Parsen

[712] Parsen (Pârsî, d.i. Perser), ist in neuerer Zeit, im Gegensatz zu dem allgemeinen ethnographischen Namen der Perser, der gewöhnliche Name für die; früher gewöhnlich Guebern (arabisch kafir, Ungläubiger) genannten Perser gewesen, welche nach der Zerstörung des Reiches der Sassaniden durch die moslemischen Araber treue Anhänger der alten Religionslehre des Zoroaster geblieben sind. Von Muhammedanern fanatisch verfolgt, flüchteten sich dieselben theils in einzelne, weniger zugängliche Theile Persiens, theils nach der nordwestlichen Küste von Indien, wo sie bis auf die Gegenwart abgeschlossen in ihrer eigenthümlichen Nationalität erhalten haben. In Persien haben sich P. nur noch in Jesd (Yezd), Tafft u. in einigen umliegenden Ortschaften in Kirman, sowie einzelne in Teheran erhalten; während man dieselben vor 100 Jahren noch auf 100,000 angab, beträgt ihre Gesammtzahl in Persien gegenwärtig nur noch etwa 7000, die zum großen Theil in dürftigen Verhältnissen leben. In Indien dagegen, wo sie sich namentlich seit der Besitzergreifung Bombays durch die Briten, frei bewegen können, ist ihre Zahl, wie ihr Reichthum in stetem Wachsen begriffen. Vor 100 Jahren lebten in Bombay, Surate u. den benachbarten Orten etwa 50,000 Perser, 1858 betrug die Zahl derselben 150,000, wovon allein 110,000 auf die Insel Bombay kamen. Die P. selbst besitzen unter dem Titel Kissa-i-Sanjan (d.i. Erzählung des Sanjan) zwar selbst einen Bericht von ihrer Übersiedelung nach Indien, doch ist derselbe erst im Jahre 1590 verfaßt. Um sich der Unduldsamkeit der muhammedanischen Eroberer zu entziehen, flüchtete eine kleine Anzahl von Bekennern der alten Persischen Religion auf die benachbarte Insel Ormus, siedelten später aber, sich auch hier nicht mehr sicher fühlend, nach der Insel Diu an der indischen Küste über. Durch die Prophezeiungen eines ihrer Priester erschreckt, verließen sie jedoch auch diese Zufluchtsstätte wieder u. wandten sich 717 n. Chr. nach der Stadt Sanjan (bei Daman) auf dem indischen Festlande, wo ihnen der Hindukönig Duldung u. Wohnstätten gewährte. Die P. wohnten hier Jahrhunderte lang, wie es scheint, wegen ihres Glaubens unbelästigt, bis sich die Muhammedaner auch in Indien ausbreiteten, u. die P., welche übrigens tapfer mitgekämpft haben sollen, das Schicksal der Hindus theilen mußten. Sie wanderten von Sanjan vollständig aus u. wandten sich nach Nausar in Guzerate, wo noch heute viele P. wohnen. Obgleich von den Moslems verachtet u. bedrückt, verbreiteten sie sich doch auch über umliegende Städte, zu Ansehen u. Reichthum gelangten sie aber erst, als die Europäer in Indien mächtig wurden. Die P., welche in physischer Beziehung deutlich das Gepräge ihrer iranischen Abkunft tragen, haben sich vorzugsweise dem Handel gewidmet; 1850 zählte man auf der Insel Bombay 61,298 Personen u. Familienglieder, welche dem Kaufmannsstande angehörten; 11,028 waren Commis u. Schreiber, 5656 Priester. Der Parse ist bekannt u. geachtet wegen seiner Rechtlichkeit wie seines Unternehmungsgeistes. In ihren Unternehmungen schließen sie sich jetzt gewöhnlich den Engländern an, für deren Zwecke sie sich bisher stets als eine treue u. in den westlichen Theilen Indiens sehr mächtige u. einflußreiche Stütze bewährt haben. Sie sind den Briten nach Kabul gefolgt, manche haben sich in den Seeplätzen Chinas niedergelassen, selbst in London u. in Liverpool sind in der jüngsten Zeit parsische Häuser entstanden; sie betheiligen sich an allen Zweigen des [712] Handels u. der großen Industrie, sind Rheder u. Eisenbahnunternehmer, am liebsten aber Bankiers u. Mäkler. Militärs findet man unter ihnen nicht. Ihre Religion ist noch immer die Lehre des Zoroaster, welche nach ihnen in Europa gewöhnlich Parsismus genannt wird. Allerdings haben sie im Laufe der Zeit, wie in ihren Sitten u. Gewohnheiten, so auch in der Religion manches von den ihnen befreundeten Hindus angenommen, beginnen aber dieses Fremde wieder abzulegen, wogegen sie immer mehr der europäischen Sitte u. Bildung den Zugang eröffnen. Ihre nationale Kleidung besteht in einem weiten Gewand (Sadra) mit einer kleinen Tasche an der Brust, dann dem Kosti, einer dünnen, aus 72 Fäden bestehenden Schnur, welche dreimal um den Leib gewunden u. mit vier Knoten gebunden wird. Dazu eine kleine, aus chinesischer Seide gefertigte Mütze, welche nie abgelegt wird. Beim Ausgehen wirst der P. noch ein weites Obergewand, die Anyrakha, über u. bedeckt sich mit einem bei den Laien meist chocoladenfarbigen, bei den Priestern weißen Turban. Auch die Frauen tragen Sadra u. Kosti, doch meist in helleren Farben; dazu einen Kopfputz im Haar (Mathabana), sowie stets wenigstens etwas Schmuck von Gold u. Silber. Die Sitte bei der Geburt eines Kindes durch die Astrologen das Horoskop stellen zu lassen, ist zwar noch allgemein, wird jedoch nur von der Masse u. den Frauen für unentbehrlich gehalten. Die Todten werden in freier Luft ausgesetzt, um von den Vögeln u. Thieren des Feldes gefressen zu werden. Kein P., welcher irgendwie die Mittel dazu besitzt, versäumt es, seinen Kindern eine europäische Erziehung geben zu lassen. Alle öffentlichen u. privaten Schulanstalten Bombays (mit Ausnahme derer der Missionäre) sind mit P. gefüllt, selbst für Mädchen (was sonst im Orient nicht leicht geschieht) sind Schulen in Bombay begründet worden u. voller Schülerinnen. Eine Stiftung, welche zu Ehren ihres angesehensten Glaubensgenossen den Namen Sir, Jamsetjee, Jeejeebhoy's translation fund führt, besitzt ein jährliches Einkommen von 40,000 Rupien für den Zweck, gute europäische Bücher in das Guzerati zu übersetzen u. dann billig od. ganz umsonst unter die P. zu verbreiten. Auch durch die Presse suchen die P. gleich den Briten auf die Masse zu wirken; Ende 1858 erschienen in Bombay 14 Blätter (worunter drei täglich) im Guzerati, welche unter den P. die größte Verbreitung haben. Auch die europäische Wissenschaft findet Eingang; nicht wenige studiren selbst schon Medicin (trotz der widerstrebenden Satzungen ihrer Religion); namentlich aber sind es die europäischen Forschungen über ihre heiligen Schriften, welche die gebildeteren Laien unter ihnen in höchstem Grade interessiren u. bereits vielfach u. mit gutem Erfolge (z.B. von Sorabschi Sapurdschi) zu eigenem Studium nach europäischer Methode Veranlassung gegeben haben. In den letzten Jahren ist auch anregend auf die Priesterschaft gewirkt worden. Secten kennen die P. nicht; es existiren zwar zwei dem Namen nach, die Kadimis u. die Rasamis od. Shenshois (letztere bei weitem die Mehrzahl), doch erstreckt sich ihre Differenz nur auf den Kalender. An der Spitze ihrer Religionsgemeinschaft stand von Alters her ein Vorstand von fünf gewählten Personen, das Pantschayet, welches in früheren Jahrhunderten große Befugnisse hatte u. unbedingten Gehorsam fand, dessen Ansehen aber seit Mitte des vorigen Jahrhunderts stetig abgenommen hat. Alle Versuche, dasselbe durch Reformen neu zu beleben (z.B. 1787) sind fruchtlos geblieben. 1838 wandte sich dasselbe an die britische Regierung mit der Bitte, seinen Beschlüssen gesetzliche Kraft zu verleihen, als jedoch dasselbe abschläglich beschieden wurde, verlor es in der Gemeinde alles Ansehen. Der Mangel einer obersten Behörde wird sehr gefühlt; der Wunsch nach einem eigenen Gesetzbuche ist insofern erfüllt, als 1860 der Entwurf desselben vollendet war. Die P. sind sehr wohlthätig; die edle Freigebigkeit, sowie die Verdienste um das Gemeinwesen des reichsten aller P., des 1859 verstorbenen Jamsetjee Jeejeebhoy ist selbst in Europa bekannt u. durch dessen Ernennung zum Baronet (der erste Orientale) von Seiten der Königin von England anerkannt worden. Über die Religion der. P. s. Zendavesta u. Zoroaster. Vgl. Graul, Reise nach Ostindien, Lpz. 1854, 1. Bd.; Dosabhoi Framji (ein Parse), The Parsees in India, Lond. 1859; Petermanns Reise in den Orient, Berl. 1861, 2 Bde.; Spiegel, Einleitung in die traditionellen Schriften der P., Lpz. 1860.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 712-713.
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