Schmarotzerpflanzen

[884] Schmarotzerpflanzen (hierzu Tafeln »Schmarotzerpflanzen I u. II«). Pflanzen, die ihren Bedarf an organischen Baustoffen nicht durch eigne Assimilationstätigkeit gewinnen, sondern ganz oder teilweise lebenden Tieren oder Pflanzen entziehen. Die S. entwickeln sich auf der Oberfläche (epiphyle S.) oder innen im Gewebe (endophyte S.) ihres Wirtes und bringen meistens an ihm bestimmte Krankheiten (s. Pflanzenkrankheiten) hervor, die sehr häufig die befallenen Organe zerstören oder den Wirt töten. Epiphyten (s. d.), wie die baumbewohnenden Orchidazeen, Arazeen, Moose und Flechten, ferner Lianen, wie der Efeu u.a., sind Scheinschmarotzer (Pseudoparasiten), da sie ihre Nahrung nicht aus der lebenden Pflanze, sondern höchstens aus abgestorbenen Rindenteilen und aus den durch Staub und Regen zugeführten Stoffen beziehen. Ebenso gehören auch die Raumparasiten (Wohnparasiten), niedere Algen, die in den natürlichen Körperhöhlen höherer Pflanzen wohnen, ohne ihren Wirt durch Nährstoffentziehung zu schädigen (s. Algen, S. 318), nicht zu den echten S. Gefährlichste S. sind gewisse Spaltpilze (s. Bakterien), die am tierischen und menschlichen Körper verheerende Seuchen, Milzbrand, Tuberkulose, Cholera, Typhus, Starrkrampf u.a. verursachen können. Von den echten Pilzen verursacht eine außerordentlich große Zahl schmarotzender Arten Pflanzenkrankheiten. Einige niedere Pilzformen können auch bei Menschen und höhern Tieren schädigend wirken (Soorpilz, Favuspilz, Schimmelpilze). Den Insekten werden die Entomophthorazeen (z. B. Empusa) verhängnisvoll, und unter den Askomyzeten die Arten der zu den Pyrenomyzeten gehörigen Gattung Cordyceps (Tafel II, Fig. 5–13), ferner die ausschließlich aus S. bestehenden Gruppen der Exoaszeen (Taphrina, s. d. und Tafel II, Fig. 1) und der Meltaupilze (Erysipha, Uncinula, Tafel II, Fig. 4). Zu den Basidiomyzeten gehören die Brandpilze (s. d.) und Rostpilze (s. d.). Unter den höhern Basidiomyzeten ist dagegen die Zahl der echten S. gering. Dahin gehören der Feuerschwamm (Tafel II, Fig. 2) und der Hallimasch (Tafel II, Fig. 3). Dieser bildet mit andern Arten die fakultativen S., die wohl lebendes Holz befallen, aber auch als Saprophyten mit dem toten Holz von Zäunen und Bretterwänden fürlieb nehmen.

Unter den Blütenpflanzen ist die Zahl der S. verhältnismäßig gering (etwa 1400). Zum Zwecke der Nahrungsaufnahme sind sie mit eigenartigen Organen zur Anheftung und Ernährung versehen, wie Haftscheiben, Haftwurzeln, Rindensaugwurzeln, Saugwarzen oder Haustorien, Saugscheiben, Saugfortsätze oder Senker, Saugfäden oder myceliale Thallushyphen. Manche Pflanzen (Halbschmarotzer, Hemiparasiten) wurzeln in der Erde und sind mit normalen, grünen Laubblättern ausgestattet, sie besitzen jedoch an ihren Wurzeln warzen- oder zangenartige Haftorgane (Haustorien), mit denen sie fremde Wurzeln oder Rhizome ergreifen; hierher gehören viele Rhinanthoideen und Santalazeen, wie Rhinanthus, Euphraria, Thesium u.a.

Eine zweite Untergruppe der Halbschmarotzer veranschaulicht unsre einheimische Mistel (Viscum album, Tafel I, Fig. 1). Bei ihr, wie bei den meisten übrigen Loranthazeen, findet zwar noch selbständige Kohlensäurezersetzung mittels der chlorophyllhaltigen Teile statt; allein ihre Samen keimen und wurzeln nur auf der Rinde andrer Holzgewächse (Kiefern, Pappeln, Obstbäumen, selten auch auf Eichen); die Mistel bildet Rindensaugstränge, die parallel der Längsrichtung der Nährzweige in deren Rinde verlaufen und senkrecht zu ihrer Hauptrichtung gestellte, keilartige Senker in das umgebende Nährholz eintreiben, um sich mit den Leitungsbahnen (Gefäßröhren) desselben in Verbindung zu setzen. Diese Senker halten durch eine Zellbildungsschicht mit dem Jahresringzuwachs des Wirtes gleichen Schritt. Bei der auf Eichen und Edelkastanien Ost- und Südeuropas schmarotzenden Riemenblume (Loranthus europaeus, Tafel I, Fig. 4) wachsen die Saugstränge innerhalb der Kambial- und Jungholzschichten der Nährbäume; die allmählich erhärtenden Holzzellen leisten den Strängen schließlich solchen Widerstand, daß letztere treppenartig ausbiegen und ihre fortwachsenden Spitzen um 5–8 mm nach außen verlegen müssen.

Von der Mistelform weichen in der äußern Tracht die Schlingschmarotzer ab, die durch einige Arten der Gattung Cuscuta (Teufelszwirn, Flachs- und Kleeseide, s. Cuscuta) in der heimischen Flora vertreten sind. Sie umwickeln mit fadenförmigen Stengeln die Nährpflanzen und setzen sich an ihnen mit Hilfe übereinander stehender Haftorgane fest; auch hier entspringt der Unterseite derselben ein in das Innere der Nährpflanze eindringender Saugstrang.

Die Braunschuppschmarotzer (Orobanchazeen), zu denen die Sommerwurz (Orobanche ramosa, Tafel I, Fig. 8) gehört, entwickeln oberhalb der Erde einen dicken, fleischigen, mit Schuppenblättern besetzten Blütensproß, der unterwärts in eine Art von Knolle übergeht; letztere sitzt der Wurzel einer Nährpflanze auf und trägt an ihrer Basis eine Anzahl kurzer Fasern, von denen sich einige ebenfalls der Nährwurzel anheften. Die verwandte Schuppenwurz (Lathraea squamaria, Tafel I, Fig. 12) besitzt ein fleischiges, weiß gefärbtes, dicht mit Blattschuppen besetztes Rhizom, dessen Enden sich über die Erde erheben und violettrötlich überlaufene Blütenstände tragen, und dessen Adventivwurzeln in dickliche, fadenförmige Ästchen mit Haftscheiben und Saugfortsätzen auslaufen, die sich einer Nährwurzel (Hasel, Hainbuche u.a.) anheften.

Bei einer vierten Reihe der S., den Knollensproßschmarotzern, zu der die pilzähnlichen Formen der Balanophoreen gehören, bildet der Vegetationskörper eine Art von Knollen, aus dem die blütentragenden Sprosse hervorwachsen. In Europa wird sie nur durch den Malteserschwamm (Cynomorium coccineum, Tafel I, Fig. 6) vertreten, während die übrigen Arten vorzugsweise die tropischen Urwälder Südasiens und Südamerikas bewohnen und dort auf Wurzeln von Holzgewächsen schmarotzen. Das in Brasilien einheimische Lophophytum mirabile (Tafel I, Fig. 10) bildet 0,5–15 kg schwere Knollen, aus denen die 1–1,5 cm langen, fingerdicken, weißlichen oder rötlichen Spindeln mit gelben oder orangefarbigen Blütenköpfchen entspringen. Verzweigte Strünke mit zapfenähnlichen Blütenständen zeichnen die in [884] Brasilien und Mexiko einheimische Langsdorffia hypogaea aus (Tafel I, Fig. 3). Pilzähnliche Formen bildet die amerikanische Gattung Scybalium (Tafel I, Fig. 9).

Für die letzte Reihe, die Thallussproßschmarotzer, die von der Familie der Rafflesiazeen gebildet wird, ist die Bildung eines im Gewebe der Nährpflanze zwischen Holz und Rinde auftretenden, thallus- oder myceliumartigen Vegetationskörpers bezeichnend, aus dem die Blütensprosse hervorgehen; die gewöhnliche Gliederung der höhern Pflanzen erscheint damit völlig aufgegeben. Die Familie umfaßt nur 24 Arten, von denen eine einzige, nämlich der auf Cistrosen schmarotzende, durch verzweigte Blütenstengel und gelbe Blüten mit hochroten Deckblättern ausgezeichnete Cytinus Hypocistis (Tafel I, Fig. 7), in Südeuropa einheimisch ist. Bei der amerikanischen Apodanthes Flacourtiana (Tafel I, Fig. 2) und bei den Arten der Gattung Pilostyles, von denen P. Haussknechtii (Tafel I, Fig. 5) auf Tragantsträuchern in Syrien vorkommt, durchbrechen die sehr kleinen Blütensprosse herdenweise die befallene Nährrinde, während die 5–6 Arten der Gattung Rafflesia auf Java, Sumatra und den Philippinen sich durch ihre tellerförmigen, fünflappigen, dicht den Nährwurzeln aufliegenden Riesenblumen auszeichnen; die kleinste Art (Rafflesia Rochussenii) in Westjava hat Blüten von 0,15 m, die größte, R. Arnoldi (Tafel I, Fig. 11) auf Sumatra, deren Blüte einem riesigen Kohlkopf gleicht, zeigt 1 m Durchmesser und rote Blumenblätter mit hellern, flachen Warzen.

Vgl. Solms-Laubach, Über den Bau und die Entwickelung parasitischer Pflanzenorgane (in Pringsheims »Jahrbüchern für wissenschaftliche Botanik«, Bd. 6, Leipz. 1867) und das Haustorium der Loranthazeen und der Thallus der Rafflesiazeen und Balanophoreen (in den »Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle«, Bd. 13, 1873); Schimper, Die Vegetationsorgane von Prosobanche Burmeisteri (ebenda, Bd. 10, 1867); Koch, Die Klee- und Flachsseide (Heidelb. 1880) und Untersuchungen über die Entwickelung der Orobancheen (in den »Berichten der Deutschen Botanischen Gesellschaft«, 1883); Kerner v. Marilaun, Pflanzenleben, Bd. 1 (2. Aufl., Leipz. 1896); Heinricher, Biologische Studien an der Gattung Lathraea (in den »Berichten der Deutschen Botanischen Gesellschaft«, 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 884-885.
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