Gewerbesteuer

[797] Gewerbesteuer (Erwerbssteuer in Österreich) ist eine Ertragssteuer, welche die aus selbständig betriebenen gewerblichen Unternehmungen fließenden Erträge trifft. Was unter Gewerbe zu verstehen sei, bestimmt das Gesetz mit Rücksicht auf die Gestaltung des Steuersystems. In der Regel werden darunter alle Gewerbebetriebe im weitesten Sinne des Wortes (Handwerk, Hausindustrie, Fabrikindustrie, Groß- und Kleinhandel, Transport-, Versicherungsunternehmen etc.) verstanden. Jedoch weichen die Gesetzgebungen in zahlreichen Einzelheiten voneinander ab, so namentlich rücksichtlich der liberalen Berufe (Ärzte, Rechtsanwalte, Notare u. dgl.), die manchmal der G., häufiger jedoch einer andern Steuer unterstellt sind. Nicht selten sind gewisse große, besonders gesellschaftliche Betriebe, z. B. Eisenbahnunternehmungen, Bergwerke, aus technischen Gründen andern Ertragsteuern oder Sondersteuern unterworfen, desgleichen die Wandergewerbe. Die ursprüngliche und einfachste Methode der G. ist diejenige der Patentierung, welche die Erhebung an die Erteilung des Gewerbescheins (Gewerbepatents) anschließt und die Steuer nach äußern Merkmalen, wie Einwohnerzahl, Art des Gewerbezweiges, abstuft. Dieses einfache und für den Gewerbebetrieb schonende Verfahren, das nach Aufhebung der Zünfte in Frankreich 1791, in Preußen 1810 eingeführt wurde, war wohl früher bei größerer Gleichmäßigkeit und Stetigkeit der gewerblichen Verhältnisse am Platz, konnte aber bei zunehmender Differenzierung der Gewerbebetriebe nach Art, Größe und Ertragsfähigkeit nicht mehr genügen. Die zutreffendste Art der Besteuerung wäre die nach dem wirklich erzielten Reinertrag. Es läßt sich aber nicht verkennen, daß die Ermittelung des Reinertrags große Schwierigkeiten verursacht. Von einer allgemeinen Deklarationspflicht muß meist Umgang genommen werden, weil die Gewerbtreibenden sich scheuen, ihre Geschäftsgeheimnisse bekannt zu geben; auch fehlt es an geeigneten Kontrollmitteln. Man begnügt sich deshalb in der Praxis mit einer Schätzung des Roh- oder Reinertrags nach äußern Merkmalen. Man unterscheidet dabei Gewerbe, die vorwiegend oder ausschließlich tur den Ortsbedarf produzieren, und solche, die einen weiter gehenden Absatz haben. Bei den Lokalgewerben werden die Steuersätze nach durch die Einwohnerzahl bestimmten Ortsklassen abgestuft, bei den Gewerbegattungsklassen nach der Bedeutung der Gewerbe, dem nötigen oder üblichen Bildungsstand der Unternehmer etc. Innerhalb dieser Klassen werden weitere Unterschiede (Betriebsumfangsklassen) gemacht nach Größe und Art der gewerblichen Anlagen, Größe und Mietwert der Räume, Größe, Zahl und Art der Werkvorrichtungen (Maschinen), Zahl und Art der Arbeiter, Menge der verbrauchten Stoffe etc. oder auch nach dem offenkundigen Wohlstand oder bekannter Armut der einen oder andern Klasse der Gewerbtreibenden. Diese Unterscheidungen geben Veranlassung zur Ausstellung von festen Steuersätzen, die mehr nach feststehenden Merkmalen, und von veränderlichen, proportionalen Zuschlägen, die nach von Unternehmung zu Unternehmung oder von Zeit zu Zeit wechselnden Merkmalen abgestuft werden. Eine nähere Anschmiegung der Steuer an die wirkliche Steuerfähigkeit läßt sich schon durch die Bildung von Steuergesellschaften ermöglichen, die zusammengehörige Gewerbtreibende eines Ortes oder Distrikts umfassen und die ihnen auferlegten Gewerbesteuerhauptsummen (Mittelsatz der Steuer, vervielfacht mit der Zahl der Gewerbtreibenden) unter sich verteilen.

