Moskau

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[200] Moskau oder Moskwa, die alte und erste Hauptstadt des russ. Reichs, vom Volke »die heilige« genannt, zugleich Hauptstadt der gleichnamigen, ziemlich die Mitte des europ. Rußlands bildenden Statthalterschaft von 474 ! M. mit 1,300,000 Einw., vor dem 104 M. davon entfernten Petersburg, die Residenz der Zaren, liegt an beiden Ufern der Moskwa und Neglina auf einigen Höhen in einer vortrefflich angebauten Gegend und hat 300,000 Einw., von denen aber weit über ein Drittel leibeigne Diener und Bauern sind.

Die Stadt hat sechs Meilen im Umfange und besteht aus vier Haupttheilen, dem Kreml, Kitaigorod, dem lebhaftesten Stadttheile, Betoigorod, Semlänoigorod, welche einander ringförmig umschließen, und 30 Sloboden oder Vorstädten. Die Mitte des Ganzen bildet der auf einer Höhe am Zusammenflusse der Moskwa und Neglina gelegene Kreml oder die alte Festung, welcher gegen 11/2 Stunde im Umfange hat und ein unregelmäßiges, von hohen bezinnten Mauern mit zahlreichen Thürmen umschlossenes Vieleck bildet. Fünf Hauptthore führen in den Kreml, der eine Menge höchst umfänglicher Paläste und öffentlicher Gebäude, unter Anderm ein kaiserl. Residenzschloß, den Palast des ehemaligen Patriarchen, das Zeughaus, mehre Klöster, fünf Kathedralen und zwei andere Kirchen mit vielen vergoldeten und bunten Kuppeln, den Senatspalast und andere mehr enthält. In der Kathedrale von Uspenskoi, Mariä-Himmelfahrt, werden die Kaiser gekrönt, in der zu Sanct-Michael befindet sich ihre Gruft. Zum Kreml gehört auch, alleinstehend, wie die Glockenthürme der meisten alten russ. Kirchen, der höchste von M., der achteckige Iwanwelikoi, mit 32 Glocken, darunter eine von 1000 Ctr. Schwere, in der Nähe aber liegt unter einer Bedachung in einem unterirdischen Raume die größte aller Glocken von 21 F. Höhe und 67 F. im Umfange, welche 430,000 Pf. Schwere haben soll, aber gesprungen ist. (S. Glocken.) Überaus werthvoll sind die Sammlungen von Waffenstücken und Kostbarkeiten aller Art, z.B. der Reichsinsignien und alter Gold- und Silbergeschirre russ. Herrscher seit mehren hundert Jahren her, und die Kronen der von Rußland eroberten Lande, welche in den Sälen des Arsenals nach dem Namen der ehemaligen Besitzer und der Zeitfolge geordnet, aufgestellt sind. Ebenso enthält der Patriarchenpalast eine Sammlung prächtigen, alterthümlichen Priesterschmuckes und eine an Handschriften reiche Bibliothek; die Schätze der verschiedenen Kirchen sind nicht minder bedeutend. Von der Terrasse des Kreml genießt man in der auf S. 203 abgebildeten Art einen prächtigen Überblick der Stadt, welcher ihre zahllosen Thürme und Kuppeln, auf denen zum Theil das Kreuz bedeutungsvoll über dem Halbmonde thront, der unter der Herrschaft der Tataren darauf kam, von denen die meisten Kirchen in Moscheen umgewandelt wurden, einen ganz eigenthümlichen Charakter geben. Dem Kreml östl. gegenüber in Kitaigorod liegt der rothe Platz, der schönste in M., mit einem 1817 errichteten ehernen Denkmale für den Bürger Minin und Fürsten Posharsky, welche Rußland 1612 von der poln. Oberherrschaft befreiten, sowie dem großen Exercirhause, welches für 2000 M. Fußvolk und 1000 Reiter geräumig genug ist. In Beloigorod befindet sich die 1755 errichtete, im Sept. 1813 wieder eröffnete Universität mit ihren Sammlungen; ferner das Findelhaus, kaiserl. Erziehungshaus genannt, wo jährlich über 4000 Kinder aufgenommen werden, die Bank und die Gouvernementsgebäude. Der die vorgenannten umschließende Stadttheil Semlänoigorod enthält die meisten öffentlichen Bäder und den Artilleriehof. Im Allgemeinen sind unter den Gebäuden noch der Justizpalast mit seinem 300 F. langen, 100 F. hohen und breiten Saale, die schönen Kaufhäuser und das über 3000 Menschen fassende Petrowskische Theater auszuzeichnen; Klöster sind 21, Hauptkirchen sieben, andere griech. Kirchen 245, außerdem zwei katholische, drei lutherische und zwei engl. Kirchen, sowie drei armen. Bethäuser und eine Moschee (s.d.) vorhanden. Kaiser Alexander I. beabsichtigte zum Gedächtniß des Abzugs der Franzosen im Jahre 1812 eine prachtvolle Kirche des Erlösers aufzuführen und legte dazu am 24. Oct 1817 auf dem südwestl. an der Jansa gelegenen Worobjewsberge den Grund, sein Nachfolger ordnete indessen statt derselben die Errichtung eines großen Krankenhauses an. Dort ist auch als ein Denkmal jener Zeit, aus mehr als 1000 eroberten Kanonenröhren die hier abgebildete Säule aufgestellt worden, welche der russ. Adler überragt.

Obgleich M. seit den Ereignissen von 1812 im Außern ungemein gewonnen und lange nicht mehr so viele ärmliche [202] Wohnungen neben prächtigen Palästen, so viele enge und krumme Gassen aufzuweisen hat, wie früher, so bietet es doch immer noch eine ganz eigenthümliche Vermengung europ. Sitte mit asiat. Prunke, nomadischer Roheit und bitterer Armuth dar. Altruss. Gewohnheiten und Vorurtheile, wie sie dem jüngern Petersburg fremd sind, haben sich hier zum Theil erhalten und geben M. seine besonders nationale Färbung. Hierher pflegen sich mit dem Hofe unzufriedene Große zu wenden und der Winter vereinigt hier die reichern Gutsherren aus den umliegenden Statthalterschaften. Außerdem war M. von jeher der wichtigste Platz für den Handel im Innern, den auch die schiffbare Moskwa begünstigt, welche mittels der Oka mit der Wolga in Verbindung steht, sowie für den Handel mit Asien, und hat in neuester Zeit noch mehr Bedeutung durch seine großen Tuch-, Seiden-, Papier-, Baumwollen- und andern Fabriken erlangt, deren über 400 dort bestehen. Es ist ferner der Sitz zweier Erzbischöfe, mehrer Reichscollegien, der höchsten Provinzialbehörden, einer Universität und zahlreicher Bildungsanstalten und wissenschaftlicher Vereine der verschiedensten Art, sowie höchst bedeutender, zum Theil von Privatleuten gestifteter Wohlthätigkeitsanstalten. Begründer von M. war in der Mitte des 12 Jahrh. der Großfürst Jurje I. und vom Großfürsten Daniel ward es zu Anfang des 14. Jahrh. zur Residenz gewählt; der von ihm aus Holz aufgeführte Kreml wurde 1485–92 durch herbeigerufene ital. Baumeister von Stein aufgeführt und mit dergleichen Mauern umgeben. Die Stadt litt indessen wiederholt durch Krieg und Feuersbrünste, und wie 1383 und 1571 durch die Mongolen und Tataren, wurde sie 1611 von den Polen fast gänzlich niedergebrannt; auch legten später noch zufällige Feuersbrünste zuweilen halbe Stadttheile in Asche. Unter Peter dem Großen hörte M. auf, Residenzstadt zu sein und 1812, wo es in Folge der Schlacht bei Mosaisk (s.d.) von den Franzosen besetzt ward, brannten vom 14.–21. Sept. drei Fünftel davon nieder. Vorher waren jedoch die Vorräthe des Zeughauses und kaiserl. Schätze, die meisten Verwundeten und die Gefangenen aus den Kerkern abgeführt worden und die Behörden, sowie sämmtliche Bewohner bis auf etwa 15,000, hatten die Stadt mit einem Theil ihrer Habseligkeiten verlassen. Vergebens erwartete daher Napoleon, von Abgeordneten M.'s begrüßt zu werden, das am 14. von den Franzosen besetzt ward und wo er am 15. in den Kreml einzog. In der Nacht vorher brach schon in den Waarenlagern unweit des Kreml Feuer aus, was sich in den folgenden Tagen an mehren Gegenden der Stadt wiederholte, bis am fünften Tage ein starker Wind die Flammen über den größten Theil der Stadt verbreitete. Napoleon begab sich deshalb nach dem eine Stunde vor der Stadt gelegenen Lustschlosse Petrowskoi, und da die zum Löschen befehligten Soldaten sich mehr ans Plündern hielten, so ward erst am 21. dem Feuer Einhalt gethan, wo es keine leicht ergreifbare Nahrung mehr fand. Mochten auch zuerst russ. Kaufleute dem Beispiele des Gouverneurs von M., Grafen Rostopschin, gefolgt sein, der seinen prächtigen Landsitz bei M. niederbrennen ließ, und ihre Vorräthe angezündet haben, um sie dem Feinde zu entziehen und mag auch Unvorsichtigkeit der Franzosen mit Feuer und Licht einzelne Feuersbrünste herbeigeführt haben, so ist doch die angeordnete Verbrennung einiger Magazine durch den russ. Oberbefehlshaber Kutusoff eingestanden worden, und von den Franzosen wurden 13 namhaft gemachte Personen erschossen, als überführt, Feuer auf Befehl Rostopschin's angelegt zu haben, dem man damals die planmäßige Einäscherung M.'s zuschrieb, was er jedoch später zu widerlegen versuchte. Die Russen schoben dagegen alle Schuld des Brandes auf den Feind, um diesen noch mehr zum Ziele des Volkshasses [203] zu machen. Zu Anfange Octobers war die Ordnung endlich wiederhergestellt, da aber alle Zufuhren unterblieben, trat allmälig Mangel an den nöthigsten Bedürfnissen ein und Napoleon, der sich durch Unterhandlungen hatte hinhalten lassen, mußte endlich, zu spät für die Rettung des Heeres, vom 19.–22. Oct. und nachdem er von den in M. eingezogenen 150,000 M. gegen 40,000 durch Mangel und Krankheiten verloren hatte, jenen durch seine welthistorischen Folgen berühmten Rückzug antreten. Der franz. Gouverneur Mortier (s.d.), Herzog von Treviso, hatte Befehl, vorher noch den Kreml in die Luft zu sprengen, was aber nur theilweise geschah und dieser, sowie die Stadt, erhob sich nach Entfernung der Feinde binnen wenig Jahren nur stattlicher aus den Trümmern.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 200-204.
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