Seidenspinner

[294] Seidenspinner (hierzu Tafel »Seidenspinner«), Schmetterlinge, deren Kokons auf Seide verarbeitet werden. Der Maulbeerspinner (Bombyx mori L, Tafel, Fig. 2–5), aus der Familie der Spinner (Bombycidae), 32–38 mm breit, mehlweiß oder perlgrau, mit blaß gelbbraunen Querstreifen auf den Flügeln und schwärzlich gekämmten Fühlern, ist wahrscheinlich in China heimisch und wird behufs der Gewinnung von Seide in China, Japan, Indien, auch in Europa gezüchtet. Das Ei ist oval, flach gedrückt, 1–1,5 mm lang, schiefergrau, ins Bläuliche, Violette oder Grünliche spielend und überwintert. Die Raupe ist schwarzbraun, wird aber nach der ersten Häutung perlgrau, ins Bräunliche oder Gelbliche neigend. Einige Rassen sind schwärzlichgrau oder samtschwarz oder am ganzen Körper dunkel quergestreift. Auf dem elften Körperring sitzt ein Hautzapfen (Sporn), und vom Kopf bis zu diesem Zapfen verläuft ein bläulichgraues Band.

Fig. 1. Spinndrüsen der Raupe.
Fig. 1. Spinndrüsen der Raupe.

Auf der Rückenseite des dritten und achten Ringes finden sich in der Regel zwei halbmondförmige Flecke. Die Spinndrüsen der Raupe (Textfig. 1) bestehen aus einem vielfach gewundenen Schlauch, dessen hinterer Teil den flüssigen, honigdicken Seidenstoff absondert, der durch dünne Ausführungsgänge zu der im Kopfe gelegenen Spinnwarze geleitet wird.

Fig. 2. Rücken-, Fig. 3. Bauchseite der Puppe.
Fig. 2. Rücken-, Fig. 3. Bauchseite der Puppe.

Die Raupe häutet sich viermal, und 30–35 Tage nach dem Ausschlüpfen ist sie spinnreif. Aus zwei seinen Öffnungen auf der Unterlippe tritt der Spinnstoff aus und vereinigt sich zu einem Faden, der an der Luft sofort erhärtet. Indem nun die Raupe mit dem Kopfe Bewegungen ähnlich einem ∞ macht, legt sie um sich herum Fadenwindung an Fadenwindung, und in kurzer Zeit ist sie von einem dichten Seidengespinst (Kokon), bestehend aus einem einzigen, etwa 1000, auch über 3000 m langen Faden, eingeschlossen (vgl. Seide). Der Kokon (s. Tafel) ist länglich-oval, strohgelb, bei den japanischen Rassen grünlich, bei den Weißspinnern weiß. Durch Kreuzungen erhält man goldgelbe und andre Nuancen. Acht Tage nach dem Einspinnen verpuppt sich die Raupe (Fig. 2 u. 3), und nach weitern acht Tagen schlüpft der Schmetterling aus, indem er den Kokon durchbohrt. Sehr bald darauf beginnt die Paarung, die 6–8 Stunden dauert, und nach derselben legt das Weibchen in wenigen Tagen etwa 400 Eier, wonach die Schmetterlinge sterben. Man unterscheidet mehrere Rassen des Seidenspinners, die nach der Farbe des Fadens drei Gruppen bilden: Gelbspinner, Weißspinner und Grünspinner. Bei den sogen. Zweispinnern kriechen die Räupchen noch in demselben Sommer aus und machen eine zweite Generation durch.

Seidenraupenzucht.

Bei der Seidenraupenzucht werden im Frühjahr, wenige Tage vor dem Grünwerden der Maulbeerbäume, die Eier (Grains, Samen) zur Ausbrütung in Zimmern ausgelegt, deren Temperatur man von 0°, täglich um 1/2-1°, auf 22–25° steigert. Man benutzt auch Brutöfen, wie den von Haberlandt-Bolle, der durch eine Lampe erwärmt und durch Röhren ventiliert wird. In 10–15 Tagen schlüpfen die Raupen aus und werden mittels junger Maulbeerblätter abgehoben und im Aufzuchtslokal auf Hürden gelegt. Dies Lokal und alle Geräte müssen vorher gut gereinigt und womöglich desinfiziert werden; man erhält darin eine Temperatur von 21° und beständigen Luftwechsel. Zur Aufzucht der Raupen aus 25 g Samen (35–40,000 Eier) bedarf man 70 cbm Raum. Jede zweite oder dritte Stunde, mit Ausnahme der Häutungsperioden, wird gefüttert. Das Laub nimmt man vom weißen Maulbeerbaum; es muß frisch und nicht von Regen oder Tau naß sein. Zweckmäßig reicht man bis zur vierten Häutung mit der Laubschneidemaschine zerschnittenes Laub. Man verbraucht auf 25 g Samen bis zum Einspinnen 780 kg und erhält von 1000 kg Laub 60 kg Kokons. Statt mit Maulbeerbaumblättern hat man auch mit Erfolg mit den Blättern der Schwarzwurzel (Scorzonera hispanica) gefüttert. Vgl. Harz, Eine neue Züchtungsmethode des Maulbeerspinners mit einer krautartigen Pflanze (Stuttg. 1890). Mit dem Wachsen der Raupen muß man sie auf immer größere Flächen ausbreiten; die Raupen aus 25 g Samen erfordern beim Ausschlüpfen 0,3, bei der Spinnreife 70 qm. Nach der ersten Häutung muß man die Lager mit den Exkrementen und Blattresten täglich entfernen (Wechseln der Betten); man legt zu dem Zwecke Netze oder durchlöchertes Papier (Fig. 4) auf die Raupen und darüber frisches Laub. Sehr bald kriechen dann die Raupen hervor und können leicht auf neue Hürden übertragen werden. Das alte Lager wird aufgerollt und hinausgeschafft. Über die Benutzung des Kotes der Seidenraupe in der Färberei s. Bastseife.

Fig. 4. Durchlöchertes Papier zum Umbetten der Raupen.
Fig. 4. Durchlöchertes Papier zum Umbetten der Raupen.

Nach 30–35 Tagen hören die Raupen auf, zu fressen, und man stellt nun Spinnhütten aus losen, zwischen zwei Hürden aufgerichteten Bündeln von trockenem Stroh oder Reisig auf. Acht Tage, nachdem die letzte Raupe in die Spinnhütte übertragen[294] wurde, kann man letztere zerlegen und die Kokons sammeln. Diese werden in eignen Öfen mit Dampf oder heißer Luft bei einer Temperatur über 60° getötet, die schwachen oder fleckigen und die sogen. Doppelkokons werden ausgelesen, die besten zur Zucht zurückbehalten.

Die Seidenraupe ist mehreren Krankheiten unterworfen, die oft ganze Aufzuchten zerstören. Alle kranken Raupen zeigen verminderte Freßlust und Verzögerung des Wachstums und Unregelmäßigkeit der Häutungen unter Raupen desselben Alters.

Fig. 5. Fleckenkranke Raupe.
Fig. 5. Fleckenkranke Raupe.

Bei der Fleck- und Körperchenkrankheit (Pébrine, Gattine) erscheinen schwarze Fleckchen auf der Raupe (Fig. 5); die innern Organe sind mit Cornaliaschen Körperchen (Fig. 6), einem Mikroorganismus, Nosema bombycis Näg. (s. d.), infiziert. In mildern Graden der Krankheit kann die Raupe sich einspinnen und verpuppen, es schlüpft auch der Schmetterling aus; aber der Pilz befällt auch die Eierstöcke und die Eier, aus denen kranke Raupen herausschlüpfen.

Fig. 7. Schlaffsüchtige Raupe.
Fig. 7. Schlaffsüchtige Raupe.

Die Schlaffsucht (Flacherie) befällt die Raupen meist unmittelbar vor der Spinnreife (Fig. 7); sie werden schlaff, sterben bald ab, verbreiten nach wenigen Stunden einen widerwärtigen Geruch und werden schwarz und breiig. Große Zuchten können dadurch in 2–3 Tagen dahingerafft werden.

Fig. 6. Körperchen 60 0/1. Fig. 8. a Bakterien, b Mikrokkus der schlaffsüchtigen Raupe. 60 0/1. Fig. 9. Pilz der Kalksucht (Botrytis Bassiana). 20 0/1. Fig. 10. Polyedrische Körnchen der Gelb- oder Fettsucht.
Fig. 6. Körperchen 60 0/1. Fig. 8. a Bakterien, b Mikrokkus der schlaffsüchtigen Raupe. 60 0/1. Fig. 9. Pilz der Kalksucht (Botrytis Bassiana). 20 0/1. Fig. 10. Polyedrische Körnchen der Gelb- oder Fettsucht.

Die Ursache der Schlaffsucht ist nicht bekannt, doch wird sie durch irrationelle Aufzucht begünstigt; im Mageninhalt finden sich viele Bakterien und Mikrokokken (Fig. 8). Die Kalksucht (Muscardine) wird durch einen Pilz, Botrytis Bassiana de By. (Fig. 9, vgl. Botrytis), herbeigeführt. Das Mycelium durchwuchert die innern Organe, tötet die Raupe, durchbricht die Haut und fruktifiziert, worauf die weißen Sporen ausgestreut werden. Die abgestorbene Raupe ist wachsartig, später kreidig und bedeckt sich mit den Sporen, die durch das Futter in andre Raupen gelangen, so daß sich die Krankheit sehr schnell verbreitet. Geräte und Räume, die mit dem Pilz verunreinigt worden sind, dürfen im nächsten Jahre nicht wieder benutzt werden, damit die Sporen ihre Keimkraft verlieren. Die Fett- oder Gelbsucht verursacht selten größern Schaden und tritt meist zur Zeit der Spinnreife auf. Die kranke Raupe nimmt an Körperumfang zu, die Haut wird opak, färbt sich und zerreißt leicht, wobei trübes gelbliches oder milchiges Blut ausfließt. Die charakteristische Trübung rührt von im Blute verteilten kleinen polyedrischen Körnchen (Fig. 10) her, die sich auch in den Geweben vorfinden, über deren Natur aber nichts Näheres bekannt ist. Die tote Raupe wird schwarz und breiig. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt; in gut ausgeführten Aufzuchten tritt sie sehr schwach auf. Bei der sehr langsam verlaufenden Schwindsucht verschmähen die Raupen das Futter und unterliegen einer Art Auszehrung. Sie werden durchscheinend bräunlich, und im Magen findet sich eine helle alkalische Flüssigkeit voll Mikrokokken. Die tote Raupe trocknet aus. Die Krankheit erscheint meist nach der dritten oder vierten Häutung und kann größere Zuchten langsam vernichten. Die Krankheiten der Seidenraupen sind nicht heilbar; man kann nur ihre Wirkungen vermindern, ihrem Auftreten vorbeugen, indem man die Aufzucht rationell betreibt und vor allem gute Eier (Samen) verwendet. Für die Samengewinnung (Grainierung) wählt man gesunde Raupen, breitet deren Kokons auf Hürden aus oder spannt sie auf harfenartige Gestelle ein. Die Eier läßt man auf Leinwand oder Karton ablegen und hebt sie über Winter in lustigen, kühlen Räumen auf (industrial grains). Sicherer ist die von Pasteur eingeführte Zellengrainierung, bei der man jedes einzelne Schmetterlingspaar nach dem Ausschlüpfen in einem kleinen Tüllsäckchen isoliert. In diesem erfolgen die Begattung und das Ablegen der Eier. Nach dem Absterben der Schmetterlinge werden sie auf Körperchen untersucht, so daß man sicher die gesunden Eier von den infizierten trennen kann. Erstere liefern Aufzuchten, die der Körperchenkrankheit nicht unterliegen und gegen andre Krankheiten sich sehr widerstandsfähig erweisen. Die Eier der gesund befundenen Schmetterlinge (Zellengrains) werden von den Säckchen abgewaschen.

Außer Bombyx mori liefern noch viele andre Spinner Seide, die zum Teil seit langer Zeit benutzt wird. Diese Spinner und ihre Seiden (wilde Seide) werden im Freien gezüchtet, sind dauerhafter, stärker im Faden und erleiden beim Färben keinen Verlust, weil sie keinen Seidenleim enthalten. Mit einigen dieser S. sind in Europa gelungene Zuchtversuche angestellt worden. Zu den wichtigsten gehören der Tussahspinner Indiens (Antheraea Mylitta, A. paphia, Tafel, Fig. 10 u. 11), der Eichenseidenspinner (Eichenblattspinner) Nordchinas (A. Pernyi, Fig. 12–14), dessen Seide fälschlich Tussah genannt wird, der Eichenspinner Japans (A. Yamamayu), der 1863 durch Pompe van Meerdervorst nach Frankreich gelangte, der Ailanthusspinner Chinas und Japans (Fagararaupe, Attacus Cynthia, Tafel, Fig. 7–9), auf dem Götterbaum (Ailanthus) und Ricinus lebend, 1856 durch Fantoni aus China nach Europa gebracht und seit 1885 in Frankreich durch Guérin-Méneville gezüchtet, hat sich in Straßburg stark vermehrt und ist dort heimisch geworden. Die Seide dieses Spinners durfte in Japan früher nur der Mikado tragen, und die Ausfuhr der Eier wurde mit dem Tode bestraft; der südamerikanische S. (Samia [Attacus] Cecropia; Fig. 1), Telea Polyphemus (Fig. 6) u. a. Mit dem nordchinesischen Eichenseidenspinner sind auf Eichen erfolgreiche Versuche gemacht worden. Der Schmetterling verträgt unser Klima sehr gut, überwintert im Kokon, und man muß Sorge tragen, daß er nicht zu[295] früh auskriecht. In Norddeutschland lassen sich nicht zwei Bruten erziehen, weil die Eiche zu spät ausschlägt. Die Seide zeigt sich der besten Mailänder Seide ebenbürtig. Der japanische Eichenspinner, seine Raupe und seine braunen Kokons sind viel größer als die des Maulbeerspinners, auch ist die Seide viel stärker. Züchtungsversuche in Kroatien wurden wieder aufgegeben, weil die Kokons geringe Ausbeute geben und schwer abzuhaspeln sind. Vgl. Haberlandt, Der S. des Maulbeerbaums (Wien 1871); Weißweiler, Zucht des Maulbeerbaums und der Seidenraupe (Berl. 1875); Pasteur, Études sur les maladies des vers à soie (Par. 1871, 2 Bde.); Bolle, Die Krankheiten der Seidenraupe (Görz 1874), Ausführliche Anleitung zur rationellen Aufzucht der Seidenraupe (bearbeitet von Mewis, Berl. 1893) und Der Seidenbau in Japan (Wien 1898); Reichenbach, Über Seidenraupenzucht etc. in China (Münch. 1867); Netz, Der japanische und der chinesische Eichenseidenspinner (Neuwied 1883); Voelschow, Die Zucht der S. (Schwerin 1902); »Österreichische Seidenbauzeitung« (Görz 1869 bis 1872) und »Jahresberichte der Seidenbau-Versuchsstation in Görz« (das. 1873 ff.) und Literatur bei Artikel »Seide«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 294-296.
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