Zwerg

[766] Zwerg u. Zwergin (Nanus, Nana, Pumilio, Pygmaeus), 1) ein Mensch von ungewöhnlich kleiner Statur. Sie kommen als Ausnahmen u. Spiele der Natur unter normal gebildeten Menschen bisweilen vor. Die älteren Erzählungen von Zwergvölkern, wie von den Pygmäen (s.d.), sind längst unter die Fabeln verwiesen, denn, wenn auch das Klima u. andere endemische Einflüsse die Körpergröße der Bewohner mancher Gegenden unter die der Bewohner anderer Länder herabdrücken, so ist dies doch nicht in der Maße der Fall, daß dieselben unter die Kategorie der Z-e gestellt werden könnten. Überall wird eine Länge von weniger als 331/2 Fuß unter die Ausnahmen gehören. Eigentliche Z-e sind schon in ihrer Entwickelung während des Fötuslebens zurückgeblieben, werden meist sehr klein geboren u. erleiden fast jederzeit während der Zeit ihres ferneren Wachsthums größere od. kleinere Verunstaltungen des Körpers. So haben sie meist dicke Köpfe, kleine Beine u. verhältnißmäßig starken Körper, bleiben auch in der Entwickelung des Geistes in der Regel zurück, bleiben kindisch, während manche moralische Fehler, wie Neid, Rachgier etc., als natürliche Rückwirkung der durch ihren körperlichen Zustand verursachten Störungen, im geselligen Leben bei ihnen hervortreten; auch sind sie, ob sich gleich die Pubertät zeitig entwickelt, selten zeugungsfähig, erreichen auch selten ein höheres Alter. Der kleinste Z., von welchem man glaubwürdige Nachrichten hat, maß 16 Zoll u. wurde 37 Jahre alt. Der polnische Z. Boruslawski (s.d.) war nicht ganz 28 Zoll u. wurde fast 100 Jahre alt. Das gewöhnliche Maß ist 30 bis 40 Zoll. Eine Zwergin, Anna Therese Souvrey, aus den Vogesen, welche 33 Zoll lang war, erreichte ein Alter von 64 Jahren. Ein Z. von außerordentlich kleiner Gestalt, u. dazu völlig regelrechtem Körperbau, war Bebe (s.d.). Seiner Zeit war in Frankreich der Z. Richebourg berühmt; er war nur 60 Centimeter groß, lebte seit seinem 16. Jahre in dem Hause der Herzogin Adelheid von Orleans, der Mutter des Königs Louis Philipp, u. wurde als Kind verkleidet zur Überbringung wichtiger Depeschen gebraucht; er lebte seit der Regierung Louis Philipps ganz abgesondert in Paris u. st. 1864 im 92. Lebensjahre. In neuester Zeit ist namentlich der um 1840 in Holland geborene Z. Jean Hannema, welcher von der Königin Victoria von England den Titel Admiral erhielt, unter dem Namen Admiral Tom Pouce Trump bekannt geworden. Bei den Römern dienten in der Kaiserzeit solche Z-e zum Vergnügen reicher Leute u. wurden bei den Pantomimen verwendet, u. um solche zu erzielen, wurden kleine Kinder in besondere Kästen eingesperrt, damit ihr Wachsthum gehindert wurde. So hatte Julia einen Z., Namens Conopas, welcher nur 21/2 Fuß hoch war. Außer diesen regelmäßig gebildeten Z-en hatte man noch verwachsene, spitzköpfige, dicknasige, langohrige, blödsinnige (Moriones), an deren Häßlichkeit u. Dummheit die Besitzer sich belustigten. Auch wurden sie zum Tanzen u. zu Kämpfen mit Weibern auf dem Theater abgerichtet. Im Mittelalter dienten die Z-e zum Vergnügen bei Höfen, wo sie unter den nächsten Umgebungen u. Bedienungen vorkommen u. bes. bei Tisch die Gäste belustigen mußten; ja man verhüllte sie sogar in Pasteten, u. aus denselben hervortretend führten solche Z-e auf den fürstlichen Tafeln Tänze auf. Noch lange blieb es in der Türkei Gebrauch sich Z-e zu halten, u. wenn einer noch dazu stumm u. Eunuch war, so wurde er mit großen Summen bezahlt. – In dem religiösen Glauben der Germanen gehörten die Z-e, mit ihrem Gegensatz den Riesen (s.d.), einem frühern Menschengeschlecht an, welche sich vor dem jetzigen Geschlecht von der Erde zurückgezogen hatten u. unter der Erde od. in fernen Höhlen hausend als Untergötter schadend od. nützend mit den Menschen in Verbindung traten. Einfacher war diese Zwergenmythologie bei den deutschen Germanen (s.u. Deutsche Mythologie S. 919); ausgebildeter in der Nordischen Mythologie, wo sie (Dwergar) dargestellt werden als Maden in dem Leichname Ymirs, welche aber nachher durch den Beschluß der Götter Menschengestalt u. Verstand bekamen. Sie hausten in fernen, dunkeln Berghöhlen, hatten Kindesgestalt, waren aber in Gegensatz von den Alfen alt, häßlich, langnäsig, von dunkler od. grauer Farbe, weshalb sie auch zuweilen mit den Schwarzalfen identificirt werden. Sie zeichnen sich bes. durch geheime Kenntnisse u. Kräfte aus; sie schneiden Runen u. erklären dieselben, manche haben alle Welten durchwandert u. kennen das Wesen aller Dinge; sie besitzen eine Kunstfertigkeit, welche die aller Menschen übertrifft, sie machten z.B. Freia's goldborstigen Eber, den Ring Draupnir, Thors Hammer Miölnir, Sifs goldenes Haar, das Schiff Skidbladnir etc. Solche waren gute Z-e, welche den Göttern u. Menschen nahe standen u. durch ihre Kunstfertigkeit ihnen nützten; andere waren böse, z.B. Fialar u. Galar (s.u. Quasir). Eingetheilt wurden die Z-e nach ihren Wohnsitzen in Erd- (Staub-) Z-e;) unter ihrem Ersten Dvalin noch Nordri, Sudri, Austri u. Vestri, welche die vier Pfeiler trugen, auf welchen der Himmel ruhet (vier Himmelsgegenden), u. v. a.; u. Steinzwerge, deren Oberster Mothsognir war. Auch in den Mythen anderer Völker kommen solche wissensreiche Z-e vor, so Tages (s.d.) in der Etruskischen Mythologie; 2) (Petref.), so v.w. Belemnit.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 766.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: