* Die Rettich tauft.
Eine wiener Redensart, deren Entstehung folgende ist. Friedrich Halm war der ungeschickteste Titelerfinder, den man sich denken kann; der feinfühlende Poet war nicht im Stande, für seine Stücke einen aus der Handlung des Gedichts entspringenden geeigneten Titel zu finden; ebenso konnte er stundenlang über die Taufnamen der Heldinnen seiner Stücke brüten. Stundenlang sass er im Hause der Familie Rettich, mit Julie, seiner langjährigen Freundin, über Namen und Titel disputirend. Sobald Halm die Idee eines Stücks hatte und ans Schreiben ging, stand der arme Rettich Qualen aus. Halm pflegte nämlich stets vormittags seine Besuche im Rettich'schen Hause abzustatten, um über Stoff, Titel und Taufnamen seiner Helden und Heldinnen zu plaudern. Frau Rettich, welche nicht nur eine grosse Künstlerin und gute Mutter, sondern auch eine vortreffliche Hausfrau war, versäumte ob dieses Besuchs das Hauswesen, welches sie selbst gern besorgte. Eines Tags – Halm war im Begriffe eine neue Tragödie zu schreiben – erschien Rettich plötzlich, um zu speisen, im Hotel Matschaker-Hof. »Alle Wetter, Freund!« frug ihn der Schauspieler Ludwig Löwe, »wie kommt Saul unter die Propheten? Wie Rettich an die Table d'hôte?« Geheimnissvoll neigte sich Rettich an Löwe's Ohr und flüsterte: »Ich kann nicht daheim speisen, meine Frau tauft!« Ganz verwundert blickte Löwe seinen Collegen an. »Tauft? davon erfährt man ja gar nichts – und Du bist nicht dabei?« »Ich?« fragte Rettich, sich die Serviette bindend, »wozu? Halm und meine Frau besorgen das Geschäft schon allein!« Lange Zeit blieb dieser Satz: »Die Rettich tauft!« in Wien ein boshaftes Sprichwort. (Nach einem Feuilleton der Frankfurter Zeitung im Karlsbader Wochenblatt, 1878, Nr. 37.)