[676] Nieren (Harndrüsen, Nephridien, Renes), die drüsigen Organe zur Absonderung des Harns oder zur Abscheidung gewisser für den tierischen Körper unbrauchbaren Stoffe (Exkrete) aus dem Blut in flüssiger oder fester Form, die in vielen Fällen auch noch die Fortleitung der Geschlechtsstoffe (Samen, Eier) übernehmen. In den einzelnen Abteilungen des Tierreichs sind sie von sehr verschiedener Form: meist röhrig und oft von ungemeiner Länge (Fig. 1), daher in viele Schleifen aufgewunden (Schleifenkanäle) bei Würmern (Fig. 3). Vielfach enden sie gegen die Leibeshöhle, in der sie liegen, mit einem Wimpertrichter (Nephrostom), der gegen diese geschlossen sein kann (Protonephridien, Fig. 1 u. 2) oder aber offen und mit einem Wimperepithel bekleidet ist (Fig. 3). Diesen letztern Nephridien oder Segmentalorganen kommt eine segmentale Anordnung zu, und sie münden beiderseits am Körper in den einzelnen Körpersegmenten durch Exkretionsporen (Fig. 3) aus, während sich die langgestreckten und verzweigten Kanäle der Protonephridien in eine meist am Körperende gelegene Sammelblase ergießen und dort mit einem einzigen Exkretionsporus ausmünden (Fig. 1). Nach dem Prinzip dieser Schleifenkanäle gebaute, aber zu voluminösen, schlauchförmigen Organen werdende Nephridien besitzen auch die Weichtiere, nur daß sich bei ihnen die innere wimpernde Öffnung als Nierenspritze in den Herzbeutel öffnet, der wohl einen Teil der Leibeshöhle andrer Tiere darstellt. Manche Tiere, wie die Ringelwürmer und Weichtiere, die im ausgebildeten Zustand Nephridien mit offenen Wimpertrichtern aufweisen, besitzen im Larvenzustand Protonephridien, die vorübergehender Natur sind und als Urnieren bezeichnet werden. Schleifenkanäle, die jedoch der Wimperung entbehren und gegen die Leibeshöhle geschlossen sind, kommen auch bei den Gliedertieren, besonders als Schalendrüse und Antennendrüse bei den Krebsen vor. Bei andern Gliedertieren (Spinnentieren, Tausendfüßern und Insekten) sind die N. als lange, schlauchförmige Kanäle (Malpighische Gefäße, Nierenschläuche) mit dem Darm verbunden und ergießen ihre Exkretstoffe in diesen.
Bei den Wirbeltieren hat man dreierlei N. zu unterscheiden, nämlich die Kopf- oder Vorniere (Pronephros), die Urniere oder den Wolffschen Körper (Mesonephros) und endlich die bleibende Niere (Metanephros), von denen die beiden ersten jedoch bei den meisten Wirbeltieren nur während der Embryonalzeit vorhanden sind und später zurückgebildet werden. Bei den Zyklostomen kann die Vorniere als ein direkt hinter dem Kopf gelegenes, nur durch wenige Rumpfsegmente sich erstreckendes Organ die Larvenzeit überdauern.
