Speyer [2]

[721] Speyer (Speier), Hauptstadt des bayr. Regbez. Pfalz, ehedem freie Reichsstadt, an der Mündung des Speyerbachs in den Rhein, Knotenpunkt der pfälzischen Eisenbahnlinien Schifferstadt-Germersheim, S.-Heidelberg und S.-Geinsheim, 103 m ü. M., hat trotz ihres hohen Alters nur wenige altertümliche Gebäude.

Wappen von Speyer.
Wappen von Speyer.

Unter den Kirchenbauten (3 evangelische und 3 kath. Kirchen und eine Synagoge) ist am merkwürdigsten der kath. Dom, 1030 von Kaiser Konrad II. begonnen, 1061 unter Heinrich IV., der 1064 die Afrakapelle hinzufügte, vollendet. Er ist im Rundbogenstil ausgeführt, hat eine Länge von 147 m, im Querschiff eine Breite von 60 m und 4 Türme. Das über dem Schiff sich erhebende Königschor enthält die Grabmäler von acht deutschen Kaisern (Konrad II., Heinrich III., Heinrich IV. und Heinrich V., Philipp von Schwaben, Rudolf von Habsburg, Adolf von Nassau und Albrecht I.) und das der Beatrix, der zweiten Gemahlin Friedrichs I., sowie ihrer Tochter Agnes. Das Innere schmücken 32 Fresken (1845–1854 von Schraudolph ausgeführt). In der Vorhalle (Kaiserhalle) sind seit 1858 die acht großen Standbilder der hier begrabenen Kaiser (meist von Fernkorn ausgeführt) aufgestellt. Die untere Kirche (Krypte) stützen massive niedrige Säulen. In ihr befindet sich der Zugang zu der neuerdings eingebauten, 1906 eingeweihten Kaisergruft. In den Anlagen um den Dom sind der Domnapf, der früher vor dem Dom stand und den bischöflichen Immunitätsbezirk begrenzte, die Antikenhalle, ehemals eine Sammlung römischer Altertümer bergend, der Ölberg (eine mit eingemeißelten bildlichen Darstellungen der Leiden Christi, Blätterwerk etc. geschmückte Steinmasse), das Heidentürmchen, dessen Unterbau wahrscheinlich aus der Römerzeit stammt, die Kolossalbüste des Professors [721] Schwerd und die des frühern Regierungspräsidenten v. Stengel hervorzuheben. Nachdem der Dom schon 1159, 1289 und 1540 durch Feuersbrünste gelitten, wurde er 31. Mai 1689 von den Franzosen fast ganz niedergebrannt; sogar die alten Kaisergräber wurden aufgerissen und die Gebeine umhergestreut. Erst 1772–84 ward der Dom wieder aufgebaut, aber schon 1794 von den Franzosen abermals demoliert und in ein Heumagazin verwandelt. Durch den König Maximilian I. wurde er wieder hergestellt und 19. Mai 1822 eingeweiht. Später wurden auch die westlichen Türme mit dem Umbau und Neubau der Fassade wieder ersetzt und der alte Kaiserdom wieder eingeweiht. Vgl. Geissel, Der Kaiserdom zu S. (Mainz 1826–28, 3 Bde.); Meyer-Schwartau, Der Dom zu S. und verwandte Bauten (Berl. 1893, mit 32 Tafeln); Schwartzenberger, Der Dom zu S., das Münster der fränkischen Kaiser (Neustadt a. H. 1903, 2 Bde.); Grauert, Die Kaisergräber im Dome zu S. (Münch. 1901). Von den evangelischen Kirchen ist besonders die neuerbaute, 1904 eingeweihte gotische Retscher- oder Protestationskirche bemerkenswert, die an den Protest der evangelischen Stände gegen die Beschlüsse des Reichstags von S., 1529, erinnern soll. Das Innere enthält schöne Glasmalereien und ein Standbild Luthers (vgl. Gümbel, Die Gedächtniskirche der Protestation etc., Speyer 1904). Aus alter Zeit stammen noch: das Altpörtel (Alta porta), bereits 1276 erwähnt, jetzt Stadtturm mit Uhr, und die Überreste eines alten Judenbades sowie des Retschers, eines alten, wohl bischöflichen Palastes, der 1689 zerstört wurde (vgl. Remling, Der Retscher in S., Speyer 1858). Das alte Kaufhaus, ein prächtiger Bau und früher das Haus der Münzer, ist im alten Stil wieder hergestellt und um ein Stockwerk erhöht. In seinen Räumen sind jetzt verschiedene städtische Behörden, die Polizei etc., untergebracht. Ein großartiges Museumsgebäude ist (1907) im Bau begriffen. Die Einwohnerzahl betrug 1905 mit der Garnison (ein Pionierbataillon Nr. 2) 21,856 Seelen, davon 9438 Evangelische und 476 Juden. Die Industrie erstreckt sich auf Baumwollspinnerei, Fabrikation von Maschinen, Zigarren, Zelluloid und Zelluloidwaren, Schäften und Schuhen, Metallwaren, Pauspapier, Munition, Möbeln, Zwieback, Schokolade, Bonbons, Lack, Pflanzenleim, Zementwaren, Drahtstiften, Malz etc., Eisengießerei, Bierbrauerei, Ziegelbrennerei, Wein- und Tabakbau; es besteht eine große Gärtnerei mit Baumschule. Der Handel, unterstützt durch einen Hafen, eine Reichsbanknebenstelle und andre Geldinstitute, ist besonders wichtig in Tabak, Leder, Vieh, Häuten, Holz, Getreide, Kolonialwaren, Wein etc. Im Hafen kamen 1905 an: 2101 Schiffe (darunter 456 Dampfer) mit 98,799 Ton. Ladung; es gingen ab: 2109 Schiffe (darunter 457 Dampfer) mit 15,200 Ton. Ladung. S. hat ein Gymnasium, eine Realschule, ein kath. Schullehrerseminar, ein bischöfliches Klerikal- und ein Knabenseminar, ein Waisenhaus, eine Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder, eine Diakonissenanstalt, ein Kloster der Dominikanerinnen mit Mädcheninstitut, ein Museum mit Bildergalerie etc. und ist Sitz einer Kreisregierung, eines Bezirksamts, des Kreisarchivs, der Landesversicherungsanstalt für die Pfalz, eines Amtsgerichts, Zollamts, Forstamts, eines Bischofs, eines evangelischen Konsistoriums etc.

S., das römische Noviomagus, die Stadt der Nemeter, trägt seit dem 7. Jahrh. den Namen Spira. Um 30 v. Chr. von den Römern erobert und befestigt, von den Alemannen um 300 mehrmals zerstört, wurde S. von den Kaisern Konstantin und Julian wieder hergestellt, litt im 5. Jahrh. von den Wandalen und Hunnen, wurde im 6. Jahrh. fränkisch und fiel 843 an das ostfränkische Reich. Neben dem bischöflichen Schultheißen, dem die niedere Gerichtsbarkeit zustand, waltete bis 1146 ein königlicher Burggraf, dessen Amt damals der Bischof, nach 1200 aber die Stadt erwarb. Nachdem schon Heinrich V. eine Ratsverfassung gegeben hatte, die König Philipp 1198 bestätigte, wurde S. im 13. Jahrh. Reichsstadt, erhielt das Stapelrecht, erwarb jedoch kein Gebiet; 1513 bis 1689 war S. Sitz des Reichskammergerichts. Als Reichsstadt hatte S. unter den Reichsstädten der rheinischen Bank den fünften Platz, auch Sitz und Stimme auf den oberrheinischen Kreistagen. Unter den Reichstagen, die zu S. (meist in einem Gebäude des Ratshofs) gehalten wurden, sind besonders die von 1526 (vgl. Friedensburg, Der Reichstag zu S. 1526, Berl. 1887; Heuser, Die Protestation von S., Neustadt a. H. 1904) und von 1529 wichtig, von denen der erste die Ausführung des Wormser Edikts vertagte, der zweite die Einigung der Evangelischen zu einer Protestationsschrift (daher »Protestanten«) veranlaßte. Städtetage fanden hier 1346 und 1381 statt. Im Frieden zu S. 1544 verzichtete das Haus Habsburg auf die Krone von Dänemark-Norwegen. Im Dreißigjährigen Kriege wurde S. 1632–35 abwechselnd von den Schweden, den Kaiserlichen und den Franzosen erobert. Durch Kapitulation 1688 wiederum den Franzosen übergeben, wurde es im Mai 1689 beim Anrücken der Alliierten nach Schleifung der Festungswerke geräumt. 1792 wurde S. von den Franzosen unter Custine eingenommen und gebrandschatzt, war 1801–14 Hauptstadt des franz. Depart. Donnersberg und wurde 1815 bayrisch. Über die Schlacht bei S. (1703) s. Speierbach. Vgl. Zeuß, Die freie Reichsstadt S. vor ihrer Zerstörung (Speyer 1843); Weiß, Geschichte der Stadt S. (das. 1876); Hilgard, Urkunden zur Geschichte der Stadt S. (Straßb. 1885); Harster, Das Strafrecht der freien Reichsstadt S. (Bresl. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 721-722.
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