariser Weltausstellung eine Medaille erster Klasse, die 1878 wiederholt wurde. Von seinen spätern Schöpfungen sind die Königin der Turniere, La gloire de Dijon, eine Mutter mit ihren Söhnen an der Leiche des gefallenen Gatten, Katharina von Lothringen den Jacques Clément zum Morde Heinrichs III. aufreizend und Aphrodite die hervorragendsten.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 698-700.
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