Musterweberei

[592] Musterweberei, das Weben gemusterter Stoffe od. Zeuge. Gemustert od. figurirt nennt man ein Zeug dann, wenn in ihm als Folge einer eigenthümlichen Verschlingung der Ketten- u. Schußfäden eine Zeichnung (Muster, Figur) hervortritt u. sich durch sein Aussehen von seiner Umgebung (dem Grund od. Boden) unterscheidet. Eine Farbenverschiedenheit zwischen Grund u. Muster dagegen ist zwar häufig vorhanden, doch nicht wesentlich nothwendig, u. sie allein verschafft dem Zeug[592] noch nicht den Namen gemustert; vielmehr gehören Changeants, metirte (s. d), gestreifte (s. Irisiren 2), carrirte, gegitterte, geflammte od. chinirte (s.d.) Stoffe nicht zu den gemusterten. Das Muster enthält eine wesentlich andere Fadenverbindung, als der Grund, u. ist bald gleichmäßig über das ganze Zeug vertheilt, bald, wie bei Tafeltüchern, Servietten u. dergl. abgepaßten Stoffen, in einem bestimmten Raume gewissermaßen architektonisch angeordnet, auch wohl mit Einfassung, Eckstücken etc. versehen. Der Grund hat gewöhnlich eine einfachere Fadenverbindung; er ist leinwandartig, geköpert, gaze- od. atlasartig gewebt u. heißt danach Leinwand-, Köper-, Gaze- u. Atlasgrund Das Abweichende des Musters besteht oft nur darin, daß die Fäden in ihm auf größere Längen frei (flott) liegen (vgl. Lisere) u. nur an wenigen Bundstellen od. Bindungen durch Bundfäden in das übrige Gewebe eingebunden werden. Gemusterte Stoffe stehen durch regelmäßige, aber an verschiedenen Stellen verschiedene Fädenverbindung, wobei Grund u. Muster aus einer u. derselben Kette u. Schuß bestehen, so z.B. beim Drell u. Damast, od. durch Einweben besonderer Schußfäden an den zu musternden Stellen; diese broschirten Schußfäden sind oft mehrfarbig, stets vom Grund unabhängig; so bei den broschirten Stoffen, welche als Westenzeuge, zu Damenk Leidern, Shawls u.s.w. verwendet werden; od. durch Anwendung besonderer Kettenfäden, welche von einem besonderen Kettenbaume kommend an den gemusterten Stellen in das Grundgewebe eingeschaltet werden (aufgelegte od. aufgeschweiste Muster): od. durch gitterartige Durchbrechungen od. Öffnungen an gewissen Stellen des Gewebes, so bei den durch brochenen Stoffen (Etoffes à jour), od. durch regelmäßiges, stellenweises Zusammenweben zweier Gewebe (Piqué). od. endlich dadurch, daß an stellenweise Sammet einwebt, welcher gerissen wird od. ungeschnitten bleibt.

Die Zeichnung des Musters wird auf Papier entworfen; die so erzeugte Patrone bildet eine vergrößerte Abbildung des Gewebes u. gibt über den Lauf aller Fäden Ausschluß; sie wird nach einer Musterzeichnung od. einer Zeugprobe auf dem, mit starken u. seinen Parallellinien in zwei sich rechtwinkelig kreuzenden Richtungen bedruckten Patronenpapier. (Musterpapier) entworfen, indem man durch die von den sich kreuzenden Linien gebildeten kleien Vterecke (Augen) die Stellen des Gewebes b. zeichne:, an welchen sich die Ketten- u. Schußfäden kreuzen, u. um z.B. alle die Stellen durch einen Punkt, od. ein Kreuz od. einen farbigen Strich auszeichnet, an welchen der Kettenfaden über dem Schußfaden liegt. Nach der Anfertigung der Patrone (Patroniren, Ausnehmen od. Absetzen des Musters) richtet der Weber den Webstuhl so her, daß beim Weben das durch die Patrone ausgedrückte Master im Gewebe entsteht. Die Einrichtung des Webstuhls aber ist verschieden, je nach den aufgeführten Arten der Mustererzeugung. A) Musterbildung aus einer Ketten u. einem Schuß. Die Zahl der verschiedenen Lagen des Schußfadens gegen die Kettenfäden ist in der Regel so groß, daß die verschiedenen, dazu nöthigen Fachbildungen nicht mehr durch Tritte, wie beim Leinwandstuhl, hervorgebracht werden können, sondern dazu ein besonderer Apparat (Zug) nöthig wird, welcher die nach einander abwechse Luden Fachbildungen vermittelt. So lange das Muster weniger ausgedehnt ist, kann es durch Fußarbeit (Kammweberei, Trittweberei) gewebt werden; der dazu benutzte Webstuhl hat mehr Schäfte u. mehr Tritte als der Stuhl zu leinwandartigen Zeugen; alle Kettenfäden, welche in ihrer wechselnden Lage gegen die Schußfäden stets unter einander übereinstimmen, werden in einem Schaft vereinigt, da sie stets zusammen gehoben werden müssen; so viel verschiedene Lagen des Schußfadens gegen die Kettenfäden im Muster vorkommen, so viel Tritte sind nöthig. Die Kettenfäden werden nun in die Litzenhäuschen jener Schäfte, durch welche sie gehoben werden sollen, eingezogen (einpassirt), wie es das Muster verlangt; die Schäfte aber werden mit den Tritten durch die Anschnürung verbunden, so daß in der Regel durch einen Tritt alle Fach machenden Schäfte bewegt werden, gewöhnlich so, daß zu jedem Schusse alle Schäfte bewegt werden, die das Oberfach machenden nach oben, die das Unterfach machenden nach unten (reine Schnürung), seltener (stehende Schnürung) so, daß nur das Oberfach gehoben wird, das Unterfach dagegen ruhig liegen bleibt. Die Ordnung u. Reihenfolge, nach welcher beim Weben die Tritte zu treten sind, hängt von dem Muster u. der Einpassirung ab; man tritt theils mit dem rechten, theils mit dem linken Fuße. Bei Anwendung einer Tritt od. Kammmaschine tritt der Weber nur einen Tritt od. abwechselnd zwei, u. ein zwischen diesen u. den Schäften eingeschalteter Apparat besorgt das Heben der Schäfte. Das Muster selbst wird dadurch hervorgebracht, daß man die schrägen Linien des Köpers nach verschiedenen Richtungen gehen, od. stellenweis die Ketten- u. stellenweis die Schußfäden des Köpers flott liegen (umgekehrter Köper), od. Leinwand-, Köper- u. Atlas-Grund mit einander abwechseln. Bei größeren Mustern würde aber die Anzahl der Tritte so groß werden, daß der Raum, in welchem sie unterzubringen sind, nicht mehr ausreicht, um sie aufzunehmen. Solche Muster können daher nur durch gezogene Arbeit hergestellt werden. Gewöhnlich ordnet man dazu die Litzen zu einem Harnisch an, indem sie für jeden Kettenfaden eine, in 8 bis 20 parallelen, quer über die Kette laufenden Reihen herabhängen; jede Litze od. die zu einem sogenannten Säckchen vereinigten Litzen der einen Theil der Kette bildenden, d.h. stets gleichzeitig zu hebenden, nebeneinander liegenden Fäden sind. mit ihrem obern Ende an einen Bindfaden (Heber, Arkaden) geknüpft, welche durch das wagrecht liegende Löcher-(Harnisch-, Schnür-, Gallir-, Chor-) bret hindurchgezogen werden, in welchem ebenso. viele Reihen Löcher sind, als Reihen von Litzen; ober. halb des Harnischbretes werden die Heber an stärkere Schnüre (Korden) geknüpft (beschnürt, gallirt), so daß sämmtliche stets gleichzeitig zu hebende Kettenfäden an Eine Korde geknüpft werden. Mittels der Korden werden nun durch den Zug die Kettenfäden nach Erforderniß des Musters abwechselnd gehoben. Die Bindungen im Muster, u. namentlich die im Grunde, werden theils ebenfalls durch den Zug, theils durch zwischen der Lade u. dem Harnisch angebrachte Schäfte mit Tritten (Vorkämme, Vorder. geschirr) hervorgebracht. Wenn das Muster nicht durch einfache Ketten- u. Schußfäden, sondern durch 2–8 neben einander liegende erzeugt wird, wird nach jedem Schuft ein anderer Tritt getreten, aber erst nach 2–8 Schüssen eine andere Figurhebung durch den Zug bewirkt. Das Ziehen der Korden aber geschieht entweder mit der Hand beim eigentlichen [593] Zugstuhl, welcher entweder ein Kegel- od. ein Zampelstuhl (s. b.) ist, od. durch eine mechanische Vorrichtung (Hebe-, Dessin-, Mustermaschine, s.d.) beim Trommelstuhl, bei der Leinwandmaschine, beim Jacquardstuhl (s.d. a.), od. durch mehre Tritte mittels sogenannter Hochkämme u. Wellen beim Wellenstuhl (Posamentierstuhl, s.d.). B) Broschirte u. gestickte Muster. Wenn das Muster aus Fäden von verschiedener Stärke od. Farbe, od. gar von verschiedenem Stoffe hergestellt werden u. zugleich diese Fäden im Grunde nicht sichtbar sein sollen, so muß ein doppelter Schuß angewendet werden, von denen der eine (Grundschuß) den Grund, der andere (Figurenschuß od. Broschirschnß) das Muster bildet. So gewebte (broschirte) Zeuge können auf zweierlei Weise erzeugt werden: entweder geht der Figurenschuß ebenfalls über die ganze Zeugbreite, liegt aber nur Muster sichtbar auf der rechten Seite, übrigens auf der Rückseite flott durch einzelne Kettenfäden (Recompagne) gebunden; od. der Figurenschuß geht nur in der Figur hin u. her, läßt also an den übrigen Stellen auch die Rückseite unbedeckt. Das erste Verfahren nennt man Lanciren, die so gefertigten Stoffe lancirte od. überschossene, u. es wird bei ihnen oft der auf der Rückseite flott liegende Figurenschuß mit der Hand od. auf einer Maschine ausgeschnitten; das andere Verfahren ist das eigentliche Broschiren. In beiden Fällen werden abwechselnd Grundschuß u. Figurenschuß eingeschossen, u. zwar wird der Figurenschuß so gewählt, daß er den Grundschuß der Figur möglichst verdeckt. Man bedarf also mindestens zwei Schützen, u. falls der Figurenschuß mehrfarbig ist, für jede Farbe einen besonderen Schützen. Beim Broschiren sind die Figurenschützen (Broschirschützen) kleiner u. werden meist mit der Hand durch die Figur hindurch gesteckt (Steckschützen); liegen in der Zeugbreite mehre Figuren neben einander, so braucht man für jede derselben besondere Broschirschützen. Auch bei den in Plattstichmanier gestickten Stoffen (meist Musselinen) findet sich ein besonderer Schußfaden, unabhängig vom Grundgewebe, in Zickzacklinien flott liegend. Gestickte Stoffe werden entweder mit der an der Lade angebrachten Plattstichmaschine gewebt, u. dann bilden die Rückfäden einen wirklichen Broschirschuß, indem sie durch Abtheilungen der Kette gebunden werden; od. man fertigt sie auf dem Nadelstuhle (s.d.), u. dann werden die Stickfäden nicht durch Kettenfäden, sondern durch den Grundschuß gebunden, unterscheiden sich also wesentlich vom Broschirschusse. Diese beim Weben gestickten Stoffe sind nicht mit jenen zu verwechseln, bei welchen das fertige Zeug auf Stickmaschinen im eigentlichen Sinne des Wortes gestickt wird. C) Aufgeschweifte Muster werden in ähnlicher Weise gewebt wie die broschirten, nur ist hier nicht der Schuß, sondern die Kette