Mexicanische Sprache

[207] Mexicanische Sprache (Aztekische Sprache, Nahuatl), Sprache, welche im alten Anahuak von den Azteken u. den von ihnen verwandten Völkern (s. Mexico, Gesch.) gesprochen, mit deren Herrschaft über einen großen Theil Mexicos u. Centralamerikas verbreitet wurde u. noch gegenwärtig von 21/2 Mill. Indianern in Mexico u. mit dialektischen Verschiedenheiten in einigen Gegenden Centralamerikas gesprochen wird. Sie entbehrt der Laute b, d, f, g, r, s, so wie der spanischen, j, ll, ñ. Das Substantivum hat weder Casus, noch grammatisches Genus, aber eine Art Artikel, welcher durch ein vorgesetztes in gebildet wird. Der Plural wird bei unbelebten Gegenständen durch miec, viel, ausgedrückt, für belebte gibt es die Endungen me, tin u. que, anstatt deren, wenn ein Pronominaladjectiv vor dem Substantivum steht, huan gesetzt wird, z.B. ichatl, Schaf, ichcame, Schafe, noichcahuan meine Schafe. Das Adjectivum hat keine Steigerungsgrade, sondern drückt den Comparativ durch achi, mit der Negation vor den verglichenen Gegenstand, den Superlativ durch huel, sehr, aus. Die Zahlwörter heißen: 1 ce, 2 ome, 3 yey, 4 nahui, 5 macuili, 6 chicuace, 7 chicome, 8 chicuei, 9 chiennahui, 10 matlactili. Die Personalpronomina sind nehuatl, nehue od. ne ich, tehuatl du, yehuatl er, tehuantin wir, amehuantin ihr, yehuantin sie. Als Präfixe an Verbis, sowohl zu Bezeichnung des Objects, sowie an den Substantiven zur Bezeichnung der Possessiva haben diese Pronomina besondere Formen. Beim Verbum ist die Wurzel selbst unveränderlich. Diese allein mit der Verbalwurzel bilden das Präsens, daraus wird durch ein angehängtes ya das Imperfectum, durch ein vorgesetztes o das Präteritum etc. abgeleitet, z.B. Präsens Sing. 1. nitlapia ich hüte, 2. titlapia, 3. tlapia, Plur. 1. titlapia, 2. antlapia, 3. tlapia. Imperf. nitlapiaya, ich hütete, Pers. onitlapix ich habe gehütet. Eine Infinitivform gibt es nicht, sondern dieser wird durch Conjunctionen umschrieben. Optativ u. Imperativ haben ma, der Conditionalis hat intla vor sich. Das Participium Activi endigt auf ni. Das Passiv hängt an die Wurzel des Activs lo. Die Conjugation wird verwickelt durch die darin ausgedrückte Beziehung auf Objecte, welche theils durch gewisse Pronominalpräfixe, theils bei unbestimmten Objecten durch ein vor die Wurzel gesetztes te od. tla geschieht. Außerdem gibt es eine Menge abgeleitete Verba, wie Causativa, Iterativa etc., sowie besondere Reverentialformen. Der Anfang des Vaterunsers lautet: totatzin e, ynilhuicac timoyeztica, mayectenehualo inmotacatzin, d.h. unser-Vater o, dem-Himmel-in dubist, sei-gelobet der-dein-Name. Grammatiken von Vetancourt, Mexico 1673; von Tapia Zenteno, ebd. 1753; von Sandowalk, ebd. 1810 u.a.m.; Wörterbücher von Molina, ebd. 1571; von P. de Arenas, ebd. 1611, neue Ausg. Puebla 1831.

