Kolonialgesellschaften

[285] Kolonialgesellschaften (hierzu Textbeilage: »Die wichtigsten deutschen kolonialen Erwerbsgesellschaften«) oder Kolonialvereine gibt es zweierlei Art: 1) solche, deren Zweck entweder die Gründung von Kolonien in überseeischen Ländern oder der Betrieb und die Förderung wirtschaftlicher Unternehmungen jeder Art in den Kolonien einschließlich des überseeischen Handels mit den Kolonien oder die Ausübung von Hoheitsrechten ist (koloniale Erwerbsgesellschaften, s. unten, S. 286); 2) solche, deren Aufgabe es ist, das Verständnis für Kolonialwesen zu fördern. Das deutsche Schutzgebietsgesetz hat in seiner neuen Redaktion vom 25. Juli 1900 die Gründung der deutschen K. von den einengenden Formen des Vereinsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Aktienrechts und des Rechtes der bergrechtlichen Gewerkschaft befreit. Deutsche K., welche die Kolonisation der deutschen Schutzgebiete (Erwerb und Verwertung von Grundbesitz, Land- und Plantagenwirtschaft, Bergbau, gewerbliche Unternehmungen, Handelsgeschäfte) zum ausschließlichen Gegenstand ihres Unternehmens und ihren Sitz entweder im Reichsgebiet oder in einem Schutzgebiet oder in einem Konsulargerichtsbezirk haben, oder denen durch kaiserlichen Schutzbrief die Ausübung von Hoheitsrechten in deutschen Schutzgebieten übertragen ist, kann, ohne daß die Voraussetzungen des Aktienprinzips etc. gegeben sind, auf Grund eines vom Reichskanzler genehmigten Gesellschaftsvertrags vom Bundesrat juristische Persönlichkeit (Rechtsfähigkeit) mit der Wirkung verliehen werden, daß den Gläubigern für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur deren Vermögen haftet. Das gleiche gilt für deutsche Gesellschaften, deren räumlicher Wirkungskreis nicht unmittelbar ein deutsches Schutzgebiet, aber doch das Hinterland eines solchen oder sonstige ihm benachbarte Bezirke sind. Auch sie müssen aber ihren Sitz entweder im Reichsgebiet oder in einem Schutzgebiet oder Konsulargerichtsbezirk haben. So hat z. B. China durch Vertrag vom 6. März 1898 Deutschland Bergbaurechte in der Provinz Schantung zugesichert. Ihre Ausnutzung kann auf Grund des erwähnten Gesetzes durch deutsche Gesellschaften geschehen, die dort ihren Sitz nehmen. Der Gesellschaftsvertrag (Statut) muß Bestimmungen enthalten über Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft, Vertretung der K. Dritten gegenüber, Befugnisse der leitenden und der sie beaufsichtigenden Organe, Rechte und Pflichten der Mitglieder, Jahresrechnung und Gewinnverteilung, Auflösung und Vermögensverteilung und ist im »Reichsanzeiger« zu veröffentlichen. Die Aussicht über sie führt der Reichskanzler, seine Befugnisse sind im Gesellschaftsvertrag aufzunehmen.

Die eigentlichen K. sind gemeinnützige Gesellschaften, die ohne Rücksicht auf Gewinn aus philanthropischem oder patriotischem Antrieb sich mit der Frage der Auswanderung und Kolonisation befassen. Die erste derartige deutsche Gesellschaft war die 1683 von Pistorius in Frankfurt a. M. gegründete, die deutsche Familien nach Pennsylvanien sandte. Danach geschah nichts, bis seit 1821 mehrere Gesellschaften stets scheiternde Versuche machten, in Mexiko, Mittel- und Südamerika deutsche Niederlassungen zu gründen. Ein Versuch Hamburgs, die Chathaminseln bei Neuseeland 1842 zu erwerben, scheiterte an dem Widerstande der englischen Regierung. Dagegen lud Mexiko selbst die preußische Regierung ein, ihre Auswanderung nach den Grenzbezirken dieser Republik zu lenken. Sie lehnte das Anerbieten ab, doch bildete sich 1844 in Mainz der Verein zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas (s. d.). Er beförderte auch eine Anzahl Auswanderer dorthin, die aber wenig gediehen; 1848 nahm der Verein ein klägliches Ende. Gleichzeitig wurde an der Mosquitoküste in Zentralamerika ein schon in seinen ersten Anfängen gescheiterter Kolonisationsversuch gemacht, der 1845 ein Ende nahm. Eine Kolonisationsgesellschaft für die Donauländer verkrachte kurz darauf. Auch die unter dem Protektorat des Prinzen Karl von Preußen 1844–1852 gemachten Kolonisationsversuche in Nicaragua und Costarica hatten keinen Erfolg. Dagegen gelang es dem jetzt in Liquidation begriffenen Kolonisationsverein von 1849 in Hamburg (vgl. Hanseatische Kolonisationsgesellschaft), in Südbrasilien blühende Kolonien anzulegen. Alle diese Unternehmungen hatten ihr Arbeitsfeld auf fremdem Boden, da Deutschland eigne Kolonien nicht besaß. Vgl. Zimmermann, Kolonialgeschichtliche Studien (Oldenb. 1895.) Eine weit regere Tätigkeit entfaltete sich, seitdem das Deutsche Reich 1884 in die Reihe der Kolonialmächte eintrat. Den Anstoß gab nach dem Scheitern der Samoavorlage (1880) der am 6. Dez. 1882 in Frankfurt a. M. begründete Deutsche Kolonialverein, der sich zur Aufgabe stellte, das Verständnis der Notwendigkeit, die nationale Arbeit der Kolonisation zuzuwenden, in immer weitere Kreise zu tragen, für die darauf gerichteten Bestrebungen einen Mittelpunkt zu bilden und eine praktische Lösung kolonialer Fragen und der mit der deutschen Auswanderung zusammenhängenden Fragen anzubahnen. Um praktische Kolonisation zu treiben, wurde Anfang 1884 die Gesellschaft für deutsche Kolonisation in Berlin begründet, zu dem Zweck, deutsch-nationale K. ins Leben zu rufen, deutsche Kolonisationsunternehmungen, vornehmlich in Ostafrika, zu unterstützen, die deutsche Auswanderung in geeignete Gebiete zu lenken und die deutsch-nationalen Interessen zu fördern. Beide Gesellschaften vereinigten sich 1887 zur Deutschen Kolonialgesellschaft mit dem Sitz in Berlin, die in 354 Abteilungen und 8 Gauverbänden in Deutschland und auch in überseeischen Ländern 1904: 32,000 Mitglieder zählte. Ihre Organe sind die 1884 begründete, wöchentlich erscheinende »Deutsche Kolonialzeitung«, die »Mitteilungen der deutschen Kolonialgesellschaft« (für die Presse, nach Bedarf, in der Regel wöchentlich) und (seit 1899) die »Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft«, seit 1904 u. d. T. »Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft« (jährlich 12 Hefte). Die Gesellschaft will nicht selbst überseeische Unternehmungen in die Hand nehmen, sie aber tatkräftig unterstützen, unter anderm durch die Wohlfahrtslotterie und durch das Kolonialwirtschaftliche Komitee (s. d., Organ: »Der Tropenpflanzer«). Auch hat die Deutsche Kolonialgesellschaft eine Auskunftsstelle für Auswanderer in Berlin errichtet. Von weitern deutschen Gesellschaften dieser und ähnlicher Art sind zu nennen:


Afrikaverein deutscher Katholiken, Köln (Organ: »Gott will es«);

Alldeutscher Verband, Berlin (Organ: »Alldeutsche Blätter«);

Zentralverein für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Ausland, Berlin (Organ: »Export«);

Deutsch-Asiatische Gesellschaft, Berlin (Organ: »Asien«);[285]

Deutsch-Brasilischer Verein, Berlin;

Marokkanische Gesellschaft, Charlottenburg;

Deutscher Frauenverein für Krankenpflege in den Kolonien, Berlin (2600 Mitglieder; Organ: »Unter dem Roten Kreuz«);

Deutscher Kolonialbund, Berlin (Organ: »Koloniale Zeitschrift«);

Deutsches Kolonialmuseum, Berlin;

Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika, Barmen (Organ: »Der deutsche Ansiedler«);

Evangelischer Afrikaverein, Berlin (5000 Mitglieder; Organ: »Afrika«);

Evangelischer Hauptverein für deutsche Ansiedler und Auswanderer, Witzenhausen (Organ: »Der deutsche Auswanderer«);

Ostasiatischer Verein, Hamburg;

St. Raphaelsverein zum Schutz katholischer deutscher Auswanderer, Limburg a.d. Lahn (1500 Mitglieder; Organ: »St. Raphaelsblatt«);

Verein für deutsche Auswandererwohlfahrt, Hannover;

Verein westafrikanischer Kaufleute, Hamburg;

Nachtigal-Gesellschaft für vaterländische Afrikaforschung, Berlin.


Ausführlicheres über Zweck und Ziel dieser Gesellschaften enthält der »Deutsche Kolonialkalender« (17. Jahrg., Berl. 1905).

Von den Kolonialgesellschaften andrer Nationen sind aus neuester Zeit zu nennen für England: Royal Niger Company, East Africa Co., South Africa Co., North Africa Co., North Borneo trading Co.; für Portugal die Mosambik-Kompanie, 1888 mit großen Privilegien ausgestattet, um der South Africa Co. entgegenzutreten, Companhia do Assucar de Moçambique, Companhia assucareira de Africa Oriental, Companhia assucareira de Angola, Companhia da Ilha do Principe, Empresa agricola de Principe, Companhia de Mossamedes; für Belgien die Compagnie du chemin de fer du Congo, 1889 zum Bau einer Eisenbahn am untern Kongo begründet, Compagnie du Congo pour le commerce et l'industrie, Compagnie du Katanga, Compagnie des produits du Congo, Compagnie des magasins généraux du Congo, Société anonyme belge pour le commerce du Haut-Congo, Compagnie du Lomani, Société anonyme des produits végétaux du Haut-Kassaï, Société anonyme d'agriculture et de plantations an Congo, Société anversoise du commerce an Congo, Anglo-Belgian India Rubber and Exploration Company, Belgika Comptoir national belge; für die Niederlande eine bereits 1852 mit einem Monopol auf 40 Jahre (seitdem verlängert) begründete Gesellschaft zur Ausbeutung der Zinngruben auf der niederländisch-indischen Insel Billiton. 1894 wurde in Brüssel ein internationales Kolonialinstitut zur Förderung der kolonialen Interessen der Kulturvölker begründet.

Koloniale Erwerbsgesellschaften haben den Zweck, durch Anlage von Pflanzungen und Tierzüchtereien, durch Ausbeutung der Mineralschätze, durch Handelsunternehmungen, Förderung des Verkehrs und Einführung von Kolonisten zur Erschließung der überseeischen Besitzungen des eignen Landes oder fremder Länder beizutragen. Sie sind dementsprechend Pflanzungs-, Viehzuchts-, Bergbau-, Handels-, Eisenbahn-, Siedelungsgesellschaften etc. oder mehreres zugleich. Die wichtigsten deutschen kolonialen Erwerbsgesellschaften, die nach den deutschen Besitzergreifungen in Afrika und in der Südsee in großer Zahl entstanden, nach dem Stande von Ende 1904, sind in der hierzu gehörigen Textbeilage verzeichnet. Vgl. noch die besondern Artikel: »Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, Jaluit-Gesellschaft und Neuguinea-Kompanie«. Ausführlichere Angaben enthalten der »Deutsche Kolonial-Kalender« (17. Jahrg., Berl. 1905), das »Kolonial-Handelsadreßbuch«, herausgegeben vom Kolonialwirtschaftlichen Komitee (9. Jahrg., das. 1905), Fitzners »Deutsches Kolonial-Handbuch« (2. Aufl., das. 1901; Ergänzungsband 1904) sowie die regelmäßig erscheinenden Gesellschaftsberichte im »Deutschen Kolonialblatt«, im »Tropenpflanzer« und in der »Deutschen Kolonial-Zeitung«; Decharme, Compagnies et sociétés coloniales allemandes (Par. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 285-286.
Lizenz:
Faksimiles:
285 | 286
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon