[482] Baumwolle, das Samenhaar mehrerer Arten und Varietäten der Malvazeengattung Gossypium L.; diese umfaßt Kräuter oder fast baumartige Sträucher mit gelappten, selten ungeteilten Blättern, großen, in den Blattwinkeln einzeln stehenden, meist gelben oder purpurnen Blüten und eiförmigen, etwa walnuß- bis apfelgroßen, fünfklappigen Kapseln, aus denen die die Samen bedeckenden langen, weichen Wollhaare bei der Reise elastisch hervorquellen. Die Samen sind kugelig oder etwas eckig, oft mit dichter Wolle bedeckt. Die Gattung ist wohl in Asien und Amerika (vielleicht auch in Afrika) heimisch, durch Kultur aber über fast alle Länder zwischen dem 41.° nördl. und dem 36.° südl. Br. verbreitet. Die größten Quantitäten B. liefern folgende Arten: G. barbadense L. von Barbados und den Bahamainseln stammend und hauptsächlich im Küstengebiete der Südstaaten Nordamerikas als Sea Island-Baumwolle sowie in Ägypten kultiviert; die Haare lösen sich leicht von den Samen los, deren schwarze Oberfläche dann glatt und haarlos erscheint. G. peruvianum Cav. aus Peru, vorwiegend in Südamerika gebaut; die Samen sind wie die der vorigen Art behaart, aber etwas nierenförmig (daher Kidney Cotton) und in jedem Kapselfach zu einem länglichen Körper fest zusammengedrängt. G. hirsutum L. aus Mexiko, wird in den Südstaaten von Nordamerika kultiviert und liefert die Uplandbaumwolle, die Hauptmasse der nordamerikanischen Ernte; ihre Samen besitzen einen kurzen, grünlichgrauen Filz. G. herbaceum L., s. Tafel »Faserpflanzen«. Zu dieser Art gehört als Varietät G. religiosum L. (Nankingbaumwolle) mit gelbbraunen Samenhaaren, die besonders in China angepflanzt wird. Von geringerer Bedeutung ist G. arboreum L. bis 6 m hoch, aus dem tropischen Afrika und dort wie in Südasien vereinzelt von den Eingebornen kultiviert. Die Mehrzahl[482] der sonst noch in der Literatur angeführten Namen bezeichnen nur Kullurvarietäten der genannten Arten.
[Kultur.] Die B. gedeiht am besten bei einer mittlern Temperatur von 1925e, sie liebt anhaltenden Sonnenschein bei viel Feuchtigkeit; viel Regen ist ihr schädlich, besonders kurz vor der Ernte. In Nordamerika erstreckt sich der Baumwollbau bis zum 35. und 37.° nördl. Br. und wird besonders in Alabama, Mississippi, Georgia, Süd- und Nordcarolina, Tennessee, Virginia, Louisiana, Arkansas, Texas, Florida und in neuester Zeit auch in Kalifornien betrieben. In China und Japan gedeiht B. bis 41° nördl. Br.; sie wird auch in Vorder- und Hinterindien und in Vorderasien kultiviert. In Europa geht sie in der Krim und bei Astrachan sogar bis 46° nördl. Br. und wird auch auf dem Peloponnes und den Kykladen, in Südspanien, bei Neapel und auf Sizilien gebaut. Auch Algerien und namentlich Ägypten liefern viel B. Außerdem findet sich Baumwollkultur im Kaffernland, in Natal und am Kap, in Brasilien, Paraguay, Uruguay und in einem Teil der La Plata-Staaten östlich vom La Plata, im nordöstlichen Australien und auf mehreren Inseln der Südsee. Die günstigsten Verhältnisse findet die B. an der Ostküste Nordamerikas zwischen 25°10´ und 32°40´, also in Florida, Georgia und Südcarolina, wo namentlich auch auf den kleinen Inseln die berühmte langfaserige Sea Island-Baumwolle kultiviert wird. Die B. verlangt einen sandigen, humosen, an Kali und Kalk reichen Boden, geregelte Düngerzufuhr und unter Umständen ausgiebige Bewässerung. Man sät die B. in Reihen von 11,3 m Abstand, entfernt die schwächlichen Keimpflanzen, so daß die stehenbleibenden Pflanzen etwa 45 cm Abstand erhalten, und entspitzt diese wiederholt, damit die Pflanzen recht buschig werden, weil die besten Früchte an jungen Trieben wachsen. Fünf Monate nach der Aussaat beginnt die Ernte. Ausdauernde Arten werden im