[611] Tirailliren (v. fr. Bläukern), 1) im Allgemeinen in zerstreuter Ordnung fechten; 2) ausschließlich von der Infanterie so fechten; bei der Cavallerie heißt es dagegen blänkeln (s. Blänker). Die Tirailleurs bilden eine lange Linie (Tirailleurlinie), wo je nach dem Terrain od. den Verhältnissen zwischen jeder Rotte u. der nächsten ein Zwischenraum von sechs, acht, zehn, zwölf u. mehr Schritten ist. Ungefähr in diesen Abständen werden die Linien in allen Bewegungen erhalten. Die Tirailleurlinie ist meist in zwei Gliedern aufgestellt, u. das hintere Glied steht einige Schritte von dem ersten entfernt u. etwa zwei Schritte rechts seitwärts. Die zwei Mann jeder Rotte müssen sich als eng verbunden betrachten, deshalb heißt auch der eine in Beziehung zu dem anderen sein Beistand (Secundant). Vier bis sechs Rotten bilden eine Gruppe u. werden von einem Unteroffizier geführt. Die Unteroffiziere u. Offiziere sind hinter der Schützenlinie vertheilt. Jede Tirailleurlinie hat einen kleinen Haufen Mannschaft geschlossen hinter sich; derselbe beträgt in der Regel Anfangs 2/3 der eigentlichen Tirailleurs, so daß nur 1/3 zum T. debandiren. Diese geschlossene Abtheilung (Soutien) ist 150200 Schritte hinter derselben aufgestellt u. bestimmt, zur Unterstützung der Tirailleurlinie zu dienen, welche aus ihnen verstärkt u. ergänzt wird. Die Bestimmung der Tirailleurs ist bei der Aufstellung einer Abtheilung die feindlichen Schützen von derselben fern[611] zu halten, beim Vorrücken feindliche Schützen zu vertreiben, den Hauptangriff zu verbergen, vorzubereiten u. zu erleichtern, beim Rückzug u. bei Flankenmärschen die geschlossene Abtheilung zu decken, beim Angriff von Cavallerie einzelne feindliche Reiter abzuhalten. Der Vorzug des Tirailleurgefechtes ist, daß die einzelnen Rotten sich frei bewegen können, jeder kann seinen Schuß abgeben, wenn es ihm zweckmäßig erscheint, er kann das Terrain benutzen, um sich gegen feindliches Feuer zu decken; die Intelligenz, der Muth des einzelnen Mannes wird entwickelt; die durch viele Zwischenräume unterbrochenen Linien bieten dem Feuer des Feindes geringeres Ziel, als geschlossene Abtheilungen. Nachtheile sind die geringe Widerstandsfähigkeit gegen Cavallerie im ebenen Terrain, die Schwierigkeit der Führung langer Linien im durchschnittenen Terrain, die Möglichkeit die Munition in kurzer Zeit oft nutzlos zu verknallen. Die Waffe des Tirailleurs ist das Infanteriegewehr mit Bayonnet. Geschultert trägt der Tirailleur das Gewehr beim T. nie, sondern, wenn nicht gefeuert wird, bei manchen Armeen nach Art der Jäger unter dem rechten Arm, bei anderen wagerecht in der rechten Hand. Der Tirailleur muß stets den kleinsten Terraingegenstand benutzen, um sich zu decken, d.h. zu vermeiden, daß die feindlichen Schüsse ihn treffen. Es ist ihm daher erlaubt niederzuknieen, sich zu setzen, niederzulegen, doch muß er in jeder dieser Stellungen schießen können. Bäume, Mauern, Büsche, Hecken, Gräben u. Erdvertiefungen sind die besten Deckungen, da sie sich aber nicht überall bieten, muß jede Furche, jeder Rain benutzt werden, um dahinter so viel als möglich vom Körper zu verbergen u. dem Feind eine möglichst kleine Zielfläche zu bieten. Trifft man beim Avanciren u. Retiriren auf einen Deckung versprechenden Terraingegenstand, z.B. auf einen Bach mit Bäumen besetzt, einen Graben, eine Allee, so laufen die Tirailleurs die letzten 100150 Schritte auf denselben zu, halten sich aber nun an od. in demselben so lange als möglich, od. bis sie durch höhere Rücksichten aufs Ganze zum Verlassen desselben genöthigt werden. Die Formation der Tirailleurs ist verschieden. Entweder tiraillirt man gliedweise, od. einzelne Abtheilungen eines Bataillons od. einer Compagnie besonders. Meist verrichtet die leichte Infanterie jeder Armee (bei den Preußen die Füselierbataillone) den Tirailleurdienst, doch muß auch die ganze Infanterie im T. gut geübt sein, da es in großen Schlachten oft vorkommt, daß ganze Regimenter, ja halbe Armeecorps zum T. allmählig verwendet werden. Gewöhnlich bildet das dritte Glied die Tirailleurs. Soll ein ganzes leichtes Bataillon zum T. verwendet werden, so verwandelt es sich in Compagniecolonnen, welche, jeder Zug in zwei Abtheilungen getheilt u. nach Art der Angriffscolonnen aufgestellt, einige 100 Schritte von einander placirt u. als Soutiens angesehen werden. Es geht dann der vordere Zug jeder Compagniecolonne etwa 50 Schritte geschlossen vor, verwandelt sich hier, fächerförmig auseinander