[190] Lebensdauer, die jedem organischen Wesen von Natur bestimmte Lebenszeit; sie kann nach Möglichkeit, absolut od. relativ, od. nach Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, ebenso für einzelne Wesen, als für mehrere derselben Art in einem Mitteldurchschnitt (Lebensprobabilität). Auf einzelne Menschenleben bezogen, kann die natürliche L. kaum höher als zwischen 70–80 Jahre gerechnet werden. Bei weiser Lebensökonomie, bes. gegen den Ablauf des Lebens, ist jedoch noch eine Verlängerung von etwa[190] 10 Jahren ruhiger u. friedlicher Existenz als Lebensgewinn in Anschlag zu bringen. Was hingegen über 90 Jahre hinausfällt, ist eine Lebenszugabe, welche nur unter höchst selten zusammentreffenden Bedingungen als ein Vortheil zu betrachten ist. Fälle von 100–110jährigem Lebensalter sind zu Tausenden bekannt; von da an aber werden sie selten (1852 starb in Heidelberg Jos. Fein, 115 Jahre alt); Fälle von 150 Jahre u. drüber alt gewordenen Personen bedürfen einer strengen historischen Nachweisung, doch sind einzelne (wie Th. Parre, welcher in Shropshire 1635 152 Jahre alt, H. Irnkins in Yorkshire, welcher 1670 157 Jahre alt, eine Negerin, L. Truxo in Südamerika, welche 1780 175 Jahre alt starb) constatirt. Auf keinen Fall aber reicht auch das möglich höchste Menschenalter bis über 190 Jahre, als welches im Banat von Temeswar beobachtet worden sein soll, obgleich behauptet wird, daß in Indien einzelne Menschen bis selbst zu 300 Jahren alt werden. Die Haupteinflüsse zu Erreichung eines hohen u. selbst kräftigen Alters sind: Gesundheit des Klimas, bes. in Berggegenden u. Hochebenen, vorzüglich der nördlichen Erdstriche, daher in Rußland 100- u. mehrjährige Greise sehr häufig sind; durch Abstammung erlangte kräftige Körperconstitution, daher unter den Völkerschaften Kaukasischer Race, sowohl der europäischen, des Cimbrischen u. Celtischen Stammes, als der asiatischen Völker, bis zum Ganges, unter den Hindus, den Arabern, Persern, Türken, Ägyptiern, Mauren, Marokkanern vorzugsweise sehr alte Leute sich finden; eigenthümliche Constitution, welche, bei weder zu großer Lebhaftigkeit, noch zu großer Trägheit, zu Bedachtsamkeit, Ruhe u. Schonung der Kräfte im Leben hinleitet; Normalität u. mittlerer Zustand in allen Lebens- u. Körperentwickelungen, daher auch Personen von mittlerer Statur vorzugsweise alt werden; Lebensthätigkeit, ohne Lebenserschöpfung; Harmonie des inneren Lebens, indem alle Leidenschaften an dem Leben zehren. Daß hohe Geistesausbildung der Erreichung eines hohen Alters nicht hinderlich sei, ersieht man aus den vielen Fällen von durch Talente u. Gelehrsamkeit berühmten Personen, welche ein hohes Alter erreicht haben.
Der Berechnung der L. (Lebenswahrscheinlichkeit, Lebensprobabilität) liegen möglich genaue Mortalitätstabellen zu Grunde. Wenn z.B. von 100,000 Menschen, die zu gleicher Zeit ins Dasein treten, nach einem bestimmten Zeitraume nur noch 50,000 übrig sind, so läßt sich mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß irgend ein einzelnes Leben in einer noch späteren Zeit auch erloschen sein werde. Diese Bestimmung gilt aber nur im Allgemeinen; dagegen sind bei der Lebensperspective eines Einzelnen noch eine Menge Zufälligkeiten in Anschlag zu bringen, welche in der Lebensweise etc. jedes Einzelnen u. in seinen Lebens- u. Gesundheitsverhältnissen liegen. Auch geben Land, Klima, stürmische Zeiten etc. andere Resultate. Nach der von Duvillart berechneten Lebenswahrscheinlichkeit für Frankreich, welche nach den Sterbefällen einer Million Individuen berechnet ist, ergibt sich, daß nach etwas über 1 Jahre 75 Procent, nach etwas über 2 Jahren 66,6 