Lynchen

* Einen lynchen.

Wir pflegen darunter die Mishandlungen zu verstehen, die eine aufgeregte Volksmasse an einer Person ausübt. Der Ausdruck kommt aus Nordamerika, wo man damit den Act bezeichnet, durch welchen das Volk selbst die Strafe an einer Person vollzieht, die nach seiner Ueberzeugung eines Verbrechens schuldig ist, und zwar besonders in den Fällen, wo entweder ein Gericht nicht vorhanden oder zu fern ist; auch wol dann, wenn man glaubt, dass das gerichtliche Strafverfahren zu langsam, zu mild oder zu parteiisch sei. Sehr häufig, ja fast allgemein wird mit dem Worte Lynchgericht die Vorstellung der Ungerechtigkeit, der Pöbelherrschaft u.s.w. verbunden. Dieser Ansicht widerspricht der Ursprung derselben, den wir in Virginien finden, wo es zur Zeit des Unabhängigkeitskriegs gegen die Engländer nur Ein Criminalgericht gab, welches das Endurtheil bei schweren Verbrechen aussprechen konnte. Die Verbrecher hatten in dem Kreise (County), in dem sie gefangen wurden, eine Voruntersuchung zu bestehen und wurden dann nach Williamsburg, wo das Strafgericht seinen Sitz hatte, zur Aburtelung gesandt, was sehr unzweckmässig war. Während der Kriegszeit waren Pferde für beide Heere ein sehr gesuchter und theurer Artikel. Der Pferdediebstahl nahm daher in einer solchen Weise überhand, dass niemand, auch bei der grössten Wachsamkeit seine Pferde sicher hatte. Wenn der Pferdedieb nicht selbst auf dem Transport nach Williamsburg entrann, so verschwanden doch in der Regel die Belastungszeugen, und der Angeklagte musste freigesprochen werden. Die Pferdediebe hatten sich unter einem Manne, der sich durch Kühnheit, feine Bildung und männliche Schönheit auszeichnete, dem Kapitän Perkins, als eine Bande organisirt, und hatten ihre Posten und Niederlagen vom Norden durch Virginien hindurch bis Südcarolina, sodass ein[297] Ankämpfen gegen sie erfolglos war. Wurde auch ein einzelner einmal gefangen, so wurde er von seinen Spiessgesellen befreit. Unter diesen Umständen dehnten sich die Pferdediebstähle bis Pittsylvania County aus, wo ein alter Richter, Namens Lynch, den Vorsitz im Gericht führte. Er erkannte die Noth des Landes und lud eines Tags die sämmtlichen Richter des County zu einer Versammlung ein, in der er eine Rede voll Zorn hielt und den Vorschlag begründete, dass jedes County seine schweren Verbrecher selber richte. Der Vorschlag ward angenommen. Jetzt begann in jedem County die Jagd auf die Pferdediebe; und »Richter Lynch« war das Wort, das die Bauern zu ihrem Feldgeschrei machten und das bald das Schreckenswort aller Spitzbuben war. Ueberall wurden die Galgen mit Pferdedieben bedeckt. Wenn die Verurtheilung auch ganz nach allen Regeln des Rechts erfolgte, so wirkte doch die Kürze und Schnelligkeit der Strafe so gewaltig auf die Diebe, dass sie Virginien räumten. Richter Lynch hatte sein Land von einer schweren Plage befreit; aber er wähnte wol nicht, dass später sein Name dazu gebraucht werden würde, jeden Ausbruch des Volksunwillens zu rechtfertigen, der die Gesetze willkürlich anwende oder umgehe. – In ähnlichen Fällen wie damals hat das Volk oft die Handhabung des Rechts nach seiner Auffassung selbst in die Hand genommen. Im Jahre 1834 versammelten sich z.B. die Bürger Vicksburgs aus eigener Machtvollkommenheit zu einem Gericht, um die Spielhäuser auszurotten. Die Spieler von Profession wurden eingefangen und nach einer Art von Gerichtsverfahren, wo das Wort »Lynchgericht« auftauchte und bald geläufig für alle Zungen wurde, aufgehangen. (Vgl. Bresl. Zeitung, 1864, Nr. 437, S. 2437; Niederschlesische Zeitung, Görlitz 1864, Nr. 291.) Im Jahre 1851 hatte eine Lynchung in Californien stattgefunden. Der Ausspruch des Coroners am Grabe des Gelynchten lautete: »Gestorben nach göttlichem Willen und menschlicher Gerechtigkeit.« (Wochenblatt der deutschen Schnellpost, Neuyork vom 26. März 1851, Nr. 11.) Die nordamerikanischen Zeitungen bringen häufig Beispiele von solcher Lynchjustiz, namentlich aus Californien. (Vgl. Wochenblatt der deutschen Schnellpost, 1851, Nr. 14 u. 15; Nr. 22 u. 26; Nr. 16 aus Texas.) K. Heinzen schlug 1851 die Lynchjustiz für die Rowdies und Loafers Neuyorks vor.

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 3. Leipzig 1873, Sp. 297-298.
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