Périer

[586] Périer (spr. -rjē), 1) Casimir, franz. Staatsmann, geb. 21. Okt. 1777 in Grenoble, gest. 16. Mai 1832, begründete 1802 mit seinem ältern Bruder, Scipion (s. unten), zu Paris ein Bankhaus, das schon unter der Kaiserzeit zu einer bedeutenden Blüte gelangte. Seine scharfe Kritik der Anleihen des Ministeriums 1817 öffnete P. den Eintritt in die Deputiertenkammer, wo er allen reaktionären Maßregeln mit der größten Entschiedenheit und eindrucksvoller Beredsamkeit entgegentrat. 1828 ward er unter Martignac Handels- und Finanzminister. An der Julirevolution beteiligte er sich lebhaft, wurde 3. Aug. 1830 Kammerpräsident, auch vorübergehend Minister ohne Portefeuille. Am 13. März 1831 übernahm er die Bildung eines neuen Ministeriums und in diesem zugleich das Portefeuille des Innern. Gegen alle anarchischen Bestrebungen schritt er mit großer Strenge ein und verlor dadurch seine Popularität, befestigte aber die Julimonarchie in genialer Weise. Er starb jedoch bald an der Cholera. Seine »Opinions et discours« gab Rémusat 1838 heraus, der auch eine biographische Skizze über P. (1874) veröffentlichte. Vgl. Nicoullaud, Casimir P., député de l'opposition, 1817–1830 (Par. 1894). Eine Bildsäule ward ihm in Paris errichtet. – Sein ältester Bruder, Augustin P., geb. 12. Mai 1773 in Grenoble, gest. 2. Dez. 1833, trat in das Bankgeschäft seines Vaters, ward 1827 in die Deputiertenkammer gewählt und erhielt 16. Mai 1832 die Pairswürde. – Ein andrer Bruder, Antoine Scipion P., geb. 14. Juni 1776 in Grenoble, gest. 2. April 1821 in Paris, ward Mitbegründer der Bank von Frankreich, der Aufmunterungsgesellschaft, der ersten französischen Assekuranzkompanie, der Sparkasse von Paris und vieler andrer gemeinnütziger Institute, unterstützte mit seinem bedeutenden Vermögen industrielle Bestrebungen und führte die Dampfpumpen in den französischen Kohlengruben ein. – Der jüngste Bruder, Camille P., geb. 15. Aug. 1781 in Grenoble, gest. 14. Sept. 1844 in Paris, wurde 1808 Auditeur im Staatsrat, saß seit 1828 in der Kammer und erhielt 3. Okt. 1837 die Pairswürde.

2) Auguste Casimir Vietor Laurent P. (seit 1874 Casimir-P.), geb. 20. Aug. 1811, gest. 6. Juli 1876, Sohn von P. 1 (Casimir P.), betrat die diplomatische Laufbahn, war 1830–46 an verschiedenen Höfen Geschäftsträger, 1846 Mitglied der Deputiertenkammer und 1849 der Gesetzgebenden Nationalversammlung. 1871 in die Nationalversammlung[586] gewählt, übernahm er 12. Okt. 1871 das Ministerium des Innern, das er jedoch schon 2. Febr. 1872 niederlegte, und wurde 1876 zum Senator ernannt.

3) Jean Paul Pierre Casimir-P., geb. 8. Nov. 1847 in Paris, Sohn des vorigen, focht 1870 als Offizier der Mobilgarde, wurde 1871 Kabinettschef seines Vaters und 1876 als republikanischer Kandidat zum Deputierten gewählt. 1877 ward er Unterstaatssekretär im Unterrichts-, 1883 im Kriegsministerium. 1893 ward er zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt, aber bald mit der Bildung eines neuen Kabinetts betraut, in dem er den Vorsitz und das Auswärtige übernahm (2. Dez. 1893). Die Ungelehrigkeit und Zerfahrenheit der Abgeordnetenkammer veranlaßte ihn jedoch, 22. Mai 1894 selber das Ende seines Ministeriums herbeizuführen. Nach der Ermordung Carnots wurde er durch den Kongreß 27. Juni 1894 zum Präsidenten der französischen Republik erwählt. Allein gegenüber den giftigen Angriffen der Sozialisten und der übrigen Radikalen verlor er bald Mut und Zutrauen und legte 15. Jan. 1895 die Präsidentschaft nieder.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 586-587.
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