Andrássy

[499] Andrássy (spr. andrāschi) von Csík-Szent-Király und Kraszna-Horka, ungar. Grafengeschlecht, stammt aus Siebenbürgen, wo 1548 ein Martin A. als Getreuer Joh. Szapolyais und als Rat der Szekler erscheint, und wo die A. 1550 das Domanialgut Szent-Kiraly erhielten; es siedelte dann nach Ungarn über, wo der Sohn Martins, Peter A., 1585 Kraszna-Horka erwarb. Die A. teilten sich in zwei Linien und erhielten 1779 den Grafentitel. Merkwürdig sind.

1) Karl, Graf, der ältern Linie angehörig, geb. 29. Febr. 1792 zu Rosenau im Komitat Gömör, gest. 1844 in Brüssel, war als eifriger Patriot Mitglied der Opposition, in deren Reihen er sich auf den Reichstagen 1839 und 1844 auszeichnete, und Vorsitzender der Theißregulierungsgesellschaft. Außer zahlreichen Beiträgen in ungarischen Zeitschriften veröffentlichte er in deutscher Sprache die anonyme Schrift »Umrisse einer möglichen Reform in Ungarn« (Leipz. 1833).

2) Emanuel, Graf, ältester Sohn des vorigen, geb. 3. März 1821, gest. 23. April 1891 in Görz, war auf dem Reichstag von 1847 Mitglied der Opposition, 1848 Obergespan des Komitats Torna, kämpfte als Honvéd bei Pákozd, flüchtete dann ins Ausland und unternahm eine Reise nach Ostindien und China, die er in einem von ihm selbst illustrierten Prachtwerk (deutsche Übersetzung, Budapest 1859) beschrieb. 1860 wurde er Obergespan des Komitats Zemplin und 1867 des Gömörer Komitats. Von 1881–91 vertrat er die Stadt Rosenau im Reichstag.

3) Gyula (Julius), Graf, Bruder des vorigen. geb. 8. März 1823 in Kaschau, gest. 18. Febr. 1890 in Volosca am Quarnerogolf, studierte an der Pester Universität, machte Reisen in Deutschland und Frankreich und wurde 1847 vom Zempliner Komitat zum Deputierten gewählt. Er schloß sich auf dem Preßburger Reichstag in manchen Fragen der von Stephan Széchenyi geführten Mittelpartei an und zeichnete sich als glänzender Redner und Schriftsteller aus. Er war 1848 unter dem Aprilministerium Obergespan von Zemplin und focht, als der Bürgerkrieg ausbrach, als Major der Nationalgarde bei Pákozd gegen Jellachich, bei Schwechat gegen die kaiserlichen Truppen und später bei Hatvan, Tápio-Biczke und Isaszeg als Adjutant Görgeis tapfer mit. Hierauf entsendete ihn die ungarische Regierung in einer diplomatischen Mission nach Konstantinopel, wo er auch noch später nach der Katastrophe von Világos auf gute Behandlung der ungarischen Emigrierten seitens der türkischen Regierung hinwirkte. Im Januar 1850 ward A. kriegsrechtlich zum Tode durch den Strang verurteilt und 21. Sept. 1852 im Bilde gehenkt. A. lebte damals,[499] nach einem längern Aufenthalt in London, in Paris, obwohl er nicht von einer Einmischung Napoleons III., sondern in einer Aussöhnung mit der österreichischen Dynastie das Heil Ungarns erblickte. Auf Verwendung seiner Mutter wurde er amnestiert und kehrte 1858 mit seiner ihm in Paris (1856) angetrauten, geistig hervorragenden Frau, Kath. v. Kendeffy, in sein Vaterland zurück. 1861 in das Unterhaus gewählt, vertrat er als Anhänger Deáks entschieden den Ausgleich auf den durch die Pragmatische Sanktion (s. d.) und die Gesetzgebung von 1848 gegebenen Grundlagen im Einklang mit der Sicherheit und Großmachtstellung der Monarchie und ward 1865 zweiter Präsident des Unterhauses. Nach dem Zustandekommen des Ausg leiches wurde A. 17. Febr. 1867 an die Spitze des ungarischen Ministeriums berufen und krönte in Vertretung des Palatins mit dem Primas zusammen Franz Joseph I. zum König. Als Ministerpräsident und Honvéd-Minister erwarb er sich nicht bloß um die staatsrechtliche Ausbildung der neuen Verhältnisse zwischen Ungarn und Österreich auf der Grundlage des treu festgehaltenen Programms hohe Verdienste, sondern übte auch auf die zeitgemäße Entwickelung der innern Zustände Ungarns im freiheitlichen Sinn und auf die neugeschaffene Honvédeinrichtung bedeutenden Einfluß aus. A. wurde, trotz mancher Angriffe von seiten der extrem-nationalen Partei, verehrt und gefeiert. Seinem nüchternen Urteil war es mit zuzuschreiben, daß Österreich 1870 neutral blieb. A., der im Oktober 1871 zum Sturze des föderalistischen Ministeriums Hohenwart wesentlich beitrug, ward 14. Nov. an Stelle Beusts Minister des Auswärtigen und des kaiserlichen Hauses. Er wußte sich in seiner neuen Stellung das Vertrauen der fremden Regierungen zu gewinnen. Namentlich mit Bismarck verband ihn bald eine engere, auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Freundschaft; daher ging A. 1872 auf dessen Plan ein, die völlige Aussöhnung zwischen Österreich und Rußland herbeizuführen und das Dreikaiserbündnis zur Grundlage eines neuen, den Frieden Europas verbürgenden Systems zu nehmen. Zur spätern Ausdehnung des deutsch-österreichischen Bündnisses auf Italien legte den Grund eine Zusammenkunft Franz Josephs mit Viktor Emanuel (in Venedig), wozu A. seinen Monarchen bewog. Mit dem Verzicht auf alle deutschen und italienischen Aspirationen Österreichs begann er anderseits eine klare Orientpolitik zu verfolgen, um den Staat gegen jede einseitige Lösung der orientalischen Frage zu sichern. Er brach mit dem Dogma der österreichischen Diplomatie, die Integrität der Türkei unter allen Umständen aufrecht zu halten, und suchte die christlichen Balkanvölker wie die Türkei selbst durch das Anraten zeitgemäßer Reformen dem russischen Einfluß zu entziehen., Während des russisch-türkischen Krieges beobachtete Österreich eine dem Zarenreich wohlwollende Neutralität, als deren Bedingung unter anderm die Okkupation Bosniens seitens Österreichs genannt wird. Die Absicht Rußlands jedoch, Österreich zur Kooperation zu bewegen, scheiterte 1877 an Andrássys Widerstand. Als dann der Friede zu San Stefano (3. März 1878) Österreichs Interessen zu gefährden drohte, erhielt A. von den Delegationen 60 Mill. Gulden für etwa erforderliche Rüstungen und betrieb die Berufung eines Kongresses, um den Frieden mit den europäischen Interessen in Einklang zu bringen. Auf diesem Berliner Kongreß vertrat er Österreich als erster Bevollmächtigter und erlangte von den Mächten das Mandat zu dem Einmarsch der Österreicher in Bosnien und die Herzegowina. A. hoffte, daß die Okkupation zu einer dauernden Besitznahme führen würde. Die Opfer an Menschen und Geld, welche die unpopuläre Okkupation forderte, erregten sowohl in Ungarn als auch in Deutsch-Österreich allgemeine Opposition gegen A., der indes schließlich von der Majorität der Delegationen die Zustimmung zu seiner Politik erlangte. In allen seinen Reden ein gewandter, scharfblickender Fechter, der persönlichen Huld seines Monarchen sicher, der ihm die höchste Auszeichnung, den Orden des Goldenen Vließes, verlieh, und dem gegenüber er stets das ganze Gewicht seiner verantwortungsvollen Stellung auch in innern Fragen freimütig zur Geltung brachte, konnte A. die wachsenden Angriffe auf seine Orientpolitik seit dem Bekanntwerden der Konvention mit der Pforte vom 21. April 1879 nur noch mit dem Opfer seiner einst so großen Popularität, insbes. in Ungarn, abwehren. Dies und die Bildung des deutschfeindlichen Ausgleichsministeriums Taaffe in Cisleithanien bewog den Premier, 22. Sept. 1879 seine Entlassung zu erbitten. Aber noch als demissionierter Minister schloß er mit Bismarck das deutsch-österreichische Bündnis 7. Okt. 1879. Den folgenden Tag erhielt er seine Entlassung. Von da ab stand er der Politik Österreichs in den Delegationen ratend zur Seite, bis er nach schweren Leiden starb. Er wurde unter großen Feierlichkeiten bestattet, u. der ungarische Reichstag beschloß die Errichtung eines Reiterdenkmals in Budapest, am Ende der nach ihm benannten Straße. Vgl. »Graf A. und seine Politik« (Wien 1871) und die nach Andrássys Tod erschienenen Aufsätze, insbes. in der »Deutschen Revue«, von Kónyi. Seine Reden gab B. Lederer heraus (Budapest 1891–93, 2 Bde.).