Proc., nach etwas über 20 Jahren 50 Proc., nach etwas über 45 Jahren 33,3 Proc., nach fast 56 Jahren 25 Proc., nach etwa 611/2 Jahren 20 Proc., nach etwas über 65 Jahren 16,6 Proc., nach etwa 671/2 Jahren 14,2 Proc., nach etwas über 69 Jahren 12,5 Proc., nach 71 Jahren 11,1 Proc., nach fast 72 Jahren 10 Proc., nach fast 74 Jahren 8,3 Proc., nach etwas über 76 Jahren 6,25 Proc., nach fast 78 Jahren 5 Proc., nach fast 83 Jahren 2 Proc., nach etwa 852/3 Jahren 1 Proc., nach fast 93 Jahren 0,2 Proc., nach etwa 951/2 Jahren 0.1 Proc., nach 105–106 Jahren 0,001 Proc. (also von 100,000 Menschen noch einer), nach etwa 109 Jahren 0,0001 Proc. (also von 1 Million noch einer) wahrscheinlich noch am Leben sind. Auf diese Grundlage könnte man also rechnen, daß ein neugeborenes Kind noch leben würde etwas über 20 Jahre, ein Kind von 1 Jahr gegen 37 Jahre, eius von 2 Jahren gegen 43 Jahre, eins von 3 Jahren gegen 45 Jahre, eins von 4 Jahren gegen 46 Jahre, eins von 5 Jahren gegen 46 Jahre, eins von 6 Jahren über 45 Jahre, eins von 8 Jahren über 44 Jahre, eins von 10 Jahren gegen 43 Jahre. ein junger Mensch von 15 Jahren über 39 Jahre, einer von 20 Jahren gegen 36 Jahre, einer von 25 Jahren über 33 Jahre, ein Mensch von 30 Jahren über 29 Jahre, von 40 Jahren über 23 Jahre, von 45 Jahren gegen 20 Jahre, von 50 Jahren über 17 Jahre, von 60 Jahren über 11 Jahre, von 70 Jahren gegen 7 Jahre, von 75 Jahren gegen 5 Jahre, von 80 Jahren über 34 Jahre, von 90 Jahren etwa 3 Jahre, von 95 Jahren etwa 21/3 Jahre, von 100 Jahren etwa 12/3 Jahre, von 105 Jahren etwa 1 Jahr. Eine einfachere, aber oberflächlichere Berechnung der L. eines Menschen von einem gewissen Alter ist folgende: Man bestimmt 86 Jahre Alter (welches von 100 noch nicht Einer erreicht) als den Lebenstermin, zieht nun die Zahl Jahre, die ein Mensch durchlebt hat, ab u. nimmt die Hälfte der bleibenden Summe für die Jahre der mittleren L. für jenes Alter. Dies trifft bei Personen, welche im mittleren Alter stehen, z.B. bei Personen von 40 Jahren, ziemlich genau zu. Für jüngere Personen aber vom zweiten Lebensjahre an (auf das frühere Kindesalter ist die Rechnung gar nicht anwendbar), muß man einige Jahre zu-, für ältere dagegen, von 60–80 Jahren, einige Jahre ab-, für die achtziger Jahre aber wieder etwas zurechnen. Die Jahre, welche von einem angenommenen höchsten Lebensalter (meist 86 Jahre) einer Person eines gewissen Alters noch abgehen, heißen Complemente der L. So wäre z.B. bei 20jährigen Menschen das Tomplement 66. Meist wird bei Berechnung der Jahresrente bei Personen von mittleren Jahren das halbe Complement der L. als das wahrscheinliche Lebensalter gerechnet, z.B. für 20 Jahre 33, für 30 Jahre 28, für 40 Jahre 23, für 50 Jahre 18. Schärfere Bestimmungen nach Mortalitätstabellen geben nur wenig abweichende Resultate, nicht so aber im Kindes- u. im Greisesalter, indem z.B. ein 70jähriger (statt auf 8 Jahre) nur auf 6) Jahre L. Wahrscheinlichkeit für sich hat, dagegen ein 85jähriger statt nur auf (Jahr immer noch auf 3 Jahre. Das außerordentlich hohe Alter der Erzväter vor der Sündfluth erklären Einige dadurch, daß sie von Eltern erzeugt waren, welche noch durch keinen Luxus geschwächt waren, durch ihre Lebensart in freier Natur u. durch den Umstand, daß die Jahre der Alten nicht Sonnenjahre, sondern kurze Zeitperioden waren. Vgl. Krause, Tract. longam hominum antediluvianorum vitam a dubiis vindicans, Lpz. 1792, 2. A. 1793; I. S. Schröter, Das Alter u. untrügliche Mittel alt zu werden, 2. Aufl., Weim. 1805 u. Nachtrag 1807; [191] Moser, Die Gesetze der L., Berl. 1839; Casper, Die wahrscheinliche L., Berl. 1835, 2. A. 1643.