Die Vorniere besteht aus einer Anzahl durch Nephrostomen in die Leibeshöhle mündenden Nierenkanälen, die durch ein Wundernetz (Glomerulus) mit einem Blutgefäß in Verbindung stehen, sowie aus einem Sammelgang (Vornierengang), in den die Nierenkanälemünden. Dieser Gang wird später zum Urnierengang, wie überhaupt auch bei den niedersten Wirbeltieren (Zyklostomen) die Vorniere durch die Urniere ersetzt wird. Auch sie steht mit der Leibeshöhle durch die Nephrostomen der Nieren- oder Harnkanälchen in Verbindung (Fig. 4); letztere sind segmental angeordnet, bilden segmentale Anschwellungen, sogen. Nierenbläschen, indem sie mit Blutgefäßen in Verbindung treten, und münden in diese beiden ziemlich langen Urnierengänge ein, die jederseits in der Nähe des Afters durch den Bauchporus ausmünden. Auch bei den Fischen bleibt die Urniere bestehen und erstreckt sich zu beiden Seiten der Wirbelsäule durch den ganzen Rumpf bis zum Kopf; sie läßt zwei Ausführungsgänge, die Harnleiter, aus sich hervorgehen, die sich in der Regel vereinigen und zu einer Harnblase anschwellen, die ihrerseits hinter dem After ausmündet. Bei den Fischen und speziell bei den Haifischen tritt nun bereits jene Vereinigung von Nieren- und Genitalapparat ein, die sich auch weiterhin bei den Wirbeltieren findet und zu der Bezeichnung Urogenitalsystem geführt hat. Der vordere Abschnitt der Urniere setzt sich bei den männlichen Haifischen mit der Geschlechtsdrüse in Verbindung[676] und wird damit zum Nebenhoden, von dem die Kanäle in den Urnierengang gehen und diesen somit zum Samenleiter machen, während der hintere Teil der Urniere weiter als Niere dient. Auch bei den Amphibien bleibt nur der hintere Abschnitt der Urniere als Drüse tätig; für ihn bilden sich alsdann besondere Harnleiter aus, während der Urnierengang samt dem vordern Teil der Urniere in nähere Beziehung zu den Geschlechtswerkzeugen tritt. Bei den höhern Wirbeltieren funktioniert die Urniere als Wolffscher Körper nur noch in der Embryonalzeit, und Teile davon werden auch hier für den Genitalapparat verwendet (als Nebenhoden und Samenleiter s. Geschlechtsorgane). Der rein exkretorische Teil der Urniere wird zurückgebildet oder bleibt nur als rudimentäres Organ (Paradidymis beim Männchen und Epididymis beim Weibchen) erhalten. Die definitive Niere (Metanephros) entsteht als eine Art von Neubildung infolge einer Wucherung (Bildung neuer Harnkanälchen) vom hintern Teil des Urnierenganges aus; ihr Ausführungsgang ist dec Harnleiter oder Ureter. Die Niere liegt nun in der Leibeshöhle weit nach hinten, ist bei den Reptilien und Vögeln lang und schmal, bei den Säugetieren meist rundlich, öfters aber auch in einzelne Lappen geteilt. Diese Nierenlappen enthalten die Nierenbläschen nebst den aus ihnen hervorgehenden Harnkanälchen, die auf besondern Papillen (Nierenwärzchen) ausmünden; um letztere zieht sich zur Aufsammlung des hervorquellenden Harns eine trichterförmige Wand, der Nierenkelch. Solcher Lappen sind z. B. bei den Walen gegen 200 vorhanden, sonst jedoch viel weniger; verbinden sie sich unvollständig miteinander, so bleibt die Oberfläche der nun einheitlichen Niere höckerig, verschmelzen sie mehr, so wird (wie beim Menschen) die Oberfläche glatt, doch kann alsdann die Trennung im Innern noch bestehen und in der Anzahl der Nierenkelche ausgedrückt bleiben. Letztere treten aber dann wieder zu einem größern trichterförmigen Rohr, dem Nierenbecken, zusammen, das den Anfang des Harnleiters bildet. Dieser mündet in die Harnblase ein.
Die N. des Menschen (s. Fig. 5 [S. 678] und die Tafeln »Eingeweide des Menschen I«, Fig. 2, und »Blutgefäße«, Fig. 5) sind zwei bohnenförmige, rotgraue Drüsen von je etwa 10 cm Länge, 57 cm Breite, 3,54,5 cm Dicke und 120170 g Gewicht. Sie liegen (und zwar die rechte etwas tiefer als die linke) in der Lendengegend, dicht an der Wirbelsäule, und werden vom Bauchfell nicht überzogen, dagegen von fettreichem Bindegewebe (Nierenfett) eingehüllt, jedoch nicht so fest, daß sie nicht durch mechanische Einwirkungen (z. B. Druck benachbarter Geschwülste, starkes Schnüren bei Frauen) ihre Lage verändern könnten (Wandernieren). Darunter folgt dann eine weißliche, dünne, aber feste Haut, die der Niere selbst angehörende Nierenkapsel. An einer längsdurchschnittenen Niere sind unter einer etwa 1 cm dicken, gelb- oder grauroten Rinde 818, gewöhnlich 1214 blässere Pyramiden zu erkennen, die durch die dunklere Rindensubstanz voneinander getrennt sind und selbst aus sogen. Marksubstanz bestehen (Textfig. 5 A). Jede Pyramide mit dem zugehörigen Teil der Rindensubstanz entspricht einem der obengenannten Nierenlappen, besitzt also an ihrer Spitze ihr Nierenwärzchen und um dasselbe meist einen eignen Nierenkelch. Rindensubstanz und Pyramiden (sogen. Malpighische Pyramiden [Fig. 5 A]) bestehen aus großen Mengen Harnkanälchen und Blutgefäßen nebst dem stützenden spärlichen Bindegewebe, mit dem Unterschied jedoch, daß in ersterer die Kanälchen meist geschlängelt, in letztern meist gerade verlaufen, sowie daß in ersterer mehr Gefäße vorhanden sind. Die Absonderung des Harns aus dem Blut geschieht nun in folgender Weise. Die Nierenarterie (s. Tafel »Blutgefäße«, Fig. 5) tritt an der innern Seite der Niere durch den sogen. Nierennabel (wo zugleich die Vene austritt) in sie ein und teilt sich sofort in mehrere Äste, deren Verzweigungen zwischen den Pyramiden hindurch zur Rinde gelangen und hier in einer enormen Anzahl feinster Zweige endigen. Von diesen windet sich jeder zu einem sogen. Gefäßknäuel zusammen, das mit bloßem Auge eben noch als rotes Pünktchen sichtbar sein kann, streckt sich darauf wieder glatt und löst sich dann in Kapillaren auf, aus denen sich die seinen Zweige der Vene zusammensetzen. Die Gefäßknäuel (glomeruli Malpighii, Malpighische Körperchen) sind jedes in ein geschlossenes Bläschen, das Nierenbläschen, hineingestülpt, das sie dicht umschließt und der erweiterte Anfang eines Harnkanälchens ist. Durch die dünnen Wandungen des Gefäßknäuels und des Bläschens hindurch filtriert gewissermaßen aus dem Blut zunächst nur Wasser, das so in das Harnkanälchen gelangt. Dieses selbst verläuft anfangs in der Rinde vielmals gewunden und nimmt während dieser Zeit aus den umspinnenden Kapillaren etwas von den Stoffen auf, die aus dem Blut entfernt werden sollen; darauf zieht es in gerader Richtung zum Mark hin, kehrt in einer Schleife zur Rinde zurück und mündet in ein weiteres Kanälchen, das noch eine Reihe gleicher aufnimmt und in der Pyramide geradlinig nach ihrer Spitze hin verläuft (Fig. 5 C). Durch die Vereinigung mehrerer Kanälchen verringert sich ihre Zahl nahe ihrer Mündung auf der Spitze der Pyramiden bis auf ungefähr 200. Sie sind von den Kapillaren umsponnen und lassen den Harn tropfenweise in die Nierenkelche (von denen zuweilen einer für mehrere Pyramiden zugleich bestimmt ist) fallen, worauf er dann in das gemeinschaftliche Nierenbecken und aus diesem durch den Harnleiter in die Harnblase (s. d.) läuft. Die Harnleiter (Ureteres, Ureteren), gleich dem Nierenbecken mit einer Muskelschicht in der Wandung, sind etwa 5 mm weit, 3234 cm lang und münden in die Harnblase so ein, daß sie nach Durchbohrung der Muskelhaut derselben noch 11,5 cm weit zwischen dieser und der Schleimhaut verlaufen, ehe sie sich in die Blase öffnen (s. Tafel »Eingeweide I«, Fig. 2). Die Nerven der N. stammen vom Sympathikus ab, begleiten die Arterien und weisen kleine Ganglien auf.
Fig. 5 A zeigt in natürlicher Größe eine stark mit Blut gefüllte Niere, die in ihrem obern Pole leicht schräg durchschnitten ist. Der konvexe Rand zeigt bei r eine flache Einbuchtung, eine Andeutung, daß sich das Organ, wie beim Neugebornen, aus einer Reihe von Nierchen (812) zusammensetzt. Das Mark (die Gesamtheit der Pyramiden) m ist links unten schräg, links oben quer und rechts genau längs getroffen und vollkommen von der Rindensubstanz r umgeben, bis auf die Papille, die aber von dem Nierenkelch, der Fortsetzung des Nierenbeckens p, umschlossen wird. Fersner liegen noch auf der konkaven Seite im Nierenfett f eine Arterie a und Vene v. Die Längsstreifung rechts ist in ihrem dunklern Teile durch die Pyramidenstränge (gerade Harnkanälchen), im hellern durch das Nierenlabyrinth (gewundene Harnkanälchen und Malpighische Körperchen) bedingt. Letztere sind als dunklere Punkte eben noch dem bloßen Auge sichtbar.
Der fünffach vergrößerte Schnitt B zeigt an der Grenze zwischen Rinde r und Mark m eine Arterie a und Vene v quergetroffen. Die Zone nahe der Oberfläche ist frei von[677] Malpighischen Körperchen, deren etwa ein Dutzend, z. T. mit ausgefallenen Gefäßknäueln g, innerhalb der gewundenen Harnkanälchen zu sehen ist.
C gibt ein Schema der Harnkanälchen und Nierengefäße. Die Harnkanälchen beginnen mit einer eingestülpten Kapsel, die den Gefäßknäuel g umfaßt und sich mittels eines kurzen, engen Halses in ein gewundenes Harnkanälchen erster Ordnung c1 fortsetzt. Die sich anschließende Verjüngung heißt Henlesche Schleife s; sie steigt in einem Pyramidenstrang verschieden weit in das Mark hinab, wieder stärker emporsteigend, bildet sie in der Rinde ein gewundenes Harnkanälchen zweiter Ordnung c2 und senkt sich mit einem dünnen Spaltstück in ein steil absteigendes Sammelröhrchen h ein. Ungeachtet des Wechsels der Stärke und der Beschaffenheit der Wandung sind bis hierher die Harnkanälchen einheitlich: im Sammelrohr tritt eine allmähliche Vereinigung ein, in der Rinde mit rechtwinkliger Einmündung, im Mark je zwei Röhren spitzwinklig zusammenfließend. Die Gefäße der Niere verlaufen zunächst zwischen zwei Pyramiden in der Rindensubstanz, dann aber arkadenförmig um jede Pyramide an der Grenze zwischen Rinde und Mark.
An den aufsteigenden Ästen der Arterien a sitzen die Gefäßknäuel in ihrer Kapsel wie Johannisbeeren an ihrem Stiel; die absteigenden bilden lange Schlingen und umspinsnen schließlich die Mündung der Sammelröhren mit zierlichen Netzen. Das aus dem Glomerulus g austretende Gefäß löst sich in Kapillaren auf, aus denen sich erst die Venen v bilden. Dicht unter der Oberfläche liegen größere Venenstämmchen, deren zwei im Querschnitt zu sehen sind.
D zeigt in 25facher schematischer Vergrößerung, wie von der Nierenarterie a ein dicker Ast in ein Malpighisches Körperchen geht, ein arterielles Wundernetz bildet und als ein dünnerer, aber noch arterieller Ast hervorkommt. Er zerfällt in Kapillaren, die das gewundene Harnkanälchen c1 mit engern, die geraden d mit langgestreckten Maschen umspülen und sich zur Vene v sammeln.
E zeigt das 75mal vergrößerte Bild eines dünnen, injizierten Schnittes aus dem Labyrinth, besonders gut die Gefäßschlingen zweier Glomeruli. Das schwächere austretende Gefäß ist mit v, die zuführenden mit aa bezeichnet. Die schwarzen Linien zwischen den gewundenen Harnkanälchen cc, an denen die Zusammensetzung aus Zellen zu sehen ist, und den geraden d entsprechen den Kapillaren.
Zuweilen ist die eine Niere sehr verkleinert oder fehlt ganz, alsdann ist aber die andre um so größer; auch gibt es Fälle von Verschmelzung beider N. oder von ihrer Auflösung in mehrere Lappen.
In der Kochkunst gelten N. vom Hammel, Kalb und Schwein als Leckerbissen, während Rindsnieren zu fest sind und meist nur zur Verbesserung des Geschmacks der Fleischbrühe dienen. Hammel-, Kalbs- und Schweinsnieren werden gebraten, gebacken, mit seinen Kräutern (aux fines herbes) gedämpft (sauté), mit Wein und Champagner zubereitet; man verwendet sie zu Suppen, Pasteten, als Füllung von Omeletten und zu Ragouts. In Süddeutschland sind saure N. allgemein beliebt.
Meyers-1905: Nieren [2]
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