Von Andrássys Söhnen wurde der ältere, Theodor Andreas, Graf A. (geb. 10. Juli 1857), 1890 zum Vizepräsidenten des ungarischen Abgeordnetenhauses erwählt, dem er auch 1901/2 angehörte. 1898 trat er wegen der Lex Tisza mit den Dissidenten aus der Regierungspartei aus, aber unter dem Kabinett Széll in diese wieder ein. Er ist Präsident der Gesellschaft der Ungarischen Kunstausstellung. Der zweite Sohn, Julius, Graf A. (geb. 30. Juni 1860), gehört dem Abgeordnetenhaus ebenfalls seit 1885 an und trat 1892 als Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern in das liberale Kabinett Wekerle ein. Im November 1893 zum ungarischen Unterrichtsminister, im Juni zum Minister am königlichen Hoflager ernannt, trat er im Januar 1895 mit Wekerle zurück. Er schrieb: »Ungarns Ausgleich mit Österreich vom J. 1867« (deutsche Ausg., Leipz. 1897) und »Die Ursachen des Bestehens des ungarischen Staates und der ungarischen Konstitution« (ungar., Budap. 1901). 1898 schied er mit seinem Bruder aus der Regierungspartei aus, nach dem Sturz Bánffys trat er aber wieder in die liberale Partei ein. Er ist Präsident des nationalen Kunstsalons und wurde 1901 abermals zum Deputierten erwählt.

4) Georg, Graf, Haupt der jüngern Linie, geb. 5. Febr. 1797, gest. 19. Dez. 1872 in Wien, zeigte sich auf den Landtagen stets entschieden konservativ, ließ sich aber dabei die Förderung des materiellen und geistigen Wohles seiner Landsleute sehr angelegen sein. Auch stand er als Direktor an der Spitze der ungarischen Akademie. Nach Apponyis Rücktritt im April 1862 zum Judex Curiae ernannt, bemühte er sich, einen Ausgleich anzubahnen, und stellte an der Spitze der Altkonservativen im September 1864 eine Art Programm zur Lösung der ungarischen Frage auf. Die Sache hatte keinen Erfolg und A. gab hierauf seine Entlassung.[500]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 499-501.
Lizenz:
Faksimiles:
499 | 500 | 501
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon