Tacĭtus

[194] Tacĭtus, 1) Cajus od. Publius Cornelius T., römischer Geschichtschreiber, geb. um 54 n. Chr. angeblich in Interamna, trat frühzeitig in Rom als Sachwalter auf, heirathete 78 die Tochter des Jul. Agricola, wurde unter Vespasian 78 (79) Quästor, unter Titus 80 (81) Tribun od. Ädil u. war 88 unter Domitian Präter u. zog 90 von Rom nach einem (unbekannten) einsamen Orte. Nach 93 kehrte er nach Rom zurück u. wurde unter Nerva 97 stellvertretender Consul; sein Todesjahr ist unbekannt, doch lebte er noch 115. Unter Domitian, wo es das Schicksal edler Männer war über die öffentlichen Angelegenheiten schweigen zu müssen, begann er das Studium der Geschichte u. die Vorbereitung zu seinen historischen Werten, welche er dann nach Nerva's Regierungsantritt veröffentlichte. Sie betreffen die Geschichte seiner Zeit, welche er ohne Haß u. Vorliebe erzählt, geleitet von dem Princip seiner ethischen Lebensansicht,[194] daß das Böse sich selbst vernichtet u. die Tugend, so oft u. lange sie auch der Macht des Bösen unterliegt, doch endlich siegt. Seiner politischen Ansicht nach gehörte er zu denen, welche das Heil des Staates in einer constitutionellen Monarchie finden, ohne jedoch die Hoffnung zu hegen, daß sie insbesondere für das damalige Römische Reich möglich sein würde; als Philosoph war er Eklektiker, in religiöser u. ethischer Beziehung ein Fatalist im Sinne der griechischen Tragiker, welche dem Fatum eine sittliche Macht im Menschen, die Charakterstärke, entgegensetzen, welche sich in der Unabhängigkeit seiner Ansichten u. Handlungen von den äußeren Einflüssen äußert u. die Anerkennung der Guten aller Zeit erwirbt, während die in Knechtssinn u. Schmeichelei sich aussprechende Charakterlosigkeit der Schande bei Mit- u. Nachwelt verfällt. Die Erzählung in seinen Geschichtswerken verläuft in chronologischer Folge, welche zuweilen durch Betrachtungen u. Schilderungen unterbrochen wird; in der Composition ist er aphoristisch, im Ausdruck pathetisch, nicht ohne Archaismen u. poetische Eleganz, kurz, körnig, bestimmt, nicht selten schwer u. dunkel; seine Sprache gehört dem Silbernen Zeitalter an u. ist nicht rein von griechischem Einfluß. Er schr. in chronologischer Folge: De vita moribus Cn. Julii Agricolae, seines Schwiegervaters (herausgeg. von Dronke, Cobl. 1824, u. Fulda 1844; von Roth, Nürnb. 1833; von U. J. H. Becker, Hamb. 1826; von Peerlkamp, Leyd. 1827; von Wex, Braunschw. 1852; deutsch von Renner u. Fichte, Gött. 1806, 2. A. 1816; von Walch, Verl. 1828; vgl. J. Held, De Agricolae vita, quae vulgo Corn. Tacito adsignatur, Schweidn. 1845); De situ, moribus et populis Germaniae (herausgeg. von Kapp, 2. Ausg. von Heß, Lpz. 1824; von Bredow, 2. Ausg. von Passow, Bresl. 1817; von Günther, Helmst. 1826; von Kießling, Lpz. 1832; von Jac. Grimm, Götting. 1835; von Maßmann, Quedlinb. 1847; von Gerlach, Basel 1835; von Weißhaupt, Soloth. 1844; von Döderlein, Erl. 1850; von Finck, Gött. 1857; deutsch übersetzt u. erläutert von Gerlach, Basel 1837; Von Löw, Manh. 1862); Historiae, von Galba bis zum Tode Domitians, nur zum Theil noch vorhanden (herausgeg. von Kießling, Lpz. 1840; deutsch von Gutmann, Zür. 1824; von Schlüter, Essen 1834); Anales, eigentlich XVI libri ad excessu divi Augusti, 16 Bücher, enthaltend die römische Geschichte von Augusts Tode bis zu Nero's Ermordung, nur noch zum Theil erhalten (herausgeg. von Kießling, Lpz. 1829; von Nipperdey, Berl. 1851 s., 2 Bde.; 2.A. 1853–57; von Otto, Mainz 1854; Commentar von Ruperti, Gött. 1805; deutsch von Schlüter, Essen 1809–18, 3 Bde.; von Hacke, Frankf. 1825–29. 2 Bde.). Einige haben dem T. auch den, von Andern dem Quintilian beigelegten Dialogus de oratoribus etc. (herausgeg. von Schulze, Lpz. 1788; von E. Dronke, Cobl. 1828; von J. C. Orelli, Zürich 1830; von Heß, Lpz. 1841; deutsch von Nast, Halle 1787; von Hübsch, Nürnb. 1837) zugeschrieben. Werke, herausgeg. von J. Lipsius, Antw. 1574; von C. Pichena, Flor. 1600; von Bernecker, Strasb. 1638; von J. Fr. Gronov, Leyd. 1685, 2 Bde.; von Abr. Gronov, Utrecht 1721; von J. A. Ernesti, Lpz. 1752, 2 Bde., u. A. von Oberlin, 1801, zuletzt von J. Bekker, ebd. 1831; von Weickert, ebd. 1813–16, 3 Bde.; von G. H. Walther, Halle 1831–33, 4 Bde.; von G. A. Ruperti, Hannov. 1834–39, 4 Bde.; von Nic. Bach, Lpz. 1834 s., 2 Bde.; von Ritter, Bonn 1834–36, 2 Bde., u. Cambr. 1848, 4 Bde.; von Döderlein, Halle 1841–47, 2 Bde.; von J. C. Orelli, Zür. 1846–48, 2 Bde.; deutsch von J. S. Müller, Hamb. 1765 s., 3 Bde.; von Goldhagen u. Patzke, Magdeb. 1765–77. 6 Bde.; von Weltmann, Berl. 1811–16, 6 Bde.; von Strombeck, Braunschw. 1816, 3 Bde.; von Ricklefs, Oldenb. 1825–27, 4 Bde,; von W. Bötticher, Berl. 1833; von Gutmann, Stuttg. 1829–40, 10 Bde., u. Zürich 1847; Roth, 1854 ff. Ein Lexicon Taciteum gab Bötticher heraus, Berl. 1830. Vgl. Hoffmann, Die Weltanschauung des T., Essen 1831; Bötticher, De vita, scriptis et stilo Taciti, Berl. 1834; Kirschbaum, Quid T. senserit de rebus publicis, Jena 1857; Dubois-Guchan, Tacite et son siècle, Par. 1862, 2 Bde. 2) Marcus Claudius T., angeblich aus dem Geschlecht des Vor., stammte aus Interamna, geb. 200 n. Chr., war 275 Princeps senatus; da er das Gerücht vernahm, daß man ihn nach dem Tode Aurelians zum Kaiser wählen wollte, zog er sich auf sein Landgut nach Bajä zurück, um der Wahl zu entgehen, nahm dieselbe jedoch nach einer halbjährigen Zögerung an. Er bemühte sich das Ansehen des Senats wieder zu heben u. zog 276 gegen die Alanen nach Kleinasien, wo er nach nicht ganz siebenmonatlicher Regierung in Tyana, nach And. bei Tarsos, von den Soldaten ermordet wurde, nach And. am Fieber starb; s. Rom S 290.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 194-195.
Lizenz:
Faksimiles:
194 | 195
Kategorien: