Rübenbau

[207] Rübenbau, die Kultur von Pflanzen, deren nutzbare Teile die durch Kultur verdickten, meist zuckerhaltigen Wurzeln bilden. Zur Ausbildung der Rüben ist vor allem sorgfältigste Bodenbearbeitung, auch während des Wachstums, notwendig. Sie werden daher mit den Knollenfrüchten als Hackfrüchte im engern Sinne bezeichnet. Sie liefern menschliche Nahrungsmittel, besonders als Winterfutter sehr wertvolles Viehfutter und das Rohmaterial für die Zucker- und zuweilen auch für die Spiritusfabrikation. Als Futterpflanzen gewähren die Rüben größere Massenerträge als selbst manche Grünfutterpflanzen, verlangen jedoch wegen ihres geringen Gehaltes an Proteinstoffen zur vollständigen Ausnutzung die Beifütterung von Ölkuchen, Körnern und Stroh. Sie fordern Tiefkultur, mehrmaliges Behacken und Behäufeln, weshalb der Kulturaufwand erheblich ist, er wird jedoch durch die bedeutenden Erträge reichlich gelohnt. Als Fabrikpflanzen verwendet, entziehen sie dem Boden bedeutende Mengen von Nährstoffen, wenn nicht durch Rückgabe der Fabrikationsrückstände für Ersatz gesorgt wird. Am häufigsten werden von den Rüben oder Wurzelfrüchten, die mit Ausnahme der ausdauernden Zichorie, durchweg zweijährig sind, gebaut: die Runkelrübe (Futterrübe, Burgunderrübe, Zuckerrübe, Rübenmangold, Dickrübe, Bete, Rösling, Randich, Beta vulgaris). Als Zuckerrüben werden die zuckerreichsten (10–18 Proz.) Sorten angebaut, wie z. B. die weiße schlesische, die Quedlinburger, die Imperial-, die Klein-Wanzlebener, die Mährische, die Vilmorinsche, die Bestehornsche, die Knauersche Zuckerrübe etc.; als Futterrüben werden dagegen die proteinstoffreichern, meist aus dem Boden wachsenden Sorten kultiviert, wie die lange Eckendorfer, die abgeplattete Teller-, die kugelige Oberndorfer, die ovale Walzenrübe etc. Außerdem kommen in Betracht die Kohlrübe (Brassica napus rapifera), die Wasserrübe (Brassica rapa rapifera), die Pastinake (Pastinaca sativa), die Möhre (Daucus Carota) und die Zichorie (Cichorium Intybus).

Für den Zuckerrübenbau eignen sich am besten als sogen. geborne Rübenböden tiefgründige, humose Lehm- und Mergelböden, ungeeignet sind alle flachgründigen und alle Böden von extremer Beschaffenheit. Die Futterrübe gedeiht überall, wo noch Wintergetreide gebaut werden kann. Die Kohlrübe verlangt tiefgründige Lehm- und Tonmergelböden. Die Wasserrübe gedeiht noch auf lehmigem Sand- und entwässertem Moorboden, die Möhre auf tiefgründigem, kalkhaltigem, sandigem Lehm- oder lehmigem Sandboden; dasselbe gilt von der Zichorie. Die gewöhnlichste Vorfrucht für Zucker- und Futterrübe ist gedüngtes Wintergetreide oder Gerste. Hafer leidet zu sehr von Nematoden. Gewöhnliche Nachfrucht ist Sommergetreide oder Hülsenfrucht. Die Kohlrübe wird am gewöhnlichsten in das Brachfeld oder nach Luzerne, Rotklee oder, wenn sie im Juni ausgepflanzt wird, nach Raps oder Grünfutter gebaut. Die Wasserrübe wird nach frühem Grünfutter oder nach zugrunde gegangenem Raps oder am häufigsten in die umgebrochene Wintergetreide-, Raps- oder Leinstoppel als Stoppelfrucht gebaut. Die Pastinake findet ihren Platz meist nach Gerste. Die Möhre, welche 2–3 Wochen zum Aufgehen braucht, wird am besten in Wintergetreide, Gerste, Lein, Hanf, Mohn untergesät. Die Zichorie nimmt in der Fruchtfolge den gleichen Platz wie die Zuckerrübe ein. Die Rüben, die großen Vorrat von aufnehmbaren Bodennährstoffen bedürfen, werden meist in die erste Tracht nach einer Stallmistdüngung gestellt und reichlich mit den verschiedensten Kunstdüngern versehen. Nur die Zuckerrüben werden bei sorgfältiger Kultur erst in die zweite Tracht gestellt. Als Kunstdüngermengen gelten 40–60–90 kg lösliche Phosphorsäure u. 25–50–75 kg Stickstoff auf 1 Hektar. Kalidünger 50–80–120 kg werden zur Vorfrucht gegeben. Zur Vorbereitung des Feldes für die Rübenkultur wird die Stoppel im Herbst seicht gestürzt und noch vor Winter tief gepflügt. Besonders wirksam ist bei dem Zuckerrübenbau die Dampftiefkultur. Im nächsten Frühjahr wird das Feld nur wenig gerührt, um die Feuchtigkeit in der obersten Erdschicht möglichst zu erhalten und das Ankeimen der Rübensamen zu sichern. Die Zuckerrübensaat wird so zeitig wie möglich, bis zu Ende März oder Ende April, ausgeführt, weil die Vegetation der Rübe 20–30 Wochen dauert. Die Samen werden auf das flache Land oder in Kämmen, in Reihen unter Anwendung von Druckrollen oder in Tüpfeln gelegt, und zwar werden die Rübenkerne um so enger gelegt, je fruchtbarer der Boden ist, um kleinere und daher zuckerreichere Wurzeln zu erhalten. Die Kohlrübe wird in England auf das freie Land gesteckt, während in Deutschland das Auspflanzen üblicher ist.

Tabelle

Zur Saat ist vor allem die für die vorliegenden Boden- und klimatischen Verhältnisse passende zuckerreichste Rübensorte zu wählen, und sind nur solche Rübenkerne zu nehmen, die sortenecht und mittlerer Größe (2–3 Früchte) sind (s. Samenhandel). Die Rüben sind möglichst bald zu bearbeiten, weil sie besonders bei kühler Witterung leicht von Unkraut unterdrückt werden. Noch vor dem Aufgehen ist die erste [207] Hacke (Blindhacke), jedoch nur seicht, zu geben, derselben folgen je nach der Verunkrautung und der Bodenverschließung eine zweite, dritte bis fünfte Hacke, die stets in andrer Richtung und tiefer zu geben ist, und zum Schluß ein leichtes Anhäufeln, um bei Zuckerrüben die aus dem Boden wachsenden Rübenköpfe mit Erde zu bedecken. Bei den Runkelrüben ist überdies nach dem Aufkeimen ein Vereinzeln der büschelweise hervorkommenden Keimpflanzen erforderlich. Die Zahl der Pflanzenfeinde ist bei den Rüben sehr groß. Bei den Zuckerrüben tritt z. B. häufig ein plötzlicher Stillstand im Wachstum ein (Rübenmüdigkeit), weil ein kleiner Fadenwurm, die Rübennematode (Rübenälchen, Rübenwurm, Heterodera Schachtii und H. radicicola), an den Wurzelfasern der Rüben saugt. Man bekämpft denselben durch mehrmaligen Anbau von Fangpflanzen (Sommerrübsen, Zuckerrüben, Raps etc.), die man nach etwa 4 Wochen, sobald sich die Einwanderung der Nematoden in die Wurzeln mikroskopisch nachweisen läßt, durch Grubbern und Pflügen zerstört, wobei dann die Nematoden zum größten Teil absterben. Vgl. Kühn, Die Wirksamkeit der Nematoden-Fangpflanzen, in den Berichten aus dem physiologischen Laboratorium der Universität Halle (1881 ff.); Strubell, Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Rübennematode, in der »Bibliotheca zoologica« (Kassel 1888); Hollrung, Jahresbericht der Versuchsstation für Nematodenvertilgung (Halle 1890 bis 1896); Spiegler, Praktische Anleitung zur Bekämpfung der Rübennematode (2. Aufl., Wien 1895); Vaňha und Stoklasa, Rübennematoden (Berl. 1896). Weitere Zuckerrüben krankheiten sind: der Wurzelbrand (Pythium de Baryanum; Samenbeize mit 1 Proz. Karbolsäure oder Bordelaiser Brühe), die Schwärze (Helminthosporium rhizoctonon), die Herz-, Trocken-, Kronenfäule (Phoma betae), der Rübenschorf (Oospora scabies), die Rübenfäule (Rhizoctonia violacea), der Rost der Runkelrübenblätter (Uromyces betae), die Herzblattkrankheit (Peronospora betae) etc. Gegen manche Pilzkrankheiten der Rübe hilft das Bespritzen mit Kupfervitriolkalkbrühe. Von tierischen Schädlingen sind zu nennen: Aaskäfer, Rübenrüsselkäfer, Maikäfer, Schildkäfer, Wintersaateule. Runkelfliege etc. (vgl. Stift, Die Krankheiten und tierischen Feinde der Zuckerrübe, Wien 1900; Walter Müller, Tierische Zuckerrübenschädlinge, Berl. 1893; Eisbein, Die kleinen Feinde des Zuckerrübenbaues, 2. Aufl., das. 1895). Die Kohl- und Wasserrüben werden von Meltaupilzen, der Kohlhernie, den Erdflöhen, den Raupen des Kohlweißlings, der Saateule, der Rapssägewespe und zahlreichen andern Schädlingen heimgesucht. Die Möhre leidet besonders vom Wurzelbrand und der Möhrenfliege, welche die Wurmfäule, Rostflecken- oder Eisenmadenkrankheit hervorruft. Da die Zuckerrübe bis spät in den Herbst hinein fortwächst, so wird die Ernte, um mehr Zucker zu gewinnen, spät im September und Oktober vorgenommen, und zwar pflegt man in Fabrikwirtschaften den geeigneten Zeitpunkt durch wiederholte Polarisationen festzustellen. Die Kohlrüben können länger als die Runkelrüben auf dem Felde gelassen werden, weil sie weniger empfindlich gegen Fröste sind. Die Futtermöhren werden im Oktober bis Mitte November vor dem Eintritt der Frühfröste geerntet. Die Ernte der Zichorie wird Ende September, wenn die untersten Blätter gelb werden und abzusterben beginnen. vorgenommen. Die Erträge der Rüben auf 1 Hektar stellen sich nach Krafft (»Pflanzenbaulehre«, 7. Aufl., Berl. 1903) wie folgt:

Tabelle

Im J. 1905 betrug die Anbaufläche für Runkelrüben in:

Tabelle

Der Gesamtmehranbau gegen 1904 betrug 17,3 Proz.

Bei der Auswahl der Samenrüben wird durch Polarisation der Zuckergehalt des Saftes bestimmt. Bei der billigern Samenzucht aus Stecklingsrüben wird der Same, der von Rüben gewonnen wurde, deren Saft im Frühjahr mindestens 12 Proz. Zuckergehalt zeigt, eng auf 25–31 cm gedrillt, die jungen Pflanzen werden nur sehr wenig verdünnt, und die auf diese Art erhaltenen kleinen, 10–13 cm langen Rüben (Stecklinge) von 200–300 g Gewicht sorgfältig über Winter aufbewahrt und im zweiten Vegetationsjahr auf einer größern Fläche wie gewöhnlich als Samenträger benutzt. Mit den Stecklingsrüben von einem Hektar können 8–10 Hektar Samenrüben gepflanzt werden. Nowoczek in Kaaden (Böhmen) hat die Rüben durch Abnahme von Adventivknospen vermehrt (Asexualrüben) und aus einer Mutterrübe 40–60 Pflanzen erhalten, welche den zu vererbenden Charakter viel konstanter festhalten als die aus Samen gezogenen Rüben. Über Rübensamenzüchtung s. Pflanzenzüchtung. Vgl. Hodek, Die Fortschritte der Rüben- und Rübensamenkultur (2. Aufl., Prag 1890); Briem, Die Zuckerrübe (Wien 1889) und Der praktische Rübenbau (das. 1895); Bürstenbinder, Die Zuckerrübe (3. Aufl., Hamb. 1896); Doering, Die Zuckerrübe und ihr Anbau (Bresl. 1896); Herzog, Monographie der Zuckerrübe (Hamburg 1899); Kiehl, Ertragreicher Zuckerrübenbau (Berl. 1900 u. 1904); Knauer, Der R. (9. Aufl. von Hollrung, das. 1906); Fühling, Der praktische Rübenbauer (3. Aufl., Bonn 1877); Bretfeld, Über Wertschätzung der Rübensaat (Berl. 1884); Krüger, Entwickelungsgeschichte, Wertbestimmung und Zucht des Runkelrübensamens (Dresd. 1884); Dörstling, Rübensamenzucht (Leipz. 1897); Fruwirth, Die Züchtung der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen, Bd. 2 (Berl. 1904); Deerberg, Die rationelle Kultur der Kohl- und Stockrübe (2. Aufl., Leipz. 1904); Muenzer, Die Möhre (Schöneberg 1897); Fries, Praktische Anleitung zum Kaffeezichorienanbau (2. Aufl., Stuttg. 1886). – Über die geographische[208] Verbreitung des Zuckerrübenanbaues vgl. die Karten »Landwirtschaft in Deutschland« (Bd. 4) und »Landwirtschaft in Österreich-Ungarn« (Bd. 15).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 207-209.
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