Volksschriften

[661] Volksschriften, nennt man im Unterschiede von Volksbüchern (s.d., d.h. solchen Schriften, welche unabsichtlich u. ungesucht bei allen Klassen eines Volks lange Zeiträume hindurch Beifall u. Verbreitung gefunden haben), diejenigen Schriften, welche für das Bedürfniß u. die geistige Bildung der niederen u. mittleren Schichten eines Volks, mit Ausschluß der wissenschaftlich Gebildeten, berechnet sind u. diesen in einer ihnen zugänglichen Weise Belehrung u. Unterhaltung darbieten sollen. Die wesentliche Bedingung einer guten V. ist außer ihrer Verständlichkeit (Popularität) ein solches Eingehen auf die Gefühls- u. Denkweise des Volks, daß sie das Interesse desselben lebendig anregt, seinen Gedankenkreis auf eine zweckmäßige Weise bereichert u. seinen Gefühlen, seinen sittlichen u. religiösen Anschauungen eine veredelnde Richtung gibt. Neben der auf die Unterhaltung u. Erheiterung des Volks berechneten Literatur sind es populäre Darstellungen aus der Länder- u. Völkerkunde, der Naturbeschreibung u. den Naturwissenschaften, aus der Geschichte, Belehrungen über Gewerbe u. Künste, Darstellungen sittlicher Charakterzüge, Anregungen zu religiöser Erbauung, welche den Stoff u. den Inhalt einer V. bilden können. Die rücksichtlich der Wahl des Stoffes, seiner Behandlung u. Darstellung an eine gute V. zu stellenden Forderungen sind keineswegs leicht zu erfüllen; sie soll dem Volke eine gesunde u. demselben zusagende geistige Nahrung darbieten u. doch zugleich dazu beitragen dasselbe über seinen gegenwärtigen Bildungsgrad hinauszuführen, u. die Erfahrung lehrt, daß Vieles, was ihm in dieser Absicht dargeboten wird, seinen Zweck verfehlt. Als deutsche Volksschriftsteller aus dem 18. Jahrh., welche hauptsächlich den Gesichtspunkt des Nützlichen u. Erbaulichen im Auge hatten, sind C. G. Salzmann u. Rud. Zach. Becker zu nennen, dessen Mildheimisches Noth- u. Hülfsbüchlein, Mildheimisches Liederbuch u. Mildheimisches Evangelienbuch überaus wohlthätig gewirkt u. eine weite Verbreitung (das erste in einer Million von Exemplaren) gefunden haben. Aus späterer Zeit gehören hierher manche [661] Schriften von Gellert (Fabeln), Zschokke (Goldmacherdorf), Hebel (Rheinländischer Hausfreund), die auf tiefer Kenntniß des schweizerischen Bauernlebens beruhenden Schriften von Jerem. Gotthelf (Pfarrer Bitzius), Berth. Auerbachs Gevattersmann u.a. Um dem Volke eine zweckmäßige Lectüre darzubieten, ist man in neuerer Zeit abgesehen von der Gründung mehrer für das Volk bestimmten Zeitschriften auf Bereicherung u. Verbesserung des in den Kalendern enthaltenen Lesestoffs bedacht gewesen; es gehören hierher die Volkskalender von Gubitz, Steffens, W. O. von Horn (Die Spinnstube), Wil. Alexis, Nieritz, der Schweizer Disteli-, der Sächsische Ameisenkalender, der Freiburger Kalender für Zeit u. Ewigkeit. Zu gleichem Zwecke sind an vielen Orten öffentliche Volksbibliotheken zum Theil unter Mitwirkung u. Beihülfe der öffentlichen Behörden gegründet worden. Endlich sind, um die Mittel zu möglichst wohlfeilen guten V. herbeizuschaffen, besondere Volksschriftenvereine entstanden, so der Zwickauer seit 1841, welcher 1863 10,000 Mitglieder zählte u. seit seiner Gründung 115 V. u. 13 Jahrgänge Volkskalender verlegt hat, der Württembergische seit 1843, der Zschokkeverein in Magdeburg seit 1844, der Dortmunder u. der Norddeutsche Volksschriftenverein (in Berlin) etc. Vgl. Gersdorf, Das Volksschriftenwesen der Gegenwart, Altenb. 1843; Berth. Auerbach, Schrift u. Volk, Lpz. 1846; Bernhardt, Wegweiser durch die deutschen Volks- u. Jugendschriften, ebd, 1852–54.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 661-662.
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