Dessau

[674] Dessau, Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Anhalt, liegt am linken Ufer der Mulde, die 3 km unterhalb der Stadt in die Elbe mündet, in einer gartenähnlichen Ebene. Außer dem ältesten[674] Stadtteil an der Mulde enthält es breite und regelmäßig angelegte Straßen und schöne Plätze, darunter den Großen Markt mit dem Standbilde des »alten Dessauers«, den Neumarkt mit dem des Herzogs Leopold Friedrich Franz (modelliert von Kiß), den Kleinen Markt mit dem Brunnendenkmal der Wiedervereinigung Anhalts, den Funkplatz mit dem Funkbrunnen, den Friedrichsgarten mit dem von Professor Lessing entworfenen, zum 25jährigen Regierungsjubiläum des Herzogs Friedrich 1896 errichteten Obelisken, den Kaiser- und den Albrechtsplatz mit schönen Anlagen. Außerdem besitzt die Stadt noch ein Denkmal Kaiser Wilhelms I., des Komponisten Friedrich Schneider, des Dichters Wilhelm Müller sowie des Philosophen Moses Mendelssohn und ein Kriegerdenkmal. Das herzogliche Schloß, 1748 erbaut und 1875 mit einem Vorbau im mittlern Renaissancestil geschmückt, enthält das herzogliche Archiv, eine Gemäldegalerie und Sammlungen von Kostbarkeiten, Kupferstichen, Münzen etc. Hervorzuheben sind ferner: das 1856 nach Entwürfen von Langhans neu ausgebaute Schauspielhaus, das Rathaus (1901 eingeweiht), die Kunsthalle (1902 im Bau), das herzogliche Mausoleum im Mausoleumspark und unter den sechs Kirchen die Schloß- u. Stadtkirche zu St. Marien, mit der fürstlichen Gruft sowie einigen guten Bildern von Cranach (namentlich sein bekanntes Abendmahl mit den Bildnissen der bedeutendsten Förderer der Reformation), die Petruskirche (1902 im Bau) und die katholische Kirche.

Wappen von Dessau.
Wappen von Dessau.

Die Juden haben eine 1861 im orientalischen Stil restaurierte Synagoge, in der bereits 1808 (vielleicht zuerst in Deutschland) deutsche Vorträge gehalten wurden. Die Einwohnerzahl beträgt (1900) mit der Garnison (2 Infanteriebataillone Nr. 93) 50,849 Einw., davon 1677 Katholiken und 454 Juden. D. betreibt große Zuckerraffinerie, Wollwarenfabrikation, Maschinenbau und Eisengießerei, Tapetenfabrikation, Kunstgärtnerei und Bierbrauerei. Der Handel, durch eine Reichsbanknebenstelle und die Anhalt-Dessauer Landesbank unterstützt, ist besonders in Getreide sehr lebhaft. Die Stadt ist Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Zerbst-Bitterfeld, D.-Köthen und andrer Linien. Einen Elbhafen, Wallwitzhafen (s.d.), besitzt die Stadt seit 1860. An Bildungsanstalten bestehen: ein Gymnasium, ein Realgymnasium nebst Realschule, ein Lehrerinnenseminar, eine Kunstgewerbeschule, Landesfrauenarbeitsschule etc., außerdem ein herzogliches Hoftheater und eine herzogliche Bibliothek von über 30,000 Bänden. Zahlreich sind die milden Stiftungen, darunter das Versorgungshaus Leopoldsdank, das 1766–70 errichtete Armen- und Arbeitshaus, das trefflich eingerichtete Krankenhaus, das neuerbaute Armenstift und die Armenversorgungsanstalt Amalienstift; in den Gebäuden der letztern hatte 1774–1793 das Basedowsche Philanthropin seinen Sitz, und gegenwärtig befindet sich darin eine bedeutende Gemäldesammlung. D. ist Sitz des Staatsministeriums, der Regierung, eines Landgerichts, des Konsistoriums und eines Hauptsteueramts. Die städtischen Behörden zählen 4 Magistratsmitglieder und 36 Stadtverordnete. In der freundlichen Umgebung der Stadt liegen die herzoglichen Gärten und Schlösser: Georgium, Luisium, Kühnau und Haideburg. Etwa 18 km entfernt liegt Wörlitz (s.d.) mit berühmtem Park. In D. wurde der Philosoph Mendelssohn geboren; der Griechenliederdichter Wilhelm Müller, die Komponisten Fr. Schneider und Klughardt lebten und wirkten daselbst. – Zum Landgerichtsbezirk D. gehören die 11 Amtsgerichte zu Ballenstedt, Bernburg, D., Harzgerode, Jeßnitz, Koswig, Köthen, Oranienbaum, Roßlau, Sandersleben und Zerbst.

D. (anfangs Dissouwe, dann Desso, Dessow) wurde wahrscheinlich unter Albrecht dem Bären in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. durch eingewanderte Flamänder erbaut; als Stadt wird es urkundlich zuerst 1213 erwähnt. Nach der Überlieferung soll 19. Aug. 1467 die ganze Stadt, mit Ausnahme der Marienkirche, ein Raub der Flammen geworden sein. 1525 wurde hier zwischen dem Kurfürsten von Mainz und den Herzögen Georg von Sachsen und Heinrich von Braunschweig ein Bund zur Aufrechthaltung der römisch-katholischen Kirche geschlossen, die Reformation aber trotzdem schon 1534 eingeführt. Seit der letzten Teilung Anhalts (1603) ist D. die Residenz des Fürsten von Anhalt-D. Im Dreißigjährigen Krieg traf 1626 mancherlei Kriegsnot die Stadt (s. Dessauer Brücke). Von neuem hob sich die Stadt unter dem Fürsten Leopold I., der die Wasserstadt, die Fürsten-, die Kavalier- und die Leipziger Straße anlegte. Fürst Leopold Maximilian erbaute das Schloß, sein Sohn Leopold Friedrich Franz legte als Fortsetzung der Kavalierstraße die Franzstraße an. Vgl. Würdig, Chronik der Stadt D. (Dessau 1876); »Geschichte der Stadt D., eine Festgabe etc.« (das. 1901); Fuchs, Wegweiser durch D. und Umgebung (5. Aufl., das. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 674-675.
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