Analyse [1]

[183] Analyse, chemische, die Ermittlung der Zusammensetzung eines Körpers.

Durch die qualitative Analyse [1] werden die einzelnen Bestandteile eines Körpers nachgewiesen. Hierbei werden die einzelnen Körper in der Regel nicht als solche abgeschieden, sondern sie werden in andre durch charakteristische Merkmale voneinander unterschiedene Verbindungen übergeführt. Man benutzt zur Erzeugung solcher Verbindungen Stoffe (Reagenzien) von bekannten Eigenschaften. Aus dem Auftreten bestimmter Erscheinungen (Reaktionen), wie z.B. von Färbungen, Niederschlägen, Gerüchen u.s.w., läßt sich sodann auf An- oder Abwesenheit bestimmter Stoffe schließen. Wie ein genaues Studium des chemischen Verhaltens der verschiedenen Körper zueinander gezeigt hat, werden ganze Gruppen von Verbindungen durch ein und dasselbe Reagens in gleicher Weise verändert. Ein solches Gruppenreagens kann demnach nur dazu dienen, die Klasse festzustellen, zu der ein Körper gehört. Die unverändert gebliebenen Körper werden durch andre Reagenzien in immer kleinere Gruppen geschieden, bis man schließlich zur Erkenntnis der einzelnen Bestandteile gelangt. Auf diese Weise entsteht ein bestimmter Gang, nach dem zweckmäßigerweise eine Analyse auszuführen ist. Eine Vorprüfung, die in der Ausmittlung gewisser Färbungen in der Flamme [2], in der Prüfung der Trockensubstanz vor dem Lötrohr [5] u.s.w. besteht, gibt in der Regel wichtige Anhaltspunkte für die spätere Untersuchung an die Hand. – Die zu untersuchende Substanz wird auf irgend eine Weise in Lösung gebracht, ein etwaiger unlöslicher Rückstand (durch Schmelzen mit kohlensaurem Kalinatron) aufgeschlossen, d.h. in eine lösliche Form übergeführt; sodann werden nach[183] einem systematischen Gange die Basen ermittelt. Für die Aufsuchung der Säuren ist kein systematischer Gang vorhanden, dieselben werden einzeln bestimmt; einzelne Säuren lassen sich bereits bei der Vorprüfung sowie beim Nachweis der Oxyde erkennen.

Die quantitative Analyse bestimmt die Mengenverhältnisse der in einem Körper nachgewiesenen Bestandteile. Sie zerfällt in zwei große Abteilungen, die Gewichts- und Maßanalyse (Titriermethode, volumetrische Analyse). Die Gewichtsanalyse [3] ermittelt die Mengenverhältnisse mittels der Wage. Zu diesem Zwecke werden die Körper seltener als solche, wie sie in der Substanz enthalten waren, abgeschieden (auch auf elektrolytischem Wege [3]), häufiger jedoch in andrer Form, in der sie genau gewogen und sodann auf Prozente berechnet werden können. Die Gewichtsanalyse besitzt eine große Zahl von Methoden, die für dieselben Bestandteile je nach dem Vorhandensein andrer häufig weit voneinander abweichen. – Bei der sogenannten indirekten Analyse werden die Mengen der Bestandteile zweier ähnlicher, schwer trennbarer Körper auf dem Wege der Rechnung gefunden. Besteht beispielsweise die zu untersuchende Substanz aus schwefelsaurem Natron und schwefelsaurem Kali, so ermittelt man nach dieser Methode in 1 g des Gemisches die gesamte Schwefelsäure und die Gesamtmenge der Alkalien und berechnet aus den bekannten Mengen Natron und Kali, die der gefundenen Menge Schwefelsäure äquivalent sind, das Verhältnis, in dem diese Basen in der Mischung enthalten sein müssen, um genau 1 g schwefelsaure Salze zu liefern. Die beschriebene Methode ist besonders in Fällen mit Vorteil verwendbar, in denen es sich um die Bestimmung kleiner Mengen von Jod- und Bromverbindungen neben Chlorverbindungen handelt. Die Resultate sind naturgemäß um so genauer, je größer die Differenzen der Atomgewichte der zu ermittelnden Körper sind. Die quantitative Analyse organischer Körper [4], die im wesentlichen nur aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff bestehen, wird als Elementaranalyse bezeichnet. Derselben muß häufig eine qualitative Prüfung vorausgehen, von deren Ergebnissen das einzuschlagende Verfahren abhängt. Die quantitative Ermittlung von Kohlenstoff und Wasserstoff wird gleichzeitig vorgenommen, indem man die Substanz, mit Kupferoxyd gemischt, der Glühhitze aussetzt (Verbrennung). Eine schwer schmelzbare, an dem einen Ende zugeschmolzene Glasröhre wird zuerst mit ausgeglühtem Kupferoxyd beschickt, hierauf eine abgewogene Menge der zu untersuchenden Substanz, gemischt mit Kupferoxyd, hinzugefügt oder in einem passenden Porzellan- oder Platinschiffchen in die Röhre eingebracht und der übrige Teil der Röhre mit ausgeglühtem Kupferoxyd ausgefüllt. Mit der so beschickten Röhre (Verbrennungsrohr) wird eine abgewogene Chlorcalciumröhre mittels eines trockenen Korkes oder Kautschukstopfens verbunden, an letztere ein mit Kalilauge gefüllter, ebenfalls gewogener Apparat (sogenannter Kaliapparat, von denen es jetzt eine ganze Anzahl von Konstruktionen gibt) angeschlossen und hierauf das Kupferoxyd am vorderen Ende der Röhre geglüht. Allmählich dehnt man das Glühen auch auf den übrigen Teil der Röhre aus. Die entstehenden Verbrennungsprodukte, Wasserdampf und Kohlensäure, durchstreifen langsam die Absorptionsapparate. Die Verbrennung ist beendigt, wenn sich keine Gasblasen mehr bilden. Aus der Gewichtszunahme des Chlorcalciumrohres und des Kaliapparates ergeben sich die gebildeten Wasser- und Kohlensäuremengen, aus denen sich sodann der Gehalt an Kohlenstoff und Wasserstoff berechnen läßt. Handelt es sich um stickstoffhaltige Körper, die beim Glühen mit Natronkalk Ammoniak entwickeln, so werden dieselben auf ähnliche Weise mit Natronkalk geglüht, das Ammoniak in Salzsäure aufgefangen, das entstandene Chlorammonium als Ammoniumplatinchlorid gefällt und der Stickstoffgehalt berechnet. Aus den übrigen stickstoffhaltigen Körpern bestimmt man den Stickstoff entweder volumetrisch, indem man ihn als Gas austreibt durch Glühen mit Kupferoxyd und Kupfer nach vorherigem Verdrängen der Luft aus dem Apparat, oder nach der Methode von Kjedahl oder einer ihrer zahlreichen Modifikationen, am besten nach Gunning. Die Methode beruht auf Ueberführung des Stickstoffs in schwefelsaures Ammoniak durch Erhitzen von 1 g Substanz mittels konzentrierter Schwefelsäure (Phosphorschwefelsäure unter Beigabe von etwas Kupferoxyd). Ist die Oxydation vollendet, so verdünnt man die Lösung, übersättigt mit Natronlauge und destilliert das Ammoniak in titrierte Säure. Den Sauerstoffgehalt endlich findet man indirekt dadurch, daß man die in Prozenten ausgedrückte Summe der übrigen Elemente von 100 subtrahiert. Neuerdings wurde die Elementaranalyse bedeutend vereinfacht, besonders was die hierbei zu brauchende Apparatur anbelangt. Dennstedt, Hamburg, verwendet kürzere Verbrennungsröhren, erhitzt mittels einfacher Bunsenbrenner und leitet die Verbrennungsprodukte über glühenden Platinasbest [15]. Auch die kalorimetrische Bombe benutzt man mit Erfolg zur Elementaranalyse. In ihr wird die Substanz unter Druck im Sauerstoff verbrannt, Kohlensäure und Wasser durch die Vorlagen absorbiert und zur Wägung gebracht wie bei der gewöhnlichen Elementaranalyse. Für die Elementaranalyse hat insbesondere Hempel eine kalorimetrische Bombe konstruiert [16].

Im Gegensatze zur Gewichtsanalyse arbeitet die Maßanalyse [6] mit Flüssigkeiten, von denen der Wirkungsgrad der Quantitätseinheit, der sogenannte Titer, genau bekannt ist und bestimmt, wie viel von diesen titrierten Lösungen (Normallösungen, Maßflüssigkeiten) nötig ist, um eine bestimmte Reaktion durchzuführen. Bei der Maßanalyse kommt es vor allem darauf an, das Ende einer Reaktion möglichst scharf zu erkennen. In Fällen, wo die Erkennung unsicher ist, wird ein sogenannter Indikator benutzt, der nach Vollendung der Reaktion durch den ersten Tropfen eines Ueberschusses der Normallösung eine auffallende Veränderung erfährt. Als solche Indikatoren dienen beispielsweise in sehr vielen Fällen bestimmte Farbstoffe, wie Lakmus, Methylorange, Kongorot, aber auch Stärkelösung, Phenolphtalein u.a. [17]. Vgl. Alkalimetrie.

