Culpa [2]

[575] Culpa (Rechtsw.), 1) im allgemeinsten Sinne die Verschuldung eines rechtswidrigen Erfolges; 2) im engeren Sinne so v.w. Fahrlässigkeit, der gesetzwidrige Mangel an der von einem vernünftigen Wesen zu erfordernden Vorsicht, Sorgfalt u. Besonnenheit, durch welchen, ohne die Absicht der Person, eine Rechtsverletzung entstanden ist (Negligentia, Lascivia, Luxuria). Die C. unterscheidet sich daher von dem Dolus dadurch, daß letzterer die auf Verletzung der Rechtspflicht direct gerichtete Absicht, den Vorsatz begreift, während die Natur der C. gerade in dem Mangel der guten Absicht, des guten Vorsatzes liegt. Dieser Mangel kann eben so wohl in einem positiven Handeln, als in einer Unterlassung liegen (C. in faciendo u. C. in non faciendo), die rechtlichen Folgen derselben gestalten sich aber wesentlich verschieden, je nachdem es sich dabei um öffentliche Rechtsverletzungen, welche das Criminalrecht bestraft, od. um Verletzungen eines Privatrechtes, über welche die civilrechtlichen Grundsätze entscheiden, handelt. A) Im Civilrecht hat man auf den Grund des Römischen Rechts als verschiedene Grade der C. die C. lata u. C. levis zu unterscheiden. C. lata wird als vorhanden angenommen, wenn selbst die Vorsicht u. Behutsamkeit eines gewöhnlichen Menschen ohne besondere Geistesfähigkeiten vernachlässigt worden ist; C. levis, wenn die Sorgfalt verabsäumt wurde, welche ein sorgsamer u. verständiger Hausvater in der fraglichen Lage angewendet haben würde. Die Vernachlässigung der Vorsicht der ersteren Art gilt als gröbste C. u. wird als der wirklichen bösen Absicht fast gleich kommend (Dolo proxima) dem Dolus gleich behandelt (C. lata dolo aequiparatur). Dagegen kann auch von Niemand eine größere Sorgfalt, als die der zweiten Art verlangt werden; die C. levis ist daher zugleich die C. levissima, welche in einigen Stellen erwähnt wird u. von Mehreren noch als eine dritte Art der C. betrachtet worden ist. Über die Prästation des durch die C. einem Andern erwachsenen Schadens gilt als Regel, daß der durch positives, culposes Handeln (C. in faciendo) herbeigeführte Schaden, sowohl innerhalb als außerhalb Obligationsverhältnissen prästirt werden muß, gleichviel ob der Schaden durch C. lata od. C. levis herbeigeführt wurde. Für die C. in non faciendo hat man nur zu haften, wenn man durch bes. übernommene Verbindlichkeit zu dem positiven Handeln verpflichtet war. Ist dies der Fall, so gilt dann ebenfalls als Regel, daß für omnis c. zu haften ist, allein mit folgenden Ausnahnen: a) nur für C. levis wird gehaftet von allen denen, welche aus dem obligatorischen Verhältniß keinen Vortheil haben, insofern sie nicht etwa sich zu dem Geschäfte unaufgefordert angeboten haben sollten od. ihre Betheiligung in der Besorgung fremder Angelegenheiten besteht (für welchen Fall es bei der Regel der Haftung für omnis c. verbleibt); von denjenigen, welche eine Sache nur bittweise (precario) in Händen haben u. deren Verpflichtung nur in Diensten, wozu die Ausübung einer Wissenschaft od. Kunst erforderlich wird, besteht; b) in mehreren Fällen tritt auch nur eine Haftung nach dem Mast der bei dem Contrahenten selbst gewöhnlichen Sorgfalt ein, so daß derselbe nur soweit zu haften hat, als er in seinen eigenen Angelegenheiten anders zu handeln pflegte, dies ist der Fall bei denjenigen Obligationen, welche aus einer Gemeinschaft (Societas, Erbschaftsgemeinschaft etc.) entstehen, so