[135] Menschenrechte, diejenigen Rechte, welche, abgesehen von positiven Gesetzen u. bestimmten Staatsformen, jedem Menschen kraft seiner menschlichen Natur zustehen sollen, u. daher als ein unveräußerlicher Besitz die Grundlage jeder rechtlichen Ordnung zu bilden Anspruch machen. Die Frage, ob es solche Rechte gäbe u. welche sie sind, hängt mit der Lehre von den angebornen u. unveräußerlichen Rechten zusammen, welche das Naturrecht (s.d.) des 18. Jahrh., namentlich auch das der Kantischen Schule aufstellte. Diese Form der Rechtsphilosophie ging von dem Gedanken aus, daß der Mensch als solcher kraft seines blosen Daseins u. unabhängig von allen Beziehungen zu andern Inhaber u. Träger einer Anzahl angeborner Rechte sei, welche man als die allgemeinen Menschenrechte, als angeborne Vernunftrechte bezeichnete. Darüber, welches diese Rechte seien, hat niemals volles Einverständniß geherrscht. Während Kant die Freiheit, d.h. die Unabhängigkeit von eines andern nöthigen der Willkür, so fern sie mit jeder andern Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, u. Fichte das Recht jedes Menschen auf die Voraussetzung aller übrigen, daß sie mit ihm durch Verträge in ein rechtliches Verhältniß kommen können, also die bloße Möglichkeit, Rechte zu erwerben, für das einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht erklärte, fügten Andere dazu noch das Recht der Persönlichkeit (d.h. das Recht von Andern nicht als Mittel, sondern nur als Zweck behandelt werden zu dürfen), der Selbsterhaltung, der Vervollkommnung, das Recht auf Ehre u. guten Namen, auf Glaubens- u. Gewissensfreiheit, auf den freien Gebrauch der Sachen (soweit dadurch fremde Rechte nicht verletzt werden), auf Wahrheit; ja manche setzten dazu sogar das Recht auf Glückseligkeit. Theils die schwankende Unbestimmtheit dieser sogenannten M., so wie die unvermeidlichen Conflicte, in welche sie ebendeshalb sich mit unzweifelhaft gültigen positiven Rechtsbestimmungen zu verwickeln drohen, theils die innere Unklarheit des Begriffes eines angebornen Rechtes haben daher dem Begriff der M. in der neuern Gestaltung der Rechtsphilosophie die fundamentale Bedeutung, welche er in dem älteren Naturrechte hatte, genommen, gleichviel ob sie das Recht als den Ausdruck des Einverständnisses zwischen den betheiligten Willen, od. als den Inbegriff der gesellschaftlichen Einrichtungen betrachtet, welche die Bedingungen u. Erscheinungsformen eines geordneten u. vernünftigen gesellschaftlichen Daseins sind. Die M. bezeichnen dann die rechtlich anzuerkennenden u. gesetzlich zu sichernden Befugnisse, welche die positive Rechtsordnung entweder wegen ihres ethischen Werthes od. um der Befriedigung unabweisbarer Naturbedürfnisse willen nicht verweigern soll; sie bezeichnen also theils leitende Grundsätze, theils Zielpunkte der politischen u. socialen Ordnung. Hiermit stimmt die Thatsache zusammen, daß die Berufung auf die allgemeinen M. entweder gegenüber dem Egoismus der Willkür u. Gewalt, od. in Folge höherer nationaler, socialer, religiöser Culturbedürfnisse in verschiedener Weise sich geltend gemacht hat. In diesem Sinne ist die Anerkennung solcher leitender, die Gesammtheit der übrigen Rechtsverhältnisse normirender Grundsätze unter der Benennung der M. Bestandtheile einzelner positiver Gesetzgebungen u. Verfassungen geworden; so z.B. 1776 in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika; in den französischen Constitutionen vom 3. Sept. 1791 (Déclaration des droits de l'homme et du citoyen), vom 24. Juni 1793, vom 22. Aug. 1795; ebenso in den Verfassungen mehrer Freistaaten in Südamerika; auch der in der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt im Jahre 1849 beschlossenen Grundrechte gehören zu diesen Beispielen.