[939] Aufruhr (Seditio, Tumultus, Rebellio), im weitesten Sinne jedes eigenmächtige offene Auftreten mehrerer Unterthanen wider die bestehende Obrigkeit, um wider den kundgegebenen Willen ihrer Organe eigene willkürliche Forderungen durchzusetzen. Durch den letzteren Zweck unterscheidet sich der A. namentlich von dem bloßen Auflauf, der schon dann vorhanden ist, wenn eine Menschenmenge ohne obrigkeitliche Erlaubniß in lärmender od. sonst aufregender Weise an einem öffentlichen Orte zusammenläuft. Der Auflauf ruft in der Regel nur polizeiliche Maßnahmen hervor u. tritt höchstens dann in das Gebiet crimineller Strafbarkeit ein, wenn damit Ausbrüche brutaler Rohheit, Verletzungen der öffentlichen Sittlichkeit etc. verbunden sind, od. die Theilnehmer nach erfolgter mehrmaliger Aufforderung von Seiten der Beamten der Sicherheitspolizei sich nicht entfernt haben; der A. dagegen ist immer ein Criminalverbrechen. Derselbe kann wegen der besondern Richtung seines Zweckes, insofern er auf Umsturz der ganzen Staatsverfassung od. doch wesentlicher Theile desselben od. auf Beseitigung der Person des Regenten ausgeht, als eigentliches Majestätsverbrechen (Hochverrath etc.) erscheinen; soll die Obrigkeit aber, ohne die Integrität des Staates selbst anzugreifen, nur genöthigt werden, in irgend einem einzelnen Theile der Verwaltung eine besondere Verfügung zu erlassen od. zu unterlassen, so bildet der A. ein eigenes Verbrechen, A. im engern Sinne. Mit dem letzteren Begriff wird der A. auch meist in den neueren Strafgesetzbüchern aufgeführt. Zum Thatbestande des Verbrechens gehört daher eine größere Menschenmenge, welche sich eigenmächtig versammelt hat u. aus deren Handlungen od. auch nur wörtlichen Äußerungen die Absicht hervorgeht, dem von den Organen der Regierungsgewalt erklärten Willen sich zu widersetzen od. gewisse Maßregeln von ihr zu ertrotzen, sodann aber, daß die der Obrigkeit zu Gebote stehenden ordentlichen Zwangskräfte nicht ausreichend sind, den gesetzmäßigen Zustand augenblicklich, d. h. beim ersten Einschreiten, wieder herzustellen, indem, wenn dies möglich ist, eher nur eine einfache Widersetzlichkeit Mehrerer od. nur ein Versuch aufrührerischer Bewegungen, nicht aber schon eigentlicher A. anzunehmen ist. Viel ist hierbei gestritten worden, welche Anzahl von Menschen erforderlich sei, um von einer Menschenmenge sprechen zu können. Gemeinrechtlich hat man dafür oft eine Zahl von 10 Individuen für ausreichend erachtet; es ist möglich, daß auch blos 5 od. 6 Personen einen A. zu Stande bringen, so daß richtiger es dem Urtheil des Richters überlassen bleibt, ob er im einzelnen Falle den Begriff der Menschenmenge nach den besonderen Umständen für anwendbar erachtet od. nicht. Doch haben manche neuere Gesetzgebungen, um einen äußeren Anhalt für den Begriff zu gewinnen, die Zehnzahl als Bedingung für das Vorhandensein des Begriffs aufgenommen (z.B. im Bairischen, Oldenburgischen, Württembergischen Strafgesetzbuch). Für vollendet hat das Verbrechen des A-s zu gelten, sobald die versammelte Menge offen für den beabsichtigten Zweck in eine entsprechende Thätigkeit gesetzt worden ist, sei es auch daß diese Thätigkeit etwa nur in Geschrei u. einem tumultuosen Gebahren bestanden habe. Die Bestimmung des Augenblicks, mit welchem man diese Thätigkeit als eingetreten anzusehen hat, kann indessen ebenfalls im einzelnen Falle mit Schwierigkeiten verbunden sein, da bei der natürlichen Aufregung, welche durch den ausbrechenden A. nicht blos die Theilnehmer, sondern auch die passiven Zuschauer zu erfassen pflegt, der Einzelne sich leicht zu einem unrichtigen Urtheil hinreißen läßt. In England besteht seit 1817 eine Aufruhracte od. ein Tumultmandat (Riot-act, spr. Reiot-Ackt), welche bei einem ausbrechenden A. den Tumultuanten zum Theil vorgelesen u. darin dieselben, bei Todesstrafe ruhig aus einander zu gehen, aufgefordert werden. Wenn dies nach einer Stunde nicht geschehen ist, so kann die bewaffnete Macht einschreiten. Da indeß in England die Gemeinde für den Schaden einstehen muß, der bei einem A. entsteht, so wird gewöhnlich von Seiten dieser früher eingeschritten. Früher schon, bes. nach der französischen Revolution, waren in Deutschland Tumult- od. Aufruhrgesetze erlassen, welche in weniger nachsichtiger Weise, als die englische Aufruhracte, auf die sofortige Niederdrückung des A. nach Verlesung des Aufruhrgesetzes, drängen u. welche bes. seit 1848 sich gemehrt haben. Die Verlesung der Aufruhracte durch die auf dem Platz erschienene Obrigkeit soll auch hier den Versammelten das öffentliche Zeichen sein, daß jeder sich zu entfernen habe, widrigenfalls er als Aufrührer angesehen werde. Die Formel dafür ist verschieden bestimmt; mögliche Kürze der Sätze ist, damit das Zeichen wohl verstanden werde, dabei besonders zu empfehlen. Gewöhnlich lautet die Anrede: »Ich fordere Sie im Namen des Gesetzes auf, augenblicklich aus einander zu gehen.« Wo es thunlich ist, pflegt ein Trompetenstoß od. das Rühren der Trommel vorauszugehen. Übrigens kann es wohl sich ereignen, daß es bei einem besonders stürmischen u. unerwarteten Angriff, welcher die Thätigkeit der Behörden sofort lähmt, zum Verlesen der Aufruhracte gar nicht kommt. Für solchen Fall wird aber mindestens für die Anstifter u. Anführer ein solches Zeichen nicht als nothwendig erklärt, um dennoch die Strafe des A-s anzuwenden, indem die Aufruhracte zunächst nur für diejenigen als eine Warnung dienen soll, die vielleicht bis zu dem Augenblick nur aus Neugierde od. Scandalsucht sich an dem Tumult betheiligten, ohne gerade daran gedacht zu haben, daß etwas Gesetzwidriges dabei im Spiele sei. Die Strafe des A-s ist gemeinrechtlich eigentlich nur für die Haupttheilnehmer bestimmt festgesetzt; dieselbe soll nach der P. G. O. je nach Größe u. Gelegenheit des Verbrechens entweder in Enthauptung od. Stäupung nebst Landes- od. Gerichtsräumung bestehen. Die neueren Gesetzbücher drohen dafür Festungs- od. Zuchthausstrafe, bei geringerer Betheiligung, deren Strafbarkeit sich nach den allgemeinen Grundsätzen über Theilnahme an einem Verbrechen bestimmt, auch nur Gefängniß, so das Österreichische, Preußische, Bairische, Hannoversche Strafgesetz. Im gemeinen Sprachgebrauche unterscheidet man wohl noch als besondere Arten des A-s: a) die Emeute, wenn der A. an sich leicht u. unbedeutend, aber mit Vorbedacht u. namentlich in der Absicht unternommen ist, das Volk aufzustacheln, die Kräfte der Obrigkeit zu erproben, aber auch bei sich darbietender Gelegenheit durch kühne Handstreiche sich in den Besitz der Gewalt zu setzen; b) die [939] Revolte, wenn der A. ernster u. ausgebreiteter ist, insbesondere von einzelnen Klassen der Bevölkerung ausgeht; c) den Auf stand (Insurrection), wenn sich der A. über ganze Gebietstheile eines Staates, größere Städte oder Provinzen verbreitet hat u. daher ein ausgedehnteres militärisches Einschreiten nöthig macht.