Thermoëlektricität

[496] Thermoëlektricität, die Elektricitätsbewegung, welche entweder in ungleicher Erwärmung verschiedener Punkte eines Systems von Metallen (Th. im engern Sinne) od. in Temperaturveränderungen eines einzelnen Krystalls (Th. der Krystalle) ihren Grund hat. A) Wenn man zwei im Winkel gebogene Stäbchen von Wismuth u. Antimon an ihren beiderseitigen Enden zusammenlöthet, so daß sie einen geschlossenen Ring bilden, u. ihre beiden Löthungsstellen ungleich stark erwärmt, so wird der Ring von einem elektrischen Strom durchlaufen, so daß die positive Elektricität an der wärmeren Löthstelle von Wismuth zum Antimon übergeht. Man kann den Apparat dahin abändern, daß man mehre Paare geradliniger Metallstäbchen beider Metalle neben einander in der Ordnung Wismuth, Antimon, Wismuth, Antimon etc. im Zickzack zusammenlöthet, so daß die unpaarigen Löthstellen 1,3,5,_... nach der einen, die paarigen 2, 4, 6,_... nach der andern Seite gekehrt sind. Verbindet man die beiden Enden dieses Systems (thermoelektrische Säule od. Kette) mit den Drahtenden eines Galvanometers u. erwärmt die Reihe der paarigen Löthstellen anders als die der unpaarigen, so zeigt das Galvanometer einen Strom an (thermoelektrischer [thermomagnetischer] Strom, Thermomagnetismus), welcher um so stärker ist, je mehr Paare von Metallstäbchen (thermoelektrische Elemente) angewendet wurden. Wismuth u. Antimon zeigen die Erscheinung am stärksten; es lassen sich aber sämmtliche Metalle in eine solche Reihe (thermoelektrische Spannungsreihe) ordnen, daß bei Verbindung von je zweien immer der positive Strom an der wärmeren Löthstelle von dem tieferstehenden zu dem höheren übergeht, u. zwar um so intensiver, je weiter die beiden Metalle in der Reihe von einander abstehen. Für verschiedene starke Temperaturdifferenzen werden einigermaßen verschiedene Spannungsreihen erhalten. Die folgende Tabelle enthält die gewöhnlichsten Metalle für die gebräuchlichen Temperaturdifferenzen nach der thermoelektrischen Spannungsreihe geordnet:

AntimonBlei
EisenZinn
ZinkSilber
GoldPlatin
CupferWismuth

[496] Wismuth ist hiernach das thermoēlektronegativste, Antimon das thermoëlektropositivste Metall. Die Wirkungen eines thermoelektrischen Stromes sind der Art nach durchgängig dieselben, wie die eines galvanischen; insbesondere hat man magnetische, chemische Wirkungen, Wärmeentwickelung u. Funkenbildung beobachtet; doch ist die elektromotorische Kraft eines thermoelektrischen Elements weit geringer als die der meisten galvanischen, daher in dem äußeren Schließungsbogen der Widerstand nicht bedeutend sein darf, wenn ein Effect erzielt werden soll. Deswegen wendet man zur Prüfung der Stromstärke im Schließungsbogen nicht einen Multiplicator an, der aus vielen Windungen dünnen Drahtes besteht, sondern einen Tbermomultiplicator, d.h. einen Multiplicator aus wenigen (circa 100) Windungen dicken (im Durchmesser 1 Millim.) Drahtes. Der wichtigste Gebrauch der T. besteht darin, durch sie geringe Wärmequellen, namentlich bei den Untersuchungen über strahlende Wärme, wahrnehmbar u. meßbar zu machen. Man setzt dann jener Wärmequelle die eine Seite einer thermoelektrischen Kette aus, welche dadurch möglichst empfindlich gemacht ist, daß die einzelnen Glieder aus sehr dünnen Metallstäbchen gebildet sind, welche an der bestrahlten Seite rasch von der Wärme durchdrungen werden, u. deren sich sehr viele auf einen kleinen Raum zusammendrängen lassen. Dergleichen Thermoskope hat Nobili je nach der Natur der Wärmequelle in verschiedenen Formen construirt, indem die Säule entweder ein mit Gyps ausgegossenes compactes Bündel mit etwa quadratischen nach entgegengesetzten Seiten gekehrten Endflächen, od. einen auf Harz aufgeklebten Stern (Sternsäule) darstellt, deren unpaarige Löthstellen nahe beim Centrum, die paarigen an der Peripherie eines Kreises liegen, so daß ein Wärmestrahlenbündel von sehr kleinem Querschnitt auf die ersteren wirksam werden kann, od. endlich die Stäbchen in einer rechteckigen Ebene liegen, so daß die unpaarigen Löthstellen in der Mitte derselben in einer geraden Linie unter einander, die paarigen abwechselnd von der rechten u. linken Seite liegen u. eine schmale Wärmequelle durch einen Schlitz (daher Schlitzsäule) auf die ersteren einwirken kann. Mit Hülfe solcher Thermosäulen hat Melloni seine berühmten Versuche über Wärmestrahlung angestellt. Die Th. ist von Seebeck 1821 entdeckt worden. B) Th. an Krystallen. Viele krystallinische Mineralien, namentlich hemiëdrisch krystallisirende, haben die Eigenschaft, während sie erwärmt werden, elektrische Wirkungen zu äußern. Diese Erscheinung, welche auch Pyroëlektricität od. Krystallelektricität genannt wird, war schon seit langer Zeit in Indien am Turmalin bekannt, wurde jedoch später auch am Topas, Axinit, Boracit, Skolezit, Prehnit, Titanit, Quarz, Baryt, Zucker u. andern beobachtet. Die Gesetze dieser Th., welche namentlich durch Brewster, Rose, Hankel, Rieß erforscht worden sind, sind folgende: die Elektricität entsteht nur während Temperatur-veränderungen u. verhält sich während der steigenden Wärme entgegengesetzt als während der sinkenden beim Durchgange durch dieselben Temperaturgrade. Es gibt bei den genannten Krystallen theils Achsen, welche an ihren entgegengesetzten Enden entgegengesetzt elektrisch (polarisch) werden, theils solche Achsen, welche in ihrer ganzen Ausdehnung durch den Krystall gleichartige Elektricität zeigen u. in diesem letzteren Falle immer paarweise (im Boracit zu 4) sich kreuzend vorhanden sind. Die Endpunkte der Achsen an den polar-thermoelektrischen Krystallen nennt man die elektrischen Pole, u. zwar bezeichnet man sie als analog- od. antilog-elektrische Pole, je nachdem sie bei steigender Wärme positiv od. negativ elektrisch werden; bei manchen Krystallen wechseln jedoch die Pole während fortgesetzter Steigerung der Wärme ihre Rollen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 496-497.
Lizenz:
Faksimiles:
496 | 497
Kategorien: