[136] Gems, 1) (Rupicapra Gray), Gattung aus der Ordnung der Wiederkäuer, Unterordnung der Hornthiere u. Familie der Antilopen; Hörner bei Männchen u. Weibchen drehrund, kantenlos, aufrecht, nach der Spitze hin in einen Haken gebogen, unten geringelt, etwa von der Mitte an glatt; 4 Zitzen; Gestalt der Ziegen, nur die Hinterbeine stärker u. länger, daher diese Thiere nicht selten 20 Fuß weite Sprünge machen können; diese Gattung enthält nur eine Art: 2) Gemeine G-e (A. rupicapra L., Rupicapra Tragus Gray, Dicranoceros rupicapra H. Sm.), hat einen groben, ziemlich langhaarigen Pelz von schmutzig rothbrauner Farbe, mit schwarzer langhaariger Rückenlinie, an Bauch u. Kehle weißlich, von den Ohren bis zur Nase geht ein weißer Streif, der Schwanz u. ein Augenfleck ist schwarz; im Winter jedoch werden alle Haare mit schwarzen u. grauen untermischt, so daß der Pelz dann dunkelbraun, fast schwarz aussieht, u. die weißen Stellen sind dann noch weißer; hinter jedem Ohr befindet sich ein Sack unter der Haut, der nach außen nur ein kleines Loch hat u. eine trockene Höhle bildet; die großen Augen sind röthlich u. sehr lebhaft, die Hase sind stark gespalten, ziemlich lang, mit rauhen Kanten u. scharf zugespitzt; Länge 3 Fuß 9 Zoll, Schulterhöhe 2 Fuß 3 Zoll, Kreuzhöhe 2 Fuß 2 Zoll, Schwanz 3 Zoll; Gehör, Gesicht u. Geruch sind bei den G-en vorzüglich; ihre gewöhnliche Stimme ist nur ein schwaches Blöken, sobald sie aber Gefahr wittern, lassen sie ein starkes, gellendes Pfeifen erschallen; scheu u. vorsichtig spitzen die G-en immer die Ohren, blicken zwischen jedem Absatz umher, stampfen mit den Vorderfüßen die Erde, laufen, bleiben wieder stehen, springen auf eine Felsenspitze, kurz, sie befinden sich immerwährend in der geschäftigsten Unruhe. Das kleinste Geräusch setzt sie in Schrecken u. treibt sie zur schnellsten Flucht an; bewunderungswürdig ist dann die Kunst, mit der sie die steilsten Felsen mehr auf- u. abfliegen, als auf- u. abklettern; sie laufen dabei immer in schiefer Richtung, wodurch sie sich die Flucht sehr erleichtern; pfeilschnell eilen sie oft in unermeßliche Abgründe, indem sie sprungweise u. von Zeit zu Zeit mit den Füßen in die Felsen hauend, sich das gefährliche Wagstück zu erleichtern suchen. Ihre Nahrung besteht vom Sommer bis Herbste aus den besten kräftigsten Alpenpflanzen, bes. lieben sie die jungen Triebe der Nadelhölzer, Wachholder etc.; im Herbst u. Winter nähren sie sich von Laub u. dünnem Grase, Flechten etc. u. im Winter kommen sie oft nahe an die Häuser u. sogar in die Thäler hinab, bes. wenn hier schon das Gras hervorkeimt, im Gebirge aber noch Alles mit Schnee bedeckt ist; Salz lieben sie sehr u. statt des Wassers lecken sie häufig Schnee, da sie Durst nicht so gut wie Hunger vertragen können. Im Magen der G-e befindet sich eine runde, feste, außen schwarz- od. braunglänzende Masse von der Größe einer Haselnuß, welche Gemsenkugel od. Deutscher Bezoar heißt, aus den Fasern der Gras- od. Gemswurz, der Bärenwurz u. anderer Pflanzen durch Zusammenballen[136] im Magen entstanden ist u. als sehr heilkräftig gilt. Die G. lebt auf den hohen Gebirgen der europäischen Centralalpenkette der Schweiz, Tyrols, Salzburgs, Savoyens, auf den Pyrenäen, den Apenninen u. Karpaten; die der Pyrenäen (A. rupicapra pyrenaica) ist etwas schlanker, hat schwächlichere, kleinere Hörner, ein mehr fuchsrothes Sommerkleid, ohne schwarzen Rückenstreif u. mäusegraues, kurzhaariges Winterkleid. Nach Pallas ist die Iris der G. vom Kaukasus schwarzbraun, der Kopf blaß gelblichroth, Kehle u. inneres Ohr weißlich, eine breite, schwarzbraune Binde verläuft an den Kopfseiten bis zu den Ohren, in der die Augen stehen, ein schwarzer Fleck steht neben der Basis der Hörner, der schwarze Rückenstreif fehlt nicht u. der sehr kurze Schwanz ist auch schwarz. Nach Georgi kommt diese Varietät in Podolien, den Karpaten, in Taurien, Georgien, am Kaukasus u. Sibirien, oben am Ischün vor u. verbirgt sich im Winter in Höhlen; das Männchen heißt Gemsbock, das Weibchen Gemsziege od. Gemsgeiß, sie leben in Rudeln bis zu 30 Stück, nur die alten grauen Böcke (Stoßböcke) leben für sich; die G. brunftet im November (falsche Brunst hat man im Mai bemerkt); die Geiß trägt 2022 Wochen, das Gemszickelchen saugt sechs Monate, oft ein Jahr u. im dritten Jahre wird der Bock mannbar. Die Gemsjagd geschieht nur mittelst langer Gemsbüchsen, welche zwei Schlösser an einem Laufe haben u. bei denen man zwei Schüsse auf einander ladet. Nur bei den Waldthieren, welche in die Thäler herabkommen, wendet man zuweilen Einlappen- u. Klopfjagden an; die Gratthiere (von Grat, so v.w. scharfe Gebirgskante u. Bergspitze) in dem höheren Gebirge schießt man auf dem Anstande bei Salzlecken u. Wechseln, auch verfolgt sie der Gemsjäger (dann auch Gemssteiger genannt) bis auf die höchsten Spitzen; zuweilen kommt er hier der G. so nahe, daß er sie mit dem Thillmesser, einer Art Hirschfänger, ersticht. Aber eine solche Jagd ist mit großer Gefahr verknüpft, u. an den steilsten, schlüpfrigsten u. darum gefährlichsten Stellen muß der Jäger zuweilen Alles von sich werfen, was ihm lästig werden könnte, die Schuhe ausziehen, u. zuweilen soll es vorgekommen sein, daß er sich die Fersen od. Fußballen aufschnitt, um den Fuß durch das hervorströmende Blut klebrig zu machen u. so das Herabsteigen von den Gletschern zu erleichtern. Oft muß er mit der Axt sich einen Weg bahnen, indem er Stufen in die Felsen od. das Eis haut; oft muß er auch die langen Seile zu Hülfe nehmen, die er mit sich geführt, um sich an ihnen herabzulassen. Ja Muth, Gewandtheit, Vorsicht, Ausdauer, Gleichgültigkeit gegen Schmerz gehören dazu, eine solche Jagd mit Glück zu vollbringen, u. selbst dann, wenn der Jäger auch alle diese Gaben besitzt, wird er doch oft ein Opfer seiner Kühnheit, ja es gehört zu den seltenen Fällen, daß ein Gemsjäger eines natürlichen Todes stirbt. Das Fleisch der G-n, bes. das der Jungen, ist wohlschmeckend, das Gemsleder ist stark, dauerhaft u. dabei weich wie Sammet, die Hörner (Krücken od. Kricker) geben Griffe an Stöcke; Talg, Gedärme u. Milch benutzt man wie bei den Schafen u. Ziegen, das Blut soll gegen Schwindel etc. helfen, weshalb die Jäger auch oft das Blut aus den offenen Wunden der G-n trinken. Aus den oft 46 Zoll langen Rückenhaaren wird der sogenannte Gemsbart gemacht, indem um eine Art Cocarde, die von den Tyrolern auf ihrem Hute getragen wird, diese Haare strahlig herumgestellt werden; die Cocarde ist gewöhnlich grün u. golden.
Pierer-1857: Gems [2]