Medaille

[508] Medaille (spr. -ballje, Denk- oder Schaumünze; hierzu Tafel »Medaillen I-VI«), ein nicht für den Verkehr bestimmtes Metallstück in Form einer Münze, das zur Erinnerung an eine bestimmte Begebenheit, eine Person etc. verfertigt ist. Dem griechischen Altertum war der Begriff der Denkmünzen oder Medaillen fremd. Wenn sich auch hin und wieder auf griechischen Münzen Andeutungen eines bestimmten historischen Faktums finden, wenn auch bisweilen bei besonders wichtigen Ereignissen Münzen von ungewöhnlicher Form und besonderm Gepräge geschlagen wurden, so sind dies doch immer nur kursierende Geldstücke, nicht, wie in späterer Zeit, Erinnerungs- oder Schaustücke. So werden z. B. auf sizilischen Münzen häufig die Siege in den Spielen dargestellt. Auch finden sich seit 400 v. Chr. bisweilen die Namen der Stempelschneider auf den Münzen genannt. Die Geldstücke der römischen Republik zeigen häufig Ahnenbilder oder historische Ereignisse aus der Geschichte der Vorfahren der Münzbeamten. In der römischen Kaiserzeit treten große, oft mit einem breiten verzierten Rand umgebene Bronzestücke von schönem Gepräge auf, die wohl nicht kursierendes Geld waren, sondern vielleicht geschenkweise verteilt wurden. (Näheres s. Kaisermünzen.) In der byzantinischen Zeit verschwinden diese Stücke; auch das übrige frühere Mittelalter kennt keine Denkmünzen in unserm Sinne.

Erst zu Ende des 14. Jahrh. treten in Italien wirkliche Erinnerungsmedaillen auf; es sind die in Kupfer und Silber geprägten Stücke des Franz Carrara auf die Eroberung von Padua. Im Anfang des 15. Jahrhunderts sind die bereits 1393 beginnenden rechenpfennigartigen Erzeugnisse venezianischer Münzmeister bemerkenswert. Vor 1450 finden wir bereits die Medaillenkunst in ihrer höchsten Blüte: der Maler Vittore Pisano aus dem Veronesischen arbeitete um 1440 eine Anzahl großer Porträtmedaillons in Bronze, nach einem vermutlich in Eisen geschnittenen Modell gegossen und, wenn der Guß nicht ganz scharf war, ziseliert. Diese großartigen, alle spätern Werke weit übertreffenden Stücke des Pisano zeigen ein Porträt auf der Vorderseite, auf der Rückseite meist eine sinnige Allegorie oder religiose Darstellung. Bewunderungswürdig ist die großartige Naturwahrheit edler Tiere (Löwe, Pferd, Adler), die Pisano für die Rückseiten seiner Medaillen sorgfältig nach der Natur zeichnete, wie seine erhaltenen Studienblätter beweisen. Besonders schön sind die Medaillen auf Lionello von Este, Alfons, König von Neapel, Malatesta Novellus von Cesena (Tafel I, Fig. 1 u. 2) und auf Piccinino Keiner seiner Zeitgenossen und Nachfolger hat Pisano erreicht; doch verdienen Erwähnung die ihm an Großartigkeit der Auffassung am nächsten stehenden Marescotti und Matteo de Pastis (Tafel I, Fig. 3), der im Porträt vorzügliche Sperandio (Tafel I, Fig. 4), Boldu u. a. Auch haben einzelne Bildhauer und Maler, wie z. B. Benedetto da Majano (Tafel I, Fig. 5) und Filippino Lippi (Tafel I, Fig. 6), gelegentlich hervorragende Modelle für Medaillen geliefert. In späterer Zeit, besonders aber im 16. Jahrh., zeichnen sich die oft gegossenen italienischen Medaillen durch freie und geistreiche Arbeit aus. Interessant sind die guten, aber vom Künstler selbst überschätzten geprägten Stücke des Benvenuto Cellini, die Arbeiten von Leone Leoni Andrea Spinelli, Alessandro Cesari, Giovanni Paolo Poggi u. a.; doch weisen auch das 17., sogar noch das 18. Jahrh. manche gute Leistung in Italien auf Gute französische Gußmedaillen des 16. Jahrh. sind selten.