schwärmend, in eine Tirailleurlinie u. stößt mit der Tirailleurlinie der Nebencolonnen mit den beiden Flügeln zusammen. In der Regel machen die eigentlichen Tirailleurs 150 Schritte vor dem Soutien Halt, dieser steht aber 60,100 bis 200 Schritte vor dem ersten Treffen. Die Umstände od. das Terrain entscheiden, ob sie noch weiter vorgehen sollen. Soll das dritte Glied die Tirailleurs bilden, so wird auf ähnliche Weise verfahren. Es bilden sich dann von jedem Bataillon Tirailleurzüge, indem von den Flügelcompagnien das dritte Glied einige Schritte zurücktritt u., das dritte Glied des am meisten nach der Mitte zu stehenden Zuges sich hinter od. vor das am meisten nach dem Flügel zu stehende setzt. Diese Züge gehen mit Rechts- u. Linksum 4060 Schritte vor die beiden Flügel, marschiren dort links u. rechts auf, lassen 1/4 bis 1/3 ihrer Mannschaft ausschwärmen u. das Soutien nährt das Gefecht nach Bedarf durch Nachsenden von Unterstützungsmannschaften in die Tirailleurlinie. Ist die Kraft des Soutiens erschöpft, so werden die Tirailleurzüge der mittelsten Compagnien vorgeschickt u. erhalten im Fall der Noth neue Soutiens aus den beiden vorderen Gliedern des Bataillons. Die Unterstützungsmannschaften, welche von dem Soutien zur Tirailleurslinie vorgehen, schieben (dupliren) sich entweder rottenweise zwischen die debandirten Rotten derselben ein, so daß die erste Rotte der Unterstützungsmannschaft links von der schon vorhandenen zu stehen kommt, od. es schieben sich ganze Abtheilungen (Gruppen) in die Tirailleurlinie ein, nachdem der nöthige Platz durch Zusammenziehen der bereits stehenden Schützen gewonnen ist. Sie können die früher Ausgeschwärmten auch ablösen, wo sie dann, nachdem die neuangekommenen Tirailleurs sich festgesetzt haben, Kehrt machen, sich weiter rückwärts auf einem Punkte sammeln u. wieder in ihren Zug beim Soutien rücken od. gleich hinter das Bataillon gehen. Jeder Tirailleurzug einer Compagnie wird von einem Offizier, Tirailleuroffizier, sämmtliche Tirailleurs eines Bataillons von einem Tirailleurcapitän zu Pferde, die eines Regiments von einem Stabsoffizier befehligt. Die Tirailleurlinien erhalten ihre Befehle durch hörbare Signale, bei den Franzosen sonst durch die Trommel, nur bei den Voltigeurs zuweilen durch eine kleine Trompete, bei den deutschen Armeen, welchen die anderen Heere (so die Briten) u. auch jetzt die Franzosen nachfolgten, durch das Signalhorn; s.u. Signal. Die Bewegungen, welche man gewöhnlich mit den Tirailleurs ausführt, sind: Avanciren, Retiriren, diese u. andere Bewegungen erfolgen im Geschwindschritt, wenn es nöthig ist auch im Deployirschritt od. im Trabe; Links u. rechts ziehen (mit Achtelwendung links u. rechts marschiren); Marsch mit Links- u. Rechtsum, findet nur selten, etwa um eine Umgehung vorzubereiten od. um einer solchen vorzubeugen, statt, meist beim Öffnen der Zwischenräume, um der Unterstützungsmannschaft Raum zu gewähren od. umgekehrt, nachdem diese wieder zurückgezogen ist, beim Zusammenrücken; rechten od. linken Flügel vor, dem Schultervornehmen in geschlossener Ordnung gleich u. höchstens den achten Theil des Kreises betragend; die verschiedenen Arten Unterstützungen vom Soutien zu erhalten u. zurückzuschicken; Sammeln, entweder auf der Stelle od. beim Zurückgehen u. so, daß die Front des Bataillons frei wird u. die gesammelten Tirailleurabtheilungen mit Rechts- u. Linksum, durch die Bataillonsintervallen, hinter die Front ihrer Abtheilung eilen, sich dort so schnell als möglich railliren (s.d.) u. in ihre Abtheilung einrücken. Erscheint unerwartet Cavallerie vor einer Tirailleurlinie, so bildet diese auf das Signal: Quarré formiren! so schnell als möglich kleine [612] Trupps, welche, nach allen Seiten Front machend, sich der Reiterei zu erwehren suchen. Ist die Gefahr vorüber, so wird auf das Signal: Schwärmen! die zerstreute Fechtordnung wieder hergestellt. Über das Benehmen des Tirailleurs im Gefecht s. Gefecht II. A). Schon die Schützen des Alterthums kämpften als Tirailleurs, u. diese Fechtweise erhielt sich nach Erfindung der Feuerwaffen bis zum 17. Jahrh. Im 17. u. 18. Jahrh. verschwanden die Tirailleurs, der Nordamerikanische Befreiungskrieg rief sie wieder ins Leben. In Europa führten sie die Franzosen im Revolutionskrieg wieder ein, u. bald folgten ihnen alle Armeen, die Sache zu verschiedenen Systemen ausbildend, von denen sich das einfache Tiraillement (Jäger, Kettentiraillement) u. das Gruppentirailiement bes. bewährt hat.