doppelt; die meist farbige Figurenkette wird unabhängig von der Grundkette auf einem besondern Kettenbaume aufgebäumt; das Fach der Grundkette wird für den gewöhnlich leinwandartigen Grund durch Tritte u. Schäfte gebildet, die Hebung der Figurenkette erfolgt durch den Zug, vorzugsweise mittels einer Jacquardmaschine. Ein u. derselbe Figurfaden bleibt längere Zeit im Obersache, liegt also auf größere Strecken flott u. unter ihm bildet sich fortlaufend der Leinwandgrund. Sollen aber in der Figur auch Bindungen angebracht werden, so wendet man bisweilen ein Vordergeschirr an, dessen Schäfte an die Tritte der Grundschäfte geschnürt sind, häufiger jedoch läßt man die hierzu nöthigen Hebungen gleich mit vom Jacquard ausgehen, indem man von den Platinen des Jacquard aus entweder eiserne auf die Heber der Litzen wirkende Hebeschäfte oder hölzerne dünne Stäbchen (Tringles), welche direct auf die Litzen wirken, in welche sie an den Stellen, wo diese an die Heber angeknüpft sind, eingesteckt sind, während die Hebeschäfte od. die Tringles nun einzelne Fäden der Kette heben. Die auf der Rückseite flott liegenden, längeren Figurenkettenstücke werden ausgeschnitten. D) Durchbrochene Muster erzeugt man durch Kreuzung od. Verschlingung bestimmter Kettenfäden mit andern unmittelbar od. in der Nähe liegenden Kettenfäden, wobei diese Verschlingungen durch Eintragfäden festgehalten werden. Man webt solche Muster, indem man den Webstuhl mit der Einrichtung versieht, mit welcher der Webstuhl zum Weben der gewöhnlichen Gaze (Gazestuhl) ausgerüstet ist, u. durch welche man bewirkt, daß je zwei benachbarte Kettenfäden einmal in gewöhnlicher Weise Fach bilden u. darauf der eine, stets das Oberfach bildende, z.B. der links liegende unter dem andern hinweg auf die rechte Seite des andern gezogen wird u. nun hier wieder das Oberfach bildet u. so abwechselnd weiter. Auf diese Weise kommt der eine Kettenfaden stets über, der andere stets unter die Schußfäden zu liegen, u. je nachdem man mehr od. weniger Kettenfäden sich so kreuzen läßt, nach jeder Kreuzung mehr od. weniger Schußfäden einträgt, stellenweise die Kreuzung aussetzt u. unterläßt, kann man sehr verschiedene Muster weben. Eine andere Art durchbrochener Querstreifen (Russischer Such), erzeugt man mittels des Stichstabes, welcher dem Nadelstabe am Nadelstuhle sehr ähnlich ist, sich ebenfalls an der Lade befindet u. dazu dient, mittels seiner Nadeln einen Theil der Kettenfäden aus ihrer natürlichen Lage heraus unter ihren Nachbarfäden hinweg in eine andere Lage zu bringen, worauf sie durch einen stärkeren Schuß (Stichfaden) gebunden u. endlich in ihre erste Lage zurück versetzt werden. Die zwischen je zwei solchen durchbrochenen Streifen stehen bleibenden Streifen des glatten Gewebes heißen Stichstreifen; bilden aber die durchbrochenen Streifen breitere Partien, so heißen dieselben Ajourstreifen. E) Durch stellenweises Zusammenwebenzweier Gewebe, deren zwei meist verschiedenartige Ketten nahe übereinander ausgespannt sind, entstehen hauptsächlich zwei Sorten gemusterter Gewebe: bei den Kidderminster-Teppichen (Kidderminster Carpets) sind die beiden Ketten verschiedenfarbige u. zur Figurbildung werden sie gänzlich mit einander vertauscht, die obere tritt in die untere umgekehrt; beim Pique (s.d.) dagegen, treten behufs der Musterbildung nur einzelne Fäden der untern Kette in die obere, wodurch die so erzeugten Bindungslinien als seine vertiefte Furchen erscheinen, während die eingeschlossenen Felder, in denen beide Gewebe getrennt sind, dicker hervortreten. F) Gemusterte Stoffe, bei welchen das Muster durch stellenweise eingewebte Sammetpartien gebildet wird, werden ähnlich gewebt wie Manchester u. Sammet (s.d.)

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 592-594.
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