Talleyrand Perigord

[217] Talleyrand Perigord (spr. Talljerang Perigohr), ein französisches Geschlecht, welches durch Helias, älteren Sohn Bosons III. (um 1066), von einer jüngeren Linie der Grafen de la Marche abstammt, welche einst Perigord, Grignols, Chalais u. Fronsac besaß. Unter dem exilirten Archimbald VI. verlor die ältere Linie des jüngeren Zweigs die Herrschaft Perigoid; Chalais wurde zu Gunsten von 1) Daniel Marie Anne Marquis von T. (welcher 1745 vor Tournay blieb) zum Fürstenthum erhoben. Er ist der Stammvater aller T-s; von seinen fünf Söhnen sind Gabriel Marie, Charles Daniel u. Louis Marie Anne die Stifter der jetzt noch blühenden Linien; der dritte, Augustin Louis, starb ohne Nachkommen u. der vierte Alexander Augélique (s. unten 2) war Geistlicher. Doch blieb die jüngere Linie freiherrlich. Merkwürdig sind: 2) Alexander Angélique von T., Abbé Perigord, der vierte Sohn des Vorigen, geb. 1736 in Paris, Almosenier des Königs, Vicar zu Verdun, 1766 Coadjutor von Rheims u. Erzbischof von Trajanopel in partibus u. 1777 Erzbischof von Rheims. Als Mitglied der Constituirenden Nationalversammlung war er gegen alle Neuerungen u. emigrirte 1791; er lebte in Deutschland, bis ihm Ludwig XVIII. 1804 nach Mitau in seinen Rath berief u. zu seinem Beichtvater ernannte. Mit ihm ging T. nach England u. kehrte 1814 nach Frankreich zurück; beim Concordat 1816 sehr thätig, verzichtete er, auf den Wunsch des Papstes, auf das Erzbisthum Rheims; 1817 wurde er Cardinal u. Erzbischof von Paris, trat diesen Posten aber erst 1819 an u. st. 20. Nov. 1821. 3) Charles Maurice, Fürst von T., früher Fürst von Benevent, Enkel von T. 1), Neffe des Vor. u. älterer Sohn Charles Daniels (s. unten 7), geb. 13. Febr. 1754 in Paris, wurde, obfchon der ältere Sohn, wegen einer Fußlähmung für die Kirche bestimmt. Schon 1780 als Abbé zum Generalagenten des Clerus erwählt, entwickelte er viel diplomatische Gewandtheit; er wurde 1788 Bischof von Autun u. war beim Ausbruch der Revolution Mitglied der Reichsstände, stimmte am 19. Juni 1789 für die Vereinigung des geistlichen Standes mit dem dritten Stande u. wurde am 16. Febr. 1790 Präsident der Nationalversammlung. Von ihm rührten die Anträge des Verkaufs der geistlichen Güter u. die Aufhebung, des Zehnten, so wie die Einführung gleichen Maßes u. Gewichts in Frankreich her, er las nach Erstürmung der Bastille 1790 das Hochamt auf dem Marsfeld u. leistete, fast der Erste, den Eid auf die Constitution, gerieth aber deshalb 1791 in den Bann, u. legte sein Bisthum hierauf nieder, 1792 wurde er mit dem Marquis von Chauvelin nach England gesendet, um den Krieg mit dieser Macht zu hintertreiben, wurde aber von Pitt abgewiesen. Bei der Erstürmung der Tuillerien am 10. Aug. 1792 waren Papiere gefunden worden, welche T. compromittirten, daher entfloh er nach Nordamerika u. trieb bis zum Sept. 1795, wo er die Erlaubniß zur Rückkehr erhielt, dort Handelsgeschäfte. Im Juli 1797 wurde er Minister des Auswärtigen, mußte aber diese Stelle bald niederlegen, da ihn die Parteien der verschiedensten Richtungen anfeindeten. Nach der Rückkehr Bonapartes aus Ägypten erklärte sich T. entschieden für ihn, hatte am 18. Brumaire großen Antheil u. erhielt deshalb im November 1797 das Portefeuille des Auswärtigen wieder. Von nun an wurde er die Seele aller Unterhandlungen, die Friedensunterhandlungen u. Verträge von Luneville, Amiens, Presburg, Posen u. Tilsit leitete fast nur er. Ein Breve Pius' VII. 1802 entband T. seiner geistlichen Weihen u. bestätigte seine Ehe mit Mad. Grant, welche er bei seiner Rückkehr aus Amerika in Hamburg kennen gelernt u. geheirathet hatte. Als Napoleon 1804 Kaiser wurde, wurde T. Oberkammerherr u. 1806 Fürst von Benevent. Im Aug. 1807 wurde er Vice-Großwahlherr des Reichs, verlor aber sein Portefeuille nach dem Frieden von Tilsit, weil er in Napoleons Pläne auf Spanien nicht eingehen wollte u. mit England zu unterhandeln fortfuhr. Zwar begleitete er den Kaiser noch 1808 nach Bayonne u. Erfurt, doch blieb er in Ungnade u. selbst unter geheimer polizeilicher Aussicht auf seinem Gute Valençay. 1813 u. 1814 erkannte T. bald, daß Napoleon verloren sei, u. nun spann er insgeheim Unterhandlungen mit den Bourbons an. Nach dem Einrücken der Verbündeten in Paris trug er[217] durch seinen Einfluß auf den Kaiser von Rußland, welcher in seinem Hotel abgestiegen war, viel zur Zurückberufung der Bourbons u. zu den günstigen Bedingungen des ersten Pariser Friedens bei u. wurde Präsident der provisorischen Regierung. Ludwig XVIII, ernannte ihn nach seiner Rückkehr zum Fürsten u. Pair, so wie zum Oberkammerherrn u. zum Minister des Auswärtigen u. sendete ihn zum Congreß nach Wien. Die Geschicklichkeit des Fürsten T. verschaffte ihm bald wieder großen Einfluß u. dadurch, daß er die Interessen der Mächte zu theilen wußte, beherrschte er den ganzen Congreß, ja insgeheim leitete er ein Bündniß zwischen Frankreich, England u. Österreich gegen Rußland u. Preußen ein. Als ihn Napoleon nach seiner Rückkehr von Elba ächtete, veranlaßter die Erklärungen der Alliirten gegen ihn u. schloß das Bündniß Ludwigs XVIII. mit denselben ab. Am 8. Juli 1815 erhielt er nach der zweiten Restauration den Vorsitz in dem Ministerium, resignirte aber am Ende des Jahres, weil er sich weigerte den für Frankreich ungünstigeren zweiten Pariser Frieden zu unterzeichnen. Zwar wurde er wieder Oberkammerherr, blieb aber von den eigentlichen Geschäften entfernt. Der König von Sicilien, welchem er wieder auf seinen Thron verholfen hatte, schenkte ihm 1816 das Herzogthum Dino in Neapel. In der Pairskammer stimmte er oft mit der Opposition; nachdem Karl X. den Thron bestiegen hatte, lebte er wieder auf seinem Gute in Valençay. Seit der Julirevolution von 1830 trat er wieder in Thätigkeit, seine Worte: Il faut accepter, vermochten Ludwig Philipp hauptsächlich die Krone anzunehmen. Schon im September 1830 wurde er als Botschafter nach England gesendet; hier wurde er sehr gut empfangen, u. Ludwig Philipp sogleich als König der Franzosen anerkannt. Bei der Conferenz für die niederländisch-belgischen Angelegenheiten in London führte T. eine Hauptstimme, u. seiner Gewandtheit verdankte der Prinz Leopold von Koburg seine Anerkennung als König von Belgien. Nachdem er 1834 noch die Quadrupelallianz (s.d.) abgeschlossen hatte, kehrte er 1835 nach Frankreich zurück u. privatisirte, körperlich sehr leidend, geistig aber immer sehr lebhaft u. von dem Könige oft zu Rathe gezogen, in Valençay u. Paris. Er st. 17. Mai 1838 in Paris. Seine Memoiren sollen erst dreißig Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden. Die drei blühenden Linien (s. oben) T. sind: A) Erste Linie, der Repräsentant seit 1713 Fürst von Chalais, seit 1715 Grand von Spanien u. seit 1817 Herzog von Perigord; Gründer: 4) Graf Gabriel Marie, ältester Sohn von T. 1), erhielt von Ludwig XV. die Grafenwürde zurück. 5) Elie Charles, Sohn des Vorigen, Fürst von Chalais, Herzog von Perigord u. 1814 Pair von Frankreich; er st. 31. Jan. 1829; jetziger Chef ist: 6) Fürst Karl, Sohn des Vorigen, geb. 10. Jan. 1788; er diente unter Napoleon, wurde nach der Restauration Oberst u. ist seit 1807 vermählt mit Maria geb. von Choiseul-Praslin; sein älterer Sohn Roger ist 1809 geboren, B) Zweite Linie, der Repräsentant besitzt das Herzogthum Valençay in Frankreich u. das Herzogthum Dino in Neapel u. ist seit 1845 Fürst von Sagan; Gründer: 7) Charles Daniel, zweiter Sohn von T. 1), st. 1788; sein älterer Sohn war T. 3). 8) Archembald Joseph, zweiter Sohn des Vorigen, geb. 1762 u. st. 28. April 1838. 9) Herzog Alexander Edmund, Neffe von T. 3) u. Sohn des Vorigen, geb. 2. Aug. 1787, vermählt seit 1809 mit Dorothea geb. Prinzessin von Kurland, jüngster Tochter des Herzogs Peter u. der Herzogin Dorothea von Kurland, geb. 21. Aug. 1793. Sie lebte seit geraumer Zeit, katholisch geworden u. von ihrem Gemahl getrennt, bei ihrem Oheim T. 3) u. machte die Honneurs in dessen Hause zu Paris, London u. Valençay. Nach dem Tode ihrer Schwester, der Herzogin von Sagan, u. der Fürstin von Hohenzollern 1844, bekam sie durch Vertrag mit ihrem Neffen, dem Fürsten Friedrich von Hohenzollern-Hechingen, das Herzogthum Sagan. 10) Napoleon Louis, Herzog von Valencay, älterer Sohn des Vorigen, geb. 12. März 1811, vermählt in zweiter Ehe seit 1861 mit Pauline geb. Gräfin de Castellane. 11) Alexander, Marquis von T.-Perigord, Bruder des Hörigen, geb. 15. Dec. 1813; durch Cession seines Vaters Herzog von Dino; vermählt seit 1839 mit Valentine geb. Gräfin von Sainte-Aldégonde. C) Dritte Linie; Gründer: 12) Louis Marie Anne, fünfter Sohn von T. 1), war 1788 französischer Gesandter in Neapel. 13) Graf Augustin, Sohn des Vorigen, geb. 1770, war Kammerherr Napoleons I., wurde unter Ludwig XVIII. Pair u. war bis 1824 Gesandter in der Schweiz; er st. 1830 in Mailand; Chef ist gegenwärtig: 14) Graf Ernst, Sohn des Vorigen, geb. 17. März 1807, vermählt seit 1830 mit Marie Louise geb. Lepelletier de Morfontaine. 15) Freiherr Alexander Daniel, Bruder von T. 13), geb. 1773, war nach der Restauration Präfect in verschiedenen Departements, wurde 1838 Pair u. st. 1839.16) Freiherr Charles Angelique von T.-Perigord, Sohn des Vor., geb. 8. Nov. 1821, war erst Attaché bei der französischen Gesandtschaft in Karlsruhe u. dann in München; er wurde 1852–54 Gesandter in Weimar, hierauf Mitglied der europäischen Commission in der Donaufürstenthümerfrage, was er bis 1858 blieb, worauf er Gesandter in Brüssel u. im Oct. 1862 in Berlin wurde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 217-218.
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