Ossian

[403] Ossian (Oisin), nach der Tradition der schottischen Hochländer od. Gaëlen ein berühmter Barde des 3. Jahrh., der Sohn des Fingal, welcher, wie Homer, blind gewesen u. durch Gesang den Schmerz über den Verlust seines im Kampfe gefallenen Sohnes Oskar gemildert haben soll. O-s Name, bei den Bergschotten u. auf den Hebriden in ehrenwerthem Andenken, wird schon im 12. Jahrh. von Gyraldus Cambrensis erwähnt, wurde aber erst in der Mitte des 18. Jahrh. in weitern Kreisen bekannt, als Macpherson unter dem Namen Ossiansche Lieder mehre Dichtungen der Hochschotten in englischer Sprache herausgab. Einzelne Bruchstücke solcher alter gaëlischer Gesänge hatten 1755 bereits Stone u. Pope herausgegeben; vier Jahre später übersetzte Macpherson (s.d.) auf Home's Veranlassung Bruchstücke gaëlischer Lieder, welche er 1760 unter dem Titel: Remarks of ancient poetry, collected in the Highlands of Scotland and transladet from the Gaëlic or Erse language herausgab. Da diese Dichtungen den größten Beifall fanden, u. Macpherson die Unterstützung Home's u. Robertsons erhielt, entschloß er sich zu einer neuen Reise durch das Hochland, welche so ergiebig war, daß er 1762 das Heldengedicht Fingal nebst 16 kleineren Gedichten u. 1763 die Dichtung Temora nebst fünf kleineren erscheinen lassen konnte. Sämmtliche Dichtungen wurden dann als Poems of Ossian, Lond. 1764, 2 Bde., herausgegeben. Die in dieser Sammlung enthaltenen Gedichte erklärte Macpherson für. Übersetzungen aus den gaëlischen Liedern O-s, welche er theils aus dem Munde des Volkes gehört, theils aufgeschrieben gefunden habe. Aber die Echtheit derselben wurde bald nach ihrer Erscheinung bestritten, man hielt sie für Macphersons eigene Erfindung. Zu seinen Gegnern gehörten Johnson, Shaw, Waller, Malcolm, Laing, Adelung u.a.; Vertheidiger fand er an Hugh Blair, Graham, Sinclair, Smith, Macdonald, Clarke, Arthur Young u.a. Doch vermochten dieselben nicht, die einmal rege gewordenen Zweifel an der Echtheit der Gedichte zu besiegen; man verlangte von Macpherson, daß er die Urschrift vorzeige, doch war er hierzu nicht zu bewegen. Bei seinem Tode fand sich eine solche Urschrift vor, welche aber erst später von der Highland Society of Scotland, die bereits 1797 eine Commission zur Untersuchung der ganzen Angelegenheit niedergesetzt u. in einem 1805 zu Edinburg veröffentlichten Report sich zu Gunsten der Echtheit ausgesprochen hatte, mit einer wörtlichen lateinischen Übersetzung (The poems of O. in the original Gaëlic, Edinb. 1807, 3 Bde.; neue Aufl. mit dem Titel Dana Oisien, Edinb. 1818, deutsch von Ahlwardt, Lpz. 1811, 3 Bde.; wörtliche englische Übersetzung von Macgregor, Lond. 1841) veröffentlicht wurde. Seitdem ruhte der Streit über die Echtheit eine Zeit lang, bis 1829 die Irische Akademie in Dublin einen Preis auf die Untersuchung der Authenticität O-s setzte. Es gingen zwei Abhandlungen ein, von O'Reilly u. von Drumond, welche beide den Beweis zu führen suchten, daß Macpherson nicht nur die englischen Ossianslieder ohne gaelische Originale selbst verfertigt, sondern auch hinterdrein diese englischen Gedichte in das Gaëlische übersetzt u. diese Übersetzung, welche sich nach seinem Tode vorfand, für jene Originale ausgegeben habe. [403] Diesen Ansichten trat im Wesentlichen die Robinson (Talvj) in ihrem Buche: Die Unechtheit der Lieder O-s u. des Macphersonschen O. iusbesondere (Lpz. 1840) bei. Die Schwäche der Beweisführung jener Irländer u. die Einseitigkeit ihrer ganzen Kritik unterwarf V. A. Huber in der Neuen Jen. Literaturzeitung (1843, Nr. 26–29) einer eingehenden Prüfung, die zwar noch nicht alle Bedenken u. Zweifel beseitigt, aber die Hauptsache für immer festgestellt hat. In den schottischen Hochlanden hatte sich nämlich eine große Anzahl von epischen Liedern erhalten, welche aus Irland stammten, wo deren ebenfalls noch vorhanden sind (Fenische Lieder), aber in Schottland localisirt u. dem Ossian zugeschrieben wurden. Dieselben wurden durch die Barden von Generation zu Generation fortgepflanzt u. nachweislich noch um die Mitte des 18. Jahrh. in Hochschottland gesungen; im Laufe der Jahrhunderte mußten sie natürlich viel von ihrer Ursprünglichkeit einbüßen, da sie sich stets ihrer Zeit u. den sie beherrschenden (namentlich den christlichen) Anschauungen zu accommodiren hatten. Schon im Mittelalter hatte man auch schriftliche Sammlungen solcher alter Gesänge angelegt, welche in den Familien forterbten u. als Leabhar deargh (d.i. rothe Bücher) sorgfältig bewahrt wurden. Macpherson hatte nachweislich mehre solche Liederbücher zusammengebracht, daneben aber auch viele einzelne Gesänge, wie sie zu seiner Zeit noch im Volke lebten, nach mündlicher Recitation verschiedener Personen Ossianische od. andere gaelische Lieder aufgezeichnet. Wohin diese von Macpherson benutzten Handschriften gekommen sind, bleibt noch unentschieden; aller Wahrscheinlichkeit nach enthielt die bei seinem Tode vorgefundene gaelische Urschrift seines englischen O. Abschriften aus jenen Sammlungen u. Lieder, die nach mündlicher Recitation aufgezeichnet waren. Offenbar übersetzte Macpherson jene Lieder frei, verband wohl auch mehre willkürlich, ergänzte einzelne Stellen u. kürzte andere ob; überhaupt ist das ganze Werk Macphersons nicht nach deutschem, sondern nach englischem Maßstabe zu beurtheilen. Auch innere Gründe sprechen für die Authenticität der Lieder O-s; die einförmige, oft sentimentale, pathetische Manier, welche sie zeigen, steht in Übereinstimmung mit dem Charakter anderer celtischer Poesien, deren Echtheit unbestritten ist. Der Inhalt der Ossianischen Gedichte ist theils historisch, theils lyrisch: Erzählungen von Heldenthaten in Kämpfen, Lob vergangener besserer Tage, Klagen über erlittene Leiden, Schicksale Liebender, Klagen lieblicher Jungfrauen an Grabhügeln gefallener Heldenjünglinge, Heldenfeste etc. Die Haupthandlung in dem ganzen Balladenkreise ist Fingals Rettung Erins (Irlands) von dem Angriffe des stolzen Königs Swaran von Lochlin (Norwegen). Die Gedichte O-s wurden alsbald nach ihrem Erscheinen in die meisten europolschen Sprachen übersetzt; franz. von L. Toureur, Par. 1777; von Lombard, Berl. 1789; von Jargues, Par. 1801; spanisch von Ortin, Valladolid 1788; italienisch von Cesarotti, Padua 1773; holländisch von Bilderdijk, ebd. 1806; deutsch von Denis, Wien 1768–69, 3 Bde., n.A. ebd. 1791–94, 6 Bde; von Harold, Düsseld. 1779, 3 Bde.: Manh. 1822, 3 Bde.; von Petersen, Tüb. 1782; rhythmisch von Rhode, Berl. 1800, 3 Thle.; von F. L. Grafen zu Stolberg, Hamb. 1806, 3 Thle.; von L. A. Schubart. Wien 1808, 2 Thle.; von F. W. Jung, Frankf. 1808; von A. de la Perrière, Kölu 1 gl 7–1819, 4 Bde.; von L. G. Förster, Quedlinb. 1827, 3 Bdchn.; von Adolf Böttger, Lpz. 1847; einige kleine Gedichte von Goethe in Werthers Leiden. Vgl. H. Blair, Über O., e. d. Engl. von Ölrichs, Hannov. 1785; Gurlitt, Über O., Magdeb. 1802; Herder, Über O. in dessen Werken. Am St. Patrikstage 1853 wurde in Dublin die Ossianic Society begründet, welche sich die Herausgabe der älteren Denkmäler der Irischen Literatur, namentlich sofern sie mit den Ossianischen Liedern in Beziehung stehen, zum Zweck gemacht hat. Im ersten Bande ihrer Transactions (Dublin 1853) erschienen die alten noch vorhandenen Lieder, welche die Schlacht bei Gabhra zum Gegenstande haben, eine Ausgabe der Fenian Poems wurde von John O'Duly, Bryan O'Looney u. John O'Donovan (Dublin 1859) veranstaltet.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 403-404.
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