[178] Civilrecht (Jus civile, Droit civil, Civil law, Rechtsw.), im jetzt gebräuchlichen Sinne der Inbegriff derjenigen Normen, welche die rechtlichen Beziehungen der Individuen zu einander, ohne ihre Beziehungen zur Gesammtheit des Staates od. der Gemeinde, betreffen. Das C. ist daher in dem heutigen Sinne mit Privatrecht gleichbedeutend; den Gegensatz bildet das Öffentliche Recht (Jus publicum) im weiteren Sinne. Zum Theil andere Begriffe verbanden sich mit dem Ausdruck bei den Römern, indem es bei diesen auch das positive eigenthümliche Recht des besonderen Staates, im Gegensatz zu dem Jus gentium (welches zwischen den Menschen auch ohne eine besondere Staatsangehörigkeit besteht) u. dem Jus naturale (welches die Natur allen lebenden Wesen gegeben hat), od. im Gegensatz zu dem auf den Edicten der Prätoren u. Ädilen beruhenden Rechte (Jus honorarium) das Recht, welches in Volks- u. Senatsbeschlüssen od. mit diesen gleiche Kraft habenden Rechtsquellen, wie in den Gutachten u. Entscheidungen der Rechtsgelehrten u. den Constitutionen der Kaiser, enthalten war; endlich auch im engsten Sinne nur dasjenige Recht bezeichnete, welches durch die Autorität der Rechtsgelehrten ausgebildet wurde. Über den eigentlichen Umfang u. die Grenzen des C-s wird vielfach unter den Theoretikern gestritten, weshalb auch die darüber aufgestellten Systeme ebenso, wie der Inhalt der neueren Civilgesetzbücher (s.d.), sehr verschieden sind. Der gemeinen Theorie nach zerfällt das C. in die Ordnung: a) des Personenrechts, welches sich mit den Begriffen der Rechtsfähigkeit, deren Bedingungen, Erwerb u. Verlust beschäftigt; b) des Sachenrechts, welches von den rechtlichen Beziehungen handelt, welche durch die gänzliche od. theilweise Herrschaft der Rechtssubjecte über körperliche u. unkörperliche Sachen (Eigenthun, Servituten, Pfand- u. Realrechte) entstehen; c) des Obligationenrechts, welches die Lehre von den Rechten u. Verpflichtungen aus Handlungen u. Unterlassungen, den Forderungs- u. Schuldverhältnissen aus Contracten u. Delicten umfaßt; d) des Familienrechts, welches sich über die Rechtsverhältnisse der Ehe, der väterlichen u. mütterlichen Gewalt über die Kinder, der Vormundschaft als einer Ergänzung derselben, auch wohl, wie im Deutschen Rechte, über manche andere privatrechtliche Unterthänigkeitsverhältnisse, wie das Gesindeverhältniß, verbreitet; endlich e) des Erbrechts, welches zwischen dem Sachen- u. Familienrecht insofern ein Mittelglied bildet, als sich der Übergang des Vermögens eines Verstorbenen auf die Überlebenden der Regel nach nach der Gliederung der Familie regelt. Für Deutschland hat man überdies zwischen einem Gemeinen u. Particulären C. zu unterscheiden, insofern das erstere dasjenige ist, welches als rechtliche Grundlage überall zur Anwendung kommt, wo nicht durch Gesetze der Einzelstaaten od. besondere Gewohnheitsrechte ein Anderes bestimmt ist; das zweite dagegen durch die Rechtsnormen der Einzelstaaten gebildet wird. Die Grundlagen des Gemeinen C-s bestehen seit der Reception des Römischen u. Canonischen Rechtes in dem Rechte des Corpus juris civilis (s.d.), des Corpus juris canonici (s.d.) u. denjenigen Rechtsbestimmungen, welche auf germanischer Grundlage sich theils diesen beiden Rechtsmassen gegenüber erhalten, theils die Römischen u. [178] Canonischen Rechte im deutschen Geiste umgeändert haben. Das sämmtliche C. pflegte sonst auf Universitäten, wie auch in der Literatur, als ein Ganzes behandelt zu werden; seit Ende des 18. Jahrh. hat die Umsäuglichkeit des Stoffes nach den Quellen in der Regel zu einer Unterscheidung des Römischen u. des Deutschen Privat- od. C-s geführt. Ungefähr seit derselben Zeit trat auch das Streben hervor, das C. dadurch zu verbessern, daß man die Bestimmungen darüber in eigene Civilgesetzbücher zusammenzutragen u. in eine systematische Ordnung zu bringen suchte. Die Verschiedenheit der Rechtsquellen, die zum Theil ursprünglich für ganz andere Zustände berechnet waren, u. die fremde Sprache, in welcher der größte Theil derselben geschrieben war, hatten schon lange Anlaß zu vielen Klagen gegeben u. mußten mit oder Zeit den immer lebhafteren Wunsch hervorrufen, daß den Quellen des C-s eine größere. Ordnung, Gleichmäßigkeit u. Verständlichkeit auch für den Nichtjuristen gegeben werde. In den beiden größten Staaten Deutschlands gelangte dieser Wunsch auch zur Befriedigung, für Preußen durch das Allgemeine Landrecht vom Jahre 1794, für Österreich durch das Bürgerliche Gesetzbuch vom Jahre 1811; für Frankreich, welches früher wesentlich die nämliche Rechtsverfassung wie Deutschland hatte, bildet der Code Napoléon (s. u. Code) die neuere Quelle des C-s. Das französische Gesetzbuch, in das Deutsche übersetzt, erhielt außerdem vorübergehende Gültigkeit im Königreich Westphalen u. bewahrt