Von einer Literatur der alten Mexicaner kann nur in sehr beschränktem Sinne die Rede sein, da sie keine eigentliche Schrift besaßen. Die sogenannten Mexicanischen Hieroglyphen sind durchaus nicht mit den ägyptischen zu vergleichen; während letzteremit der gesprochenen Sprache parallel gehen u. zu einer wirklichen Wortschrift geworden sind, bestehen die ersteren nur in wirklichen od. symbolischen Darstellungen des zu Bezeichnenden, so daß durch dieselben nicht Worte in ihrer Verbindung zum Satze wiedergegeben, sondern nur den Inhalt durch wirkliche od. symbolische Bilder der erwähnten Dinge u. Handlungen angedeutet werden. Zum Schreiben od. vielmehr Malen bediente man sich des Agavepapiers, des Hirschleders u. baumwollener Stoffe. Da ein Stück Papier gewöhnlich sehr groß war, so geschah das Einbinden einer Handschrift auf die Weise, daß man das Stück im Zickzack, ähnlich einem Fächer od. eines Taschenpanoramas, zusammenlegte u. an den beiden Enden des Papiers zwei Bretchen als Deckel anbrachte. Trotz der innern Mangelhaftigkeit der Bilderschrift, hatte das Schreiberwesen doch bereits große Fortschritte gemacht; Bücher waren sehr verbreitet, namentlich beschäftigten sich in Tezcaco Tausende mit Malen u. Schreiben; Kalender u. kurze Landeschroniken waren fast in allen Häusern zu finden. Selbst Reden u. lyrische Gedichte wußten die Azteken mit ihrer Bilderschrift an das Papier zu fesseln. Eine große Anzahl solcher Handschriften findet sich in Lord Kingsborough's Antiquities of Mexico (4 Bde., Lond. 1829) copirt. In neuester Zeit hat sich namentlich Aubin in Paris mit der Lesung u. Erklärung derselben beschäftigt, vgl. dessen Mémoire sur l'écriture figurative et la peinture didactique des anciens Mexicains, Par. 1849. Die Schrift diente nicht blos dem Bedürfniß des täglichen Lebens, sondern auch zu wirklichen literarischen Aufzeichnungen. So sollen schon die Tolteker Bücher gehabt haben; 708 soll zu Tula der Astrolog Huematzin das berühmte u. heilige Buch Teo-Amoxtli (d.i. göttliches Buch) verfaßt haben, welches vom Ursprunge des Menschen, von der Geschichte des Volkes, mythologischen u. astrologischen Dingen gehandelt habe. In der Aufzeichnung historischer Begebenheiten waren die Azteken sehr sorgfältig. Ihre Poesie, deren Sprache sehr glänzend u. bilderreich war, u. in der sie genau das Versmaß beachteten, war theils episch u. historisch, indem die Gedichte die Götter, Thaten des Volkes u. einzelner Helden verherrlichten; theils didaktisch, indem die moralischen Regeln in Verse gebracht waren; die Mexicaner hatten auch Gedichte über die Liebe u. die Jagd, Festgesänge u. Hymnen. Der gefeiertste Dichter seiner Zeit war der Nezalhuatcojotl, König von Tezcuco, von dessen Gedichten zwei Oden über den Wechsel des menschlichen Schicksals durch seinen Nachkommen Alva Ixtilxochitl auf uns gekommen sind. Theatralische Stücke waren Darstellungen der rohesten Natur u. Plan u. Gespräch waren gewiß extemporirt. Mehre Nachkommen der alten mexicanischen Könige u. Dynasten traten nach der Bekehrung zum Christenthum als Schriftsteller auf, indem sie sich theils der Aztekischen Sprache (die sie aber mit lateinischer Schrift schrieben) theils der Spanischen bedienten. Dahin gehören Ixtlilxochitl (Geschichte der Chichimeken), Camargo (Geschichte von Tlascala), Pomar (Geschichte von Tezcuco) etc. Ein größeres Werk in Aztekischer Sprache hat Biondelli (Mail. 1858) herauszugeben begonnen; ein anderes (Codex Chimalpopoca) gab Brasseur de Bourbourg 1851 in Mexico heraus.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 207.
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