Chiliasmus

[930] Chiliasmus (v. gr.), die Erwartung eines 1000jährigen Reiches ungestörter Wonne u. Herrlichkeit auf. Erden, unter der Regierung des Messias, an welchem die vom Tode auferweckten Frommen theilhaben würden. Diejenigen, welche solchen Glauben hegen, heißen Chiliasten od. auch Apokalyptiker, da sie bes. prophetische Enthüllungen darüber in der Offenbarung Johannis (Apokalypse) zu finden glauben. Der jüdische, auf Weissagungen des A. T., Apokryphen u. rabbinische Sagen gestützte, in seiner Ausmalung dieser Herrlichkeit grobsinnliche Th. erwartete dieses Reich nach der Ankunft, der christliche Ch. bei der Wiederkunft Christi nach der Auferstehung der Todten. Daß dieses Reich 1000 Jahre dauern sollte, behaupteten christliche Lehrer, weil, wenn nach Psalm 90,4 ein Tag Gottes 1000 Jahre ausmache u. daher in den 6 Schöpfungstagen 6 Jahrtausende irdischer Mühseligkeit vorbedeutet wären, der 7. Ruhetag das Vorbild eines Jahrtausends vollkommener Freiheit von allen Übeln sein müsse. Der Ch., verwandt den Dichtungen der Heiden von einer goldenen Zeit, die er aus der Vergangenheit in die Zukunft übertrug, u. mit den messianischen Hoffnungen aus dem Judenthum in das Christenthum übergegangen, konnte als Frucht des Glaubens an den Sieg des Guten über das Böse wohl unter den Christen beliebt werden, Schriften, wie die Apokalypse u. mehrere Apokryphen des N. T., erzeugen u. auch in manchen Verheißungen Jesu Nahrung finden, aber wegen seiner Befangenheit im Äußeren u. Sinnlichen weder durch den Geist der Lehre Jesu, noch durch die alte Kirchenlehre Bestätigung erhalten. Er war daher zwar wegen der Drangsale in den ersten 3 Jahrh., wo nur Gnostiker u. Alexandrinische Lehrer, z.B. Origenes, ihm widersprachen, gemeiner Glaube der Kirchenlehrer, wie Papias, Justinus Martyr, Irenäus, Tertullian u. der ganzen Christenheit, aber nach ihrem Triumph über griechisches u. römisches Heidenthum, eine den Fanatikern u. Juden überlassene, ja von den größten Kirchenlehrern, z.B. Augustinus u. Hieronymus, verworfene Privatmeinung. Der letzte bedeutende Chiliast war Lactantius. Desto fester hielten die Juden an diesen Hoffnungen, die von deren Rabbinern bis ins 11. Jahrh. mit abenteuerlichen Einfällen bereichert u. fortgebildet wurden. Er wurde im Jahre 1000, wegen Erwartung des Jüngsten Tages, u. während der Kreuzzüge auf kurze Zeit angeregt, gewann aber erst im Jahrh. der Reformation, bes. durch die Wiedertäufer, wieder stärkeren Einfluß, welche die Herrlichkeit des 1000jährigen Reiches gleich selbst zu verwirklichen meinten, indem sie alle bestehende Ordnung umzustürzen suchten; außerdem durch die Theosophen aus. der Schule des Theophrastus Paracelsus, durch phantastische Exegeten, wie Cöl. Curio, Johann Erasmo u. Martin Borrhäus, u. durch Schwärmer, wie Valentin Weigel. Im 17. Jahrh. war der Ch. unter den, vom Papstthume getrennten kleineren Secten herrschend, u. selbst vielen Protestanten während der Religionsbedrückungen des 16. u. 17. Jahrh. tröstlich, übrigens nur von einzelnen protestantischen Theosophen u. Schwärmern, befangenen Schriftauslegern u. katholischen Quietisten u. Mystikern ernstlich vertheidigt. Als Chiliasten sind bes. zu nennen: P. Felgenhauer, I. Böhm, A. Comentus, R. Maton, Pordage, Antoinette Bourignon, Pet. Poiret, Pet. Serrarius, Gichtel u. And.; im 18. Jahrh.: Petersen, Joachim Lange, Chimonius u. bes. Bengel, Burnet u. Whiston, die Swedenborgianer, Lavater, Jung Stilling mit ihren Anhängern; im 19. Jahrh. Frau von Krüdner u. einige kleine süddeutsche u. amerikanische Secten, bes. Irving u. seine Anhänger; in neuester Zeit die Gesellschaft für Sammlung des Volkes Gottes in Schwaben, welche auf den Sturz der türkischen Herrschaft in dem Heiligen Lande im Jahre 1853 gerechnet u. Jerusalem als den Punkt der Gründung einer Gemeinschaft ausersehen hatte, in welcher die Idee des Sieges des Thristenthums u. des goldenen Zeitalters realisirt werden sollte. Vgl. Sechs Perioden der christlichen Kirche, Heilbr. 1851. Sie alle haben theils gröbere, theils feinere Ansichten über das 1000jährige Reich, u. theils mit sinnreichen Deutungen prophetischer Stellen der Bibel, Daniel u. die Offenbarung Johannis, u. mühsamen Berechnungen den Zeitpunkt des Jüngsten Tages zu bestimmen u. Gründe aller Art für ihre Meinung zu häufen gesucht, theils sich einer besonderen göttlichen Inspiration dabei gerühmt. Der Ch. ist in keiner Form in den Lehrbegriff einer Christlichen Kirche aufgenommen worden. Vgl. Corrodi, Kritische Geschichte des Ch., 1781, 3 Bde., 2. Aufl. Zür. 1794, 4 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 930.
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