Bettelwesen

[693] Bettelwesen. Selten ist dringendes Bedürfniß des Nöthigsten, sondern gewöhnlich Luft zum Müßiggang u. Neigung, sich Gegenstände des Luxus zu erzeugen, die Ursache der Bettelei, wie denn die ärmsten Gegenden Europas, Schweben u. Norwegen, die wenigsten, u. die reichsten, Italien u. Brabant, die meisten Bettler zählen. Bettelei ist aber eine Last für die übrigen Staatsbürger, ohne den Bettelnden dauernde Vortheile zu schaffen. Wenigstens ist daher öffentliches u. Straßenbetteln unbedingt abzuschaffen, da sie in hohem Grade demoralisirend wirken, für die wirklich Bedürftigen aber ist durch Armenpflege (vgl. Armenwesen) zu sorgen. Die Strafe des öffentlichen Bettelns besteht gewöhnlich in kurzem Gefängniß, nach Befinden körperlicher Züchtigung, bei wiederholtem Rückfall tritt Einbringung in eine Correctionsanstalt ein. Betteln unter betrügerischem Vorgeben, z.B. erdichteten Unglücksfällen, kann selbst criminelle Bestrafung nach sich ziehen. Sind die Bettelnden Kinder, so müssen die Eltern für sie bestraft, sind es Fremde, sie nach überstandener Strafe auf dem Schub in ihre Heimath gebracht werden. Bes. streng muß die Aufsicht über das Betteln auf dem Lande sein, da dort der Landmann weniger im Stande ist, sich gegen die Zudringlichkeiten der Bettler zu schützen, daher leicht die Bettelei in Erpressungen ausartet u. sich Bettler daselbst auch Gelegenheit zum Stehlell u. sonstigen Unfug erspähen. Eine gute Gensdarmerie u. fleißiges Durchsuchen der Forste, der einzelnen Häuser u. Herbergen leistet hier die besten Dienste. Schwieriger ist der Hansbettelei zu wehren. Sie collidirt zu sehr mit der jedem Staatsbürger überlassenen Mildthätigkeit, nimmt zu oft die Maske von Ausspielen, Anleihen, Kaufanträgen etc. vor, als daß es möglich wäre ihr ganz zu steuern. Bes. gilt dies von den vornehmen Bettlern u. Hochstaplern, die häufig die Welt durchziehen u. so unter den listigsten u. seltsamsten Vorwänden, durch Tournure u. keckes Wesen unterstützt, selbst dem Klügsten u. Zähsten das Geld zu entlocken u. selbst der besten Polizei sich zu entwinden wußten u. noch wissen. Eben so ist wohl das Betteln wandernder Handwerker nicht ganz zu vermeiden, da selbst die ehrlichsten u. besten, wenn sie selbst ohne Arbeit u. die ihnen aus Handwerkskassen gereichten Unterstützungen unzulänglich zum Unterhalt sind, genöthigt werden, Hülfe anzusprechen. Eben so wenig kann ohne Härte Abgebrannten u. anderen, für den Augenblick von schwerem Unglück (z.B. Überschwemmung) Betroffenen od. anderen Hülfsbedürftigen versagt werden, die Mildthätigkeit Glücklicherer anzusprechen; auch im Kriege, bei Hungersnoth u. in andern Nothzeiten machen sich minder strenge Maßregeln nöthig. Solchen Hülfsbedürftigen dagegen einen förmlichen Bettelschein zu geben (wie z.B. in England bei verstümmelten Kriegern geschieht) ist nicht rathsam, da das üble Beispiel Nachfolger auch ohne Schein erweckt. – Das Betteln war im ganzen Alterthume etwas Ehrenrühriges. Die Hebräer, da bei ihnen durch Arbeitsamkeit jeder seinen Unterhalt verdienen konnte, sahen das Betteln für eine Folge der Faulheit u. Liederlichkeit, also für eine Schande[693] an. Doch war das Betteln kranken, arbeitsunfähigen Leuten nicht verboten, u. solche pflegten sich an besuchte Straßen u. Orte, bes. an den Haupteingang in den Tempel, zu setzen u. um ein Almosen zu bitten. Daher kam es auch, daß in den ältesten christlichen Kirchen die Bettler in den bedeckten Säulengängen vor der Kirche standen u. dort um Gaben baten, wie noch in jetziger Zeit die Nähe von Kirchen u. vielbesuchten Wallfahrtsorten ein besonders beliebter Aufenthalt der Bettler zu sein pflegt. Im griechischen Alterthum waren Bettler nichts Ungewöhnliches; sie waren Freie, die durch den Wechsel des Glücks herunter gekommen waren, u. den leichten Erwerb des Unterhaltes ohne Arbeit vorzogen; sie bettelten nicht allein in ihrer Gemeinde, sondern streiften als Landbettler umher u. wurden nicht selten zugleich als Spione gebraucht, da sie nicht blos in Bauernhäusern, sondern auch in Häuptlingspalästen ihre Mahlzeit erhielten. Ihr Platz war hier auf der Schwelle der Thür. Der ins Sprüchwort übergegangene Bettler bei Homer ist Iros (s.d.). Auch ganze Bettlerfamilien zogen schon in alter Zeit umher. Wie die Fremden, standen auch die Bettler unter dem Schutze des Zeus Hiketesios. In Athen war in der guten Zeit (bis zum Peloponnesischen Krieg) keiner so arm, daß er den Staat durch Betteln beschämte, später aber zogen auch hier Bettler aus u. ein. In Rom gab es ein eigentliches B. nicht, da nach einem strengen Gesetze Bettler in unfreien Zustand geriethen. Aber in der ersten Kaiserzeit trieb auswärtiges, bes. orientalisches Gesindel, bes. als Geisterseher, Wahrsager u. dgl., nach Art der Zigeuner, durch ganz Italien eine unverschämte Bettelprofession, weshalb auch später durch Gesetze geboten ward, daß gesunde Bettler aufgegriffen u. zur Arbeit angehalten werden sollten. Im Mittelalter trugen die allzuweit gehenden Ansichten über christliche Mildthätigkeit, die Entstehung eigener Bettelorden (s. Bettelmönche) u. die vielen Kriege, welche eine Menge Arme erzeugten, später auch das Söldnerwesen, aus welchem nach Beendigung der Kriege immer eine große Anzahl herumschweifenden dienstlosen Gesindels (gardende od. fahrende Kriegsknechte) hervorging u. die Ankunft der wandernden Zigeuner viel zur Vermehrung des B. bei. Einzelne Reichsgesetze, wie der Reichsabschied von 1512, Landfrieden von 1551, Reichspolizeiordnung von 1577, suchten vergeblich dagegen zu wirken. Über die Mittel, welche die neuere Zeit zur Unterdrückung der Bettelei angewendet hat, s. unter Armenwesen IV.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 693-694.
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