Cultus [2]

[577] Cultus (lat.), die Verehrung, welche der Mensch der Gottheit beweist. Es gehörte nach klassischem Begriffe zum C. sowohl die Gottesfurcht (Pietät), als der Gottesdienst. In der jetzigen christlichen Religionswissenschaft bezeichnet C. nur die äußere Erscheinung des religiösen Lebens in bestimmten Formen, er ist der sinnlich wahrnehmbare Ausdruck dessen, was der Mensch in seinem Verhältnisse zu Gott u. göttlichen Dingen fühlt u. denkt, ist also nur ein Theil des religiösen Lebens, aber keineswegs dasselbe selbst, ja es kann einen C. gehen ohne religiöses Leben. Im Einzelnen gehört zum C. Alles, was der Mensch als Individuum od. als Mitglied einer religiösen Gemeinschaft als Ausdruck, Zeichen u. Mittel seiner Gottesverehrung braucht, z.B. Lieder u. Gebete, heilige Zeichen u. Symbole, als Sinnbilder einer religiösen Idee wie im christlichen C. das Zeichen des Kreuzes, das Handauflegen bei feierlicher Einsegnung, das Untertauchen u. Besprengen mit Wasser beider Taufe, das Brechen des Brodes beim Abendmahl, Falten der Hände od. Beugen der Kniee beim Gebet. In weiterer Beziehung rechnet man zum C. auch die heiligen Orte u. Geräthschaften, welche zum gottesdienstlichen Gebrauche bestimmt u. geweiht sind, als Tempel, Kirchen, Altäre, Leuchter, Orgel, Glocken u. dgl. Der C. war bei den vorchristlichen Völkern die einzige Äußerung des religiösen Lebens,[577] weil dort das Götterthum innerhalb der Natur stand, eben nur ein erhöhtes Menschenthum war, s. die einzelnen Nationalreligionen. Auch in dem Judenthum war der C. nach der mosaischen Bestimmung ein Haupttheil, später beim Volke die Hauptsache der Gottesverehrung, da Gott von den Juden ebenfalls anthropomorphisch u. anthropopathisch gedacht wurde. Das Christenthum trat der formalen, äußerlichen Gottesverehrung mit dem Satze gegenüber: Gott ist ein Geist u. die ihn anbeten wollen, müssen ihn im Geiste u. in der Wahrheit anbeten. An die Stelle religiöser Formeln, die ihre symbolische Bedeutung verloren hatten, setzte das Christenthum einen einfachen C. ein, ohne die religiöse Ceremonie gänzlich zu verwerfen. Denn die Seele bedarf, um sich zur Andacht zu erheben, jener durch die Beobachtung äußerer Formen errichteten Schranke, welche ihre Beziehungen zu der Alltäglichkeit des Lebens aufhebt, damit sie in sich selbst einkehren u. sich zur Gottheit wenden können. Der Anfangs sehr einfache C. wurde, nachdem die christliche Religion Staatsreligion des Römischen Reiches geworden war, immer glänzender, prunkender u. pomphafter u. artete endlich in ein bloßes Ceremonienwesen aus, bis die Reformation das Wesen der christlichen Religion wieder zur Geltung brachte, indem sie die religiöse Ceremonie u. den Schmuck der Gotteshäuser als Mittel zum Zweck der Erbauung, nicht als den Zweck selber erkennen lehrte. Am einfachsten ist der C. in der Reformirten Kirche u. bei den Herrnhutern. In der ältesten Zeit sorgten die Gemeindevorsteher u. Bischöfe für die Angelegenheiten des C. Wer in der Evangelischen Kirche berufen sei, für die Einrichtung des C. zu sorgen, wird im Kirchenrechte von verschiedenen Standpunkten verschieden beurtheilt. Wo der Landesherr Summus episcopus ist, hat er das Jus circa sacra auch in dieser Beziehung. Die eigentliche Handhabung der Cultusform, od. die Verwaltung des Gottesdienstes, ist dem geistlichen Stande von jeher anvertraut. Der C. muß sich nach psychologischen Gesetzen unter dem Einflusse der Kunst (Architektur, Sculptur, Malerei, Redekunst) gestalten. Wie überhaupt das Schöne mit dem Religiösen u. Sittlichen verwandt ist, so kann u. soll Alles, worin das religiöse Leben sich äußerlich kund thut, mit den Gesetzen des Schönen im Einklange stehen. Vgl. K. Meyer, Über das Verhältniß der Kunst zum C., Zürich, 1837; Ullmann, Der C. des Genius, Hamb. 1840; Vetter, Die Lehre vom christlichen C., Berl. 1839; Ehrenfeuchter, Theorie des christlichen C., Hamb. 1840.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 577-578.
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