In England entrichten bestimmte Gewerbe feste, allenthalben gleiche Sätze als Lizenzen. Im übrigen ist die G. ein Teil der Einkommensteuer. Die Bemessung erfolgt auf Grund der Selbstangabe des Besteuerten vermittelst der Ausfüllung der Schedula D der Income tax, bei gewerblichen und Handelsunternehmungen nach dem vollen Durchschnittsertrag der letzten drei Jahre, indem vom Rohertrag gewisse durch Gesetz bestimmte Abzüge gemacht werden. Der Steuerfuß wird jährlich festgestellt. Frei sind Einkommen unter 160 Pfd. Sterl., Stiftungen, Gesellschaften und Anstalten für wohltätige Zwecke. Der Ertrag aus Schedula D der Einkommensteuer stellt sich 1902 auf (netto) 21 Mill. Pfd. Sterl. In Frankreich war die 1791 eingeführte G. (contribution des patentes) ursprünglich eine reine Patentsteuer mit fixem Satz. Später versuchte man die Steuerfähigkeit nach äußern Merkmalen vollständiger zu erfassen. Heute unterscheidet man die feste und die proportionale Abgabe. Die feste Abgabe (droit fixe) hat jeder zu entrichten, der in Frankreich ein Gewerbe treibt. Für ihre Bemessung werden die Gewerbtreibenden in drei Klassen eingeteilt. In der ersten richtet sich der Steuersatz nach der Einwohnerzahl (neun Ortsklassen) und nach Größe und Art des Gewerbes (acht Klassen, vom Grossisten bis zum Hausierer) und steigt von 2 Fr. bis 300 Fr. In der zweiten Klasse bilden ebenfalls Einwohnerzahl und Art des Gewerbes den Maßstab für die Besteuerung (2–2000 Fr.). Doch wird in derselben noch eine veränderliche Steuer (taxe variable) erhoben und ein tarifarisch bestimmter Satz von jedem über die Zahl 5 hinaus im Geschäft angestellten Kommis etc. In die dritte Klasse gehören Gewerbe, bei denen die Volkszahl des Standortes für die Rentabilität nicht entscheidend ist. Die Steuer wird nach Arbeiterzahl, Umfang etc. bemessen. Die proportionale Steuer (droit proportionnel) wird neben der fixen erhoben und zwar zu 1/15-1/50 des Mietwertes der benutzten Räume. Ertrag 1902: 135,7 Mill. Fr. Bayern erhebt einen festen Satz, die sogen. Normalanlage, bemessen nach dem Umfang des Geschäftsbetriebs,[797] dazu veränderliche Sätze, die sogen. Betriebsanlage, die nach bestimmten Merkmalen (Arbeiterzahl, Menge der Rohstoffe oder Fabrikate, Werkvorrichtungen etc.) bemessen werden. Seit Revision vom 9. Juni 1899 wird bei einer größern Anzahl von Gewerbebetrieben die Betriebsanlage nach dem wirklich erzielten, durch Fassion ermittelten Reinertrag mit 3/4-21/2 Proz. desselben festgestellt. Ertrag 1902/03: 10,6 Mill. Mk. In Baden bildet seit 1886, in Hessen seit 1884 die G. eine Ergänzung zur Einkommensteuer; sie wird in Baden, um das fundierte Einkommen zu treffen, nach dem Betriebsvermögen (Betriebskapital) bemessen; in Hessen, wo die G. seit Gesetz vom 12. Aug. 1899 als Staatssteuer aufgehoben und durch eine Vermögenssteuer ersetzt worden ist, bildet den Maßstab für die Steuer ein Gewerbesteuerkapital, das aus einem fixen Satz und einem beweglichen Zusatz nach Höhe des Betriebsumsatzes besteht. Württemberg unterscheidet den persönlichen Arbeitsverdienst des Gewerbtreibenden, der je nach der Betriebsweise und dem Umfang des Gewerbes (Gehilfenzahl, Betriebskapital) nach Klassentafeln eingeschätzt wird, und den nach Prozenten zu schätzenden Ertrag aus dem nach seinem mittlern Stand und Wert zu berechnenden Betriebskapital. In Elsaß-Lothringen erstreckt sich die G. (Gesetz vom 8. Juni 1896) auch auf die Ärzte, Notare, Rechtsanwalte u. Gerichtsvollzieher. Als Bemessungsgrundlage für die Steuer dient der unter normalen Verhältnissen erfahrungsgemäß sich ergebende Jahresertrag nach Abzug der Betriebskosten. Deklarationspflicht besteht nur für bestimmte Arten von Betrieben, kann aber auch bei andern verlangt werden. Die Steuer ist abgestuft nach der Größe des Ertrags; der Steuersatz beträgt zwar durchweg 1,9 Proz., jedoch werden in den untern Klassen nur Bruchteile des Ertrags und erst von 20,000 Mk. ab der ganze Ertrag der Steuerbemessung zugrunde gelegt. Preußen bildete seither elf Steuergruppen, indem die Großgeschäfte nach der Industrialität der einzelnen Regierungsbezirke, die Mittel- und