dieselbe noch für die überrheinischen Länder u. unter dem Namen Badisches Landrecht für das Großherzogthum Baden. Nach den Freiheitskriegen regte sich vielfach der Gedanke, diese Codificationen zu verschmelzen u. für ganz Deutschlau ein einziges Bürgerliches Gesetzbuch, unter gänzlicher Beseitigung der fremden Rechte, an deren Stelle zu setzen, u. insbesondere war es I. Thibaut (Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechtes für Deutschland, 3. Ausg. 1840), welcher diesen Gedanken verfolgte. Ihm gegenüber erhoben jedoch Andere, insbesondere v. Savigny (Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung u. Rechtswissenschaft, 3. A. 1840) Widerspruch, indem sie nicht blos den Vorschlag selbst als einen unzeitgemäßen u. schwer ausführbaren darstellten, sondern auch gegen die ganze Thibaut'sche Rechtsanschauung lebhafte Einwendungen erhoben. Dieser Streit, welcher zum Theil zum Gegensatz der sogenannten historischen u. philosophischen Rechtsschule führte, verhinderte, neben äußeren Hemmnissen, die Ausführung des Gedankens. Nichtsdestoweniger ist das Bedürfniß nach einer Neugestaltung des C-s in allen deutschen Ländern seitdem immer fühlbarer geworden. Die Folge hiervon ist gewesen, daß auf diesem Gebiete die Particulargesetzgebung immer fruchtbarer u. umfassender geworden ist. Da indessen die meisten Staaten hierbei sich damit begnügt haben, nur einzelne Theile des C-s durch Gesetze neu zu ordnen, so muß man gestehen, daß der jetzige Rechtszustand durch die Mannigfaltigkeit der Rechte u. deren raschen Wechsel ein verhältnißmäßig weit ungünstigerer geworden ist, als er sich früher darstellte. Nur wenige Staaten haben bis jetzt den Plan wieder aufgenommen, das ganze C. in einem allgemeinen Gesetzbuch zusammenzufassen. Versuche dieser Art sind bes. neuerdings im Großherzogthum Hessen mit dem Plane einer Verschmelzung des in der Provinz Rheinhessen geltenden Französischen Rechtes mit dem in den übrigen Landestheilen geltenden Gemeinen Rechte), im Königreich Baiern (wo schon durch die Constitution von 1818 ein Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch verheißen wurde u. deshalb seit längerer Zeit eine besondere Gesetzescommission besteht) u. im Königreich Sachsen gemacht worden. Im Verein mit dem letzteren Lande beabsichtigten auch die Sächsischen u. Anhaltischen Herzogthümer eine Neugestaltung des C-s, indem der Entwurf des Königlich Sächsischen Civilgesetzbuches zugleich von Abgeordneten der Herzoglich Sächsischen Länder mitberathen wird. Die nationale Erhebung des Jahres 1848 schien eine Zeit lang der Ausführung des Gedankens eines Allgemeinen deutschen Civilgesetzbuches wieder günstiger zu sein, indem zahlreiche Stimmen von der Frankfurter Nationalversommlung die Einsetzung einer Commission zu diesem Zwecke verlangten. Unter ihrer Mitwirkung kam darauf wenigstens zur Ordnung des Wechselrechts die Allgemeine deutsche Wechselordnung zu Stande (s. u. Wechsel). In neuester Zeit hat auf Veranlassung des Bundestages die Berathung eines Allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (s.d.) durch eine in Nürnberg tagende Commission begonnen, welche in Hamburg fortgesetzt werden u. dort namentlich auch noch das Seerecht berathen soll. Von den außerdeutschen Staaten hat eine große Anzahl neue Civilgesetzbücher, meist nach dem Muster des französischen Code civil, erhalten. So liegt derselbe bes. den Gesetzbüchern der italienischen Staaten, Neapels, Sardiniens, Parma's, des Kirchenstaates u. auch dem neuesten Gesetzbuche für Modena vom Jahre 1851 zu Grunde. Gleiches ist mit dem Civilgesetzbuch für die Niederlande u. den Gesetzbüchern mehrerer Schweizercantone (Waadtland, Bern, Luzern, Tessin, Solothurn, Freiburg, Wallis, Thurgau, Aargau) der Fall. Selbständiger ist ein Entwurf für den Canton Zürich, welcher von dem Professor Bluntschli bearbeitet wurde. Die Literatur über das C. ist äußerst reichhaltig, indem dasselbe von jeher von den Juristen mit Vorliebe vor allen anderen Rechtsdisciplinen bearbeitet wurde. In der früheren Zeit befaßte man alle Bearbeiter des C-s unter dem Namen Civilisten neuerdings ist nach der Scheidung des Römischen u. Deutschen Privatrechts für die Bearbeiter des ersteren auch die Bezeichnung Romanisten, für die Bearbeiterdes letzteren der Ausdruck Germanisten gebräuchlich geworden. Als die bedeutendsten neueren Bearbeiter des Römischen C-s sind Thibaut, Mühlenbruch, Göschen, v. Savigny, Puchta, v. Keller, v. Vangerow, Arndts, Böcking, Marezoll, Huschke, Franke, Brinz, Rudorff u. A. zu nennen; zu den Germanisten zählen Runde, Maurenbrecher, Danz, Mittermaier, Eichhorn, Bluntschli, Ortloff, Philipps, Gengler, v. Gerber, Hillebrand, Walter, Thöl, Krautt, Albrecht, Beseler etc. Vgl. auch Privatrecht u. Römisches Recht.
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