Gesetz [1]

[724] Gesetz (lat. Lex, franz. Loi, engl. Law) ist der allgemeine Grund, aus dem etwas mit Notwendigkeit ist oder sein soll. Die Gesetze beziehen sich teils auf die Natur (Naturgesetze), teils auf die menschliche Vernunft, und die letztern wiederum gelten teils für unsre Erkenntnis, teils für das Gefühl, teils für unsern Willen. Andre Gesetze beziehen sich auf das Verhältnis der Menschen zueinander und zur Natur, wie die Gesetze der Sprache, der Nationalökonomie, der Gesellschaftslehre, der Staatslehre und Politik, die für die verschiedenen Künste aufgestellten Gesetze etc. Das Rechtsgesetz endlich besteht in gegebenen Satzungen der Völker, welche die menschlichen Lebensverhältnisse in erzwingbarer Weise regeln. Jene verschiedenen Gesetze bringen z. T. eine unabänderliche Notwendigkeit, ein Müssen, mit sich; dahin gehören die Gesetze der Natur, und auch das Wirken des Geistes ist teilweise solchen unterworfen. Zum Teil steht aber das letztere nur unter dem G. des Sollens, die gesetzliche Notwendigkeit tritt als Gebot an unsern Willen heran, dem zuwider zu handeln nicht außerhalb der Möglichkeit liegt; diese Gesetze kann man, namentlich im Gegensatz zu dem unabänderlichen Naturgesetz, Freiheitsgesetze nennen. Zu diesen gehören außer dem Sittengesetz auch die Zweckmäßigkeitsgesetze und die Rechtsgesetze. Das erstere schließt jeden äußern Zwang aus, da die gute Gesinnung zu erzwingen nicht möglich ist, und bei dem zweiten wirkt als Zwang der Trieb, den Zweck zu erreichen. Zu dem dritten, dem Rechtsgesetz, endlich kann ein äußerer Zwang geschaffen werden, und ein solcher ist auch notwendig. Diesen zu üben, ist die erste und hauptsächlichste Aufgabe des Staates. Man versteht unter G. im allgemeinen jede Rechtsquelle, die für die staatliche Gemeinschaft Geltung hat. Im engern und eigentlichen Sinn aber bezeichnet man mit G. das geschriebene Recht im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht (s.d.). Nach dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist G. im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches jede Rechtsnorm, d. h. jede Rechtsvorschrift, mag deren Quelle die Gesetzgebung, das Gewohnheitsrecht oder die Autonomie, mag es geschrieben oder ungeschrieben sein. Gesetze sind die Vorschriften der Staatsgewalt für Tun und Lassen des Einzelnen. Ihre Erzwingbarkeit ist das unterscheidende Merkmal gegenüber den Gesetzen der Moral und den Grundsätzen des philosophischen Rechts.

Die positiven Gesetze oder Gesetze schlechthin sind stets Vorschriften für das Handeln, die teils durch unmittelbaren Zwang, teils aber dadurch, daß an die Übertretung Folgen geknüpft sind, die deren Wirkung wieder ausgleichen, zur Geltung gebracht werden. Während aber manche Gesetze unabweisliche Befolgung verlangen, gestatten andre den Beteiligten, ihre Rechtsverhältnisse in einer abweichenden Weise zu ordnen, oder stellen überhaupt nur für den Fall Vorschriften auf, daß die Beteiligten selbst Anordnung zu treffen unterlassen haben (Dispositivgesetze).

Die Gesetze können sich entweder mit den Privatverhältnissen (Zivilgesetze) oder mit den öffentlichen Verhältnissen beschäftigen. Die letztern Gesetze beziehen sich teils auf die Bildung der Staatsgewalt und auf die dieser und den Staatsbürgern gegeneinander im allgemeinen zustehenden Rechte (Staatsgrundgesetze, Verfassungsgesetze, deren Erlaß und Aufhebung wegen ihrer Wichtigkeit oft an besondere Erfordernisse geknüpft sind), teils auf die verschiedenartige Tätigkeit der erstern (Verwaltungs-, Polizeigesetze), auf die hierzu erforderlichen Behörden (Organisationsgesetze) und auf die Leistungen der Staatsangehörigen für öffentliche Zwecke (Finanz-, Militärgesetze). Auf der Grenze zwischen den öffentlichen und den Zivilgesetzen liegen die Strafgesetze, in denen der Staat zum Schutz seiner selbst und seiner Angehörigen gewisse Handlungen mit besondern Nachteilen zu belegen droht, und die Prozeßgesetze, in denen er anordnet, wie seine Rechtshilfe anzugehen und zu gewähren sei. Völkerrechtliche Verhältnisse werden in Form von Staatsverträgen erledigt, die aber, je nach ihrem Inhalt, ebenfalls Gesetzeskraft erlangen können und ebendarum vielfach zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Volksvertretung bedürfen.

Nach dem Inhalt sind allgemeine Gesetze (leges generales), die allgemeine Regeln für alle Fälle überhaupt oder doch für die eines gewissen Rechtsteils aufstellen, von den speziellen (l. speciales) zu unterscheiden, die nähere Bestimmungen für bestimmte Personen oder Sachen enthalten, eine insofern nicht unwichtige Unterscheidung, als gelehrt wird, daß mit der Aufhebung des generellen Gesetzes nicht auch die des speziellen erfolge. Nach Art der Vorschrift kann man gemeine (l. communes) und besondere Gesetze (l. singulares) unterscheiden, je nachdem die darin aufgestellten Regeln mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen übereinstimmen oder besonderer Rücksichten halber von denselben abweichen. Ausnahmegesetze nennt man insbes. solche, die zur Unterdrückung von politischen Bewegungen bestimmt sind, z. B. das jetzt aufgehobene deutsche Sozialistengesetz. Je nachdem ein G. einen einzelnen Gegenstand behandelt oder ein ganzes Rechtsgebiet in umfassender[724] Weise ordnet, spricht man von Einzelgesetzen und von Gesetzbüchern, z. B. Bürgerliches Gesetzbuch, Straf-, Handelsgesetzbuch, Strafprozeß-, Zivilprozeß-, Wechselordnung etc. Die Gültigkeit des Gesetzes beschränkt sich auf das Gebiet des Staates, von dem es erlassen wurde, oder auch nur auf einzelne Teile desselben, daher man dem Landesrecht die Provinzial-, Stadtgesetze etc. als partikuläre Gesetze entgegenstellt, womit aber auch im Gegensatz zu den Reichsgesetzen (s.d.) die Gesetze der einzelnen deutschen Staaten bezeichnet werden. Das G. ergreift, insofern nicht etwa die Exterritorialität (s.d.) oder ein Ausnahmegesetz (Privilegium) eine Ausnahme begründet, alle in seinem Geltungsgebiet befindlichen Personen und vorkommenden Handlungen. Wenn solche Personen und Handlungen in dem Geltungsgebiet eines andern Gesetzes zur richterlichen Beurteilung kommen, so entsteht die Frage, welches G. anzuwenden sei (s. Internationales Recht, Kollision der Gesetze).

Seinem Ursprung nach kann man von dem einheimischen G. die rezipierten, einem fremden Volk entlehnten, unterscheiden. Die Entstehung eines Gesetzes erfordert die verfassungsmäßige Beschlußfassung der dazu berufenen Personen und die Verkündigung. In konstitutionellen Monarchien wird das Gesetzgebungsrecht vom Monarchen unter Mitwirkung der Volksvertretung ausgeübt. Die Verkündigung erfolgt heutzutage in gedruckten Gesetzsammlungen, und das Vorgeben, man habe die Bestimmungen eines Gesetzes nicht gekannt, schützt in der Regel nicht gegen die Folgen der Nichtbeachtung, da es Pflicht eines jeden Staatsbürgers ist, sich um das Dasein der Gesetze und ihre Bestimmungen zu bekümmern. Bestimmungen, die ein neues G. für Fälle gibt, die sich noch unter der Herrschaft des alten Gesetzes zugetragen haben, aber beim Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch nicht entschieden sind, nennt man transitorische Gesetze. Für den Fall, daß in dem G. selbst ein besonderer Anfangstermin für seine rechtsverbindliche Kraft nicht bezeichnet ist, beginnt die letztere gewöhnlich mit einem bestimmten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an dem das betreffende Stück der Gesetzsammlung ausgegeben wurde. Für die deutschen Reichsgesetze z. B. ist dies der 14. Tag nach der Ausgabe in Berlin. In den Konsulargerichtsbezirken dagegen erlangen sie erst zwei, bez. vier Monate nach Ausgabe verbindliche Kraft.

Die Wirksamkeit und Gültigkeit eines Gesetzes dauert fort, bis es aufgehoben wird. Die Aufhebung der Gesetze erfolgt entweder mit dem Ablauf der Zeit, für die, oder mit dem Eintritt der auslösenden Bedingung, unter der das G. gegeben worden war, oder durch ein neues G., welches das bisherige entweder geradezu und ausdrücklich wieder aufhebt oder eine demselben entgegenstehende Vorschrift erteilt, oder endlich durch Gewohnheit. In seiner Anwendung fällt ein G. dann weg, wenn sein Gegenstand nicht mehr vorkommt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 724-725.
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