Die gasometrische Analyse bedient sich fast ausschließlich des volumetrischen Verfahrens; s. Gasanalyse.

Die pflanzenchemische [7] wie die zoochemische [8] Analyse bieten in der Regel große Schwierigkeiten, weil sie fast immer leicht veränderliche Eiweißsubstanzen, Schleime und andre, zurzeit ihrem chemischen Charakter nach noch wenig bekannte Stoffe zu bestimmen[184] haben. Sie beschränken sich nicht auf qualitative und quantitative, Gewichts- und Maßanalyse, sondern ziehen jede auf physikalischem Wege mögliche Untersuchungsmethode heran, insbesondere das Mikroskop (mikrochemische Analyse), das Polariskop, die Spektralanalyse, die Dialyse u.s.w. [9].

Die kolorimetrische Analyse gründet sich auf der Annahme, daß die Farbenintensität einer Lösung proportional sei dem Gehalt an färbender Substanz. Sie benutzt Normallösungen von bekanntem Gehalt, verändert die Dicke der Schicht der zu untersuchenden Flüssigkeit, bis sie im durchfallenden Licht mit der Normallösung gleich gefärbt ist (Chromoskop, Dekolorimeter, Tintometer), oder verdünnt die Flüssigkeit, bis gleichdicke Schichten von ihr in der Normallösung gleich gefärbt erscheinen, oder sie verändert endlich die Dicke der Schicht der zu untersuchenden Flüssigkeit, bis ihre Farbe durch das durch eine Glasplatte oder Flüssigkeitsschicht einfallende, komplementär gefärbte Licht aufgehoben wird (Komplementärkolorimeter). Die kolorimetrische Methode ist insbesondere brauchbar zur Wertbestimmung organischer Farbstoffe (Krapp, Indigo, Anilinfarben) und zur Ermittlung der entfärbenden Eigenschaft der Knochenkohle u.a.

Die thermometrische Analyse benutzt den bei einer bestimmten Reaktion und unter bestimmten Verhältnissen erzeugten meßbaren Wärmeeffekt zu quantitativen Bestimmungen. Nach Gay-Lussacs Versuchen sinkt beispielsweise beim Lösen von 50 g Chlorkalium in 200 g Wasser die Temperatur um 11,4°, beim Auflösen von 50 g Kochsalz in 200 g Wasser dagegen nur um 1,9°. Wenn man nun 50 g eines Gemisches der genannten Salze in 200 g Wasser löst, so erhält man eine mittlere Temperaturerniedrigung, aus der sich das quantitative Verhältnis der beiden Salze zueinander und mithin die prozentische Zusammensetzung des Gemisches berechnen läßt. Das beschriebene Verfahren ist zwar sehr einfach, allein nur bis zu einem gewissen Grade zuverlässig, da die Schnelligkeit der Reaktion, Größe und Maße der verwendeten Gefäße, Grad der Trockenheit des Salzgemisches u.s.w. das Ergebnis mehr oder minder beeinflussen. Für manche praktische Zwecke ist die Methode indes recht brauchbar: zur Unterscheidung fetter Oele, in der Salpeterfabrikation, wo es sich darum handelt, im Chlorkalium den Gehalt von Chlornatrium zu ermitteln, jedoch darf dabei kein drittes Salz in der Mischung zugegen sein.

Die densimetrische Analyse ermittelt den Gehalt von Lösungen dadurch, daß sie mittels des Aräometers (s.d.) das spezifische Gewicht der Flüssigkeiten bestimmt und daraus den Gehalt an Säuren, Salzen u.s.w. ableitet.

Die optische Analyse beruht auf dem Verhalten verschiedener Stoffe zum Licht. Man ermittelt die Brechungskoeffizienten für durchgehendes Licht (s. Refraktometer), oder beobachtet die Abänderungen, die das Spektrum des Lichtes erfährt, wenn dasselbe zuvor die zu untersuchende Lösung passiert (s. Spektralanalyse). Auch die Ablenkung des polarisierten Lichtes (s. Polarisation) durch eingeschaltete Lösungen ist ein wichtiges Hilfsmittel der optischen Analyse, das besonders zum Nachweis und zur Bestimmung von Zuckerarten dient [10]. – Für die Bedürfnisse der Landwirtschaft [11], der Kulturtechnik (vgl. Bodenchemie), der Technik [12] und der Nahrungsmitteluntersuchung, Nahrungsmittelanalyse [13] sind zahlreiche besondere Methoden aufgestellt, die insgesamt das Ziel verfolgen, bei möglichst geringem Zeitaufwand ausreichend genaue Ergebnisse zu liefern. Die gerichtliche oder forensische Analyse im engeren Sinne wird insbesondere bei der Ausmittlung von Giften in Leichenteilen angewandt. Um die Möglichkeit von Irrtümern auszuschließen, hat die gerichtliche Analyse ganz besondere Vorsichtsmaßregeln anzuwenden, die zum Teil durch gesetzliche Bestimmungen normiert sind: sie darf z.B. nur Gefäße benutzen, die absolut rein sind und zuvor noch nicht gebraucht wurden, hat dieselben sowie das Untersuchungsmaterial unter Verschluß zu halten u.s.w.