wie bei den Pflichten, welche der Ehemann rücksichtlich des ihm übergegebenen Brautschatzes u. der Paraphernalgüter u. der Vormund rücksichtlich der Verwaltung der Mündelgüter hat. Hauptschriften: v. Löhr, Die Theorie der C., 1806; Dessen Beiträge zur Theorie der C., 1808; Hasse, Die C. des römischen Rechts, 2. Ausg. von Bethmann-Hollweg, 1839. B) Im Strafrecht gibt es nur eine C., welche zwar größer od. geringer sein kann, ohne daß aber dadurch der Begriff der C. selbst ein anderer würde. Die C. ist hier überall da anzunehmen, wo Jemand durch seine Unachtsamkeit einen verbrecherischen Erfolg herbeigeführt hat, welchen er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge u. bei gesundem Verstande hätte voraussehen müssen. Schon dieser Natur nach ist die Möglichkeit einer C. bei allen denjenigen Verbrechen ganz ausgeschlossen, welche zu ihrem Thatbestand einen klar bewußten Vorsatz voraussetzen, wie z.B. der Diebstahl, Betrug, Zweikampf, od. welche in ihrer Vollziehung wider Rechte gerichtet sind, die als Rechte ohne Vorsätzlichkeit nicht verletzt werden können, wie dies z.B. mit den Angriffen auf die Ehre, Schamhaftigkeit etc. der Fall ist. Hauptsächlich kommt die C. nur bei der Tödtung, Körperverletzung, Brandstiftung u. anderen Beschädigungen fremden Eigenthumes in Betracht. Auch in diesem beschränkten Gebiete aber hat der Satz, daß auch das culpose Verbrechen strafbar sei, sich erst in neuerer Zeit entwickelt; für das Römische Recht war die culpose Handlung bis zur Zeit Hadrians kein Gegenstand des öffentlichen Strafrechts; die Ahndung culposer Handlungen fiel nur dem censorischen Strafamte u. dem Privatstrasrechte der Hausväter anheim; auch seit Hadrian bleibt es zweifelhaft, ob die C. überall gestraft wurde. Das Canonische Recht bestrafte das culpose Benehmen mit Bußen; das ältere Deutsche Recht sah anfangs blos auf den objectiv äußeren Erfolg u. legte dem Thäter, gleichviel ob er bei seinem Handeln culpos verfahren sein od. auch nur Zufall den Erfolg herbeigeführt haben mochte, das volle Wehrgeld, die volle Buße auf. Erst später gelangte man dazu, die C. von dem reinen Zufall zu unterscheiden u. für beide verschiedene Strafen festzusetzen, endlich aber dem Zufall ganz dem Strafgesetz zu entheben u. die C. auf ihre eigentlichen, oben angedeuteten Grenzen zurückzuführen; dies geschah bes. durch die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V., welche dabei sich an die späteren römischen Gesetzesbestimmungen u. die bei den italienischen Praktikern darüber ausgebildeten Ansichten anschloß. Den neueren Strafgesetzgebungen liegen im Ganzen dieselben Sätze zu Grunde; meist sprechen dieselben sich über den Begriff der C. selbst nicht näher aus, indem derselbe als der gemeinrechtlich geltende vorausgesetzt wird. Oft hat man als eine besondere Art der C. die sogenannte C. dolo determinata unterschieden u. darunter den Fall begriffen, in welchem Jemand, bei Verfolgung eines an sich verbrecherischen Zweckes, bei dem sich die Folgen nicht mit Sicherheit berechnen lassen,[575] durch concurrirende C. ein anderes u. noch schwereres Verbrechen, als das beabsichtigte hervorbringt. Indessen ist dies nur ein zufälliges Zusammentreffen einer dolosen u. culposen Handlungsweise, von welcher jede für sich beurtheilt werden muß.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 575-576.
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