Talleyrand

[357] Talleyrand (Charles Maurice, Fürst), eigentlich de Talleyrand-Périgord, unter Napoleon Fürst von Benevent, der klügste Staatsmann, den es vielleicht jemals gegeben hat, stammte aus einem altadeligen Geschlechte Frankreichs und wurde 1754 zu Paris geboren. Das alte Haus La Marche, dem er entsprossen, besaß im Mittelalter die Landschaft Quercy im jetzigen Departement Lot, sowie auch die Grafschaft Périgord, welche in späterer Zeit eingezogen und zur Krondomaine gemacht wurde. Die Linie Talleyrand-Périgord besteht aus drei Ästen: den Herzogen von Chalais, den Fürsten von T. und den Grafen von T. Obwol der Fürst T. der älteste von drei Brüdern war, so wurde doch das Recht der Erstgeburt von seinen Ältern auf seinen jüngern Bruder Archembauld übertragen und er selbst dem geistlichen Stande gewidmet, weil ein unglücklicher Fall als Kind die freie Entwickelung seines Körpers gehindert hatte. Schon in seiner Jugend zeichnete sich T. durch Scharfblick, Gewandtheit des Geistes und einnehmendes Betragen aus, und nachdem er auf dem Seminar St.-Sulpice seine Studien vollendet und Abbé geworden war, wurde er schon 1780 zum Generalagenten des Klerus ernannt. Beim Ausbruch der franz. Revolution war er Bischof von Autun und Abt von Celles und St.-Denys und nahm 1789 als Abgeordneter der Geistlichkeit von Autun unter den Reichsständen Platz. Er schloß sich dem dritten Stande an und stimmte für die Vereinigung des geistlichen Standes mit dem dritten Stande zu einer Nationalversammlung. Er war nun von wesentlichem Einfluß auf den Fortgang der Begebenheiten, ohne sich von den Privatinteressen seines Standes und dem Widerspruche, welchen er bei demselben fand, irre machen zu lassen, wie er denn selbst auf Verkauf der geistlichen Güter antrug, die Aufhebung des Zehnten der Geistlichkeit durchsetzte und die fixe Besoldung der Geistlichen in Vorschlag brachte. In Anerkennung seines Scharfblicks für den zeitgemäßen Fortschritt wurde er am 16. Febr. 1790 zum Präsidenten der Nationalversammlung ernannt. Bei der Feier des Bundesfestes am 14. Jul. verrichtete er vor dem Altare des Vaterlandes das Hochamt. Er war es, der die Einführung eines gleichförmigen Maß- und Gewichtssystems vorschlug und einen allgemeinen Erziehungsplan im Entwurf vorlegte. Er leistete den constitutionnellen Eid, welcher von allen Geistlichen verlangt wurde, rechtfertigte diesen Schritt in einer Zuschrift an die Geistlichkeit und foderte dieselbe auf, ein Gleiches zu thun. Am 14. Jan. 1791 wurde er Mitglied des Departements von Paris und in demselben Jahre vertheidigte er mit Sièyes die nicht beeidigten Priester. Papst Pius VI. belegte ihn mit dem Bann, weil er die ersten constitutionnellen Bischöfe geweiht hatte, und T. gab selbst sein Bisthum auf. Im Anfange des Jahres 1792 ging er mit Chauvelin insgeheim nach England in dem Auftrage, zu einer günstigen Gestaltung der Verhältnisse zwischen Frankreich und England zu wirken. Indeß gelangte die demokratische Partei am 10. Aug. durch den berüchtigten Angriff auf die Tuilerien zur Herrschaft und T. wurde in England in seinem diplomatischen Charakter nicht anerkannt. Dennoch begab er sich nicht nach Frankreich zurück, weil er wußte, daß man ihn verdächtigte, und bald darauf wurde er von den Jakobinern als Agent des Hofes in Anklagestand versetzt. Er blieb nun in England, bis er dieses auf Befehl des brit. Ministeriums verlassen mußte, dann ging er 1793 nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika und beschäftigte sich hier mit Handelsunternehmungen, bis er nach dem 9. Thermidor nach Europa zurückkehrte. Der Nationalconvent hob 1795 das [357] gegen ihn erlassene Anklagedecret auf und T. kam nach Paris zurück. Im Jul. 1797 wurde ihm das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übertragen. Zwar legte er dasselbe, von vielen Seiten angegriffen und angeklagt bald wieder nieder, doch die Förderung, welche er den Plänen Napoleon's insgeheim leistete, hatte zur Folge, daß ihm die provisorischen Consuln 1799 wiederum das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übertrugen. Von nun war er die Seele aller diplomatischen Unterhandlungen, welche bis 1808 in Europa gepflogen wurden. Auf Napoleon's Wunsch entband ihn Papst Pius VII. in einem Breve seiner Verpflichtung als Geistlicher und bestätigte seine Ehe mit Madame Grant, welche er in Hamburg kurz vor seiner Rückkehr nach Frankreich kennen gelernt hatte. Als der kais. Hof eingerichtet wurde, ernannte ihn Napoleon zum Großkämmerer des Reichs und 1806 erhob er ihn zum souverainen Fürsten von Benevent. Nachdem ihn der Kaiser 1807 zum Vice-Großwahlherrn des Reichs ernannt hatte, kam das Ministerium des Auswärtigen in die Hände Champagny's. T. fiel zwar, verdrängt von Fouché, welcher ihn bei dem Kaiser verdächtigte, in Ungnade, blieb aber dennoch von großem Einfluß auf die Politik Europas und bereitete namentlich insgeheim den großen Wechsel vor, welcher der Gestaltung der Dinge in Frankreich, sowie ganz Europa bevorstand. Als die Verbündeten 1814 in Paris einrückten, stand T. an der Spitze der provisorischen Regierung und leitete die Verhandlungen, welche die Absetzung Napoleon's und die Wiedereinsetzung der Bourbons zur Folge hatten. T. leistete Verzicht auf das Fürstenthum Benevent und wurde darauf von Ludwig XVIII. zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten, zum erblichen Pair von Frankreich, zum Fürsten von T. und zum Oberkammerherrn ernannt. Auf dem Congresse zu Wien war T. eifrig für das Beste der Bourbons, sowie überhaupt für Aufrechthaltung und Wiederherstellung des Princips der Legitimität bemüht, sodaß wo möglich alle von ihren Besitzungen vertriebene Fürsten vollkommen in ihre Rechte wieder eingesetzt werden sollten Die geheime Allianz zwischen Frankreich, England und Rußland und die Allianz mit den verbündeten Mächten war sein Werk. Er betrieb die Achtserklärung gegen den aus Elba zurückgekehrten Napoleon, führte darauf den Vorsitz im franz. Ministerium, nahm jedoch seine Entlassung, um den für Frankreich nachtheiligen pariser Vertrag vom 10. Nov. 1815 nicht zu unterzeichnen. Er blieb jedoch als Oberkammerherr und Mitglied des königl. geheimen Raths in der Nähe des Throns. Sein zweideutiges Benehmen gegen Napoleon hatte ihm viele Feinde gemacht, auch viele Freunde der Bourbons trauten ihm nicht, doch gelang es nicht, ihn durch die Anklage, daß er an der Ermordung des Herzogs von Enghien Theil genommen habe, zu stürzen. Er wußte sich gegen Ludwig XVIII. zu rechtfertigen. Als Mitglied der Pairskammer zeichnete sich T. zum öftern durch gehaltvolle Reden aus, war auch mehrmals auf Seiten der Opposition gegen die Regierung und war ohne Zweifel nicht ohne geheimen Einfluß auf die Veränderungen, welche dem Throne Frankreichs abermals bevorstanden. Er zog sich vom Hofe zurück, als Karl X. der jesuitischen Partei sich hingab, bezeichnete das Ministerium Polignac als eine Unmöglichkeit und brachte mit einem Worte den noch schwankenden und ihn um Rath fragenden Ludwig Philipp zu der Entscheidung, die Krone Frankreichs anzunehmen. Er fuhr fort, den neuen König mit Rath und That zu unterstützen, namentlich als Gesandter am engl. Hofe, wo er von 1830–35 verweilte. Bis zu seinem am 17. Mai 1838 erfolgten Tode lebte er im Schoose seiner Familie, welche ihn seiner Herzensgüte wegen liebte, wie ihn die Machthaber wegen seines kalt berechneten Verstandes theils geachtet, theils gefürchtet hatten. Über die Klugheit des großen Diplomaten ist nur Eine Stimme, aber man hat ihm Eigennutz, Treulosigkeit, ja Meineid vorgeworfen. Indeß muß man bedenken, daß der Staatsmann von den Zeitverhältnissen abhängig ist, und anerkennen, daß T. dem Hauptgedanken der franz. Revolution, einer volksthümlichen Regierung, bis zuletzt treugeblieben und sich nur in der Wahl der Mittel nach den Umständen gerichtet hat.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 357-358.
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