[208] Kabylien, das von Berbern (die in Algerien Kabylen genannt werden, von dem arabischen Worte Kbîla, d.i. Stamm) bewohnte Gebirgsland in der französischen Provinz Constantine in Algerien (Nordafrika), hauptsächlich die Gebirge Dschurdschura u. das Aures begreifend, zerfällt in Großkabylien, welches ein Dreieck zwischen den Küstenpunkten Dellis u. Dschidschelli u. dem Orte Setif im Innern des Landes bildet; u. Kleinkabylien, welches östlich an das Vorige grenzt u. den Landstrich von Dschidschelli bis Philippeville begreift. Das Land ist, dem Gebirgscharakter entsprechend, theilweise rauh u. wild, fast überall schwer zugänglich, dabei aber in den Thälern gut angebaut u. von außerordentlicher Fruchtbarkeit. Die Kabylen od. Berber bilden nächst den Arabern die zahlreichste einheimische Bevölkerung von Algerien, 80,000 waffenfähige Männer zählend, u. sind zumeist Gebirgsbewohner, haben sich jedoch, wie der im Auresgebirge wohnende Stamm Schauja (d. h. Hirt), zum Theil auch über die anliegenden Ebenen verbreitet, ja sie fehlen selbst nicht in den Oasen, so in der Beni Mzab. Die Kabylen bekennen sich zum Islam, haben feste Wohnsitze, treiben neben Ackerbau u. Viehzucht auch eine gewisse Industrie (Weberei, Waffen u. Pulver, Eisen- u. Bleibergwerke im Atlas, Wassermühlen, Töpfereifabriken, Ölbereitung, u. besitzen als charakteristischen Zug einen starken Handelsgeist. Ihre Kleidung, Nahrung u. ganze Lebensart ist sehr einfach; doch haben sie in den größeren Orten steinerne Wohngebäude). Eine glühende Freiheitsliebe geht durch das ganze Volk. Die Verfassung der Kabylen ist demokratisch. Die verschiedenen Stämme stehen, außer wenn eine gemeinsame Gefahr sie vereinigt, in keiner Verbindung unter sich. Jeder einzelne Stamm theilt sich in so viel Bezirke, als er Thäler od. Berge besetzt hält, deren jeder wieder sich seinen Scheik, jedoch nur höchstens auf 6 Monate u. mit nur militärischer Machtvollkommenheit, wählt. Civilstreitigkeiten entscheidet der in jedem Dorfe vorhandene Amine. Die höchste, permanente Gewalt steht bei der Zavia, der kirchlichen, von Marabuts gebildeten Gemeinde, welche auch für alle Fälle letzte Instanz ist. Gesetze beschließt die Dschemma, die allgemeine Versammlung des Ortes, worin jeder stimmfähig ist, welcher eine Flinte besitzt, also auch Knaben. Steuern (1/100 der Heerden, 1/10 der Früchte) werden nur für Ernährung der Armen, Verpflegung der Fremden u. Erziehung der den Marabuts übergebenen Kinder verwendet. Gegenwärtig von den Franzosen unterworfen, läßt sich annehmen, daß die Kabylen in Bezug auf ihre Verfassung sich manchen Änderungen werden unterziehen müssen.
Die Kabylen, welche sich von jeher völlig unabhängig zu erhalten gewußt hatten, waren schon kurze Zeit nach der Einnahme von Algier in Kämpfe mit den Franzosen verwickelt worden. Doch begannen die planmäßigen Expeditionen gegen sie erst mit dem Auftreten des Marschalls Bugeaud in Algerien, in zwei Feldzügen 1842 u. 1843, welche gegen die Kabylenstämme westlich von Algier, südlich von der Küstenlinie zwischen Tenez u. Scherschell gerichtet waren u. nach langen u. blutigen Kämpfen mit der Unterwerfung der dortigen Kabylen endeten, welche der Marschall durch Errichtung von Blockhäusern u. militärischen Posten, sowie Anlegung von Straßen auf die Dauer zu sichern suchte. Ein von Bugeaud gleichfalls beabsichtigter Angriff auf Großkabylien im Jahr 1844 wurde von Dellis aus unternommen, lieferte aber kein weiteres Resultat, als die Einschüchterung der Stämme, so blutig auch die Kämpfe, bes. in zwei Treffen im Thal von Taurgha u. um die Höhen des Uarez-Eddin (16. Mai), gewesen waren. Erst 1847 konnte Bugeaud sein Project wegen der Unterwerfung von Großkabylien wieder aufnehmen. Die beiden Angriffscolonnen, je 8000 Mann stark, setzten sich von Aumale u. Setif aus in Bewegung, schlugen am 16. Mai die beiden allein Widerstand leistenden Stämme, die Beni-Abbas u. die Rebulas, u. erzwangen die Unterwerfung von allen Stämmen des[208] Dschurdschuragebirges. Daß die meisten Scheiks die ihnen angebotenen Belehnungsburnusse ausschlugen, ließ ihre Unterwerfung freilich in zweifelhaftem Lichte erscheinen. Eine längere Zeit hindurch sahen sich hierauf die Kabylen im Dschurdschuragebirge nicht weiter beunruhigt, da Bugeaud von Seiten der Kammern u. der Regierung in Frankreich nicht unterstützt wurde. Erst 1851 wurde ein neuer Zug gegen das bisher noch unabhängige Kleinkabylien durch den neuen Generalgouverneur von Algerien, General d'Hautpoul, unternommen; die Unternehmung hatte sich als nothwendig erwiesen wegen der beständigen Raubanfälle der Kabylen auf dem Ostabhange des Gebirges gegen Philippeville u.a. Orte der Colonie, wodurch der Verkehr derselben bedeutend beeinträchtigt wurde. Aus diesem Grunde u. wegen der, bei dem Reichthum von Kleinkabylien an werthvollen Producten von der Unterwerfung zu erwartenden Handelsvortheile hatte diesmal auch die französische Nationalversammlung ihre Einwilligung zu der Expedition gegeben. Dieselbe begann unter Leitung des Generals St. Arnaud im Mai von der Stadt Milah, im Süden von Kleinkabylien, aus; die Stärke des, durch mehrere arabische Scheiks verstärkten Angriffsheeres bestand aus etwa 9500 Mann. Bei dem Engpasse von Menagel, wo sich gegen 4000 Kabylen fest verschanzt hatten, kam es am 11. Mai zum ersten Treffen, in welchem die Franzosen Sieger blieben, worauf das Heer, obschon unaufhörlich durch Angriffe aus den verschiedensten Hinterhalten beunruhigt, seinen Marsch auf Dschidschelli nahm, in dessen Nähe St. Arnaud am 15. Mai sein Lager aufschlug. Am 19. Mai, als der General sich gegen Bugia in Bewegung setzte, erfolgte ein neues Zusammentreffen mit den in Masse auf den Bergeshöhen erscheinenden Kabylen, welche jedoch auch diesmal zurückgeworfen wurden. Ernster war der Kampf am 20. Mai im Engpaß Mta-el-Missia, welchen der Stamm der Beni-Amrann besetzt hatte; erst nach wiederholten Angriffen wichen die Kabylen, setzten den Kampf hartnäckig noch auf der Flucht fort, wurden zuletzt aber übermannt. Am 21. Mai kündigten einige Stämme, die Beni-Amrann u. die Marabuts, ihre Unterwerfung an. Hierauf richtete St. Arnaud seine Unternehmungen gegen die Stämme im Westen von Dschidschelli u. erzwang so bis zum 16. Juni, meist jedoch nur nach sehr blutigen Kämpfen, die Unterwerfung der Beni-Foughal, Beni-Rissa, Beni-Moad, Beni-Marmi u.a., worauf er sich vom 18. Juni an mit gleichem Erfolge gegen die Beni-Siar u. Beni-Assa im Osten wandte u. seinen Marsch bis Collo ausdehnte. Inzwischen hatten die Generale Bosquet u. Camon den Sheriff Bu-Boghla (Barghela), welcher einige Stämme von Großkabylien, in der Nähe von Bugia, zum Aufstand gereizt hatte, am 10. Juni völlig geschlagen, einen Theil seines Lagers erbeutet u. hierdurch bewirkt, daß der Sheriff vertrieben u. den Franzosen kein weiterer Widerstand entgegengesetzt wurde. Mitte Juli war der Feldzug als beendigt anzusehen. Kaum waren jedoch die französischen Truppen abgezogen, als sich auch die Kabylen von Neuem erhoben u. durch räuberische Einfälle in die Ebene den Verkehr gefährdeten. Unter Leitung des Generalgouverneurs Randon wurde daher im Mai 1853 ein neuer Zug gegen die Kabylen im Süden von Dschidschelli unternommen. Unter Bosquet u. Mac Mahon drangen zwei Colonnen vor, u. es unterwarfen nach einigen siegreichen Gefechten sich 45 Scheiks am Ufer des Wad-Agrium, doch vermochte man die völlige Unterwerfung aller Stämme nicht zu erreichen. Als nun 1854 in Folge des orientalischen Krieges Truppen aus Algerien nach der Türkei gezogen wurden, erhoben sich mehrere Stämme unter dem Sheriff Bu-Boghla abermals. Randon rückte daher in ihr Gebiet ein, schlug u. unterwarf sie, ohne jedoch auch hiermit eine vollständige Obergewalt herbeiführen zu können. Erst nach Beendigung des Orientalischen Krieges nahmen die Franzosen 1856 den Kampf wieder mit Energie auf. Doch trotz des siegreichen Vordringens der Generale Yussuf u. Renault mußte in Folge der vorgerückten Jahreszeit der Kampf im October abgebrochen werden, u. es wurde 1857 eine neue Expedition nöthig, welche unter Randon selbst nach mehreren siegreichen Treffen der Generale Yussuf, Mac Mahon u. Renault endlich die völlige Unterwerfung sämmtlicher Kabylenstämme im Juli 1857 herbeiführte.