Sonntagsruhe

[612] Sonntagsruhe. Die Beschäftigung von Arbeitern namentlich im Gewerbe-, Handels- und Verkehrswesen an Sonn- und Feiertagen ist größer, als man gewöhnlich glaubt; so hat eine in der Frage der Sonntagsarbeit im Deutschen Reiche veranstaltete Enquete ergeben, daß in Preußen 58 Proz. aller Betriebe und 42 Proz. aller Arbeiter in den oben bezeichneten Unternehmungen Sonntagsarbeit hatten. Zugunsten der Sonntagsarbeit berufen sich die Großindustriellen auf Gründe technischer und wirtschaftlicher Natur, namentlich darauf, daß die Produktionsweise es mit sich bringe, daß jede Unterbrechung des Betriebs den Gewinn schmälert, indem sie Zeit- und Materialverluste (Feuerungsanlagen) bewirke, viele Kleingewerbtreibenden auf die Unentbehrlichkeit ihrer Waren und den erfahrungsgemäß gesteigerten Absatz derselben am Sonntag; im Verkehrsgewerbe bringt gerade der Sonntag, als der der Erholung und dem Vergnügen gewidmete Tag, sogar wesentlich gesteigerte Anforderungen an die Leistungen desselben. Trotz des großen Umfanges und der gewohnheitsmäßigen Übung der Sonntagsarbeit hat man doch im Interesse der Arbeiter einer Einschränkung derselben warm das Wort geredet. Der wichtigste Grund ist der, daß der Arbeiter zur Aufrechterhaltung der Gesundheit und Arbeitskraft einen wöchentlichen Ruhetag nötig habe; auch die soziale Unzufriedenheit werde genährt, wenn der Arbeiter unter festtäglich gekleideten Menschen im Arbeitskittel zur Fabrik gehen müsse. Auch ist bemerkt worden, daß die Sonntagsarbeit eines durch die Wochenarbeit schon ermüdeten Arbeiters keinen hohen wirtschaftlichen Wert habe, daß der Ausfall der Sonntagsarbeit durch erhöhte Leistungen am Werktag wieder eingebracht werde. In Deutschland wurde das Verbot der Sonntagsarbeit schon 1869 bei Erlaß der Gewerbeordnung erwogen, dann wiederholt in den 1880 er Jahren, bis die Frage durch die Novelle zur Gewerbeordnung, § 105 b bis i, vom 1. Juni 1891 im Sinne einer Einschränkung der Sonntagsarbeit erledigt wurde. Danach ist für den größten Teil der überhaupt unter die Gewerbeordnung fallenden Gewerbe die Arbeit an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich verboten, und nur ausnahmsweise in bestimmten Fällen und unter bestimmten Kautelen gestattet (§ 105 c). Das Mindestmaß der Ruhezeit ist auf 24 Stunden für jeden Sonn- und Festtag, auf 36 Stunden bei zwei aufeinanderfolgenden Feiertagen und auf 48 für das Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest bemessen. Jugendliche Arbeiter dürfen an Sonn- und Festtagen überhaupt nicht beschäftigt werden. Schulpflichtige Kinder, eigne wie fremde, dürfen an Sonn- und Feiertagen im Betriebe von Werkstätten, im Handels- und Verkehrsgewerbe überhaupt nicht beschäftigt werden (Kinderschutzgesetz, § 13). Im Handelsgewerbe soll die Sonntagsarbeit 5 Stunden nicht übersteigen. Bezüglich der Fabrikindustrie sind durch das Gesetz eine Reihe von Ausnahmen vorgesehen, die teils ohne weiteres, teils auf Grund verschiedener Verordnungen des Bundesrats vom 5. Febr. und 25. Okt. 1895,20. April, 26. Juni und 27. Nov. 1896, 16. Okt. 1897, 3. Nov. 1898, 26. April und 15. Juli 1899, 3. April 1901, teils durch Verfügung der höhern oder der untern Verwaltungsbehörden eintreten. Die grundlegende und umfassendste Verordnung ist die vom 5. Febr. 1895, die 7 Betriebe des Bergbau-, Hütten- und Salinenwesens, 4 der Industrie der Steine und Erden, 3 der Metallverarbeitung, 39 der chemischen Industrie, 10 der forstwirtschaftlichen Nebenprodukte, 3 der Papier- und Lederbetriebe, 8 der Nahrungs- und Genußmittelbetriebe und endlich 8 Gewerbe umfaßt, die in gewissen Zeiten des Jahres zu einer außergewöhnlich starken Tätigkeit genötigt sind. Ausgenommen von dem Verbote der Sonntagsarbeit sind das Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe, Musikaufführungen, theatralische Vorstellungen und sonstige Lustbarkeiten und die Verkehrsgewerbe. Die Übertretung der einschlagenden Vorschriften der Gewerbeordnung oder der auf dieser Grundlage erlassenen statutarischen Bestimmungen wird mit Geldstrafe bis zu 600 Mk., im Unvermögensfalle mit Hast bestraft. Eine ähnliche Regelung der Sonntagsarbeit findet sich auch in andern Kulturstaaten. Am geringsten ist die Sonntagsfeier in Frankreich, wo nur bezüglich der Kinderarbeit in Fabriken das Gesetz vom 3. Juni 1874 besteht, während sie in England und in den Vereinigten Staaten sehr streng gehandhabt wird. In der Schweiz verbietet das Bundesgesetz vom 23. März 1879 die Sonntagsarbeit, Notfälle vorbehalten, mit Ausnahme der Etablissements, die ihrer Natur nach ununterbrochenen Betrieb erfordern und die Bewilligung des Bundesrats erhalten haben. In Österreich verbietet schon die Novelle zur Gewerbeordnung vom 8. März 1885 (§ 75), an dessen Stelle das Gesetz vom 16. Jan. 1895 getreten ist, und in Ungarn das Gesetz vom 14. Mai 1891 alle gewerbliche Arbeit (Fabrik, Gewerbe, Handel) an Sonntagen, abgesehen von Säuberungs- und Instandhaltungsarbeiten etc.; doch kann die Regierung Ausnahmen gestatten. Rußland hat durch Gesetz vom 14. Juni 1897 Vorschriften über die S. und den Maximalarbeitstag getroffen. Das Problem der S. kann übrigens nur auf Grund internationaler Vereinbarungen gelöst werden. Ein »internationaler Kongreß für Sonntagsruhe« tagte 1877 in Genf, 1879 in Bern, 1889 in Paris, 1892 in Stuttgart.[612] Wie auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes überhaupt, ist auch hier Deutschland allen Nationen voraus. Wie schwierig es ist, den verschiedenen (religiösen, sozialen, hygienischen) Anforderungen bei Lösung dieser Frage gerecht zu werden, mag schon daraus hervorgehen, daß nicht einmal der größte Arbeitgeber, der Staat, in seinen Betrieben die S. durchführen kann, und daß nicht einmal seine Beamten allgemeine und völlige S. genießen. S. auch Fabrikgesetzgebung. Vgl. Fey, Die Sonn- und Festtagsruhe nach der Arbeiterschutzgesetzgebung (Mainz 1892); Werner, Die S. in Industrie und Handwerk (3. Aufl., Berl. 1895); Rüdiger, Die S. im Gewerbebetrieb (das. 1895); Büttner, Die S. im Gewerbebetrieb etc. (Leipz. 1895); Klotz, Das deutsche und badische Sonntagsrecht (Karlsr. 1900); Artikel »Sonntagsarbeit« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 6 (2. Aufl., Jena 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 612-613.
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