Allegorie

[27] Allegorie. (Redende und zeichnende Künste)

Ein natürliches Zeichen, oder ein Bild1, in so fern es an die Stelle der bezeichneten Sache gesetzt wird. So wol in der Rede, als in den zeichnenden Künsten werden aus mancherley Absichten Gegenstände dargestellt, durch welche andre Dinge, vermittelst der Aehnlichkeit, die sie mit jenen Gegenständen haben, können erkennt werden. Das bekannte Sprüchwort: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, stellt uns einen Gegenstand aus der körperlichen Welt vor, durch welchen wir eine andre Sache errathen sollen; nämlich, daß Kinder gemeiniglich nach den Aeltern arten. Wenn das Bild und das Gegenbild zugleich dargestellt werden, so hat man eine Vergleichung oder ein Gleichnis; wird aber das Gegenbild ganz weggelassen, so hat man die Allegorie.

[27] Diese Verwechslung des Bildes mit seinem Gegenbild wird auf mancherley Weise veranlasset. Sie geschieht aus Noth, wenn es nicht möglich ist, die bezeichnete Sache selbst darzustellen, wie in dem Falle, da die zeichnenden Künste allgemeine Begriffe darstellen sollen, die kein Gegenstand des Gesichts sind: aus Vorsichtigkeit, wenn man sich nicht getraut, die Sache selbst vorzulegen, und sie lieber will errathen lassen; wie in dem Falle, da Horaz den Römern einen neuen bürgerlichen Krieg abrathen will, und aus Vorsichtigkeit blos ein Schiff anredet, dem er die Gefahr zu scheitern vorstellt:2 aus ästhetischen Absichten, der Vorstellung vermittelst des Bildes mehr Klarheit, oder mehr Nachdruk, oder überhaupt mehr ästhetische Kraft zu geben. Wenn Haller sagt:


Mach deinen Raupenstand und einen Tropfen Zeit,

Den nicht zu deinem Zwek, die nicht zur Ewigkeit;


so drükt er durch diese allegorischen Bilder das, was er von der eigentlichen Bestimmung und Kürze des gegenwärtigen Lebens hat sagen wollen, sehr viel kürzer, nachdrüklicher und sinnlicher aus, als es ohne Allegorie hätte geschehen können.

Wir wollen zuerst die Allegorie in den redenden Künsten betrachten.

Hier sind dreyerley Dinge zu untersuchen. Die Beschaffenheit und Würkung der Allegorie überhaupt; ihre verschiedenen Gattungen, jeder Gattung besondere Beschaffenheit und Anwendung; endlich die Quellen, woraus sie geschöpft werden.

Ueberhaupt liegt in jeder Allegorie ein Bild, aus welchem die Sache, die man sagen will, bestimmt und mit Vortheil kann erkennt werden. Bestimmt und mit Gewißheit; weil sonst die Allegorie ein Räthsel: mit Vortheil; weil sie sonst unnütz wäre. Daher entstehen die zwey wesentlichen Eigenschaften der Allegorie: die genaue Aehnlichkeit zwischen dem Bild und dem Gegenbild; damit dieses durch jenes sich dem Verstande sogleich darstelle: und die ästhetische Kraft des Bildes, durch deren besondere Beschaffenheit die Art der Allegorie bestimmt wird. Was hier über die Aehnlichkeit und die ästhetische Kraft der Allegorie anzumerken wäre, ist bey der allgemeinen Betrachtung der Bilder3 angeführt worden, und hier nicht zu wiederholen. Außer diesen wesentlichen Eigenschaften der allegorischen Bilder muß die Allegorie noch zwey andre haben: sie muß weder zu weit getrieben, noch einen Zusatz von dem eigentlichen Ausdruk haben. Beydes giebt ihr etwas Ungereimtes. Die Alten haben den menschlichen Körper die Kleine Welt (Microcosmus) genennt. Die Allegorie ist richtig; wer sie aber so brauchen wollte, daß er die Aehnlichkeit über die wesentlichen Theile der Vergleichung ausdehnte; wer dieser kleinen Welt ihre Planeten, Berge und Thäler, Einwohner, geben wollte, der würde die Allegorie ins Lächerliche ausdehnen. So könnte man die fürtreffliche Allegorie des Plato, in welcher die Leidenschaften mit Pferden, die vor einen Wagen gespannt sind, die Vernunft aber mit dem Kutscher verglichen werden, durch die weite Ausdehnung gänzlich verderben; denn weder die Teichsel des Wagens, noch dessen Räder, noch andre in dem Bild vorkommenden Theile haben ihr Gegenbild in der Seele. Es ist demnach bey jeder Allegorie wol in Acht zu nehmen, daß diese Nebenfachen, denen im Gegenbild nichts entspricht, entweder gar nicht genennt, oder doch nicht mit Nachdruk angezeiget werden.

Ein eben so ungeschikter Fehler ist es, wenn die Allegorie nur halb ausgeführt wird, und sich mit dem eigentlichen Ausdruk endiget. Pope sagt ganz fürtrefflich: Trinke mit vollen Zügen aus der Pierischen Quelle, oder lasse sie ungekostet. Hier berauschen sparsame Züge, und nur ein starkes Trinken macht wieder nüchtern.4 Wie lächerlich wäre es, wenn man diese Allegorie so endigen wollte: Hier berauschen sparsame Züge, aber ein starkes Trinken volendet die Gründlichkeit der Erkenntnis?

Endlich muß das Bild rein, und nicht aus mehrern Gegenständen zugleich zusammen gesetzt seyn. Eine Sache könnte durch mehr als ein Bild dem anschauenden Erkenntnis vollkommen dargestellt werden; aber die Vermischung zwey solcher Bilder in eins macht verwirrt. Man muß nicht, wie Quintilian5 sich ausdrükt, mit Sturm anfangen, und mit Feuerflammen aufhören. Dieses ist von der Beschaffenheit der Allegorie zu merken. [28] Die Würkung der Allegorie ist überhaupt eben die, welche jedes Bild hat; daß sie abgezogene Vorstellungen dem anschauenden Erkenntnis sinnlich darstellt. Nur hat sie diesen Vortheil in einem höheren Grad, als die andern Gattungen der Bilder, weil ihr die Kürze, die aus der Weglassung des Gegenbildes entsteht, eine größere Lebhaftigkeit giebt, und weil aus eben dem Grunde die ganze Aufmerksamkeit erst blos auf die genaue Vorstellung des Bildes gerichtet ist, das Gegenbild aber hernach desto genauer und schneller in seiner vollen Klarheit da steht. Wollte man diese schöne Allegorie


–– Mir ward der Becher voll Wermuth

Kaum am Rande mit Honig bestrichen, zu trinken gegeben;6


in ein Gleichnis verwandeln, so würde sie viel von ihrer Lebhaftigkeit verlieren. Sie ist also die kräftigste Art des Bildes. Daher denn auch die Gleichnisse, die der Allegorie am nächsten kommen, die lebhaftesten sind.7

Von dem Gebrauch der Allegorie ist überhaupt zu merken, daß man ihn nicht übertreiben müsse. Sie ist, als eine Würze, sparsam zu brauchen: ihr Ueberfluß würde den Geschmak für das Einfache ganz benehmen; zu geschweigen, daß die Anhäufung der Bilder den Geist verwirrt, und, anstatt einer großen Klarheit, zuletzt ein verworrenes Gemenge sinnlicher Gegenstände zurük läßt. In diesen Fehler ist der sonst so fürtreffliche Young in seinen Nachtgedanken nur gar zu ofte gefallen.

Nach diesen allgemeinen Anmerkungen können wir die besondern Arten der Allegorie betrachten, die aus der Verschiedenheit des Endzweks oder der Würkung derselben, entstehen.

Allem Ansehen nach hat die Nothwendigkeit den Gebrauch der Allegorie eingeführt. Als die Sprache noch keine Wörter hatte, allgemeine Begriffe auszudrüken, gab man einem heftigen und rachgieri-Menschen den Namen eines Hundes, oder eines andern Thieres, an dem man ähnliche Eigenschaften entdekt hatte. Damals war die Absicht der Allegorie, blos den Ausdruk der Sache möglich zu machen. Dergleichen Allegorien sind häufig in der Sprache geblieben, und haben gänzlich die Art der eigentlichen Ausdrüke angenommen.

Der nächste Gebrauch derselben wird in der Absicht gemacht, daß die ganze Vorstellung der Sache, ohne eine besondere ästhetische Kraft anzunehmen, eine feinere Wendung bekomme, daß sie auf eine von der gemeinen Art sich unterscheidende Weise gesagt werde; wodurch demjenigen, mit dem man redet, gleichsam ein Compliment gemacht wird. Diese Absicht hat Virgil in einigen seiner Eklogen gehabt. Der Dichter hätte seine Dankbarkeit gegen den Augustus, und alles, was er sonst durch diese Allegorien sagt, eben so nachdrüklich, und noch stärker, gerade zu sagen können: aber so fein und mit so gutem Witz nicht, als es durch die Allegorie geschehen ist. Dergleichen Wendung nehmen geistreiche Personen allemal, wenn sie jemand loben oder tadeln wollen. Gerade zu hat beydes etwas gar zu gemeines.

Noch wichtiger wird der Gebrauch der Allegorie, wenn zu der feinen Wendung noch die Absicht hinzu kömmt, das Gegenbild oder den Sinn der Allegorie so lange zu verbergen, bis das Urtheil darüber vor dem Einfluß aller Verblendung gesichert ist; welches man auf eine ähnliche Weise auch durch die äsopische Fabel erhält. Von dieser Art ist die bekannte Rede, wodurch der Consul, Menenius Agrippa, das römische Volk in einem Aufruhr besänftiget hat.8

In diesen beyden Arten kömmt es nicht auf eine vollkommene, sich auf die Nebenumstände erstrekende Aehnlichkeit an. Jeden besondern Umstand darinn bedeutend machen wollen, würde die Allegorie in ein Kinderspiel verwandeln. Es ist zur Absicht hinlänglich, wenn die Sache, die man sagen will, nach dem Hauptsatz anschauend in dem Bilde liegt.

Man braucht bisweilen die Allegorie in der Absicht, der Vorstellung, ohne andre Vortheile, blos Klarheit oder Sinnlichkeit zu geben, damit sie faßlicher und unvergeßlicher bleibe. Was Haller sehr kurz auf eine philosophische Art mit diesen Worten ausdrükt: Mit dem Genuß wächst die Begierd, hat Horaz in diese Allegorie eingekleidet:


Crescit indulgens sibi dirus hydrops

Nec sitim pellit, nisi causa morbi

Fugerit venis et aquosus albo

Corpore languor.9


Jener Ausdruk ist für den Philosophen, dieser für jederman. Was jener dem Verstande sagt, mahlt dieser der Einbildungskraft deutlich ab. Allegorien von dieser Art sind höchst nöthig, so oft als allgemeine,[29] wichtige Wahrheiten unvergeßlich sollen eingeprägt werden. Dieses hat die allegorischen Sprüchwörter veranlasset, die alle in diese Gattung gehören. Hiebey kömmt die Hauptsache auf die Klarheit des Bildes an, und daß es zu desto gewisserer Fassung der Sache von gemeinen Dingen hergenommen, und mit einigen sehr kurzen aber meisterhaften Zügen gezeichnet sey, wie in diesem Beyspiele:


Saepius ventis agitatur ingens

Pinus, et celsae graviore casu

Decidunt turres; feriuntque summos

Fulmina montes.10


Dergleichen Allegorien dienen aber nur, bekannte Wahrheiten dem Gedächtnisse einzuprägen. Diese haben das sinnliche Kleid um so mehr nöthig, da sie als gemeine und ohne die geringste Anstrengung faßliche Vorstellungen, wie sich Winkelmann sehr artig ausdrükt, wie ein Schiff im Wasser, nur augenblikliche Spuhren hinterlassen; da hingegen das, was uns einige Bestrebung des Geistes gekostet hat, sicherer im Gedächtnisse bleibet.

Man kann einen noch höhern Zwek der Allegorie haben, nämlich die Sache stärker und nachdrüklicher zu sagen, zugleich aber ihr auch ein größeres Licht zu geben. Von dieser Art ist die oben angeführte Hallerische Allegorie vom Raupenstand, und diese von Young. Meine Freuden, o Philander! sind mit dir verschwunden; dein letzter Athem löste die Bezauberung auf, und die entzauberte Erde verlohr alle ihre Herrlichkeit.11 Je genauer man das Bild untersucht, je mehr Leben und Kraft bekommt es, und je mehr Begriffe, die sich auf das Gegenbild beziehen. Diese Art der Allegorie hat die höchste Kraft; denn sie verbindet Sinnlichkeit, Nachdruk, Kürze, Reichthum und Deutlichkeit, und gehört deshalb zu den höchsten poetischen Schönheiten. Sie hat bisweilen eine bey nahe beweisende Kraft. Denn Wahrheiten, deren man sich nicht so wol durch einen deutlichen Beweis als durch ein schnelles Ueberschauen vieler einzelnen Umstände versichern muß, die also keines würklichen Beweises fähig sind, können durch solche Allegorien die Art des Beweises bekommen, dessen sie fähig sind. Für diese Gattung der Allegorie ist überhaupt die Anmerkung nicht zu versäumen, die über die besondere Kraft der entfernten Aehnlichkeiten gemacht worden ist.12 Denn schon dieses allein giebt ihr eine große Lebhaftigkeit. Die bereits angeführte angenehme Allegorie von einem kummervollen Leben erhält blos dadurch ihre Schönheit, daß das Bild eine sehr entfernte, und dennoch sehr richtige Aehnlichkeit mit dem Gegenbilde hat.

Etwas weniger wichtig ist die Allegorie, die hauptsächlich die Kürze des Ausdruks zum Endzwek hat. Von dieser Art ist folgendes:


Contrahes vento nimium secundo

Turgida vela.13


Auch diese von Bodmer:


– Der Tod war in allen Gestalten vorhanden,

Hieng in der Luft, und wühlt' in der Erd, und stürmte vom Meer her;

Wo man hin sah, da droht allgegenwärtig sein Antlitz.14


Endlich giebt es noch eine Gattung Allegorie, die man die Geheimnisvolle oder Prophetische nennen möchte, weil viele Weißagungen in selbiger vorgetragen worden. Sie hält das Mittel zwischen der leichtern Allegorie und dem Räthsel, und dienet, dem Votrag eine Feyerlichkeit zu geben. Sie läßt uns nur etwas von dem Gegenbild merken, und stellt einen Theil deßelben in heilige Dunkelheit. Diese Gattung schikt sich demnach in feyerliche und wichtige Handlungen, an denen höhere Wesen Antheil nehmen. Hauptsächlich kann sie in dem hohen Trauerspiel sehr gute Würkung thun.

Dieses möchten (außer der Allegorie, die allgemeine Begriffe in handelnde Personen verwandelt, davon hernach besonders wird gesprochen werden) die verschiedenen Gattungen der Allegorie seyn.

Die Quellen, woraus sie geschöpft wird, sind die Natur, die Sitten und Gebräuche der Völker, die Wissenschaften und Künste:/das Mittel aber sie aus diesen Quellen zu schöpfen ist der Wiz. Wie der menschliche Körper ein Bild der Seele ist, so ist überhaupt die sichtbare Natur ein Bild der Geisterwelt; von allem, was in dieser vorhanden ist, findet sich in jener etwas [30] ähnliches. Die vollkommenste Allegorie, die außer der Sinnlichkeit verschiedene ästhetische Kräfte vereiniget, biethet sich einem scharfsinnigen Beobachter der Natur an, der nicht blos bey dem äußerlichen stehen bleibt, sondern in das unsichtbare der Körperwelt eindringen kann. Dieses Studium ist also dem Dichter bestens zu empfehlen. Die neuern Geschichtschreiber der Natur haben den unermeßlichen Schauplaz derselben uns in einer Ordnung und Klarheit vor Augen gelegt, die den Alten unbekannt gewesen. Aber nur philosophische Dichter können auf diesem Feld erndten, und ihnen wird es nicht schwer in diesem Stük die Alten weit zu übertreffen. Ein neuerer Fabeldichter15 ist durch dieses Mittel in einer so sehr bearbeiteten Gattung noch ein Original worden. Aber unsere Odendichter haben wahrhaftig diese Quelle noch nicht recht genutzet.

Die Sitten und Gebräuche sind fürnehmlich die Quelle, woraus die leichtere Gattung der Allegorie, die hauptsächlich die Kürze und Faßlichkeit zur Absicht hat, kann geschöpft werden. Von den häuffigen Allegorien des Horaz sind die meisten daher genommen. Die Gebräuche der noch halb rohen Völker haben insonderheit noch sehr viel bedeutendes, das gute Allegorien darbiethet. So findet man Z. B. daß die alten Celten die Gewohnheit gehabt, wenn sie in ein fremdes Land gekommen sind, ihre Spieße mit der Spize vorwärts zu tragen, wenn sie als Feinde kamen und umgekehrt, wenn sie nichts feindliches vorhatten. Diese Lage des Spießes biethet sich von selbst, als eine Allegorie der feindlichen oder friedlichen Gesinnungen dar. So hat Aeschylus eine schöne Allegorie von der Gewohnheit der alten Seefahrer, die Bilder ihrer Schuzgötter auf dem Hintertheile der Schiffe zu sezzen, hergenommen.16

Die Wissenschaften und vorzüglich die Künste, die blos mit körperlichen Dingen umgehen, enthalten endlich einen großen Reichthum von Sachen die zur Allegorie dienlich sind. Sie sind dazu um soviel geschikter, je bekannter sie sind, und je leichter sie insgemein können gefaßt werden. Wer die Verrichtungen der Künstler und die Werke der Kunst in der Absicht in genaue Betrachtung nehmen wollte, das was darinn bedeutend seyn kann, zu bemerken, der würde Dichtern und Rednern gute Dienste leisten können. Unter unsern Dichtern sind Hagedorn und Bodmer am meisten beflissen gewesen aus dieser Quelle zu schöpfen. Anspielungen, Bilder, Gleichnisse und Allegorien von Künsten und Wissenschaften genommen, finden sich sehr oft bey ihnen.

Man ziehe überhaupt aus diesen Anmerkungen die Lehre, daß das Studium der Naturlehre, der Sitten und Gewohnheiten vieler Völker, der Wissenschaften und Künste einen sehr vortheilhaften Einflus nicht nur auf die Erfindung der Materie, sondern auch auf den glüklichen Ausdruk habe.

Izt müssen wir noch die allegorischen Personen, die so ofte in den Werken der Dichter vorkommen, als eine ganz eigene Gattung in Betrachtung ziehen. Sie zeichnet sich dadurch ab, daß aus Namen, oder aus Begriffen, welche diese Namen bezeichnen, handelnde Personen gemacht werden. So werden Tugenden und Eigenschaften, Liebe, Haß, Zwietracht, Weisheit, in Personen verwandelt: dieses geschieht auf mancherley Weise. Entweder blos mittelbar und im Vorbeygehen, da dem abgezogenen Begrif durch ein oder ein paar Worte eine Bestimmung gegeben wird, die nur handelnden Wesen zukommt; wie wenn der Prophet sagt: vor ihm her geht die Pest; oder unmittelbar, wenn ein solcher abgezogener Begriff einen völlig ausgebildeten Körper bekommt, auf den der Dichter unser Aug mit Verweilen richtet, wie in diesem Beyspiel:


Te semper anteit saeva necessitas

Clavos trabeales et cuneos manu

Gestans ahena, nec severus

Vncus abest, liquidumque plumbum.17


Endlich werden solchen Bildern aneinanderhängende Handlungen zugeschrieben, sie werden mit andern handelnden Personen in der Epopee, bisweilen auch im Drama eingeführt. So haben die Eris oder die Zwietracht, die Fama oder das Gerücht, Amor oder die Liebe und so viel andre allegorische Wesen bey alten und neuen Dichtern ihren Antheil an den Handlungen bekommen. Hieher gehören einigermaßen auch die ganz erdichteten Wesen, die Sylphen, Gnomen, Dryaden, Faunen u. d. gl. Darüber werden die Dichter so vielfältig getadelt, gerechtfertiget, entschuldiget und gelobet, daß der Gebrauch dieser Bilder noch unter die zweydeutigen Kunstgriffe der Dichtkunst zu gehören scheinet. [31] Von dem Gebrauch dieser Bilder in der Mahlerey, wo sie nothwendig werden, wird im nächsten Artikel gesprochen. Es ist wahrscheinlich, daß sie anfänglich aus den zeichnenden Künsten in die Dichtkunst herüber gekommen seyn: vielleicht auch aus den Hieroglyphen. Höchst wahrscheinlich ist es, daß die meisten Götter der alten heidnischen Welt, so wie viel ihrer Mythologischen Bilder, ursprünglich solche allegorische Personen gewesen sind. Beym Homer finden wir keinen wesentlichen Unterschied zwischen blos allegorischen Schattenbildern, dergleichen die Iris, die Fama, die Aurora, die Stunden, der Traum unstreitig sind, und den Göttern, die eine zuverläßigere Würklichkeit zu haben scheinen. Es scheinet sogar, daß Homer zuweilen den Jupiter und die Juno schlechthin nur als allegorische Personen ansehe.

Ueber alle diese Wesen merken wir zuvoderst an, daß sie insofern von der Allegorie verschieden sind, als sie nicht eine Verwechslung des Bildes und der abgebildeten Sache, sondern die abgebildete Sache selbst, in einer körperlichen Gestalt sind. Sie sind nicht Zeichen einer Sache, sondern die Sache selbst. Indessen können sie die Kraft der Allegorie erhalten, wenn der Körper, in welchen sie eingehüllt werden, die Beschaffenheit hat, daß das Wesen der abgebildeten Sache mit ästhetischer Kraft daraus erkennt wird. Das fürtrefflichste Beyspiel dieser Art giebt uns Miltons allegorisches Bild von der Sünde. Der Dichter stellt eine zwar nicht würkliche, aber der Einbildungskraft begreifliche Gestalt vor, deren Anschauen uns eben den Abscheu, eben den Ekel und solche Vorstellungen erwekt, welche aus überlegter Betrachtung der Sünde, die durch diesen erdichteten Gegenstand abgebildet wird, langsamer und bey weitem nicht so lebhaft, würden erwekt werden. Von dieser Art ist das Bild der Zwietracht, das Homer so kurz und so meisterhaft gemahlt hat,18 und ähnliche Erdichtungen, die bey alten und neuen Dichtern vorkommen.

Es giebt aber auch gemeinere allegorische Bilder, die weniger von dieser allegorischen Kraft haben. Aurora mit ihren Rosenfingern, die beym Homer so oft vorkömmt; die schnellfliegende Iris, selbst Amor, die Veneres und Cupidines des Tibulls thun in der Dichtkunst weit geringere Dienste, als in den zeichnenden Künsten; sie sind oft nicht viel mehr als blos ungewöhnlichere und etwas besser klingende Namen, als die eigentlichen Wörter.

Noch andre solche Wesen haben eigentlich gar keine bestimmte Gestalt, sondern setzen die Einbildungskraft blos in den Wahn, daß sie lebende Wesen sind, die einen gewissen nicht genau zu bestimmenden Charakter haben, oder die nicht einmal bestimmten Begriffen entsprechen. Von dieser Art sind die zu Personen gemachte Flüsse, Städte, Länder, die Genii einzelner Menschen und ganzer Nationen, die Nymphen, die Silphen und dergleichen Hirngespinste.

Alle diese Wesen werden entweder blos deswegen angeführt, daß sie, so wie die Allegorien, abgezogene Begriffe sinnlich machen sollen, oder man bedient sich ihrer, um die Handlungen entweder wunderbarer zu machen, oder blos zu Maschinen, Verwiklungen hervor zu bringen, oder aufzulösen.

Ueber die Zuläßigkeit des ersten Gebrauchs scheint kein Zweifel mehr übrig zu seyn, nachdem fast alle alten und neuen Dichter sich derselben bedient haben. In dieser Absicht fallen dergleichen Bilder in die Classe der eigentlichen Allegorien, die aus keiner der drey angezeigten Quellen geschöpft, sondern durch die Phantasie des Dichters hervor gebracht worden. Was also bereits von den Gattungen der Allegorie, von ihrem Gebrauche und von ihrer Beschaffenheit erinnert worden, kann ohne Mühe auf sie angewendet werden. Braucht es aber schon große Scharfsinnigkeit, eigentliche Allegorien von großer Kraft in der Natur oder Kunst aufzusuchen, so erfodern diese noch außerdem eine lebhafte Dichtungskraft, einen schöpferischen Geist, durch welchen Milton die Sünde, und Homer die Zwietracht sichtbar gemacht haben.

Die geringeren Bilder, deren Zeichnung von keiner großen Kraft ist, können, wenn sie nur recht angewendet werden, die Vorstellungen blos durch das Leben, das sie hineinbringen, angenehmer und einnehmender machen, wie an seinem Orte angemerkt worden.19 Auch können sie überhaupt der Sprache des Dichters einigermaßen den Ton der Begeisterung geben. Aber nur der feine Geschmak erreicht diese Vortheile. Umsonst führen Dichter von gemeinem Geschmak Amores und Cupidines auf, sie bleiben dessen ungeachtet abgeschmakt. [32] Ueber den Gebrauch allegorischer Wesen, als Personen, die an den Haupthandlungen Theil nehmen, sind die Kunstrichter nicht einig. Er ist hauptsächlich durch die Neuern aufgekommen. Wenigstens findet man nur selten Beyspiele davon bey den Alten, und ihr Gebrauch ist gleichsam nur im Vorbeygehen. Nur Aeschylus hat die Furien, als Hauptpersonen im Trauerspiel aufgeführt, und Aristophanes den Mars. Da aber diese Wesen in der Religion des Volks würkliche Wesen waren, so konnte dieses desto weniger bedenklich seyn. In der Fabel haben die Alten dergleichen Wesen ohne Bedenken gebraucht, wie wol ein Alter auch davon als von einer unnatürlichen Sache spricht.20 Es kann wol seyn, daß der barbarische Geschmak, der noch vor zwey Jahrhunderten geherrscht hat, den Gebrauch dieser Wesen eingeführt hat; da in den abgeschmakten dramatischen Schauspielen selbiger Zeit eine Menge allegorischer Personen handelnd eingeführt werden. Milton hat in seinem verlohrnen Paradies sich derselben als ein schöpferischer Geist bedient. Nach ihm hat Voltaire in seiner Henriade, ungeachtet er den englischen Dichter einer zu großen Kühnheit beschuldiget, einen noch kühnern Gebrauch von der Zwietracht, als einer allegorischen Person, gemacht.

Zu diesem Gebrauche der allegorischen Wesen müssen wir auch die Anruffungen an die Musen rechnen, über deren Zuläßigkeit man uneinig ist.

Diejenigen Kunstrichter, die den Gebrauch der zu Personen gemachten allegorischen Wesen erlauben, aber gar sehr einschränken,21 scheinen für beydes hinlängliche Gründe zu haben. Es wäre ungereimt, sie gänzlich zu verbieten, da sie schon in der gemeinen Rede vorkommen. Man sagt überall: der Tod hat ihn übereilt, und hundert solche Ausdrüke, die daher entstehen, daß wir auch den abgezogensten Begriffen immer etwas Sinnliches anhängen. Daher haben kurze Ausdehnungen solcher Metaphern gar nichts Anstößiges. Aber die Täuschung, die uns allgemeine Begriffe als körperliche Gegenstände vorstellt, erhält sich nur in der schnellen Fortrükung der Gedanken; durch allzu langes Verweilen wird sie aufgehoben: alsdenn finden wir das Ungereimte in der Sache. Daher ist es ein kluger Rath, daß man sich nicht zu lange bey solchen allegorischen Wesen verweilen solle.

Solche kurze Handlungen, wie in folgenden Beyspielen:


Als er mit stillem Gemüthe die große Verheißung durchdenket.

–– –– –– –– –– –– ––

Siehe! da lauschte der Tod, im Hinterhalte verborgen,

Sah ihn in stiller Betrachtung die Wege des Höchsten erforschen:

Einer von seinen sanftesten Pfeilen, in Balsam getunket,

Trifft ihn ins Herz.22


Und:


Unter dem Winseln der Sünder vergaß die Flut nicht zu steigen,

Nicht sie mit ehernen Hörnern zu fassen und dahin zu reißen,

Wo der Tod sie mit unersättlicher Mordlust erwartet.

Selbigen Tag gelang ihm das Würgen der Thier und der Menschen;

Niemals zuvor und niemals hernach gelang es ihm besser;

Denn er erwürgt mit jeglichem Streich Myriaden Geschöpfe.

Als er sie alle gewürgt, so sprach er: wie ist es so wenig.23


Dergleichen kurze Handlungen laßen uns nicht Zeit, aus der Taüschung, daß bloße Begriffe handelnde Wesen seyn, heraus zu kommen. Was der Dichter ihnen zuschreibt, kommt mit dem überein, was wir uns von ihnen einbilden und giebt unserer Einbildung mehr Lebhaftigkeit.

Aber sich lange dabey verweilen, ihre Handlung entwikeln, und so gar mancherley Nebenumstände hereinbringen, die das Gefühl von der Unmöglichkeit der Sache erweken, dieses macht die ganze Sache anstößig. Daher läßt sich begreiffen, wie so viel Personen von Geschmak es unleidlich finden, daß Voltaire die Zweytracht große Reisen thun, und mit der Politik in Unterhandlung treten läßt. Durch solche Weitläuftigkeit läßt man dem Leser Zeit sich zu besinnen und aus der hier so nothwendigen Täuschung zu kommen. Es begegnet alsdenn jederman, was seichten Köpfen, deren Einbildungskraft ohne Lebenswärme ist, schon bey ungewöhnlichen Metaphern begegnet, die bey dem Ausdruk, Der Tod fraß Menschen und Vieh, fragen, ob er denn einen Mund und einen Magen habe. Freylich wird dem, der das, was die Einbildungskraft im ganzen sinnlich faßen soll, nachdenklich zergliedern will, auch die gemeinste Metapher anstößig. Aber auch der wärmsten Einbildungskraft geschieht dieses, wenn man ihr die allegorischen Personen zu lange im Gesichte läßt, und sie, durch das umständliche in der Vorstellung, zwingt nachdenklich zu werden.

Man sucht die Sache durch die Nothwendigkeit zu rechtfertigen, die Handlung durch Einmischung [33] solcher Wesen wunderbar zu machen. Die Alten, sagt man, konnten ihre Gottheiten dazu brauchen, aber izt wäre es unanständig das höchste Wesen in politische Händel zu verwikeln; also fiele ohne jene allegorische Wesen das wunderbare, das der Epopee so wesentlich ist, weg. Allein wenn dieses seine völlige Nichtigkeit hätte, welches wir doch nicht zugeben können, so würde dadurch eine schlechterdings anstößige Sache zwar entschuldiger, aber nicht bewiesen, daß sie schön sey. Das große und wunderbare der Ilias kommt wahrlich nicht blos von der eingemischten Handlung der Götter her, und in Oßians Epopeen sind weder Götter noch allegorische Wesen.

Ganz erdichtete Wesen, Sylphen, Genii und dergleichen werden uneigentlich allegorische Wesen genennt: sie sind es nur in den zeichnenden Künsten. Die Betrachtungen über ihren Gebrauch finden sich an einem andern Orte, und werden hier nicht wiederholt.24

Allegorie in zeichnenden Künsten. Eigentlich können diese Künste nur einzele Dinge, und von Begebenheiten nur das, was auf einmal, oder in einem untheilbaren Augenblik hervorgebracht wird, vorstellen. Durch die Allegorie wird darin das unmögliche möglich gemacht. Allgemeine Begriffe werden durch einzele Gegenstände, und auf einander folgende Dinge auf einmal, vorgestellt. Die Allegorie in den zeichnenden Künsten ist von der höchsten Wichtigkeit, weil sie dadurch ihre höchste Kraft erreichen. Zwar giebt es Liebhaber, die eine starke Abneigung gegen die Allegorie in der Mahlerey haben; und es ist nicht zu leugnen, daß die meisten allegorischen Gemälde diese Abneigung zu rechtfertigen scheinen. Entweder sind sie ohne Geist und Kraft blos von willkührlichen, mehr hieroglyphischen als würklich allegorischen Bildern, zusammengesezt, oder so unverständlich, daß nur ein Oedipus ihre Bedeutung errathen kann. Dieses aber beweißt blos, daß schlechte Allegorien keinen Werth haben. Würden Kenner der Natur und des Alterthums den Künstlern beystehen, so könnte diese Art leicht zu einer größern Vollkommenheit gebracht werden. Wir wollen uns deßwegen nicht verdrießen laßen, diese Sache in die genauste Untersuchung zu nehmen.

Hier ist die Allegorie die Vorstellung des Allgemeinen durch das Einzele oder Besondere. Einen besondern Fall vorstellen, da ein Mensch gerecht oder wolthätig handelt, dies ist der gemeine oder natürliche Ausdruk der zeichnenden Künste; aber die Gerechtigkeit oder die Wolthätigkeit allgemein und durch natürliche Zeichen vorstellen, ist Allegorie. Sie ist aber nicht blos auf Begriffe eingeschränkt, sondern erstrekt sich auch auf ganze Vorstellungen, darin verschiedene Begriffe in Eins verbunden werden; sie kann allgemeine Wahrheiten vorstellen, und wird dadurch zu einer würklichen Sprache. Sie ist von der Sprache wesentlich durch die Natur der Zeichen unterschieden, die in der Sprache willkührlich, in der Allegorie natürlich sind. Daher ist die Sprache nur denen verständlich, die von der Bedeutung der Wörter unterrichtet sind, die Allegorie muß ohne Unterricht über die Bedeutung verständlich seyn. Sie ist eine allgemeine Sprache, allen Menschen von Nachdenken verständlich, wenn sie gleich keinen Unterricht darin gehabt haben.

Man muß sie nicht mit der Bildersprache verwechseln, die durch willkührliche Zeichen spricht. Dieser wollen wir den Namen der Hieroglyphen zueignen. Sie kommt mit der gemeinen Sprache darin überein, daß sie nur denen verständlich ist, welchen die Bedeutung ihrer Zeichen erklärt worden ist. Es ist um so viel nöthiger, diese Begriffe genau zu fassen, da sie oft selbst von Kennern verwechselt werden. Ein solcher hat, zum Beyspiel, eine Erfindung des Augustin Carrache, als eine schöne Allegorie gelobt, die keine Allegorie, sondern eine Hieroglyphe oder ein so genanntes Rebus, ein bloßes Wortspiel ist. Das Gemählde stellt den Gott Pan vor, den Amor überwunden hat, und dieses soll den allgemeinen Satz ausdrüken, die Liebe überwindet alles.25 Die ganze Erfindung gründet sich darauf, daß der Name des Gottes Pan in der griechischen Sprache alles bedeutet. Dergleichen Hieroglyphen schließen wir von der Allegorie aus.

Doch müssen wir, um dem Gebrauch und vielleicht auch der Nothwendigkeit etwas nachzugeben, hierüber nicht allzustrenge seyn. Es ist manches hieroglyphisches Bild so unwiederruflich in die Allegorie aufgenommen worden, daß es durchgehends für würklich allegorisch gehalten wird. Eine weibliche Figur mit Spieß und Schild, einem Helm auf dem Kopfe, auf welchem eine Nachteule sitzt, und [34] mit einem Brustharnisch, ist kein natürliches Zeichen der Weisheit, und also keine wahre Allegorie. Indessen ist es unwiederruflich dafür angenommen. Man ist es gewohnt, vielen blos hieroglyphischen Zeichen der Alten den Rang der wahren allegorischen Bilder zu lassen, weil wir von Kindheit auf so daran gewohnt werden, daß sie uns wie natürliche Zeichen vorkommen.

Bey dieser Gelegenheit ist hier auch noch vorläufig zu erinnern, daß in der Absicht, in welcher die redenden und zeichnenden Künste die Allegorie brauchen, sich ein Unterschied findet, der diesen etwas mehr Freyheit als jenen erlaubt. Die Rede kann sich überall des eigentlichen Ausdrukes bedienen, und geht deswegen davon nicht ab, als wenn es mit merklichem Vortheil geschieht. Es würde ein Fehler seyn, die allegorische Sprache zu brauchen, wo sie nichts anders ausrichtet, als die gemeine Sprache. Die zeichnenden Künste haben für allgemeine Begriffe und Sätze keine eigentliche Sprache. Also ist ihnen erlaubt, wenn es auch ohne Verstärkung des Nachdruks geschieht, allegorisch zu seyn, und ihre Zeichen blos in die Stelle der gemeinen Sprache zu setzen. Es ist nicht allemal ein Fehler, wenn ihre Allegorie die Sachen nicht stärker sagt, als der gemeine Ausdruk der Rede. Wenn z. B. auf einer alten römischen Schaumünze das Reich unter einer zu Boden gesunkenen Person vorgestellt wird, die durch den Kaiser Vespasianus wieder aufgerichtet wird, so sagt diese Allegorie nicht das geringste mehr, auch mit nicht mehr Kraft, als es der eigentliche Ausdruk der Sprache, er hat das gefallene Reich wieder her gestellt, sagen würde. Hier muß dem Zeichner schon zum Verdienst angerechnet werden, was bey dem Redner noch keiner wäre. Man muß also in zeichnenden Künsten das schon für Allegorie gelten lassen, was in den redenden noch gemeiner Ausdruk wäre. Indessen verdienen immer diejenigen Allegorien unsre vorzügliche Achtung, welche allgemeine Sachen nicht blos verständlich, sondern auch noch mit Kraft und ästhetischem Vortheile ausdrüken.

Nun wollen wir die Gattungen der Allegorie näher betrachten. Nach dem Unterschied ihrer Bedeutung sind sie von zweyerley Art: entweder stellen sie uns blos einen einzigen unzertrennbaren Gegenstand vor; ein unsichtbares Wesen, einen Begriff, eine Eigenschaft – oder sie verbinden deren mehrere, um eine Handlung, eine geschehene Sache, oder eine aus vielen Begriffen zusammengesetzte Vorstellung auszudrüken. Die erste Art wollen wir allegorische Bilder, die andere Art allegorische Vorstellungen nennen. Sehen wir auf den Unterschied in der Materie der Allegorie, so ist sie auch von zwey Arten. Die eine nimmt ihre Bilder ganz aus der Natur, indem sie z. B. die Arbeitsamkeit durch eine Biene vorstellt; die andere erdichtet die Bilder ganz oder zum Theil. Jener sollte man den Namen des Sinnbildes geben, dieser aber den Namen der eigentlichen Allegogorie.

Wir betrachten also zuerst die allegorischen Bilder, sie seyen Sinnbilder oder eigentliche Allegorien. Die gemeineste Gattung derselben ist die, die weiter keinen Vortheil hat, als daß sie die Vorstellung der Sache möglich macht. Sie thun nichts mehr, als ein lateinisches Wort in der deutschen Sprache, wenn diese keines hat, dieselbe Sache auszudrüken. So sagt uns das Bild einer Frauensperson, mit einer geschloßenen Crone auf dem Kopf und in einem mit goldenen Lilien bezeichneten Mantel, nichts mehr, als das Wort Frankreich sagen würde. Sie sind von zweyerley Art: solche die blos die Namen der Sache bezeichnen, oder sie schlechtweg nennen, wie z. E. der Frosch und der Eidex in zwey Jonischen antiken Voluten, welche die Baumeister Batrachus und Saurus bezeichnen sollen;26 oder sie zeigen die Sache durch eine ihrer Eigenschaften an, wie die Vorstellung der Stadt Damaskus durch das Bild einer Frauensperson, die Pflaumen in der Hand hält27 welche Frucht dieser Stadt vorzüglich eigen war. Von diesen Arten sind ungemein viel allegorische Bilder; sie sind im Grunde bloße Hieroglyphen; die aber deshalb, wie kurz vorher ist angemerkt worden, nicht zu verwerffen sind. Die Noth hat sie eingeführt.

Einen höhern Rang verdienen die Bilder, die uns nicht blos schlechthin die Namen und das sichtbare der Dinge anzeigen, sondern zugleich etwas von ihrer Beschaffenheit vorbilden. Sie gleichen den viel bedeutenden Wörtern, deren Ableitung oder Zusammensezung uns schon einigermaaßen die Erklärung der Sache giebt, sind natürlich bedeutende Zeichen. So ist das Sinnbild der Seele oder der Unsterblichkeit, welches die Alten durch einen Schmetterling ausdrüken. Es zeigt nicht [35] blos die Unsterblichkeit an, sondern auch, daß die Seele erst denn in ihr rechtes Leben komme, nachdem sie die Hülle des Körpers abgelegt hat. Das allegorische Bild der Gerechtigkeit mit verbundenen Augen und der Waage in der Hand drükt nicht blos das Wort Gerechtigkeit aus, sondern auch die Eigenschaft derselben, daß sie sich durch kein Ansehen und keinen Schein verblenden lasse, daß sie nicht voreilig sey, sondern das Recht auf das Genaueste abwäge.

Daß diese Bilder jenen weit vorzuziehen seyen, darf nicht erinnert werden. Eine wichtigere Bemerkung aber ist es, daß der Künstler, dem es nicht an Genie fehlt, einem an sich wenig bedeutenden Bilde durch Anbringung charakteristischer Züge, eine natürliche Bedeutung geben könne. So hat Poußin auf eine geistreiche Art den Nil bezeichnet, indem er ihm den Kopf in Schilf verstekt hat, um anzuzeigen, daß sein Ursprung noch nicht entdekt worden. Bilder von Sachen die sinnliche Eigenschaften haben, von Ländern, Städten, Flüssen, können auf diese Weise durch Zusätze bedeutender gemacht werden. Es geht auch mit solchen an, die blos abgezogene Begriffe vorstellen. So hat ein griechischer Künstler, Namens Buphalus, die Fortuna, oder das Glük auf diese viel bedeutende Art abgebildet, daß er ihr eine Sonnenuhr oder einen Gnomon auf den Kopf und ein Horn des Ueberflusses in die Hand gegeben.28 Unter den geschnittenen Steinen, die Mariette herausgegeben hat, ist einer mit einem Bilde, das für eine viel bedeutende Allegorie der Dichtkunst kann gebraucht werden. Ein Genius sieht auf einen Gryph; die rechte Hand lehnt sich auf eine Leyer, die auf einem, auf einen Würfel gesetzten, Dreyfuß steht. Der Würfel kann die Richtigkeit der Gedanken, der Dreyfuß die Begeisterung, die Leyer die Harmonie bedeuten; die drey wesentlichen Eigenschaften eines Gedichts.29

Diejenigen allegorischen Bilder, die aus menschlichen Figuren bestehen, können durch Stellung, Charakter und Handlung die höchste allegorische Vollkommenheit erreichen. Durch dieses Mittel können die an sich so wenig bedeutenden Allegorien der Städte und Länder, sobald sie bey besondern Gelegenheiten gebraucht werden, höchst nachdrüklich seyn, wenn der Künstler den Ausdruk in seiner Gewalt hat, wenn etwas von dem Geist in ihm wohnt, durch welchen Aristides geführt, den Charakter des atheniensischen Volks in einer einzigen Figur ausgedrükt hat. Wie grosse und mannigfaltige Kraft liegt nicht in dem Bild der Verläumdung, das Apelles gemahlt hat?30 Und wie höchst fürchterlich ist nicht das Bild des Krieges beym Aristophanes,31 da Mars, ein sonst wenig bedeutendes Bild, in einem ungeheuren Mörsel Städte und ganze Länder zermalmet?

Freylich gehört zu dergleichen Bildern ein Genie das nur Künstlern vom ersten Range zu Theil geworden. Unter der unzählbaren Menge allegorischer Bilder auf den Münzen der Alten finden sich nur wenige, unter denen die Winkelmann in seinem Werk von der Allegorie in ein Verzeichnis gesammelt hat, kein einziges, von grosser ästhetischer Kraft. Das höchste in dieser Gattung trift man in den Bildern der Gottheiten an, die einigermaßen unter die allegorischen Bilder können gerechnet werden.32 Des Phidias Jupiter war nichts anders, als ein allegorisches Bild der Gottheit; und der berühmte Apollo in Belvedere, was ist er anders, als eine vollkommene Allegorie der Sonne, deren immerwährende Jugend, deren reizende Lieblichkeit und niemals ermüdende Würksamkeit, in diesem wundervollen Bilde dem Auge zu sehen gegeben wird?

Künstler sollen hieraus lernen, wie selbst solche Bilder, die an sich von schwacher Bedeutung sind, durch das wahre Genie zum höchsten Ausdruk können erhoben werden. Sie sollen aber zugleich erkennen, daß die Bilder diese hohe Kraft nicht durch schwache Zeichen, die man attributa nennet, erhalten. Sie sollen lernen, daß es nicht genung ist der Gerechtigkeit die Waage in die Hand zu geben; sondern die Themis mit dem ihr eigenen göttlichen Charakter zu bezeichnen, wie Jupiter und Apollo in jenen erhabenen Bildern, mit dem ihrigen bezeichnet worden. Nicht der witzige Künstler, der kleine und subtile Aehnlichkeiten bemerket, sondern der grosse Geist, der jede Eigenschaft des Geistes, jede Empfindung der Seele sichtbar machen kann, ist in solchen Erfindungen glüklich.

Zwar gehört auch das kleinere der Zeichenkunst, zur glüklichen Allegorie, um auf das wesentliche zu führen, und die Deutung zu erleichtern. Wir wollen das Bild des Mondes auf der Stirne der Diana nicht verwerfen; es leitet uns auf die [36] Deutung; nur muß der Künstler sich nicht einbilden, damit der Allegorie Genüge geleistet zu haben, und sich übrigens mit jeder weiblichen Figur, die dieses Zeichen trägt, begnügen. Diese kleinere, ohne weitere Kraft redende Zeichen, sind in dem allegorischen Bilde um so viel nöthiger, da die zeichnenden Künste sonst, bey ihren kräftigsten Bildern, uns oft in Ungewißheit lassen würden. Würde es einem Künstler auch noch so sehr glüken, in dem Bilde des Saturnus die Zeit auszudrüken, so wird ihm noch überdem das Stundenglas, oder ein anderes Zeichen dieser Art, nicht unnütze seyn; weil erst dieses uns gleichsam den Namen des Bildes angiebt, dessen Eigenschaften hernach aus seinem Charakter zu erkennen sind. Der Zeichner ist hierin ungemein viel eingeschränkter, als der Dichter. Dieser bringt seine Allegorie in dem Zusammenhang an, der leicht auf die Deutung derselben führet: jener muß gar zu oft sein Bild allein hin setzen, wo außer ihm nichts ist, das seine Deutung erleichtert. Darum muß er nothwendig auf Nebensachen sehen, die dieses thun. Nur muß er, wie gesagt, sich damit nicht begnügen, sondern auf das Große im Ausdruk arbeiten. Wenn das, was man uns von der Geschiklichkeit der alten Mahler und Bildhauer berichtet, wahr ist; so haben viele derselben den Geist gehabt, Bilder, wie wir sie hier fodern, würklich zu machen; so muß ihnen in der Allegorie, dem schweersten Theile der Kunst, nichts unmöglich gewesen seyn. Konnte Euphranor den Paris so mahlen, daß man in ihm den Schiedsrichter der Schönheit, den Entführer der Helena, und zugleich den, der den Achilles erlegt hat, erkannte;33 so müßte wahrlich dem Euphranor in der Allegorie nichts zu schweer gewesen seyn. Wir haben an einem andern Orte34 unsre Meynung über diese und ähnliche Nachrichten von der Kunst der Alten gesagt. Aber es ist in Wahrheit dem Genie mehr möglich, das der Verstand begreift, und deswegen nicht ohne Nutzen, daß neuere Künstler durch das Beyspiel der alten, wenn es auch übertrieben ist, gereizt werden. Kunstrichter müssen es machen, wie der Philosoph Diogenes in der Moral; sie können immer den Ton etwas zu hoch angeben.

Es wäre zu wünschen, daß jemand alle allegorische Bilder der Alten aus allen Schriften und Cabinetten zusammen suchte, und daraus eine bessere Iconologie machte, als die Ripa gegeben hat. Oft fehlt einem Künstler von Genie nichts, als daß er wisse, was andern vor ihm schon möglich gewesen. Hätten doch Leßing und Klotz, die so manchen Schriftsteller durchsuchen, um einen eben nicht sehr wichtigen Streit fortzusetzen, ihre Bemühung hierauf gewendet!

Den nächsten Rang nach den einzeln allegorischen Bildern nehmen die allegorischen Vorstellungen ein, welche gewisse Lehren oder allgemeine Sätze ausdrüken. Hier gilt der so gar oft zur Unzeit angeführte Ausspruch des Horaz:


Segnius irritant animos demissa per aurem

Quam quae sunt oculis subiecta fidelibus ––


Wenn übrigens ein allegorisches Gemähld eine Wahrheit mit nicht mehr Kraft sagt, als es durch den Ausdruk der Rede würde geschehen seyn, so hat es den Vortheil der Lebhaftigkeit; weil wir hier sehen, was wir dort blos im Verstande oder in der Einbildungskraft, dem bloßen Schatten der Sinnen, vor uns haben. Kommt zu diesem Vortheil der allegorischen Vorstellung noch die innerliche Vollkommenheit derselben, so wird ihre Würkung so stark, daß sie alle poetische Kraft weit übertrifft; und hierin liegt eben der höchste Endzwek der Kunst.

Es sey mir vergönnt, hier eine Anmerkung zu machen, die vermuthlich noch an mehrern Orten dieses Werks vorkommen, aber nicht zu oft wiederholt werden, kann. Es ist ein großer Mißbrauch der Kunst, daß noch so sehr durchgehends ein vollkommener Pinsel mehr, als eine vollkommene Erfindung gelobt wird. Dieses heißt Mittel ohne Endzwek schätzen. Die meisten Kenner gleichen dem Geizhals, der sich blos im Besitz eines Mittels, das er niemals zu brauchen gedenket, selig preist. Die glükliche Erfindung einer wichtigen Allegorie giebt einem Gemählde einen größern Werth, als es selbst von Titians Pinsel erlangen würde, wenn dieser nicht mit höherm Verdienst verbunden ist. Aber die Laufbahn, die nach diesem[37] Ruhme führet, kann nur von Genien der ersten Größe glüklich betreten werden. Wenige sind hierin glüklich gewesen, und dieser Theil der Kunst ist wahrlich die schwache Seite der neuen Zeichner, und noch mehr Blöße zeigen die Liebhaber hierin. Man fährt noch immer fort, die elenden und zum Theil kindischen Erfindungen des Otto Venius, welche wichtige Lehren des Horaz ausdrüken sollen, zu loben. Merke es, Sammler der Kupfer. Ich sage nicht, daß Venius ein schlechter Zeichner gewesen, sondern daß seine Horazischen Sinnbilder elende Erfindungen seyn!

Man kann die ausgeführteren allegorischen Vorstellungen in Ansehung des Inhalts in drey Gattungen eintheilen. In physische, in moralische und in historische. Es ist der Mühe werth, hierüber etwas umständlich zu seyn. Physische Vorstellungen sind solche, da ein Gegenstand aus der Natur in einem etwas ausführlichern allegorischen Gemählde vorgestellt wird. Eine Jahrszeit, die Nacht, oder eine andre Tageszeit; eines der drey Reiche der natur; die Natur selbst, im Ganzen betrachtet, und dergleichen. Wir sprechen hier nicht von blos einzeln Bildern solcher Gegenstände, sondern von ausführlichen Vorstellungen, die im Gemählde das sind, was Kleists Frühling oder Zachariäs Tageszeiten in der Dichtkunst. Solche Gemählde stellen einige der wichtigsten Eigenschaften des Gegenstandes, den sie mahlen, vor. Hätte Pesne seinen Vorsatz ausgeführt, ein Dekengemälde, das er in Rheinsberg35 gemahlt hat, und darin der Anbruch des Tages vorgestellt ist, in Kupfer äzen zu lassen, so würde dasselbe hier als ein schönes Beyspiel dieser Art können angeführt werden. Dergleichen Vorstellungen können eben so ausführliche Bilder natürlicher Gegenstände geben, als die sind, die Dichter uns vormahlen. Sie sind gemahlte Gedichte, deren Inhalt aus der sichtbaren Natur genommen, aber mit sittlichen und pathetischen Gegenständen untermenget ist.

Die zweyte Gattung dieser Vorstellungen kann die moralische genennet werden. Sie stellt allgemeine Wahrheiten und Beobachtungen aus der sittlichen Welt vor. So ist die Beobachtung, daß Dichtkunst und Musik große Kraft haben, die Liebe hervor zu bringen, auf einem geschnittenen Stein36 allegorisch also vorgestellt. Amor bittet den Apollo inständig und etwas ungeduldig, ihm seine Leyer zu geben. Auf einem andern bekannten Stein reitet Amor auf einem Tyger oder Löwen, um anzudeuten, daß die Liebe auch die wildesten Gemüther zahm mache. Diese Allegorie kann mehr oder weniger ausführlich seyn. Das schon erwähnte Gemählde von der Verläumdung ist ausführlich, und giebt uns durch mancherley lebhafte Züge die Schändlichkeit dieses Lasters zu fühlen. Solche Gemählde sind von den Allegorien der Rede nur darin unterschieden, daß sie dem Auge vorbilden, was die andern der Einbildungskraft durch Wörter vorstellen. Die Anmerkung, die dem Pythagoras zugeschrieben wird, daß in den Staaten, die eine Zeit lang im Wolstande gewesen, zuerst die Ueppigkeit sich einschleicht, hierauf der Ueberdruß, denn unnatürliche Ausschweifungen, auf welche zuletzt der Untergang folget, ist schon ein Gemählde. Der Mahler darf es nur aus der Einbildungskraft auf die Leinwand bringen.

Die dritte Gattung endlich ist die historische; da Begebenheiten entweder blos angezeiget, oder umständlicher vorgestellt werden. Im ersten Falle entsteht die gemeine historische Allegorie, dergleichen man so häufig auf den Münzen der Alten und neuen antrifft; der andre Fall giebt die höhere historische Allegorie, zu welcher die bekannten Gemählde des Le Brün, worauf einige Thaten Ludwigs XIV. vorgestellt sind, gehören. Diese Allegorie scheint das höchste und schweerste der Kunst zu seyn, das nur Mahler vom ersten Range erreichen. Schon in redenden Künsten ist dieses das schweerste, daß eine große Begebenheit oder Handlung, in einem merkwürdigen Gesichtspunkte gefaßt, durch eine einzige Periode der Rede so ausgedrukt werde, daß wir durch Hülfe eines Hauptbegriffs das Besondere derselben übersehen können.

Wer darinn glüklich seyn will, der muß nicht nur, wie der große Redner, ungemein viel zusammen zu fassen, sondern es noch überdies sichtbar zu machen wissen. Darin liegt der Grund der so sehr großen Seltenheit fürtrefflicher Allegorien dieser [38] Art, deren Kunst etwas näher entwikelt zu werden verdienet. Die allegorische Vorstellung einer Begebenheit hat eigentlich nichts erzählendes; denn sie stellt nicht so wol die Begebenheit, als eine wichtige viel sagende Anmerkung über dieselbe vor, dergleichen etwa große Geschichtschreiber machen, da sie eine Begebenheit in einem besonders merkwürdigen Gesichtspunkt vorstellen, wie es Tacitus oft thut, als: breves et infaustos populi romani amores.37 Ihr Endzwek geht nicht auf die Ueberlieferung der Geschichte, dieses kann auf eine leichtere und bessere Art geschehen; sondern auf die Darstellung derselben in einem sehr lebhaften Gesichtspunkte. Dieses Geschäfft ist für den Geschichtschreiber schon sehr schweer, für den Mahler ist es ein Gipfel der Kunst, den die größten Meister selten glüklich erreichen. Die Geschichte, welche dabey zum Grunde gelegt wird, muß sehr bekannt, zugleich aber entweder in ihren Absichten, oder in ihren Umständen, oder in ihren Folgen, etwas allgemein merkwürdiges haben. Dieses Allgemeine macht eigentlich das Wesen der Allegorie aus.

In der Gallerie von Düsseldorf ist ein Gemählde von Raphael, das einen Jüngling in dikem Gebüsche an einer Quelle sitzend vorstellt, aus welcher er Wasser geschöpft, das er in einer Schaale vor sich hält. So weit ist dieses Stük blos historisch, und mehr kann ein gemeiner Mahler auch mit Titians Pinsel nicht ausdrüken. Aber Raphael wußte in dieser einzelnen Figur hohe Gedanken, ein so erhabenes Nachdenken über eine Schaale voll Wasser auszudrüken, daß man in dem Jüngling Johannes den Täufer erkennt, der in der Wüste seinen göttlichen Beruf überdenkt, und itzt glaubt man, seine erhabene Gedanken über die Taufe selbst zu empfinden. Dieses gränzet nun schon an die hohe Allegorie. Wer nur Körper mahlen kann, muß sich daran nicht wagen. Wenn er auch für jeden einzeln Begriff ein noch so richtiges Bild hätte, so würde der doch nur eine leserliche Hieroglyphe, aber keine Allegorie darstellen. Diese muß uns nicht den Buchstaben der Geschichte, sondern ihren Geist geben.

Darauf kommt es also zuerst an, daß der Künstler in dem Körper der Begebenheit, die er allegorisch vorstellen will, eine Seele entdeke, und denn, daß er das unsichtbare Wesen derselben sichtbar mache. So müßte uns ein allegorisches Gemählde von Alexanders Eroberungen des persischen Reichs, nicht Schlachten und Feldzüge, sondern entweder edle Rachgier, die, von einem übermüthigen Fürsten, an einem freyen Volke verübte Gewaltthätigkeit, zu rächen; oder ausschweifende Herrschsucht mit allen ihren übeln Folgen, wenn sie einem schon mächtigen Fürsten von großem Verstande beywohnet; oder etwas dergleichen vorstellen, das uns gleich in einen Gesichtspunkt stellt, aus welchem wir die Sache im Ganzen übersehen können. Hat der Künstler die Seele seiner Geschichte erst entdeket, so wird es ihm nicht sehr schweer werden, das besondere, wodurch die Begebenheit angezeiget werden kann, zu erfinden. Personen, Zeiten, Oerter lassen sich endlich ohne Namen und Schrift noch wol kenntlich machen.

Wenn es wahr ist, was uns die Alten von dem Mahler Aristides sagen, daß er in einem einzigen Bilde den aus widersprechenden Zügen zusammen gesetzten Charakter des atheniensischen Volks richtig ausgedrükt habe; so dürfen wir hoffen, daß uns einmal die Kunst allegorische Gemählde, wie etwa die folgenden dem Inhalte nach wären, liefern möchte. Die Verbesserung der Sitten durch die Wiederherstellung der Wissenschaften; das große Werk der Kirchenverbesserung in seinen wichtigsten Folgen oder in seinen Ursachen; die Entdekung der neuen Welt durch den Columbus in einigen der wichtigsten Würkungen derselben. Dergleichen Vorstellungen sind nicht gemahlte Erzählungen, wie so viel halb allegorische und halb historische Gemählde, sondern Vorstellungen von der Natur oder von der Würkung gewisser Handlungen. So viel war hier über die Beschaffenheit der Allegorie, über ihre Arten und über den Werth derselben zu sagen. Folgende Anmerkungen beziehen sich auf die Erfindung und auf den Gebrauch derselben.

Die Vollkommenheit der Allegorie hängt größtentheils von der glüklichen Erfindung einzeler allegorischer Bilder ab. Eine Sammlung der besten schon vorhandenen Bilder mit genauer Beurtheilung ihres Werths würde den Künstlern diesen so wichtigen Theil der Kunst sehr erleichtern. Winkelmann hat einen Anfang dazu gemacht; aber es fehlt noch immer an der Entwiklung einleuchtender Grundsätze zu Erfindung der Bilder. Für denjenigen, der auf diesem Pfad gründlichen Ruhm [39] zu erwerben sucht, möchten folgende Anmerkungen von einigem Nutzen seyn.

Bloße Hieroglyphen, die aus Noth gebraucht werden, lassen sich am leichtesten erfinden. Ein Wapenschild, eine äußerliche in die Augen fallende Sache, ist dazu schon hinlänglich. Doch sollten bloße Anspielungen auf Namen, wie ein Mann zu Pferde, um den Namen Philippus anzuzeigen,38 wenn sie gleich in den Antiken häufig vorkommen, verbannet werden. Dergleichen Bilder konnten nur zu der Zeit entschuldiget werden, als man noch nicht schreiben konnte, und sollten auch itzt nicht gebraucht werden, als da, wo die Schrift oder ein anderes Zeichen schlechterdings unmöglich ist. Unter die Hieroglyphen, die in der Allegorie gute Dienste thun, rechnen wir auch solche Zeichen, welche zwar keine natürliche, aber eine in den Gebräuchen gegründete Bedeutung haben. So sind Zepter und Kronen, Könige und Regenten zu bezeichnen, Widderköpfe und Opferschaalen in den dorischen Friesen, wodurch Tempel angedeutet werden, Kriegsarmaturen auf Zeughäuser u. d. gl. Dergleichen Bilder haben keine Schwürigkeit. Eine gute Bekanntschaft mit den Gebräuchen der Völker giebt sie von selbst an die Hand.

Wahre allegorische Bilder, welche eine Eigenschaft der Sache, die sie vorstellen, ausdrüken, sind schweer zu erfinden. Dazu gehört, daß man die Begriffe der Sachen, welche vorzustellen sind, deutlich entwikle, und in ihrer größten Einfalt sehe, besonders das Eigenthümliche, was die Sache am gewissesten bezeichnet, deutlich fasse. So hat jede Tugend außer dem, was sie mit den übrigen gemein hat, etwas Eigenthümliches und Bezeichnendes, entweder in ihrem Ursprung oder in ihrer Würkung; für diese muß der Künstler ein Zeichen finden. Hiezu dienet, was anderswo39 von Erfindung der Bilder überhaupt ist angemerkt worden. Alle dort angeführte Arten der Bilder haben hier statt.

Einige allegorische Bilder haben die Natur der Beyspiele, wie Orestes und Pylades, als ein Bild der Freundschaft; andere der Gleichnisse, wie ein Schiff mit aufgeblasnen Seegeln, als ein Bild des glüklichen Fortganges; andere der eigentlichen Allegorie, wie ein Sieb, das zum Wasserschöpfen gebraucht wird, als ein Bild einer eiteln Unternehmung. Die Wahl dieser Gattungen der allegorischen Bilder wird durch die besondern Umstände, darinn man sie braucht, bestimmt. So könnte zum Exempel in einem Gemählde, da zwey Männer sich über einen vor ihnen stehenden Jüngling ernstlich unterreden, der Inhalt ihrer Unterredung durch die Allegorie des Beyspiels deutlich ausgedrükt werden. Wenn einer der beyden Männer auf ein in dem Zimmer hangendes Gemählde deutete, das den Achilles vorstellt, als Ulysses an dem Hofe des Lykomedes ihn ausforscht. Denn dadurch würde angedeutet, daß die Unterredung den natürlichen Beruf des Jünglings zu einer gewissen Lebensart zum Inhalt habe. Hingegen drükt ein einziges allegorisches Bild des Schmetterlings, auf welchen Sokrates, in ernsten Betrachtungen vertieft, seine Augen heftet, hinlänglich aus, daß er über die Unsterblichkeit denke.

So muß die Wahl der Bilder allemal durch den Gebrauch derselben bestimmt werden. Bilder der eigentlichen Allegorie bekommen ihre Bedeutung fürnehmlich, wenn sie nicht für sich da stehen, sondern geschikt mit andern Gegenständen verbunden sind. So können Mohnköpfe verschiedene Bedeutungen haben. In einen Kranz um die Schläfe einer ruhenden Person gewunden, bedeuten sie den Schlaf. Es wäre aber auch leicht, sie in anderer Verbindung zum Bilde der Fruchtbarkeit zu machen.

Also gehört es zur Erfindung der Bilder, daß man ihren Gebrauch genau vor Augen habe. Diejenigen scheinen die besten zu seyn, welche als Attributa oder Kennzeichen menschlichen Figuren beygelegt werden; weil sie auf diese Art mit der Vorstellung einer Handlung können begleitet werden, wodurch ihre Bedeutung viel größer und auch kräftiger wird. So könnte die Eitelkeit, sich andern zur Bewundrung darzustellen, durch das Bild eines Pfauen wol ausgedrukt werden; aber brauchbarer wird die Allegorie, wenn man eine weibliche Figur dazu wählt, an der man die Pfauenfedern als ein Abzeichen anbringt. Denn dadurch hat man Gelegenheit, durch den Ausdruk des Charakters, durch Stellung und Handlung die Allegorie viel bestimmter und nachdrüklicher zu machen, deswegen haben die griechischen Künstler so viel allegorische Personen erdacht. Ein sehr schönes Beyspiel ist das oben erwähnte Bild der Nothwendigkeit aus dem Horaz. [40] Von der glüklichen Erfindung einzeler Bilder hängt auch die Erfindung ganzer Vorstellungen ab, sie seyn von der physischen, moralischen oder historischen Gattung. Diese Vorstellungen müssen nothwendig durch handelnde Personen angedeutet werden; denn eine aus bloßen Zeichen zusammengesetzte Vorstellung, nach Art der hieroglyphischen Schrift auf ägyptischen Denkmälern, verdient den Namen eines allegorischen Gemähldes niemals. Es würde vergeblich seyn, besondere Regeln zu Erfindung solcher Gemählde geben zu wollen. Inzwischen kann es doch nüzlich seyn, wenn der Künstler die drey Hauptwege zur Erfindung der Allegorie fleissig überdenkt, und sich übet durch dieselben zu allegorischen Vorstellungen zu gelangen.

Der erste und leichteste ist der Weg des Beyspiels; da von der Sache, welche man allgemein vorstellen will, blos besondere Fälle, als Beyspiele vorgebildet werden, welche, entweder durch den Ort, oder durch gewiße Nebenumstände, leicht eine allgemeine Bedeutung bekommen können. Ein alter Mahler oder Bildhauer durfte nur in einem Tempel der Fortuna, den Dionysius in Corinth, den Tyrtäus an der Spitze eines Heeres, den Marius, wie er sich in einem Sumpf verstekt, Belisarius der um Almosen bittet, oder andere, eben so treffende, besondere Fälle großer Glüksveränderungen, vorstellen; so war die Allegorie schon da. Der Ort allein verwandelte diese besondere Fälle in allgemeine Vorstellungen über die Macht des Glüks, dem nichts zu hoch ist, um niedergedrükt; nichts zu niedrig, um erhöhet zu werden. Eine von den erwähnten Vorstellungen, blos in einem Zimmer gemahlt, macht noch keine Allegorie aus. Doch würde es einem nachdenkenden Künstler nicht schweer werden, sie zur Allegorie zu machen. Ein Tempel der Fortuna, irgendwo in dem Gemählde selbst gut angebracht, auch blos allegorische Verzierungen des Rahmens, der das Gemählde einfaßt, wären dazu hinlänglich.

Der Weg des Gleichnißes, ist schon schweerer. Der Künstler muß erst ein gutes Gleichnis erfinden, das seinen Gedanken wol ausdrüket, hernach aber durch eine andre Erfindung die Deutung desselben anzeigen. Ein Gemählde, auf welchem zu sehen wäre, wie ein Sturmwind eine gewaltige Eiche niederreißt, hingegen kleinere schlanke Bäume und Sträucher blos etwas niederbeuget, könnte als eine bloße Landschaft angesehen werden. Es würde aber zur Allegorie werden, wenn auf demselben Gemählde Personen so vorgestellt würden, daß man deutlich merkte, sie wenden die Vorstellung als ein Gleichnis auf die allgemeine Lehre an, daß den Widerwärtigkeiten eine gemäßigte, nachgebende Gemüthsart, und nicht ein stolzer widersetzlicher Sinn, entgegen zu setzen sey. Eine mittelmäßige Erfindungskraft kann durch diesen Weg zu schönen allegorischen Gemählden kommen.

Der dritte Weg, durch bloße Sinnbilder, ist der schweerste, aber auch, wenn er glüklich betreten wird, der vollkommenste; indem er am weitesten führet. Wer durch diesen Weg die Gewalt und die mancherley seltsamen Würkungen des Glüks vorstellen wollte; müßte es durch lauter erdichtete Bilder thun, neben denen nichts wahres oder eigentliches stühnde, wie in den beyden vorhergehenden Beyspielen. Daher werden dergleichen Vorstellungen, reine Allegorien genennt. Das Glük würde z. E. als eine Göttin auf einem Thron sitzen. Man würde ihr solche Attributa geben, wodurch verschiedene Züge ihrer Macht so wol, als ihres Eigensinnes angedeutet würden. Ein Zauberstab in der Hand, könnte die schnelle und wunderbare Würkungen ihrer Macht ausdrüken. Ihren Thron könnte man schwebend, und von den verschiedenen, in allegorischer Gestallt erscheinenden Winden getragen, vorstellen, um so wol die Schnelligkeit, als die Unbeständigkeit ihrer Wendungen auszudrüken. In dem Gesicht und in der Stellung könnte Wankelmuth, Eigensinn, Frechheit und Unbesonnenheit ausgedrükt werden. Wollte man die Vorstellung ausführlicher machen, so könnte in verschiedenen Nebenbildern noch viel angezeiget werden. In dem Gefolge der Göttin könnten Reichthum und Armuth, Hoheit und Sclaverey, und verschiedene Bilder dieser Art erscheinen. Vor ihr her könnte die Sicherheit ziehen oder etwas ähnliches, um anzuzeigen, daß das Glük unerwartet kömmt, und verschiedenes von dieser Art.

An dergleichen allegorische Vorstellungen aber muß sich kein Künstler wagen, als der sich getrauet in das Heiligthum der Kunst zu dringen, wo Apelles und Raphael zu allen Geheimnißen derselben sind eingeweyhet worden. Denn hier gilt fürnehmlich, was Horaz von den Dichtern sagt:


[41] –– mediocribus esse poetis

Non homines, non dii, non conceffere columnae.


Eben deßwegen, weil die reine Allegorie, wenn sie gut ist, das Höchste der Kunst ausmacht, so wird die schlechte Allegorie zum verächtlichsten derselben.

Der Gebrauch der Allegorie ist vielfältig. Die Baukunst bedient sich ihrer, um ihren Werken Zeichen ihrer Bestimmung einzuprägen. So wird sie in den Verzierungen des dorischen Frieses gebraucht, wo die Widderköpfe und Opferschaalen sich zu Tempeln; Schilder und Waffen, wie an dem Fries des Berlinischen Zeughauses, zu Kriegsgebäuden; Wapenschilder, Zepter und Cronen, wie an dem Fries des Berlinischen Schloßes, zu Pallästen der Monarchen, schiken. Durch dergleichen allegorische Verzierungen, die an verschiedenen Theilen der Gebäude anzubringen sind, können selbige auch zugleich einen bestimmten Charakter, und, wenn es erlaubt ist sich so auszudrüken, ihre eigentliche Physionomie bekommen. In dieser Kunst aber kann die Allegorie nicht nur in Zierrathen, sondern auch in ganzen Werken angebracht werden. Statuen und Gemälde, in Tempeln, in Gerichtshöfen und andern öffentlichen Gebäuden, können mit großem Vortheil angebracht werden, um den Hauptzwek der Künste zu erreichen.40

Die Alten haben die Allegorie häuffig zur Bezeichnung ihrer Geräthschaften angebracht; Leuchter, Lampen, alle Arten der Gefäße, Tische, Stühle, wurden vielfältig mit allegorischen Bildern ausgeziert. Solche Allegorien haben freylich keinen beträchtlichen Nutzen; sie dienen inzwischen doch dazu, daß sie auch die gemeinesten Sachen interessant machen; daß die Vorstellungskraft auch bey den gleichgültigsten Beschäfftigungen etwas gereizt wird; welches doch auch ein Zwek der schönen Künste ist.41

Inzwischen haben die hieroglyphischen und allegorischen Verzierungen solcher, zum täglichen Gebrauche dienender, Sachen den wichtigen Nutzen, daß sie dem Mahler sehr oft in seinen allegorischen Arbeiten große Dienste thun, die Personen und andre allegorische Gegenstände zu bezeichnen. Ein Schäferstab auf einem Grabmal kann schon hinlänglich seyn, die Person anzudeuten, die darunter liegt, und bey Vorstellung einer Handlung kann oft eine solche Kleinigkeit der ganzen Vorstellung eine Deutlichkeit geben, die sie sonst nicht haben würde.

Am öftersten kömmt die Allegorie auf Schaumünzen vor; wiewol sie, seitdem die Schrift erfunden worden, dort am wenigsten nöthig ist. Denn in den meisten Fällen wird die Sache, die man sagen will, durch wenig der Münze eingeprägte Buchstaben besser gesagt, als durch Bilder. Wichtiger ist sie, wenn der Künstler so glüklich ist, eine viel bedeutende Allegorie auf seine Münze zu bringen, die das, was die Schrift blos anzeiget, auf eine lebhafte und umständliche Weise ausdrükt. Dergleichen Vorstellungen aber sind selten.42

Eine ähnliche Bewandtniß hat es mit dem Gebrauch der Allegorie auf Grabmälern, und auf Ehrenmälern. Blos einige historische Umstände zu bezeichnen, kann die Schrift vortheilhafter, als ein Bild seyn. Der auf dem Grabstein des Diogenes eingegrabene Name hätte sich eben so gewiß darauf erhalten, als das Bild eines Hundes, und hätte gewisser die Person bezeichnet. Nur eine abergläubische Verehrung der Alten kann dergleichen Allegorien auf Denkmälern schön finden.43 Soll sie auf solchen Werken einen Werth haben, so muß sie vielbedeutend seyn, und mehr sagen, als eine Schrift hätte sagen können, oder es mit grösserer Kraft sagen. Ein sehr schönes Beyspiel eines Denkmals, das mehr sagt, als eine Schrift würde gesagt haben, ist das, welches der Bildhauer Nael in der Kirche zu Hindelbank, einem Dorfe unweit Bern in der Schweiz, gesetzt hat.44 Ueberhaupt können diejenigen Vorstellungen die kräftigste Bedeutung haben, in denen Figuren von menschlicher Bildung angebracht sind; weil der Ausdruk des Gesichtes allein ofte mehr sagen kann, als alle Worte.

Dahin gehören also auch die Statuen der heidnischen Gottheiten, welche, wie schon gesagt, im Grunde nichts als Allegorien sind, und die entweder in Tempeln, oder an andern öffentlichen Orten, als symbolische Vorstellungen zu bestimmtem Endzwek aufgestellt werden.45

Endlich macht auch die Mahlerey für sich selbst einen vielfältigen Gebrauch von der Allegorie, durch ganz allegorische Gemählde, oder durch Einmischung der Allegorie in historische Vorstellungen. Die erstern können einen großen Werth bekommen, wenn sie wichtige Gegenstände des Geistes oder des Herzens, auf eine höchst lebhafte Art dem Auge darstellen, um den Eindruk derselben desto [42] stärker zu machen. Gemählde von dieser Art, die von einigem Werth wären, sind zwar, wie schon angemerkt worden, sehr selten, und dieser höchst wichtige Theil der Kunst ist noch zu unvollkommen, und erwartet Künstler von besonders glüklichem Genie, um sich empor zu heben.

Die Einmischung der Allegorie in historische Gemählde ist von zweyerley Art. Entweder eine bloße symbolische Bezeichnung der Personen, der Oerter, der Zeiten, oder eine Einführung allegorischer Personen unter die historischen. Ueber die erstere Gattung ist bereits kurz hiebevor gesprochen worden. Wir merken hier noch dieses an, daß es allemal besser ist, den Mangel guter symbolischer Zeichen lieber durch eine wol angebrachte Schrift, als durch erzwungene Hieroglyphen zu ersetzen. So haben es Raphael und Poußin gemacht; jener in einem Gemählde der farnesischen Gallerie, wo man die Hauptperson, und folglich den Inhalt des Gemähldes hätte verkennen können, wenn nicht der Mahler durch Anbringung der Schrift: genus unde latinum; deutlich angezeiget hätte, daß das Gemählde die Venus mit dem Anchises vorstellt. Eben so vortheilhaft hat der französische Mahler den eigentlichen Geist eines seiner Gemählde durch diese, auf ein vorgestelltes Grabmal geschriebene Worte: Auch ich war in Arcadia, angezeiget.46 Die andere Gattung wird von einem feinen Kunstrichter,47 als etwas widersinnisches und unnatürliches, gänzlich verworfen. Man kann seine Gründe an dem angeführten Orte nachlesen. Sie sind so stark, daß man ihm schwerlich den Beyfall versagen kann. Indessen ist dieses, so wie die Einmischung der Mythologie in die heutigen Oden,48 eine Sache des Gefühls, die man denen lassen kann, die sich daran vergnügen.

Doch scheinet dieses auf der andern Seite eine gegründete Foderung zu seyn, daß allegorische Personen nicht sollten Antheil an der Handlung nehmen. Es scheinet, daß das, was oben von dem Gebrauche der allegorischen Wesen in dem Gedichte ist erinnert worden, auch dem Mahler zur Regel dienen könnte. Wie nun ein Dichter, der einen schlauen Liebesstreich beschrieben hat, gar wol hinzu setzen könnte, daß Venus und die Liebesgötter sich darüber gefreuet haben; so könnte auch ein Mahler, wenn er einen solchen Streich historisch und von bekannten Personen vorgestellt hätte, wie es scheinet, ohne Anstoß den geistreichen Einfall dabey anbringen, wodurch Alban seinem Gemälde von dem Raub der Proserpina ein großes Leben gegeben hat. Man sieht auf diesem Gemählde den Pluto mit der entführten Proserpina davon eilen. In der Luft sieht man einige Liebesgötter, die durch Tanzen und allerhand kindischen Muthwillen eine große Freude zu erkennen geben. Auf der andern Seite sieht man die Venus, zu welcher Amor voll Freude hinfliegt, um sie glükwünschend zu küssen.49 Dieses ist gewiß eine der artigsten Einmischungen allegorischer Personen in ein historisches Gemählde, welche wol schwerlich von irgend einem Kenner wird gemißbilliget werden. Sie kann zum Muster dienen, wie eine so schlüpfrige Sache, mit vollkommenem Beyfalle könne behandelt werden. Hätte Rubens in der Gallerie von Luxenburg die Einmischung der Allegorie mit so viel Geist behandelt, als Alban gezeiget hat, so würde dü Bos vermuthlich weniger Abneigung gegen diese Gattung der Gemählde geäußert haben.

1S. Bild.
2Horat. Od. L. I. od. 14.
3S. Bild.
4

Drinck deep or taste not the pierian spring

There fnallow draughts intoxicates the brain

And drincking largely sober us again.

Essay on Criticism. v. 218.

5Inst. Or. VIII. 6; 50.
6Bodmers Jacob im IV. Gesang.
7S. Gleichnis.
8T. Liv. Hist. II. 32.
9Od. L. II. 2.
10Od. L. II. 10.
11Nachtgedanken 1. Nacht.

Mine dy'd with thee Philander! thy last figh

Dissolv'd the charm; the disenchanted Earth

Lost all her Lustre.

12S. Aehnlichkeit.
13Hor. Od. L. II. 10.
14Noachide VIII. Gesang.
15Herr Meyer von Knonan.
16S. Aeschylus.
17Hor. Od. L. I. 35.
18Il. IV. vs. 410.
19S. Belebung.
20Prisco ilio dicendi et horrido modo Liv. L. II. c. 32.
21S. Breitingers erit. Dichtkunst 1. Theil 6. Abschn.
22Noachide VIII. Ges.
23Das. IX. Ges.
24S. Mythologie.
25Richardson. Description des tableaux Tom. III. Part. I. p. 50.
26S. Winkelm. Anm über die Baukunst der Alten.
27Winkelm. Alleg. p. 92.
28Pausanias. L. IV.
29Mariette. Pierres gravées n. 17.
30S. Lucians Beschreibung davon.
31In dem Lustspiel der Friede.
32S. Statuen.
33Euphranoris Alexander Paris est, in quo laudatur, quod omnia simul intelligantur, iudex Dearum, Amator Helenae et tamen Achillis interfector. Plin. LXXXIV. 8.
34S. Antik.
35So klein dieser Ort ist, so bekannt muß er dadurch seyn, daß einer der größten jetztlebenden Monarchen sich daselbst zu den großen Thaten vorbereitet hat, die hernach vor unsern Augen ausgeführt worden sind.
36Mariette. n. 14.
37Tac. Annal. II. 42.
38S. Winkelmann von der Allegorie S. 99. wo noch viel dergleichen mit dem Namen der Allegorie beehrte Wortspiele vorkommen.
39S. Bild.
40S. Künste.
41 Ebendas.
42S. Schaumünze.
43S. Winkelmann von der Alleg. V. Cap. Beyspiele von allegorischen Vorstellungen auf Grabmälern findet man häufig beym Pausanias.
44S. Denkmal.
45S. Statuen.
46S. du Bos Refl. sur la poesie et lapeint. T. I. sect. 6.
47Du Bos.
48S. Mythologie.
49S. Gemählde. der königl. Gallerie zu Dresden.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 27-43.
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