Halsgerichtsordnung

[886] Halsgerichtsordnung (Peinliche H. Kaiser Karls V. Carolina, Constitutio criminalis Carolina),[886] das von Kaiser Karl V. mit Einstimmung der Stände 1532 auf dem Reichstage in Regensburg als Reichsgesetz publicirte Strafgesetzbuch. Die traurigen Zustände, welche im 15. Jahrh. hinsichtlich der Strafrechtspflege in Deutschland herrschend geworden waren (s. Criminalrecht), hatten schon gegen Ende dieses Jahrh. das laute Verlangen nach einer neuen, allgemein deutschen Strafgesetzgebung erzeugt. Schon 1498 wurde auf dem Reichstag der Beschluß gefaßt, von Kaiser u. Reichswegen das deutsche Strafwesen einer gänzlichen Reform zu unterwerfen. Als die Ausführung dieses Beschlusses sich länger verzögerte, erschienen zunächst in mehreren einzelnen Ländern particulare H-en, welche gewissermaßen als Vorläufer der Carolina zu betrachten sind. Die bedeutendste hiervon war die im Jahr 1507 von dem fränkischen Ritter Johann von Schwarzenberg auf Hohenlandsberg zunächst für die Stiftbambergischen Lande verfaßte (C. Bambergensis, auch Mater Carolinae genannt) u. dann 1516 mit wenigen Abänderungen auch auf die fränkischen Lande des Brandenburgischen Hauses (C. Brandenburgensis, Soror Carolinae) übertragene H. Diese wurde hierauf auch den auf dem Reichstage berathenen Entwürfen zu Grunde gelegt, u. Schwarzenberg ist daher, zumal er auch selbst bei der Verabfassung des Reichsgesetzes als Mitglied der Reichsdeputation wieder unmittelbar thätig wurde, in doppelter Hinsicht als Urheber der Carolina zu betrachten. Das Gesetz wurde für die einzelnen Reichsstände nur mit der sogenannten Salvatorischen Clausel (Clausula salvatoria), d.h. dem Zusatz publicirt, daß damit den Ständen an ihren alten wohlhergebrachten rechtmäßigen u. billigen Gebräuchen Nichts benommen sein solle. Es besteht aus 222 Artikeln, zuerst Criminalproceß, dann Strafgesetze, endlich Formulare für Urtheile u. noch einige processuale Bestimmungen enthaltend. Es sollte damit zunächst eine faßliche Instruction für die ungelehrten Richter u. Schöffen gegeben werden, um diese zu belehren, wie in Strafsachen zu verfahren sei. Durch nähere genauere Normirung des Criminalprocesses, Aufstellung allgemeinerer Grundsätze über die Voraussetzungen u. Arten der Verschuldung, der einzelnen Verbrechen u. deren Strafen, hat aber die Carolina offenbar viel mehr geleistet u. für ihre Zeit einen bedeutenden Fortschritt geschaffen, Römisches u. Deutsches Recht wurde dadurch passend verbunden. Indem sie, neben Abschaffung zahlreicher Mißbräuche, doch auf Beachtung der guten Gewohnheiten u. auf die Wissenschaft (den Rath der Rechtsverständigen) verweist, legte die Carolina zugleich den Keim zu einer beständigen Fortbildung des Strafrechtes. Daß die Strafbestimmungen dabei jetzt freilich sehr hart u. oft grausam erscheinen, kommt auf Rechnung der Culturstufe der Zeit, in welcher das Gesetz selbst entstand u. welcher derartige Strafen keineswegs so hart erschienen. Ungeachtet der Salvatorischen Clausel brach sich daher das Gesetz sehr bald Bahn u. wurde die Hauptquelle nicht uur für das gemeine Strafrecht, sondern auch die Hauptgrundlage für die gesammte spätere Strafrechtswissenschaft, welche durch die Carolina erst zu rechter Blüthe gedieh. Erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die formelle Gültigkeit der Peinlichen H. allmälig durch neuere Strafgesetzbücher u. Strafproceßordnungen verdrängt. Jetzt behauptet sie eine subsidiäre Geltung nur noch in Kurhessen, Holstein u. Lauenburg, Mecklenburg, Waldeck, Reuß ältere Linie, Schaumburg-Lippe, Hessen-Homburg u. den Freien Städten. Vgl. Honix, Wahre Veranlassung der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V., Mainz 1753; Malblank, Geschichte der Peinlichen Gerichtsordnung, Nürnb. 1783; Wächter, Symb. ad histor constitutionis crim. Carolinae, Lpz. 1635; Zöpfel, Das alte Bamberger Recht, als Quelle der Carolina, 1839; Schletter, Zur Texteskritik der Carolina, Lpz. 1854. Ausgaben: Die älteste zu Mainz bei Ivo Schöffer im Febr. 1533, Fol.; beste Handausgaben von Koch, Gieß. 1769, 4. Ausg. 1824, u. von Meister, Götting. 1779 u. 1793; Schmid (nebst der bambergischen u. brandenburgischen), nach den Ausgaben von 1507, 1516 u. 1533, Jena 1826, 2. Abdruck mit den beiden Projecten der Peinlichen Gerichtsordnung von 1521 u. 1529, ebd. 1835; von Zöpfel, Heidelb. 1842; G. W. Böhmer, Über die authentische Ausgabe der Peinlichen Gerichtsordnung, Gött. 1818; Erläuterungen: von Kreß, Hannov. 1721, 5. Ausg. 1786; von Meckbach, Jena 1756; von Böhmer, Halle 1770; von Walch (mit Glossarium), Jena 1790.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 886-887.
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