zweiten Jahr kurz über dem Boden abgeschnitten, die Ernte fällt aber von Jahr zu Jahr geringer aus, und nach wenigen Jahren müssen sie umgepflügt werden. Die Ernte umfaßt wegen des ungleichen Reisens der Kapseln immer längere Zeit, und ein fleißiger Arbeiter sammelt selten mehr als 75 kg an einem Tag ein. Man pflückt die Wolle mit den Samenkörnern und läßt die Hülsen stehen, weil sie leicht zerstückeln und sich dann schwer von der B. trennen lassen. Man reinigt die B. zunächst auf einer dem Exhaustor ähnlichen Maschine und bringt sie dann zur Abscheidung der pfefferkorn- bis erbsengroßen Samen auf die Egreniermaschine (gin), deren schnell rotierende Kreissägen mit ihren spitzen, schräg gestellten Zähnen durch die eng stehenden Zähne eines eisernen Rostes hindurchgreifen, die auf einem Zuführtisch ausgebreitete B. erfassen und durch den Rost hindurchzerren, während die Samenkörner abspringen. Eine mit Bürsten besetzte Welle, die sich hinter der Sägewelle dreht, nimmt von dieser die B. ab. Schonender ist die Walzenmaschine (rollergin), welche die B. zwischen zwei glatten oder geriffelten Walzen hindurchzieht, wobei wieder die Samen abspringen. Eine große Baumwollpflanze liefert bis 1,2 kg rohe B., häufig wird aber nur der zehnte Teil dieses Ertrags gewonnen. Man schätzt den Ertrag von 1 Acre (0,4 Hektar) bei Sea Island auf 3468 kg gereinigte B., bei Upland auf 68113 kg; in Indien rechnet man aber nur 2227 kg, in Natal 90 kg vom Acre.
[Beschaffenheit.] Die Baumwollfaser bildet eine einzige langgestreckte Pflanzenzelle, die zur Zeit der Reise zu einem platten, meist schraubenartig gedrehten Bande zusammenfällt (s. Abbildung) und mit einem feinkörnigen, streifigen oder astförmig gezeichneten Häutchen (cuticula) bedeckt ist. Ihre Dicke schwankt zwischen 0,0450,082 mm, die Breite zwischen 0,120,42 mm. die Länge zwischen 850 mm. Über die einzelnen Längen s. unten: Handelssorten. Außer diesen Haaren findet sich auf dem Samen eine für Spinnereizwecke unbrauchbare Grund wolle aus 0,53 mm langen Haaren. Zur Zeit der Reise verdickt sich durch Schwinden des körnigen Inhalts die Zellwand, bis sie etwa 1/3-2/3 vom Durchmesser des Haares erlangt hat. Mit dieser Verdickungsschicht hängen Weichheit u. Biegsamkeit der Faser, die schraubenzieherartige Drehung und damit Elastizität und Festigkeit zusammen. Das spezifische Gewicht der B. beträgt 1,471,5; sie ist sehr hygroskopisch, und zwar vermehrt 1 g im luftleeren Raum getrocknete ungesponnene B. ihr Gewicht in einer bei 18° mit Feuchtigkeit gesättigten Luft um etwa 30 Proz. Die B. besteht im wesentlichen aus Zellulose C6H10O5. Ihre Farbe ist im allgemeinen weiß mit einem Stich ins Gelbliche, Rötliche und Bläuliche. Die Nankingbaumwolle ist gelbbraun. B. löst sich in konzentrierter Schwefelsäure, und beim Verdünnen der Lösung entsteht Dextrin; in verdünnter Schwefelsäure quillt B. etwas auf; konzentrierte Salpetersäure oder ein Gemisch von Salpeter und konzentrierter Schwefelsäure verwandelt sie in Schießbaumwolle oder Kollodiumwolle.
In Kali- und Natronlauge schwellen die Fasern an, verdicken und verkürzen sich und zeigen unter dem Mikroskop fast kreisrunden Querschnitt und sehr enge Höhlung (s. Mercerisieren). Wasserglas und Kalkmilch machen B. mürbe, worauf bei der Appretur der Baumwollenstoffe Rücksicht zu nehmen ist. Mit Öl getränkte und in großen Massen locker aufgehäufte B. kann sich infolge der lebhaften Oxydation des Öles bis zur Selbstentzündung erhitzen. Tote B. nennt man Fasern, die in der Entwickelung zurückgeblieben sind, infolgedessen ein glasiges Aussehen haben, sich nicht färben lassen und unter dem Mikroskop flach, nicht hohl und nicht gedreht erscheinen. Trockne B. gibt 1,83 Proz. Asche.
[Handelssorten.] Im Handel unterscheidet man nach der Länge der Fasern: langstapelige (long staple) und kurzstapelige (short staple). Stets wird der Wert[483] der Baumwollsorten nach der absoluten Länge der Fasern und nach der Gleichförmigkeit der Faserlänge, außerdem nach Feinheit, Weichheit, Glanz, nach Farbe, Festigkeit und Reinheit bestimmt. Zu den langstapeligen Sorten mit 2040 mm Faserlänge werden die folgenden gerechnet:
Zu der kurzstapeligen B. mit 1625 mm Faserlänge rechnet man kurze Cayenne-, Alabama-, Mobile-, Tennessee-, Virginia-, Surate-, Madras-, Alexandria- und bengalische B., insbesondere:
Man benennt die verschiedenen Sorten der B. im Handel nach Ländern, und zwar in der Reihe ihrer guten Eigenschaften: Nordamerikanische, Südamerikanische, Westindische, Ostindische, Levantische, Afrikanische, Europäische, Australische. Außerdem unterscheidet man bei jeder Hauptgattung noch mehrere Qualitäten, für deren Bezeichnung jetzt allgemein die englischen Ausdrücke
fine| good| fair| middling| ordinary| inferior
mit mehreren Zwischenstufen üblich sind. Hamburg unterscheidet A, B, C, D, E, F und Zwischenstufen AB, BC, CD, DE, EF. Unter allen Baumwollsorten nimmt die nordamerikanische die erste Stelle ein, weil sie sich am besten zum Spinnen selbst der feinsten Nummern eignet und das festeste Garn liefert. Sea Island, die an den Küsten von Georgia, Südcarolina und Florida gewonnen wird, ist die langstapeligste und überragt auch in den meisten andern Eigenschaften, besonders in der Feinheit, die übrige B. Nur in der Farbe wird sie von den meisten brasilischen Arten übertroffen, die auch glänzender, seidiger sind. Upland (Oberland) ist die B. aus den höhern Gegenden Georgias und den andern südlichen Küstenstaaten. Nächst der Sea Island ist die zarte, kräftige, weiße Louisiana am meisten geschätzt. Westindische B. kommt den bessern nordamerikanischen Sorten gleich und übertrifft sie z. T. Unter der südamerikanischen B. steht die brasilische durch Länge, Feinheit und Seidigkeit der Fasern obenan. Zu der ägyptischen Wolle gehört Jumel, mittellang, zart und kräftig, aber unrein und die aus Sea Island-Samen gezogene Mako (oft auch Jumel genannt). Die langstapelige, weiche, glänzende, aber wenig feste Bourbon-Baumwolle stammt von der gleichnamigen Insel und den Seschellen. Die ostindische B. ist kurz, fast grob, brüchig, stark gelblich und unrein, aber wohlfeil. Die hauptsächlichsten Baumwolldistrikte sind die Ebenen von Gudscharat in Surate, von dem am englischen Markte der Name herrührt. Die Manila von den Philippinen kommt wenig auf den europäischen Markt. Chinesische B. ist den mittlern und geringern ostindischen Sorten ähnlich, meist weißer und seidenartiger, aber minder lang und kräftig. Die persische B stimmt mit geringerer indischer überein. Die levantische und die europäische B. sind von untergeordneter Qualität. Größere Bedeutung hat bis jetzt australische B. nicht erlangen können, trotz der Güte einzelner Sorten.
Die bedeutendsten Ausfuhrhäfen für B. sind: New Orleans, Mobile, Galveston, Charleston, Savannah, Bombay, Kalkutta, Alexandria; die bedeutendsten Handelsplätze: Liverpool, New York, Kanton, Havre, London, Glasgow, Amsterdam, Rotterdam, Marseille, Smyrna, Genua, Barcelona, in Deutschland Bremen, Hamburg, Chemnitz, in Österreich Triest und Wien. B. dient hauptsächlich als Spinnfaser, außerdem zur Bereitung von Schießbaumwolle, Kollodiumwolle, in der Form von Watte als Verbandstoff.
Die Produktion betrug in Tausenden Kilogramm:
Über Baumwollindustrie s. Textilindustrie. Vgl. Oppel, Die B. nach Geschichte, Anbau, Verarbeitung und Handel (Leipz. 1902); Spennrath, Materiallehre für die Textilindustrie (Aach. 1899); Zipser, Die textilen Rohmaterialien, 1. Teil (2. Aufl., Wien 1899); Wiesner, Die Rohstoffe des Pflanzenreichs, Bd. 2 (2. Aufl., Leipz. 1902), und die Werke über tropische Agrikultur.
Buchempfehlung
Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro