[425] Hochverrath (Crimen perduellionis, Perduellio, bei den Römern auch Crimen majestatis), das Verbrechen, welches dadurch begangen wird, daß Jemand gegen den Staat Etwas in der Absicht unternimmt, um denselben auf eine unerlaubte Weise in seiner verfassungsmäßig bestehenden Gestalt zu verändern, ihn ganz od. theilweise politisch zu vernichten. Gegenstand des Verbrechens ist daher hier immer der Staat selbst; die Tendenz des Verbrechens muß daher eine solche sein, daß der Verbrecher darauf ausgeht, die Existenz des Staates selbst anzugreifen u. eine Änderung der bisherigen verfassungsmäßigen Organisation od. die gänzliche Vernichtung desselben herbeizuführen. Die Lehre vom H. wurzelt gemeinrechtlich auf den römischen Rechtsbestimmungen, welche sehr unvollkommen u. für unsere jetzige Zeit in vielen Beziehungen unpassend geworden sind. Das älteste Crimen perduellionis, welches sich schon unter der Königsregierung erwähnt findet, scheint auf einen viel weiteren Begriff, als den des heutigen H-s ausgedehnt gewesen zu sein u. überhaupt alle Fälle umfaßt zu haben, in welchen ein Bürger sich als öffentlichen Friedensstörer u. offenen Verächter der gesetzlichen Ordnung erwies. Während der Republik trat an Stelle der Perduellio der Begriff des Crimen majestatis, über welches nach u. nach verschiedene Gesetze (Lex Gabinia, Apuleja, Varia, Cornelia), zuletzt die besonders wichtige Lex Julia majestatis von Cäsar od. August ergingen. Es wurde darunter jedes dolose Unternehmen gestellt, welches gegen die Gesammtheit des römischen Volkes u. dessen Sicherheit od. Würde gerichtet war, u. unter diesen die unmittelbaren Angriffe gegen die Existenz der Staatsverfassung als die schlimmste Art (Perduellio im engeren Sinne) hervorgehoben. Allein später, namentlich seit der Kaiserzeit, wurden auch diese Begriffe wieder vielfach verändert, indem man nunmehr theils dadurch, daß nun neben dem ganzen Staate selbst auch der Kaiser für seine Person als Gegenstand des Verbrechens bezeichnet wurde, theils auch durch sonstige willkürliche Interpretation immer mehr Verbrechensfälle unter die Strafbestimmungen der Lex Julia majestatis stellte, so daß zuletzt der Kaiser Arcadius verordnete, daß schon ein jedes Attentat gegen das Leben der kaiserlichen Minister als H. gelten u. demgemäß bestraft werden solle. In dieser Unbestimmtheit gingen dann die römischen Strafbestimmungen auch in Justinians Gesetzsammlungen über. Im Germanischen Rechte wurde anfänglich zur Bezeichnung der einschlagenden Straffälle mehr der Gesichtspunkt des Verrathes u. Treubruches hervorgehoben; allein bei dem späteren Eindringen des Römischen Rechtes kam derselbe zu keiner festeren Entwickelung. In den Reichsgesetzen, z.B. der Goldenen Bulle u. später in der Carolina, schwebten unverkennbar nur die römischen Vorschriften über das Crimen majestatis vor u. dieselben verbreiteten sich hierauf unter den Pratikern des Gemeinen Rechtes, ohne daß es denselben aber gelungen wäre, zu klareren Vorstellungen zu gelangen. Nur insofern trat ein Fortschritt hervor, als man später anfing, zwischen eigentlichem H. u. Majestätsverbrechen (s.d.) so zu unterscheiden, daß man unter letzterem Begriff diejenigen Verbrechen ausschied, welche lediglich sich als Verletzungen der der Person des Regenten gebührenden besonderen Hochachtung u. Heiligkeit darstellen. Erst den neueren Strafgesetzbüchern aber gebührt das Verdienst, die Grundsätze über Bestrafung des H-s präciser gestaltet u. auf festere Principien zurückgebracht zu haben. Nach denselben ist zunächst die frühere Beschränkung, nach welcher man davon ausging, daß der H. nur von dem eigenen bleibenden [425] Unterthan des Staates begangen