Literatur: [1] Rammelsberg, Leitfaden für die qualitative chem. Analyse, 7. Aufl., Berlin 1885; Fresenius, Anleitung zur qualitativen chem. Analyse, 16 Aufl., Braunschweig 1895; Birnbaum, Leitfaden der qualitativen chem. Analyse, 7. Aufl., Leipzig 1900. – [2] Bunsen, Flammenreaktionen, Heidelberg 1886. – [3] Rose, Handbuch der analyt. Chemie, 6. Aufl. von Finkener, Leipzig 1867–71; Fresenius, Anleitung zur quantitativen chem. Analyse, 6. Aufl., Braunschweig 1900/1901; Classen, Quantitative Analyse auf elektrolyt. Wege, 4. Aufl., Aachen 1897. – [4] Barfood, Lehrbuch der organ. qualitativen Analyse, Kopenhagen 1881. – [5] Plettner, Probierkunst mit dem Lötrohr, 5. Aufl. von Richter, Leipzig 1877; Scherer, Lötrohrbuch, 2. Aufl., Braunschweig 1857. – [6] Mohr, Lehrbuch der chem.-analyt. Titriermethode, 7. Aufl., Braunschweig 1896; Winckler, Maßanalyse nach neuem titrimetrischen System, Freiburg 1883; Rieth, Volumetrische Analyse, Hamburg 1883. – [7] Dragendorff, Qualitative und quantitative Analyse von Pflanzenteilen, Göttingen 1882; Wittstein, Anleitung zur chemischen Analyse von Pflanzen und Pflanzenteilen, Nördlingen 1868. – [8] Gorup-Besanez, Anleitung zur qualitativen und quantitativen zoochemischen Analyse, 3. Aufl., Braunschweig 1871. – [8] Zimmermann, Botanische Mikrotechnik, Tübingen 1892. – [10] Landolt, Das optische Drehungsvermögen organischer Substanzen, 2. Aufl., Braunschweig 1898; Frühling und Schulz, Anleitung zur Untersuchung der für die Zuckerindustrie in Betracht kommenden Rohmaterialien, Produkte u.s.w., 5. Aufl., Braunschweig 1897. – [11] Wolff, Anleitung zur chemischen Untersuchung landwirtschaftlich wichtiger Stoffe, 3. Aufl., Berlin 1875; Grandeau, Handbuch für agrikulturchemische Analysen, deutsch von Petermann, Berlin 1879. – [12] Bolley, Handbuch der technisch-chemischen Untersuchungen, 5. Aufl. von Stahlschmidt, Leipzig 1879; Post, Chemisch-technische Analysen, Braunschweig 1881; Dammer, Lexikon der Verfälschungen, Leipzig 1885. – [13] König, Die menschlichen Nahrungs- und Genußmittel, 2. Aufl., Berlin 1893; Bujard und Baier, Hilfsbuch für Nahrungsmittelchemiker, 2. Aufl., Berlin 1900. – [14] Otto, Anleitung zur Ausmittlung der Gifte, 5. Aufl., Braunschweig 1875; Sonnenschein, Handbuch der gerichtlichen Chemie, 4. Aufl. von Classen, Berlin 1895; Dragendorff, Gerichtliche chemische Ermittlung von Giften, 2. Aufl., Petersburg 1876. – [15] Dennstedt, Elementaranalyse, Zeitschr. für analyt. Chemie 1901. – [16] Hempel, Calorimetrische Bombe für[185] elementar-analytische Zwecke, Ber. d. deutsch. chem. Gesellsch., Januarheft 1897; Bujard, Dinglers Polytechn. Journal 1897, Bd. 6, S. 142. – [17] Lunge-Böckmann, Chem.-techn. Untersuchungsmethoden, Berlin 1899.


Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 183-186.
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