Kleingeschäfte nach vier Ortschaftsklassen abgestuft wurden. Die geringsten Handelsgeschäfte und die Handwerker wurden, jedes Geschäft besonders, in vierfacher Ortschaftsabstufung eingesteuert. Die übrigen Geschäfte bildeten örtliche oder Bezirkssteuerverbände, welche die ihnen auferlegten Gewerbesteuerhauptsummen nach einem Mittelsatz mit vorgeschriebenen Abstufungen unter sich verteilten. Das Gesetz vom 24. Juni 1891 erstrebt eine vollständigere Besteuerung nach dem Ertrag, neben dieser in zweiter Linie nach der Höhe des Anlage- und Betriebskapitals. Betriebe mit einem jährlichen Ertrag von unter 1500 Mk. oder mit einem Kapital unter 3000 Mk bleiben frei von der G. (nicht auch von der Betriebssteuer). Die steuerpflichtigen Betriebe werden nach ihrem Jahresertrag in vier Klassen eingeteilt: Klasse I Jahresertrag über 50,000 Mk. oder Anlage- und Betriebskapital über 1 Mill. Mk. Klasse II 20–50,000 Mk., bez. 150,000–1 Mill. Mk.; Klasse III 4–20,000 Mk., bez. 30–150,000 Mk.; Klasse IV 1500–4000 Mk., bez. 3–30,000 Mk. Die Steuer ist in Klasse I mit 1 Proz. des Jahresertrags derart festgesetzt, daß bei 50,000–54,800 Mk. Ertrag 524 Mk. Steuer und für jede weitern 4800 Mk. 48 Mk. Steuer zu entrichten sind, für die Klassen II-IV betragen die mittlern Sätze 300,80 und 16 Mk. Die höchsten und niedrigsten Sätze sind in Klasse II 156–480, III 31–192, IV 4–36 Mk. Die Veranlagung erfolgt nach Veranlagungsbezirken durch Steuerausschüsse. Die Steuerpflichtigen eines Veranlagungsbezirks werden in den Klassen II-IV zu Steuergesellschaften vereinigt, welche die Summe der für jeden Betrieb in Ansatz kommenden Mittelsätze aufzubringen haben. Für Gast- und Schenkwirtschaften sowie für den Kleinhandel mit Branntwein wurde neben der G. eine besondere Betriebssteuer eingeführt, die 10 Mk. für die von der G. befreiten Betriebe, sonst 15,25,50 und 100 Mk. je nach Zugehörigkeit zu Klasse IV, III, II und I, beträgt. Durch Gesetz vom 14. Juli 1893 wurde die G. als Staatssteuer aufgehoben und durch das Kommunalabgabegesetz vom gleichen Datum den Gemeinden überwiesen. In Sachsen wurde die bisherige G. 1878 aufgehoben, an ihre Stelle trat die allgemeine Einkommensteuer.

Österreich hat durch die Steuerreformgesetzgebung vom 25. Okt. 1896 die G. vollkommen umgestaltet. Die neue »Erwerbssteuer« zerfällt in zwei Abteilungen: eine Steuer auf Geschäfte mit öffentlicher Rechnungslegung (Aktiengesellschaften, Gewerkschaften, Versicherungsunternehmungen etc.) und eine »allgemeine Erwerbssteuer«. Die erstere beträgt im allgemeinen 10 Proz. des Reinertrags, jedoch mindestens 1/10 Proz. des Aktienkapitals, bez. der Jahresnettoprämien der Versicherungsgesellschaften; Aktiengesellschaften, die mehr als 10 Proz. Dividende bezahlen, haben Zuschläge zu zahlen; Sparkassen und gewisse Gesellschaften genießen Vergünstigungen. Die übrigen Gewerbebetriebe wurden für die erste Veranlagungsperiode 1897/98 mit einem Gesamtkontingent von 17,7 Mill. Guld. besteuert, das sich mit jeder folgenden Periode um 2,4 Proz. des letzten Kontingents erhöht. Dies Gesamtkontingent wird durch eine Kommission auf die einzelnen Steuergesellschaften verteilt, die für jede Steuerklasse eines jeden Veranlagungsbezirks gebildet werden. Jeder Steuerpflichtige wird von der Kommission der Steuergesellschaft auf Grund einer detaillierten »Erwerbssteuererklärung« einer der vier Klassen (I. über 1000, II. über 150–1000, III. über 30–150, IV. bis 30 Guld. Steuer) zugeteilt. Vgl. Burkhard, Artikel »G.« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 4 (2. Aufl., Jena 1900); Falkmann, Die preußische Gewerbesteuergesetzgebung (3. Aufl., Berl. 1898); Fuisting, Kommentar zu den preußischen Gewerbesteuergesetzen (2. Aufl., das. 1900; Textausg. erläutert, 2. Aufl. 1904); über das bayrische Gesetz vom 9. Juni 1899 die Kommentare von Wolfram und Prenner (Münch. 1899), Bayerl (3. Aufl., das. 1899), A. Fuchs (Ansb. 1900), F. Klemm (Münch. 1900), für Elsaß-Lothringen: Kommentar von Roth (Straßb. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 797-798.
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