werden könne, fast allgemein aufgegeben worden, nur bedrohen die meisten Gesetzbücher den von dem Unterthan eines fremden Staates verübten H. weniger hart, als den vom Unterthan des eigenen Staates ausgegangenen. Hinsichtlich des Objectes pflegt eine dreifache Richtung unterschieden zu werden, welche der H. möglicherweise nehmen kann: a) gegen die Person des Regenten, durch einen Angriff gegen das Leben, die Gesundheit od. persönliche Freiheit desselben, od. Beraubung des freien Gebrauchs seiner Regierungsrechte, wie z.B. durch Stellung unter Vormundschaft, unter die Aufsicht eines Ministerraths, einer revolutionären Regierung u. dgl.; b) gegen die Integrität des Staatsgebietes, wenn bezweckt wird, den Staat einem fremden Staate entweder ganz od. theilweise zu unterwerfen od. einzuverleiben; endlich c) gegen die Staatsverfassung (Staatsverrath) durch Umsturz entweder der ganzen Verfassung od. doch wenigstens wesentlicher Theile derselben. Im Allgemeinen gehören dazu namentlich diejenigen Handlungen, welche auf eine Verdrängung der regierenden Familie, Änderung der Thronfolgeordnung, Aufhebung der Landständischen Verfassung etc. hinausgehen. während dagegen ein Versuch, der blos bezweckt, irgend eine untergeordnete Vorschrift der Verfassung, welche die Gestalt u. Einrichtung des ganzen Organismus nicht weiter berührt, sei es auch in gewaltsamer Weise, abzuändern, dem Begriffe des H-s hiernach nicht unterstellt werden könnte. Ehemals wurde dabei noch eine Unterscheidung zwischen Reichs- u. Lande s-H. aufgestellt, je nachdem die hochverrätherische Handlung gegen die Reichs- od. specielle Landesverfassung gerichtet war. Diese Unterscheidung ist mit dem Aufhören des Deutschen Reiches von selbst hinweggefallen. An Stelle derselben erhob sich später die Frage, ob außer dem H. gegen die Verfassung des Einzelstaates auch ein H. gegen den Deutschen Bund als denkbar angenommen werden könne? Die Frage wird verneint, insofern dabei nur das Bundesverhältniß als Object des Verbrechens gedacht wird; allein da das Bundesverhältniß für jeden deutschen Staat zugleich einen wesentlichen Bestandtheil der Verfassung bildet, so muß jedes Attentat gegen die Verfassung des Deutschen Bundes zugleich einem Attentat gegen den einzelnen Staat gleichgestellt werden. Dies wurde auch durch einen Bundesbeschluß vom 18. Ang. 1836 als Bundesnorm anerkannt u. ist seitdem in allen neueren deutschen Strafgesetzbüchern in gleicher Weise wiederholt worden. Ebenso betrachten die Gesetzgebungen der einzelnen Cantone der Schweiz einen Angriff auf die Eidgenossenschaft als H. In jedem Falle muß die Unternehmung, welche hochverrätherische Zwecke verfolgt, um strafbar zu sein, mittelst widerrechtlichen, in der Regel mittelst gewaltsamen Handelns geschehen u. der Vorsatz vorliegen, das staatsgefährliche Unternehmen zur Ausführung zu bringen. Eine Opposition, welche Änderungen der Verfassung mittelst der dafür gebotenen legalen Wege anstrebt, ist daher ebensowenig H., als die unwissentliche u. absichtslose Begünstigung einer staatsgefährlichen Unternehmung nach den Hochverrathsgesetzen bestraft werden kann. Dagegen wird nicht bei jedem Theilnehmer eine besondere feindliche Gesinnung wider den Staat als zum Begriffe des H-s gehörig vorausgesetzt, obschon die römischen Rechtsquellen allerdings, aber nur bildlich, von einem Animus hostilis sprechen. Die Motiven des Verbrechens können sehr verschiedene sein, z.B. Eigennutz, Rache, sie können selbst aus guter Absicht, den Staat einer vermeintlich glücklicheren Zukunft zuzuführen, hervorgehen; allein diese speciellen Motive bleiben gegenüber der widerrechtlichen allgemeinen Absicht gleichgällig, da das Strafwürdige der Handlungsweise in der allgemeinen Gefahr besteht, welche durch den hochverrätherischen Angriff herbeigeführt wird. Als vollendet gilt der H., wenn bereits eine Handlung geschehen ist, durch welche das hochverrätherische Unternehmen unmittelbar zur Ausführung kommen soll. Es gehört daher nicht zum Thatbestand, daß das beabsichtigte Ziel (Umwandlung der Verfassung etc.) bereits erreicht worden ist, sondern es genügt, wenn die hochverrätherische Absicht sich durch äußere Handlungen ausgesprochen hat, welche die Richtung eines Angriffes gegen bestimmte Grundbestandtheile des Staates unzweideutig kund geben. Vollendeter H. ist daher schon der öffentliche Aufruf zu den Waffen, die Überrumpelung eines Wachtpostens etc., eigentlich aber nicht auch die bloße Gründung einer hochverrätherischen Verbindung. Doch stellen manche neuere Gesetzbücher auch einzelne Versuchshandlungen, wie namentlich die Bildung eines Complottes, dem vollendeten H. gleich. Ebenso werden aber in denselben Gesetzbüchern auch mehrfach Handlungen, welche sonst bei anderen Verbrechen blos als Vorbereitungshandlungen gelten können, als Versuchshandlungen angesehen u. bestraft, wie z.B. das Vertheilen hochverrätherischer Verbindungszeichen, die Anschaffung von Waffen, Abhaltung von Versammlungen etc. Die Strafe des H-s war nach Römischem Rechte, u. zwar ohne Unterscheidung zwischen Vollendung u. Versuch, der Tod mittelst Schwertes, verbunden mit Confiscation des ganzen Vermögens u. Verfluchung des Gedächtnisses an dem Namen des Verbrechers (Damnatio memoriae); letztere beide Strafen konnten selbst nach dem Tode des Verbrechers erkannt werden. Durch Art. 124 der Carolina wurde dafür die Strafe des Verräthers (bei Männern das Viertheilen, bei Weibern Ertränken, neben der Confiscation u. Damnatio memoriae) eingeführt. Die neueren Strafgesetzgebungen haben meist die beiden letzteren Strafen aufgehoben, drohen aber im Übrigen regelmäßig mit Todesstrafe, das Baierische u. Hannoversche Strafgesetzbuch selbst noch qualificirte Todesstrafe an. Der bloße Versuch des H-s wird allgemein gelinder, immer aber mit mehrjährigem Zuchthaus gestraft. Auch auf die Kinder erstreckte sich nach Römischem Rechte die Strafe, indem sie für successionsunfähig, die Söhne überdies für ehrlos erklärt wurden; dies ist in den neueren Strafgesetzbüchern allgemein weggefallen. Dagegen haben dieselben die gemeinrechtliche Vorschrift, wonach auch schon die bloße Nichtanzeige eines von Anderen begangenen od. vorbereiteten H-s als Theilnahme am H. angesehen wird, in der Weise beibehalten, daß der H. unter diejenigen Verbrechen aufgenommen ist, hinsichtlich deren eine allgemeine Denuntiationspflicht besteht (s.u. Denuntiation). In Anschluß hieran ist auch vielfach denjenigen Mitschuldigen, die sofort aus Pflichtgefühl eine[426] hochverrätherische Verbindung zur Anzeige bringen, bald volle Straflosigkeit, bald eine bedeutende Minderung der Strafe zugesichert; vgl. Landesverrath u. Staatsgefährliche Handlungen. Vgl. Feuerbach, Philosophisch-juridische Untersuchungen über das Verbrechen des H-s, Erf. 1798; H. Winter, Die Majestätsverbrechen, Berl. 1815; Dieck, Disquis. histor. de crimine majest. apud Romanos, Halle 1821; Sintenis, Von den Majestätsverbrechen, Zerbst 1825; Hepp, Beiträge u. Lehre vom H., Bern 1833; J. Weiske, H. u. Majestätsverbrechen, u. Crimen maj. der Römer, Lpz. 1836; Zirkler, Die gemeine Lehre vom Majestätsverbrechen u. H., Stuttg. 1836; Köstlin, Die Perduellio unter den römischen Königen, Tüb. 1841; Hepp, Die politischen Staatsverbrechen, ebd. 1846; von Feder, Die Staatsverbrechen des H-s, Stuttg. 1850.
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