[416] Contumaz (v. lat. Contumacia), 1) der Ungehorsam, welchen eine Partei, od. eine sonst betheiligte Person in einem Rechtsstreite dadurch begeht, daß sie einer ihr gewordenen gerichtlichen Auflage überhaupt nicht, od. nicht in der vorgeschriebenen Weise Folge leistet. A) Im Civilprocesse setzt die Annahme eines Ungehorsams zunächst die Verpflichtung des Ungehorsamen zur Vorladung der Handlung, eine legale Aufforderung dazu u. ein eigenes Verschulden des Ungehorsamen (Contumax) voraus. Ist aber zur Vornahme der Handlung eine Frist gesetzt, so wird diese Verschuldung bis zum Beweis des Gegentheils vermuthet. Abgesehen von versäumten Nothfristen u. den Fällen, wo der Ungehorsam zu amtlich zu verhängenden Strafen führt, muß aber gemeinrechtlich auch von Seiten des nicht selbst ungehorsamen Gegners eine Ungehorsamsbeschuldigung (Contumazanzeige, Accusatio contumaciae) hinzutreten, wenn auf die Folgen der C. erkannt werden soll. Bis zu dieser Anzeige des Gegentheils kann der Ungehorsame das Versäumte noch ohne Schaden nachholen (Purgatio contumaciae); nach derselben bedarf[416] es erst wieder einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, um das Recht dazu wieder zu erlangen. Doch haben neuere Civilproceßgesetze die Nothwendigkeit dieser C-anzeige aufgehoben od. doch nur auf wenig Fälle beschränkt. Der Ausspruch der durch die C. herbeigeführten Folgen, geschieht durch ein Contumacialdecret; die Folgen selbst aber sind je nach dem Inhalte der Auflage, welche versäumt wurde, verschieden. Einige haben versucht, sie allgemein aus dem Gesichtspunkt eines stillschweigenden Verzichts od. einer damit eintretenden Verjährung der zuständigen Rechte zu erklären; Andere von dem Gesichtspunkt einer Strafe, obgleich auch dieser nicht überall zutrifft. Ein allgemeiner Nachtheil der C. ist die Verpflichtung zum Ersatz derjenigen Kosten, welche durch die Versäumniß u. deren Folgen erwachsen. Außerdem bestehen die Folgen je nach Verschiedenheit der Fälle darin, daß die Handlung, welche vorzunehmen war, entweder als geschehen, od. als unterlassen fingirt werden u. dem Contumax, nicht ferner gestattet wird, weitere Vertheidigungen vorzubringen. B) Im Criminalprocesse bewirkt der Ungehorsam des Angeschuldigten, wenn derselbe auf freiem Fuße ist u. auf eine mehrmalige Aufforderung nicht vor Gericht erscheint, meist einen sofortigen Haftbefehl; antwortet der Angeschuldigte vor Gericht nun nicht, so gibt es auch wohl als besondere Ungehorsamsstrafen gelinde körperliche Züchtigungen. Ist der Angeschuldigte aber ganz abwesend, so findet nach gemeinem Strafprocesse ein eigentliches Contumacialverfahren nur in den wenigen Fällen statt, in welchen die Strafe auch an dem abwesenden Angeschuldigten vollzogen werden kann. Die Thätigkeit des Richters hat sich hierbei darauf zu erstrecken, den Thatbestand des Verbrechens nichtsdestoweniger möglichst festzustellen, das Vermögen des Angeschuldigten mit Beschlag zu belegen, denselben mittelst Edictalien zum Erscheinen aufzufordern u., wenn er binnen festgesetzter Frist nicht erscheint, das Haupturtheil zu sprechen, welches dann, wiewohl immer mit vorsorglicher Rücksicht auf eine spätere Unschuldsausführung, wider den Abwesenden exquirt wird. Stellt sich später der Angeschuldigte noch, so wird die Untersuchung von Neuem aufgenommen, u. es beginnt, mit Benutzung der Contumacialacten, das gewöhnliche Untersuchungsverfahren, in Folge dessen auch die frühere Strafe geändert od. ganz aufgehoben werden kann. Kann dagegen die Strafe wegen des angeschuldigten Verbrechens an dem abwesenden Angeschuldigten überhaupt nicht vollzogen werden, so bleibt die Sache, mit Ausnahme der Constatirung derjenigen Thatsachen, welche bei längerem Zwischenraum ungewiß werden könnten, gleich von Anfang bis zur Wiedererlangung des Abwesenden auf sich beruhen. Andere Grundsätze sind jedoch in den neueren Strafproceßordnungen durch Gestattung eines besonderen Abwesenheitsprocesses nach dem Muster des französischen Strafprocesses (Verfahren par défaut) eingeführt worden. Erscheint ein Angeschuldigter auf Vorladung nicht u. ist derselbe auch sonst nicht zu erlangen, so wird die Untersuchung nichtsdestoweniger im regelmäßigen Gange fortgeführt, u. er, wenn die Sache zur Hauptverhandlung reif ist, durch öffentliche Blätter zum Erscheinen aufgefordert. Inzwischen wird das Vermögen mit Beschlag belegt. Erscheint der Angeklagte auch in der Hauptverhandlung nicht, so geht die Verhandlung doch vor sich, meist ohne Vertheidiger, u. endigt, je nach Lage der Sache, mit Rücksicht auf das vorgelegte Beweismaterial, mit dem entsprechender Rechtsspruche. Bei eintretender Verurtheilung wir dieselbe öffentlich bekannt gemacht u. die nöthige Anweisung ertheilt, um die Execution herbeizuführen, wenn der Angeschuldigte sich wieder innerhalb Landes betreten läßt. Findet sich der Angeschuldigte später wieder ein, so kann er wider das ergangene Erkenntniß zwar die gewöhnlichen Rechtsmittel gebrauchen; thut er aber dies nicht, od. dringt er damit nicht durch, so bleibt es bei der erkannten Contumacialstrafe. Manche Gesetze betrachten jedoch auch in diesem Falle das Contumacialenbekentniß als nicht ergangen u. ordnen eine neue Verhandlung an. Ungehorsam von nicht erscheinenden Zeugen, Sachverständigen, Geschworenen, wird meist mit Geldbuße u. der Verpflichtung zur Tragung der Kosten der dadurch vereitelten Verhandlung bestraft; bei Zeugen kann auch ein Vorführungsbefehl erlassen werden. Das Ausbleiben des Staatsanwalts hat der Regel nach nur die Verlegung des Termins zur Folge; führt aber an seiner Statt ein Privatankläger den Proceß, so wird beim Außenbleiben desselben meist stillschweigende Zurücknahme des Antrags angenommen. 2) (Polizeiw.), die Sicherung eines Landes gegen ansteckende Krankheiten, indem sowohl Personen, bei denen die Ansteckung als bereits erfolgt, als möglich präsumirt wurde, als auch Waaren, wodurch der Krankheitsstoff fortgepflanzt werden könnte, der Eingang in das Land verwehrt wird. In Seehäfen u. an europäischen Landgrenzen mit der Türkei bestehen die Contumazanstalten, zur Sicherung gegen die orientalische Pest, ununterbrochen, u. alle aus einer verdächtigen Gegend kommende Personen u. Waaren müssen eine gewisse Zeit hindurch in Contumazhäusern verweilen (Quarantaine). Auf der türkisch-österreichischen Grenze bildet das dort aufgestellte Militär eigene Contumazstationen. Auch Sperrungen einzelner Districte in einem Lande, wenn in der Umgegend ansteckende Krankheiten herrschen (so 183132 bei der Cholera) in Spanien, als daselbst das gelbe Fieber herrschte werden als C. bezeichnet; eben so auch bei Viehseuchen, die Anstalten zur Abwehrung der Einbringung von verdächtigem fremden Vieh.