In Deutschland begann diese Kunst etwos später als in Italien. Einer der ersten, der sie betrieben hat, scheint Albrecht Dürer gewesen zu sei u, dem man mit einiger Sicherheit zwei geossene einseitige Stücke zuschreiben kann: einen weiblichen Kopf von vorn, von 1508 (Tafel I, Fig. 7), und seinen Vater (gest. 1502), von 1514. Die übrigen deutschen Medaillen (meist Bildnismedaillen, von den Dargestellten zur Verteilung[508] an Freunde bestimmt) sind zuerst ebenfalls (nach Modellen in Holz oder in Kehlheimer Stein) gegossen und oft ziseliert, meist zweiseitig und namentlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. oft von außerordentlicher Schönheit und Sorgfalt der Arbeit, besonders die Nürnberger, Augsburger, auch die Schweizer. Unter letztern sind die von Jakob Stampfer (1505–79) die ausgezeichnetsten. Gut und kräftig sind die Arbeiten des schon zu seiner Zeit sehr geschätzten Augsburgers Hans Schwarz, meist 1518 und 1519, und des Hans Daucher (Tafel I, Fig. 8). Sonst sind noch Friedrich Hagenauer in Augsburg (Tafel I, Fig. 9), Matthias Karl und Valentin Maler in Nürnberg, Tobias Wolf, Heinrich Reitz in Leipzig und der Schweizer Hedlinger zu nennen. Von der Mitte des 16. Jahrh. an begann die Kunst zu sinken; geprägte, weniger kunstvolle Medaillen werden häufiger, doch erhält sich in Deutschland wie auch in Frankreich und den Nicderlanden (Paulus van Vianen, Konrad Bloc u. a.) bis ins 17. Jahrh. hinein eine vortreffliche Technik. Abgesehen von den künstlerisch interessanten Stücken, sind im 16. und besonders im 17. Jahrh. eine große Masse von historisch merkwürdigen und von satirischen Schaustücken erwähnenswert. In späterer Zeit, namentlich im 18. Jahrh., finden wir eine große Vorliebe für sogen. restituierte Medaillen, d. h. ganze Suiten von Bildnissen berühmter Männer oder Königsreichen. Je größer im 17. und 18. Jahrh. die Masse ver (fast immer geprägten) Medaillen wird, desto weniger bieten sie künstlerisches oder wissenschaftliches Interesse; nur die dargestellten Personen verleihen ihnen einigen Reiz. Zu erwähnen sind die oft noch vorzüglichen deutschen Medaillen Gustav Adolfs, die des Großen Kurfürsten (zum Teil von dem vortrefflichen, als auch Eisenschneider berühmten Gottfried Leygebe, Tafel I, Fig. 11), die des ersten preußischen Königs, die Ludwigs XIV. und Richelieus von Jean Marin (Tafel I, Fig. 10). Wenig Erfreuliches bieten die meist schlecht ausgeführten Medaillen Friedrichs d. Gr. Besseres beginnt die Medaillenkunst wieder zu leisten unter Napoleon I., dessen schöne Medaillen mit trefflichen Köpfen und geistreich gedachten Rückseiten meist von Andrieu herrühren. Im weitern Verlaufe des 19. Jahrh. haben sich besonders Barre der Ältere, der ein Meisterstück der Prägekunst im Renaissancestil mit den Köpfen der Familie Ludwig Philipps verfertigte, Galle und Michaut in Paris, Wyon in London, L. Wiener in Brüssel, Loos und Brandt in Berlin und Voigt in München (zuletzt in Rom) ausgezeichnet. Einen Aufschwung zu neuer Blüte nahm die Medaillen kunst seit der Mitte der 1860er Jahre, zuerst in Paris im Anschluß an die Vorbilder der italienischen Renaissance. Chaplain und O. Roty (s. d.) pflegten sie in ausgedehntem Maß, indem sie sowohl Porträtmedaillen als Medaillen auf denkwürdige Ereignisse und Ehrenmedaillen für wissenschaftliche Gesellschaften, Ausstellungen etc. anfertigten (Tafel II, Fia. 3; Tafel IV, Fig. 2,3 u. 4) und neben der Medaillenform nach dem Vorbilde der italienischen Renaissance die Form der sogen. Plakette (s. d.), d. h. viereckiger Täfelchen, anwendeten, die in neuester Zeit sehr beliebt geworden ist. Ch ap la in und Roty sind zahlreiche andre Künstler gefolgt, von denen besonders H. Chapu (Tafel VI, Fig. 5), C. Degeorge (Tafel IV, Fig. 1), D. Dupuis (Tafel IV, Fig. 4), A. Dubois (Tafel IV, Fig. 5), Vernon, Victor Peter, H. Nocq, Patry, A. Charpentier (Tafel VI. Fig. 6), Delpech, Borrel, M. Cazin und Bottée hervorzuheben sind. Sie machten die Plaketten schließlich zu selbständigen. von einer Zweckbestimmung unabhängigen Kunstwerken, in denen oft ein großer und tiefer Gedankenreichtum im Verein mit höchster Anmut und Eleganz der Darstellung entfaltet wurde. Halbfiguren und Genreszenen mit und ohne landschaftlichen Hintergrund sind die beliebtesten Gegenstände, wobei die Franzosen besonders in der Behandlung der Landschaft im zartesten Flachrelief eine große Virtuosität erreicht haben.

Unabhängig von den Franzosen sind die ältern Wiener Medaillenkünstler Tautenhayn, A. Scharff und St. Schwartz (s. d. und Tafel II, Fig. 2 u. 5; Tafel III, Fig. 3,4 u. 6, und Tafel V, Fig. 1 u. 2), zumeist durch das Studium der klassischen Vorbilder der Renaissancezeit, zu einer Reform des Medaillenstils gelangt. Ein allgemeiner Aufschwung datiert aber erst seit den 1890er Jahren. Die jüngere Generation der Medailleure, aus der F. X. Pawlik (s. d. und Tafel V, Fig. 3 u. 6), Breithut, J. Tautenhayn der Jüngere, R. Marschall, H. Kautsch, L. Hu ier und R. Cizak hervorzuheben sind, sucht dabei erfolgreich in der Vielseitigkeit der Darstellungen wie der Zartheit der Reliefbehandlung mit den Franzosen zu wetteifern. In Deutschland sind Medaillen, die Anspruch auf künstlerischen Wert erheben können, gelegentlich seit dem Ende der 1880er Jahre von den Bildhauern R. Begas, R. Siemering, F. Schaper, A. Hildebrand (Bismarckmedaille), A. Vogel, E. M. Geyger u. a. ausgeführt worden. Eigentliche Medailleure, d. h. Künstler, die überwiegend oder ausschließlich die Medailleurkunst ausüben, gibt es bisher nur wenige. Außer dem der ältern Generation angehörenden K. Schwenzer in Stuttgart (Tafel II, Fig. 6 u. 7, Tafel III, Fig. 1,2 u. 5) sind R. Mayer in Karlsruhe (Tafel V, Fig. 4), Bruno Kruse in Berlin (Tafel V, Fig. 5, und VI, Fig. 4), Paul Sturm in Leipzig, Fritz Christ in München und J. Kowarzik in Frankfurt a. M. zu nennen. Zur Förderung der Medailleurkunst hatte das preußische Kultusministerium 1897 und 1898 zwei auf die Erlangung von Hochzeits- und Taufmedaillen gerichtete Wettbewerbe ausgeschrieben, aus denen die Taufmedaille von R. Bosselt in Darmstadt (Tafel VI, Fig. 1 u. 2) und die Hochzeitsplakette von A. Winkler und J. Eitzenberger in Hanau (Tafel VI, Fig. 3) hervorgegangen sind. Hervorragende deutsche Prägeanstalten sind die von L. Ostermann (vormals G. Loos) in Berlin, L. Chr. Lauer in Nürnberg und Mayer u. Wilhelm in Stuttgart.

Den Übergang der Medaillen zu den Münzen bilden die auf besondere Ereignisse geprägten Geldstücke, die erst in neuerer Zeit wieder häufiger geprägt wurden, z. B. die Krönungstaler, Siegestaler, auch die früher sehr beliebten Geldstücke mit Allegorien, Bibelsprüchen (Spruchgroschen) etc. Eine andre Art der Denkmünzen sind die als Ehrenzeichen verteilten Metallstücke, deren Vorbild die erwähnten Goldmedaillons der römischen Kaiserzeit sind. Näheres darüber s. Verdienstmedaillen (mit Tafeln).

Vgl. F. Kenner, Die Medaille (»Monatsblatt der numismatischen Gesellschaft«, Wien, Dezbr. 1894); Lichtwark, Die Wiedererweckung der M. (Dresd. 1897); Bosselt, Über die Kunst der M. (Darmstadt 1905). Wichtige Sammelwerke sind: die Tafeln des Heräus (neuer Abdruck, Wien 1828) und die betreffenden Teile des »Trésor de numismatique« (Par. 1834–50); Bergmann, Medaillen auf berühmte etc Männer des österreichischen Kaiserstaats (Wien 1844–57); J. Friedländer, Münzen und Medaillen des B. Cellini; Andrea Guacialoti.[509] welche sind die ältesten Medaillen? (Berl. 1855) und Die italienischen Schaumünzen des 15. Jahrhunderts (1430–1530) mit Abbildungen (das. 1880 bis 1882); Armand, Les médailleurs italiens (Par. 1879–87, 3 Bde.); Grüber, Roman medallons in the British Museum (Lond. 1874, mit 66 Tafeln); Heiß, Les médailleurs de la Renaissance (Par. 1881–92, 9 Bde. mit 139 Tafeln); Erman, Deutsche Medailleure des 16. und 17. Jahrhunderts (Berl. 1884); R. Marx, Die französischen Medailleure unsrer Zeit (deutsche Ausg., Stuttg. 1898, 28 Tafeln) und Die modernen Medailleure auf der Pariser Weltausstellung von 1900 (deutsche Ausg., das. 1901, 32 Tafeln); A. v. Sallet, Münzen und Medaillen (Bd. 6 der »Handbücher der königlichen Museen«, Berl. 1898); »Schaumünzen des Hauses Hohenzollern« (das. 1901); Dompierre de Chausepié, Les médailles et plaquettes modernes (Haarlem 1899); v. Loehr, Wiener Medailleure (Wien 1899, Nachtrag 1902); Fabriczy, Medaillen der italienischen Renaissance (Leipz. 1903); Mazerolle, Les médailleurs francais du XV. siècle an milieu du XVII. (Par. 1903, 2 Bde.); Rondot, Les médailleurs etc.en France (das. 1904). Seit 1900 erscheint in Wien eine Zeitschrift »Die moderne M.«

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 508-510.
Lizenz:
Faksimiles:
508 | 509 | 510
Kategorien:

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon